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Endlich Millionär: Warum die Lebenslotterie Erbe akzeptiert wird

Marlene Engelhorn weiß, dass ihr nur zugehört wird, weil sie geerbte Millionen zu vereilen hat. Die Aufmerksamkeit nutzt sie für Kritik an diesem Zustand. Foto: Hannah Fasching / APA

BASF-Erbin Marlene Engelhorn will 25 Millionen Euro per Bürgerrat rückverteilen. Das gefällt nicht allen. Woher kommt die Solidarität mit Superreichen?

Marlene Engelhorn wird gerne als "die Millionenerbin" apostrophiert und das allein klingt schon ein wenig nach Kriminalfall. Ihr Verbrechen? Sie kündigt einen gesellschaftlichen Konsens auf, der in der Akzeptanz dafür besteht, dass wer reich ist, eben einfach Glück gehabt hat.

Erbschaftssteuer in Deutschland: Zeit für eine Reform?

Engelhorn trifft mit ihrer persönlichen Entscheidung, leistungslos erhaltenes Vermögen der Öffentlichkeit zurückzugeben, einen Nerv.

Ich habe ein Vermögen und damit Macht geerbt, ohne etwas dafür getan zu haben. Und der Staat will nicht einmal Steuern dafür.

Gleichzeitig kommen viele Menschen mit einem Vollzeitjob nur schwer über die Runden – und zahlen für jeden Euro, den sie mit Arbeit verdienen, Steuern.

Ich sehe das als Versagen der Politik, und wenn die Politik versagt, dann müssen die Bürger:innen das selbst angehen. Wenn die Politik ihren Job nicht erledigt und umverteilt, dann muss ich mein Vermögen eben selbst rückverteilen.

Marlene Engelhorn

Neue Wege in der Vermögensverteilung

Engelhorn greift einen neuralgischen Punkt des gesellschaftlichen Gefüges frontal an: "Die Reichen" machen die Regeln und haben auch die öffentliche Debatte im Griff. Ihr ist die Pointe nicht entgangen, dass sie mit der Bereitstellung ihres Vermögens dieses Machtverhältnis erneut festschreibt.

Denn ohne ihr Vermögen, würde ihr niemand zuhören, wie sie selbst betont. Bemerkenswert ist nun zunächst die Ablehnung, die Engelhorns humanistisch vorbildliche Entscheidung in Foren und Kommentaren in sozialen Medien einfährt. Sie würde verschenken, was ihre Vorfahren hart erarbeitet haben.

Ungleichheit und ihre Folgen: Ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem

Abgesehen davon, ob diejenigen, die eine BASF-Fabrik leiten, wirklich härter arbeiten, als jene, die in der Fabrik teilweise nur einen höchst überschaubaren Lohn beziehen, muss grundsätzlich gefragt werden: Warum solidarisieren sich Menschen so gerne nach oben?

John Steinbeck hatte hierzu bereits Mitte des 20. Jahrhunderts eine Vermutung: "Die Armen in Amerika empfinden sich nicht als ausgebeutete Proletarier, sondern als zeitweilig verhinderte Millionäre."

In dem Moment, indem sich ein Mensch als schwerreich fantasiert, duldet er anscheinend keine Kritik mehr am Reichtum an sich. So als wollte er sagen: Schließlich will ich es eines Tages auch mal gut haben und den anderen auf der Nase herumtanzen.

Lotterien ermöglichen kleiner Minderheit Klassenwechsel

Deshalb werden Gameshows wie "Wer wird Millionär?" oder Lotterien niemals ernsthaft in Frage gestellt. Dabei ist eine Lotterie im Kern nichts anderes, als eine Umverteilung von unten nach oben.

Die meisten Arbeiter und Angestellten zahlen ein ganzes Leben bei Toto und Lotto ein, ohne je etwas zu gewinnen. Nur eine winzige Anzahl an Person wechselt per Millionengewinn hinüber ins "Eine Prozent".

Nun ist der Effekt der Lotterien gesellschaftlich gesehen so gering (es gewinnt nämlich fast niemand), dass er zu vernachlässigen ist. Eine andere Lebenslotterie hingegen läuft wie geschmiert und ist ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor: das Erben.

Partizipative Ansätze zur Vermögensverteilung: Ein Experiment in Österreich

In Deutschland werden im Jahr hundert Milliarden vererbt und verschenkt. Laut offizieller Statistik, eine gewisse Dunkelziffer darf hier angenommen werden. In Österreich gibt es keine Erbschaftssteuer, deshalb auch – eleganterweise – keine zuverlässigen Zahlen. Es darf vermutet werden, dass Milliarden jedes Jahr vererbt werden.

Kritik an der Wirtschafts- und Steuerpolitik: Eine notwendige Diskussion

Weil die meisten Menschen nichts erben oder nur sehr wenig, einigen wenigen aber ein Vermögen (im Falle der Erben von Gaston Glock oder Dietrich Mateschitz ein Milliardenvermögen) in den Schoß fällt, schreiben sich gesellschaftliche Ungerechtigkeiten über Generationen fort. Genau dagegen will Engelhorn vorgehen.

Wie die 25 Millionen, die nach Angaben Engelhorns 90 Prozent ihres Erbes ausmachen, sinnvoll und gesellschaftlich nutzbringend eingesetzt werden, will sie demokratisch entscheiden lassen. Sie selbst hat kein Vetorecht, schließt aber vertraglich Zwecke aus, die verfassungswidrig, lebensfeindlich, menschenverachtend oder profitorientiert sind.

Gesellschaftliche Verantwortung und Vermögensverteilung: Engelhorns radikaler Ansatz

Deshalb wird ein "Guter Rat für Rückverteilung" eingesetzt. Dessen Mitglieder werden per Zufallsentscheid bestimmt. Ein Meinungsforschungsinstitut hat ein für die österreichische Bevölkerung repräsentatives Sample erstellt und 10.000 Menschen bekamen am 10. Januar eine Einladung zum Rat per Brief.

Wer 16 Jahre alt ist und seinen Wohnsitz in Österreich hat, konnte Teil der zufälligen Stichprobe werden. Die Staatsangehörigkeit war hierbei kein Kriterium. Aus denjenigen, die gewillt sind teilzunehmen, werden dann 50 Personen (plus 15 als Ersatz) ebenfalls repräsentativ ermittelt.

Hierbei zeigt sich, dass Zufallsentscheide durchaus sinnvoll sein können. Aleatorische Auswahl war bereits in der Antike eine erprobte Vorgangsweise. Der Zufall wird, anders als bei der Lotterie, genutzt um Gerechtigkeit zu schaffen. Denn nur durch Zufallsauswahl kann verhindert werden, dass sich immer wieder die gleichen, professionellen "Lobbyisten" um die Verteilungsfragen kümmern.

Ein guter Rat ist nicht billig

Dass dies auch gewisse Nachteile hat, ist bereits im ersten Blick zu erkennen. Die zufällig ermittelten Bürger bilden zwar ein statistisches Abbild der Gesellschaft, verfügen aber gegebenenfalls nicht über entsprechende Kompetenzen, oder haben (aufgrund ihrer Erwerbsarbeit!) schlicht nicht die Zeit für radikaldemokratische Experimente.

Genau die will ihnen aber der "Gute Rat" ermöglichen. Die zeitaufwendige Teilnahme wird gut entlohnt und es gibt von zivilgesellschaftlichen Organisationen wissenschaftliche und philanthropische Aufklärung, damit eine wohlinformierte Entscheidung vom Rat getroffen werden kann.

Wege zu glaubwürdiger Mitbestimmung

Einfach wird das alles nicht, denn die Ansprüche an die Teilnehmenden sind sehr hoch. Sie stehen jetzt bereits im Rampenlicht, weil sie mithelfen müssen, den bequemen und eingefahrenen gesellschaftlichen Weg zu verlassen, der einigen wenigen großen Reichtum ermöglicht und die anderen nur davon träumen lässt.

Der "Gute Rat" muss einen Weg für glaubwürdige Mitbestimmung finden, um die wichtigen Verteilungsfragen besser entschieden werden können als bisher. Damit das möglichst größte Glück aller nicht mehr dem Zufall überlassen wird.


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