Endlager Gorleben: "Augen zu und durch"
Die Entscheidung für Gorleben fiel wider besseren Wissens
Die Frage nach der politischen Einflussnahme auf ein Gutachten der PTB zur potentiellen Eignung von Gorleben als Atommüllendlager beschäftigt einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Doch das Wort Beeinflussung nehmen die Zeugen nur ungern in den Mund. Ist also alles in Ordnung mit dem PTB-Bericht, der in seinem Entwurfsstadium noch eine Passage enthielt, die ausdrücklich die Untersuchung anderer Standorte empfahl, die in der Endfassung nach einem überraschenden Besuch von Mitarbeitern aus dem Kanzleramt, dem Forschungs- und Innenministerium nicht mehr auftauchte? Reinhard Grindel (CDU) jedenfalls kommt zu dem Schluss, dass es einen "transparenten und unabhängigen Diskussionsprozess der Wissenschaftler" gegeben habe. Doch ganz so ist es offenbar nicht.
Wenn Klaus Duphorn über seine Zeit als Quartärgeologe bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) spricht, klingt es zunächst wie eine harmonische Zusammenarbeit. 1979 übernahm er Aufgaben der quartärgeologischen Oberflächenuntersuchung sowie der Gesamtinterpretation der Bohr- und Kartierergebnisse. Während der Laufzeit seines dreijährigen Vertrages sei die Zusammenarbeit zwischen ihm, der zu Beginn seiner Arbeit selbst dem Standort Gorleben gegenüber positiv eingestellt war, und der PTB sehr gut gewesen. Die Diskussionen seien in der Sache hart, im Ton jedoch verbindlich gewesen, lobt Duphorn.
Doch mit dem Fortgang der Bohrungen wuchsen in ihm Zweifel, ob Gorleben tatsächlich ein geeigneter Standort gewesen sei. Je mehr Bohrungen er unternahm, und je tiefer gebohrt wurde, um so schlechter seien die Ergebnisse geworden. Doch zunächst habe er entgegen seiner eigenen Forschungsergebnisse den Standort weiter verteidigt – dabei waren laut Duphorn die von Niedersachsen ursprünglich aufgestellten vier Sicherheitskriterien zum größten Teil nicht erfüllt. Drei dieser Kriterien bezogen sich auf das Deckgebirge, diese seien allesamt nicht erfüllt worden. Lediglich das vierte Kriterium, was auf eine ausreichende Größe des Salzstockes abzielte, konnte erfüllt werden.
Mit der zunehmenden Verschlechterung der Bohrbefunde seien konzeptionelle Überlegungen angestellt worden, inwieweit andere, nicht geowissenschaftliche Kriterien mit eingefügt werden könnten. Schließlich seien die Kriterien so verändert worden, dass ein Endlager dann als sicher galt, wenn ein strahlenmedizinischer Grenzwert von 30 Millirem nicht überschritten wurde. Damit habe man der Tatsache Rechnung getragen, dass das Deckgebirge schlechter war als erwartet, so Duphorn. Warum die Kriterien geändert wurden, wisse er allerdings nicht.
Seine Zweifel an der Eignung Gorlebens formulierte Duphorn schließlich auch öffentlich. Auf der dritten öffentlichen Diskussionsveranstaltung des Bundes in Hitzacker habe er seinen Vortrag mit einem Appell an die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), aus den negativen Bohrergebnissen und der Messung der Grundwasserfließgeschwindigkeit die Konsequenzen zu ziehen und sich auf die Suche nach anderen Standorten zu machen. Seine offenen Worte sorgten seinen Ausführungen zufolge im Forschungsministerium für Unmut. Zwar wollte die PTB den Vertrag mit Duphorn verlängern, doch das Ministerium stellte sich quer. Da der Vertrag ohnehin auslief, gab es für das Forschungsministerium, das der Verlängerung zustimmen musste, keinerlei Hürden, um den kritischen Wissenschaftler los zu werden. Duphorn ist sich sicher, dass mit ihm anders umgegangen worden wäre, hätten die Bohrungen positive Ergebnisse gebracht.
Bei Reinhard Grindel sorgt das für eine gewisse Heiterkeit: "Das waren alles SPDler!", ruft Grindel und spielt damit auf den damals amtierenden Forschungsminister von Bülow (SPD) an. Ute Vogt (SPD) geht dazwischen und ermahnt Grindel, dass es nicht um ein Fußballspiel, sondern um hochgefährliche Stoffe gehe.
Vogt erinnert an ein Schreiben des Bundesinnenministeriums an das Kanzleramt vom Juni 1983 mit dem Inhalt, dass aufgrund der Ergebnisse der PTB die Erkundung weiterer Standorte nicht notwendig sei.
Das, so erwidert Duphorn, sei der "größte Skandal": Auf der Sitzung von PTB, BGR und der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern vom 11. Mai 1983 seien drei Mitarbeiter von Bundeskanzleramt, Forschungs-, und Innenministerium "aufgetaucht", so Duphorn. Schon auf der letzten Sitzung des Untersuchungausschusses war deutlich geworden, dass deren Erscheinen auf der internen Sitzung zu einer "aggressiven" Stimmung gegen die PTB geführt hatte, die sich für die Erkundung weiterer Standorte einsetzte (Einflussnahme auf den Gorleben-Zwischenbericht "völlig bedeutungslos"?).
August Hanning, damals im Bundeskanzleramt für die Vorbereitung der Kabinettsentscheidung zu Gorleben im Juli 1983 beschäftigt, kann sich an das fragliche Zusammentreffen mit den Wissenschaftlern nicht mehr erinnern. Seine Aufgabe sei es gewesen, dafür zu sorgen, dass eine Entscheidung auf rationaler Grundlage zustande kommt. Deshalb habe er an der Sitzung teilgenommen, was durchaus üblich gewesen sei. Die bisher befragten Wissenschaftler hatten übereinstimmend betont, dass das Auftauchen der Bonner Beamten für sie vollkommen überraschend gewesen sei.
Das Land Niedersachsen hat auf den Standorten Gorleben gedrängt
Der Vorwurf der politischen Einflussnahme ist für Hanning jenseits der Realität, das Kanzleramt sei gar nicht weisungsbefugt gewesen. Laut Hanning war es die Aufgabe des Innenministeriums zu prüfen, ob der Bericht eine "taugliche Grundlage" für eine Entscheidung sei. Entscheidend sei dabei gewesen, dass klar war, dass der Standort Gorleben eignungshöffig ist. Diese Eignungshöffigkeit hätte die große Mehrheit aller Wissenschaftler bestätigt. Von "offensichtlichen Problemen" mit dem Deckgebirge und einer wasserführenden Schicht wusste jedoch auch Hanning, von der Mehrzahl der Wissenschaftler sei das jedoch nicht als problematisch gesehen worden. An ein Protokoll der Sitzung könne er sich nicht erinnern, das müsse jedoch nichts bedeuten. Warum es keinen Vermerk über dieses Gespräch gibt, könne er sich nicht erklären.
Hanning räumte jedoch auch ein, dass der Bund eigentlich sehr gern auch nach alternativen Standorten gesucht hätte, jedoch sei dies vom Land Niedersachsen verhindert worden. Die Regierung Albrecht habe entschieden, in Gorleben ein Endlager zu errichten, und jeder wusste, so Hanning, dass Niedersachsen vor dem Hintergrund weiterer Bürgerproteste keine Suche nach alternativen Standorten auf seinem Gebiet zulassen würde. Andere Bundesländer wollten sich gar nicht beteiligen, und so blieb Gorleben die einzige Möglichkeit.
Auch Wolf von Osten, der aus dem Forschungsministerium ins Kanzleramt kam, erinnert sich daran, dass die Bundesregierung sehr an einem Alternativstandort interessiert war, dies jedoch von Ministerpräsident Albrecht durchkreuzt worden sei. Anfang 1982 sei die Suche nach Alternativen sogar durch eine Bitte des Landes Niedersachsen, die Suche auf Standorte außerhalb des Bundeslandes auszuweiten, verschärft worden – aufgrund der Demonstrationen habe Niedersachsen kalte Füße bekommen, so von Osten.
Zudem seien zwischen der Mitte des Jahres 1981 und dem Frühjahr 1982 Ergebnisse der Erkundungen und Gutachten von Geologen bekannt geworden, die Zweifel an Gorleben geweckt hätten. Durch die Regelung zur Entsorgungsvorsorge, die den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke an Fortschritte bei der Endlagersuche koppelte, habe sich die Bundesregierung jedoch Fesseln angelegt. Die Lockerung der Entsorgungsgrundsätze sei nicht möglich gewesen, da dies öffentlich einen mittleren Aufstand gegeben hätte, deshalb habe man Fortschritte mit Gorleben erzielen müssen. Verschiedene kritische Gutachten zu Gorleben, auch von Duphorn, hätten keinen Niederschlag in der Entscheidung gefunden. In einem gemeinsamen Vermerk mit Hanning habe er diese Zweifel zu Gorleben auch geäußert. Im Votum, also dem Fazit des Vermerks, sei man dann jedoch zu dem Schluss gekommen, dass es derzeit keine andere Möglichkeit gibt, als Gorleben weiter zu erkunden: dies sei die Meinung der beteiligten Ministerien gewesen.
Auf die Frage, wie es dazu kommt, dass es einen Widerspruch zwischen dem Inhalt des Vermerks und dem Votum gibt, erklärte von Osten, dass man zunächst versucht habe, den objektiven Tatbestand zu beschreiben, danach käme dann das Votum für das weitere Vorgehen. Der Widerspruch zwischen der objektiven Darstellung und dem Votum erkläre sich dadurch, dass in das Votum weitere Gründe für die Entscheidung einfließen würden.
In diesem Fall war das wohl die Kopplung des Betriebs der Kernkraftwerke an den Entsorgungsvorsorgenachweis. Ohne Fortschritte bei der Endlagersuche hätten die Kraftwerke vom Netz gehen müssen, denn ein alternatives Endlager hätte so schnell nicht gefunden werden können: vorsichtige Erkundungen bei den Landesregierungen zur Suche nach weiteren Standorten riefen sofort negative Reaktionen hervor, so von Osten. Bei der Standortauswahl sei also "Augen zu und durch" die einzige Möglichkeit gewesen.