Endlosjagd versus Massenschlacht

World of Warcraft gegen den Rest der Welt

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Ein Computerspiel, das jahrelang begeistern soll, muss einiges bieten. Dass US-Entwickler Blizzard mit World of Warcraft der große Coup gelungen ist, lag auch an der erstarrten Konkurrenz, die weiter nach alten Mustern strickte. Mit WoW - Wrath of the Lich King steht bald das zweite“-Addon ins Haus, und ginge es nach Blizzard, würde der jährliche Addon-Zyklus bis mindestens 2010 fortgesetzt. Doch bis dahin wandelt sich der Markt der Onlinerollenspiele – der aktuelle Stand und was die nächste Generation der Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiele verspricht.

Seit zweieinhalb Jahren spült „World of Warcraft“ Geld in die Kassen, in einem Maße, wie es vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten wurde. In 30 Monaten stieg die Zahl der Spieler konstant an: Derzeit abonnieren 9 Millionen Menschen „World of Warcraft“ (davon 2 Millionen in Nord Amerika, 1,5 Millionen in Europa und 3,5 Millionen in China), was ungefähr so viel ist wie die Einwohnerzahl von Schweden. 13 Euro „Miete“ nimmt Blizzard monatlich pro Person – Summen von denen Filmunternehmen nur träumen können.

Gewohnt atmosphärisch: „World of Warcraft: Wrath of the Lich King“ (Der Zorn des Lich Königs) wartet mit einem weiteren Kontinent voll neuem Spielinhalt auf

Anfang August wurde die zweite große Erweiterung vorgestellt: Nach „W.o.W. - The Burning Crusade“, das im Januar diesen Jahres erschienen ist, soll W.o.W. - Wrath of the Lich King in absehbarer Zeit für Nachschub sorgen. So wird die Kundschaft bei Stange gehalten. Der echte WoW-ler langweilt sich erst, wenn der letzte Stein gleich mehrmals umgedreht wurde – die Neugier bleibt frisch, denn wer weiß, was der Zufall noch bringt. Doch was ist drin im Lich King? Nüchtern betrachtet liefert das Zusatzprogramm keine Innovation, Altes wird bloß aufgepeppt. Never change a winning Team.

Burning Crusades Neuerungen, die neben dem Pflichtinhalt (erhöhtes Level Cap von Stufe 60 auf Stufe 70, neue Regionen, Monster, Quests, Items und Schlachtfelder) zwei neue spielbare Völker, fliegende Reittiere und einen neuen Handwerksberuf umfassten, waren praktisch Gegenstand der zweiten Virtual-Reality-Action-Serien-Staffel „World of Warcraft“. Das Addon befriedigte die Gelüste ihrer wimmelnden Protagonisten und war Ansporn genug, noch ein Jährchen dran zu hängen. Ein abschließendes Ziel oder befriedigendes Ende, wie in den meisten anderen Spielen, wird nie erreicht - ebenso wenig, wie der Jagdtrieb des Windhunds bei seiner Hatz auf den Hasen-Dummy gestillt wird. Das unersättliche Streben stärker zu werden und seiner Gruppe zu dienen, geht stufenweise vorwärts. Der Hunger dauert an und das High des nächsten Happens ist schnell verdaut. Jeder will besonders sein und schafft es gewissermaßen auch, begrenzt im Rahmen seiner Gruppe - nirgends geht Selbstverwirklichung einfacher als hier.

Das Gemeinschaftsspiel, bei dem der Beschützerinstinkt an jeder Ecke ausgelebt werden kann, gründet auf sportlichen wie urmenschlichen Tugenden. Zudem wird man in der Gruppe, Gilde und im Freundeskreis für Ausrüstungsqualität oder spielerische Fähigkeiten sowie motivierenden, organisatorischen und sozialen Einsatz bewundert, beneidet, geschätzt und verehrt. Einzelcharaktere und Gilden machen sich einen Namen, werden zu „Stars“ und um das Individuum noch mehr zu fördern, kommt mit Erweiterung Nummer zwei die nächste Steigerung: Helden. Inspiriert vom Pendent aus Blizzards Strategiespiel Warcraft 3 (2002) wird mit „Wrath of the Lich King“ die erste Superspieler-Klasse eingeführt, der Todesritter.

„W.o.W. – Wrath oft he Lich King“ bringt nur geringfügige Neuerungen. Entwickler Blizzard geht mit der Einführung der Helden-Klasse kaum Risiken ein, die Spielbalance durcheinander zu bringen

Bevor ein Charakter die übermenschlichen, -orkischen oder -elfischen (welche Rassen Helden hervorbringen können, wurde noch nicht verraten) Vorzüge einsetzen kann, muss er bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Es sei sich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, prognostiziert man zur Heldenwerdung eine nahezu unerschöpfliche Liste ähnlich gearteter Aufgaben, die den Aspiranten durch Welt und Unterwelt schicken, Gegenstände sammeln und Monster besiegen lassen, bevor er sich nach qualvoller Sisyphos-Arbeit die güldene Rüstung überstreift und fortan der gefragteste Kämpfer der Gilde bzw. ein „wahrer Held“ sein wird.

Aber so ist das nun einmal: World of Warcrafts Fortschrittssystem belohnt, wie fast jedes Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel, den, der viel Zeit investiert: Den Löwenanteil des Spiels verbringt man mit dem Suchen und Sammeln von Gegenständen im Kampf gegen programmierte Intelligenz (PvE = Player versus Environment = Spieler gegen Umgebung).

Die Landschaftsgrafik von „Herr der Ringe Online“ stellt die von WoW in den Schatten. Allerdings trifft dies nicht so sehr auf seine Bevölkerung zu

„Herr der Ringe Online“ heißt der prominenteste Versuch, WoW zu stürzen. Bedauerlicherweise machte der im April diesen Jahres erschienene Titel, dessen Landschaftsatmosphäre grafisch beeindruckt, entscheidende Fehler: Die übliche Sammel-Questerei bringt keinerlei Abwechslung zu Genre-Vorgängern und eine variantenarme Charakterdarstellung unterdrückt das Gefühl als einzigartiges Wesen die riesige Welt zu bereisen.

Ernstlich bedrängen könnte „World of Warcraft“ allerdings sein eigenes Vorbild: Die Warhammer-Fantasy-Rollenspiele haben vor 25 Jahren als Brett-, Tisch- bzw. Pen ´n´ Paper-Games begonnen. Wie im Computerrollenspiel sammeln die Charaktere durchs Kämpfen Punkte und steigen im Level. Anfang 2008 wird EA Mythic (Electronic Arts) Warhammer Online veröffentlichen, dessen Ähnlichkeiten mit „World of Warcraft“ naturbedingt sind, das jedoch in mehreren Jahren Produktion mit neuen Ideen herangereift ist, ein comichaft-liebevolles Design hat und rein grafisch up-to-date ist. Die Foren sind voll von Diskussionen, in welcher Form „Warhammer Online“ (offizieller Trailer) den Tod eines Chars bestraft. In WoW blieb das Hinscheiden folgenlos, was viele Spieler bemängelten, da der Kampf deshalb nur wenig ernst genommen würde und die Herausforderung sinke.

Angeblich sollen sich die „Warhammer Online“-Entwickler ein sinnvolles Plus-Minus-System ausgedacht haben, auch wenn noch nichts offiziell ist: Fürs Wiederbeleben würden Schicksalspunkte eingesetzt werden, die im Laufe des Spieles verdient werden müssten. Wären keine Schicksalspunkte vorhanden, enthielte der Char Wahnsinnspunkte auf ein zweites Konto. Diese Negativpunkte würden seine Werte reduzieren und u. a. die Level-Geschwindigkeit verlangsamen. Wahnsinnspunkte würden nur per Quest abgebaut werden können. Das würde zu mehr Rücksicht um sein virtuelles Leben führen.

Ein umfassendes PvP-Spiel (Player versus Player) solle ebenfalls neue Standards setzen, wie Beta-Tester verraten. Obwohl jener Kampf gegen andere Spieler ein fast eigenständiges Spiel ist, sind im WoW-Universum größtenteils nur Hardcore-Gamer, die weit mehr als fünf Stunden pro Tag zocken, darin aktiv. Blizzard liefert mit „Wrath of the Lich“ King ebenfalls neue PvP-Attraktionen wie Belagerungswaffen und zerstörbare Gebäude für PvP-Posten sowie neue Schlachtfelder, doch das Thema Spieler-gegen-Spieler im Onlinerollenspiel ist noch lange nicht ausgereizt.

Das einzig und allein auf PvP (Player versus Player) reduzierte Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel „Fury“ soll Anfang nächsten Jahres erscheinen und verspricht Großes: Die „Bevölkerungen“ ganzer Server sollen gegeneinander antreten

Entwickler basteln an monumentalen Konzepten und verzweigen die Evolution der Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiele in Sub-Genres. Diesbezüglich sehr viel versprechend kündigt sich Fury an, ein Titel der in Europa von Codemasters Online vertrieben wird. Australiens Entwickler Auran inszeniert eine einzige PvP-Massenschlacht, wie man sie selbst von Ego-Shooter-Reihen wie Unreal Tournament nicht kennt. Dafür wird auf endloses Weltreisen, ermüdende Quest-Reihen und groß angelegte Kämpfe gegen computergesteuerte Bosse verzichtet. Besonders beeindruckend wird die Möglichkeit sein, dass nicht nur organisierte Gruppen gegen andere Clans, sondern ganze Server gegeneinander als Teams antreten können.

Ein Beispiel für die Maps von „Fury“: riesige Areale mit futuristischen Gebäuden

Vor jedem Match (Deathmatch mit Respawn, Capture-the-Flag oder Eliminierung mit Ausscheiden nach dem Tod) müssen die Spieler aus ihren bisher erlevelten Fähigkeiten (400 verschiedene sind zunächst verfügbar) eine begrenzte Anzahl kombinieren. Die richtigen Waffen und Zauber taktisch aufeinander abzustimmen und situationsbedingt einzusetzen soll den Haupt-Reiz von „Fury“ ausmachen. Nach dem Kampf werden u. a. Looks gelootet, also geplündert. Das Verlierer-Team wird ebenfalls belohnt und erhält als Trost einen nicht ganz so üppigen Loot (engl.: Beute) wie die Gewinner.

Mit dem steigenden Wachstum der Spielebranche und immer mehr Always-online-Wlan-Anschlüssen werden Mehrspieler-Games via Internet immer normaler. Die Zeit nach „World of Warcraft“ steht kurz bevor und sie ist voraussichtlich mehr als nur die Zeit vor „World of Warcraft II“.