Endlich ein Endlager
Das amerikanische Gorleben: US-Kongress beschließt den Bau eines neuen Ground Zero
Nachdem von George W. Bush das Endlager in Yucca Mountain/Nevada im Februar gebilligt worden ist, hatte der Gouverneur von Nevada sein Veto gegen das Projekt eingelegt - wer will denn schon Atommüll in seiner Nähe haben (Bush will Nevada zur atomaren Müllkippe der Nation machen? Am Dienstag hat der Senat sein Veto überstimmt und das Endlager für hochradioaktiven Atommüll aus 131 Atomkraftwerken in 39 US-Bundesstaaten genehmigt. Damit wird Yucca Mountain - rund 160 km von Las Vegas entfernt - ab 2010 das Hauptendlager für Atommüll in den USA werden.
Was tun mit dem Atommüll? Das musste sich die US-Regierung 1957 fragen, nachdem das erste Atomkraftwerk in Betrieb genommen wurde. Ins All schießen? Aber ab und zu geht eine Rakete daneben. Ins Meer versenken? Wir wissen selbst im 21. Jahrhundert kaum etwas über den Ozeanboden, und der Müll muss per Gesetz mindestens 10.000 Jahre gesichert sein. Bleibt nur eine Möglichkeit: ab in die Stollen.
Von drei Hauptstandorten hatte die US-Energiebehörde (DOE) Yucca Mountain ausgewählt. Wie der Spiegel bereits 1997 ausführlich berichtete, waren schon vor dem diesjährigen politischen Theater Milliarden US-Dollar in das Projekt investiert worden. Ein Stollen wurde für Probezwecke fast 8 km in den Berg gebohrt. Ausgerechnet in der Nähe der Funeral Mountains (Beerdigungsberge) und des DeathValley (Tal des Todes) soll das Gift endgelagert werden, auf dem Gelände, auf man rund 45 Jahre lang Atombomben getestet hatte, zuletzt im Jahre 1992.
Dabei reicht die gesetzliche 10.000-jährige Lagerung bei weitem nicht aus, denn der Müll ist der radioaktivste, den es gibt. Zum Teil wird es Millionen von Jahren dauern, bis er keine Gefahr mehr darstellt. Die maßlose Untertreibung hat eine lange Tradition in der Atomindustrie. Die alten Duck and Cover-Werbespots der US-Regierung sollten auch nichts anderes bewirken, als der Bevölkerung das Gefühl zu geben, man könne sich bei einem Atomangriff tatsächlich schützen. Und auch der Price-Anderson Act von 1957 begrenzte die Haftung seitens der Atomindustrie pro Atomkraftwerk auf $200 Millionen (später kamen $88 Millionen dazu), obwohl sich die Schäden laut Untersuchungen der US-Regierung im Jahre 1982 auf $560 Milliarden belaufen könnten. Just am 28.11.2001 wurde das Gesetz für weitere 15 Jahre verlängert. Auch die Schätzung vom DOE, dass die sieben nahegelegenen Vulkane in den nächsten 10.000 Jahre "wahrscheinlich nicht" explodieren werden, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Interessanterweise geht das Energieministerium davon aus, dass die vom Yucca Mountain ausgehende radioaktive Strahlung sogar in "300,000 Jahren zunehmen wird", denn "das Klima wird sich in den nächsten 1.000 bis 10.000 Jahren ändern".
Endlager auf Verwerfungen
Yucca Mountain ist sicherlich nicht nur attraktiv, weil es sich bereits auf dem alten Atomtestgelände befindet und damit im Besitz des DOE ist, sondern auch, weil es dort kaum regnet. Grundwasser ist mit die größte Gefahr für die Behälter. Doch Yucca hat auch einen großen Nachteil: Der Berg ist erdbebengefährdet. Selbst ein Erdbeben der Stärke 4,4 auf der Richterskala, das am Morgen des 14.6. - also vor etwa drei Wochen - immerhin viele Bewohner der Region aus dem Schlaf weckte, konnte den US-Kongress nicht davon abhalten, Yucca Mountain freizugeben. Das DOE veröffentlichte am 14.6. schnell eine Pressemeldung zum Erdbeben: "Es gab heute kein Erdbeben am Yucca Mountain. Es gab ein 'leichtes' Erdbeben am Skull Mountain... etwa 24 km entfernt."
In der selben Pressemeldung beteuert das DOE, dass selbst das 5,6 starke Erdbeben von 1992 den Stollen keinen Schaden zufügte. Die offizielle Webseite für das Yucca Mountain Projekt behauptet außerdem, die Stollen könnten noch größeren Erdbeben standhalten.
Aber selbst bei solchen potentiellen Gefahren musste eine Lösung her, denn die Zwischenlager sind alle voll, und man wollte die Atomkraftwerke nicht einfach abschalten. Die Entscheidung ist also durchaus politisch motiviert - auch die Auswahl des Standorts, wie Allison Macfarlane vom Massachusetts Institute of Technology Yucca Mountain Project gestern gegenüber der New York Times sagte: "Der politisch schwächste Bundesstaat, der zur Debatte stand, hat das Endlager abgekriegt."
Mobil-Tschernobyl
Es sind aber nicht nur die Einwohner von Nevada, die gegen das Vorhaben sind, denn der Atommüll wird auf Zügen durch 39 Bundesstaaten rollen. Auf einigen Webseiten kann man die Trassen verfolgen und auf einer Seite seinen Standort eingeben, um die nächstgelegene Trasse ausfindig zu machen.
Ab 2010 könnten über 10.000 Züge und mehr als 50.000 LKWs 24 Jahre lang auf den Straßen unterwegs sein. Der genaue Ablauf und die genauen Zahlen sind derzeit unklar, denn man hat vor allem Yucca Mountain untersucht, den Transport jedoch weniger. Das DOE gibt lediglich 175 Lieferungen jährlich an, was insgesamt rund 4200 Zuglieferungen entspricht, eine Zahl, die komplett auf sogenannte "dedizierte Züge" basiert, d.h. der Müll würde allein per Zug transportiert, und die Züge hätten keine andere Fracht. Die Webseite der Kritiker geht aber von 76.000 LKWs und 10.000 Zügen aus. Das DOE seinerseits weist auf die rund 2.700 Atommüll-Transporte, die in den letzten 30 Jahren ohne Zwischenfälle über die Bühne gingen.
Egal, wie viele Züge und LKWs unterwegs sein werden, 77.000 Tonnen (3000 pro Jahr) hochradioaktiven Atommülls werden quer durch das ganze Land rollen. Zum Vergleich: In Gorleben sollen "lediglich" 3.800 Tonnen zwischengelagert werden - etwa 5%. Ein weiterer Vergleich: Beim Angriff auf das WTC am 11.9. fielen mehr als 60.000 Tonnen Schutt an. Dabei kann Yucca Mountain gar nicht den ganzen Atommüll aufnehmen, der in den USA bis 2034 anfallen wird. Ein weiteres Endlager muss also her.
Kein Ende der Gefahren
Neben terroristischen Anschlägen auf die Transporte, möglichen Langzeitschäden aufgrund von Erdbeben und Vulkanausbrüchen in der Nähe von Yucca Mountain und Unfällen während des Transports fürchten viele, etwas Strahlung von den vorbeifahrenden Castorbehältern abzubekommen. Doch das Nuclear Energy Institute beruhigt uns:
"You would receive as much radiation from eating bananas as would a pedestrian watching a year's worth of used nuclear fuel shipments pass by.".
Wie aber soll ein Staat, den es möglicherweise in 200 Jahren nicht mehr geben wird, sicherstellen, dass niemand in den nächsten 10.000 Jahren an den endgelagerten Müll herankommt? Soll ein Warnsymbol aufgestellt werden? Wenn ja, welches Symbol wird sprach- und kulturübergreifend verstanden? Und wie kann man verhindern, dass das Symbol warnt statt anzuziehen? Diese Debatte wird fortgeführt...
In einem Punkt haben die Befürworter für das Yucca-Projekt sicherlich recht: Der Atommüll kann nicht ewig in den unzähligen Zwischenlagern bleiben, die sich übrigens zum Teil auch gefährlich nahe an Wohngebieten befinden. Doch eines ist aus der Debatte um Yucca Mountain klar geworden: Wenn es jetzt kein Endlager gibt, dann müssen alle Atomkraftwerke in den USA bald stillgelegt werden. Aber es gibt keine Lösung für Atommüll. Bei Yucca Mountain wird lediglich eine vorgetäuscht. Und diejenigen, die diese Sicherheit versprechen, werden gar nicht lange genug da sein, um sie zu garantieren. Vermutlich werden sie auch nicht lange genug leben, um daran zu leiden, wenn was schiefgeht. Ein Indianersprichwort sagt demgemäß: Die Erde gehört uns nicht, wir haben sie nur von unseren Kindern ausgeliehen.
Das Original des "Duck and Cover"-Films kann beim Internet Moving Image Archive als MPEG heruntergeladen werden. Eine Audioversion kann hier gehört werden.