Energiekrise: Die chemische Industrie in Ostdeutschland steht mit dem Rücken zur Wand

Die Zukunft der PCK-Raffinerie ist weiter ungewiss. Die Bundesregierung handelt planlos und in Schwedt gehen die Menschen wieder auf die Straße. Im Chemiepark Leuna wird wegen hoher Energiepreise die Produktion gedrosselt.
Die chemische Industrie in Ostdeutschland ist in Bedrängnis, steigende Gaspreise und der freiwillige Verzicht auf russisches Erdöl setzen ihr zu. Im Chemiepark Leuna haben die Betriebe ihre Produktion um die Hälfte gekürzt. Und in Schwedt bangen die Menschen immer noch um ihre Zukunft, da niemand weiß, wie die PCK-Raffinerie ab Januar ausreichend mit Erdöl versorgt werden soll.
Noch immer hat die Bundesregierung keine Lösung für das Problem präsentiert. Über den Hafen in Rostock kann die Raffinerie nur mit 50 bis 60 Prozent des Bedarfs versorgt werden. Das reicht im besten Fall dafür, die chemischen Prozesse am Laufen zu halten.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte gehofft, auch über den Hafen in Danzig Erdöl anliefern zu lassen. Doch die polnische Regierung sperrt sich: Sie ist nicht bereit, die Raffinerie zu beliefern, solange sie in russischem Eigentum ist.
Die Bundesregierung wollte die polnische Seite besänftigen, indem sie die Raffinerie unter ihre Fittiche nimmt und die Bundesnetzagentur als Treuhänderin einsetzt. Doch die Regierung in Warschau drängt auf weitere Schritte: Rosneft soll enteignet werden [1].
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Sepp Müller, hat eine weitere Idee: Die Bundesregierung solle im Eiltempo eine zweite Pipeline von Rostock nach Schwedt bauen. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte er: "Das Tempo beim Ausbau für die Flüssiggasterminals muss auch bei der Pipeline möglich sein".
Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) drängen darauf, dass die PCK-Raffinerie weiterhin am Netz bleibt, also dass sie weiterhin russisches Erdöl bezieht. UVB-Geschäftsführer Sven Weickert betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) [2]: "Eine Raffinerie kann man nicht ohne Weiteres wieder hochfahren, wenn sie mal heruntergefahren ist".
Die Hoffnung, dass die Bundesregierung aus Gründen der Vernunft einlenkt, sind allerdings gering. Sollte die PCK-Raffinerie nicht weiterarbeiten können, dann hätte das Folgen für die Versorgung von Berlin und Brandenburg mit Kraftstoffen. Aber auch die Bauwirtschaft, insbesondere der Straßenbau würde ein Aus der Raffinerie zu spüren bekommen. "100 Prozent des ostdeutschen Bitumens kommt aus Schwedt", sagte Weickert.
Schwedt geht erneut auf die Straße
Die Entscheidung der Bundesregierung, freiwillig auf russisches Erdöl zu verzichten, frustriert die Menschen in Schwedt. Trotz Regens gingen am Samstag rund 1.000 von ihnen auf die Straße. Die Linke hatte zu einer Kundgebung aufgerufen.
Die Stimmung der Menschen war gespalten, heißt es in einem Bericht der Märkischen Oderzeitung (MOZ) [3]. Manche erhofften sich, dass die Linken etwas bewegen könnten und dass die PCK-Raffinerie die Politik der Bundesregierung überlebt.
Andere haben jede Hoffnung in die Politik verloren. "Das sind doch alles nur Schaumschläger", wird ein Zuhörer zitiert. Vor 30 Jahren habe es dagegen noch Politiker gegeben. Die Rede von Gregor Gysis begeisterte viele – manche zeigten sich aber auch enttäuscht: "Wir hätten uns mehr erwartet als diese Wahlkampfrede".
In der aktuellen Situation konnten die Menschen kaum mehr erwarten als einen Mutmacher. Gysi hatte zuvor schon in einem Interview mit der MOZ [4] erklärt, es gehe darum, in der Region Flagge zu zeigen. Die Menschen sollten wissen, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten nicht allein sind.
"Es sind staatliche Entscheidungen, für die nicht die Menschen in Haftung genommen werden dürfen, die von möglichen Auswirkungen existenziell betroffen sind", sagte Gysi in Schwedt. Wenn die Bundesregierung politische Entscheidungen treffe, dann müsse sie auch dafür sorgen, dass nicht Andere die Konsequenzen ausbaden müssen. Die Sanktionen sollten vielleicht noch einmal auf Sinn und Zweck überprüft werden, so Gysi.
Der Parteichef der Linken, Martin Schirdewan, warf der Bundesregierung in Schwedt vor, Ostdeutschland einmal mehr zu missachten. Auch 32 Jahre nach der "deutschen Einheit" werde der Osten von der Bundespolitik einfach vergessen, wenn es darum geht, Zukunftsperspektiven zu sichern.
Er forderte deshalb vom Bund, gemeinsam mit der Landesregierung ein Strukturentwicklungsgesetz für die PCK-Raffinerie aufzulegen. "Es braucht einen Zukunftsplan für die Region Schwedt, es braucht Jobgarantien", so Schirdewan. Die Region benötige auch mit Blick auf die Energiewende Investitionen, um als Wirtschaftsstandort erhalten zu bleiben. Das sei die zentrale Aufgabe, vor der die Bundesregierung »derzeit kneift«.
Leuna drosselt die Produktion
Schwedt ist nicht der einzige ostdeutsche Industriestandort, der unter der Energiepolitik der Bundesregierung leidet. Auch Leuna trifft sie hart, aber hier sind es vorwiegend die hohen Gaspreise, welche die Betriebe in Bedrängnis bringen.
"Wir haben über den Schnitt der Betriebe am Standort aktuell Produktionseinschränkungen von ungefähr 50 Prozent", sagte der Geschäftsführer der Infraleuna GmbH, Christof Günther, laut dpa letzten Mittwoch in Halle.
Wir haben eine Situation, wo die chemische Industrie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten kann und wo wir ganz dringend Unterstützung brauchen, denn es leuchtet jedem ein, dass ein defizitärer Anlagenbetrieb nur sehr begrenzte Zeit aufrechterhalten werden kann.
Christof Günther
Im Chemiepark Leuna arbeiten die verschiedenen Unternehmen und Anlagen im Verbund. Das macht sie sehr effizient und leistungsfähig, so Günther. Doch fallen einzelne Anlagen aus, weil sie nicht mehr wirtschaftlich produzieren können, dann wirkt sich das auf alle anderen aus. Und das kann dazu führen, dass dann auch Anlagen außer Betrieb gehen, die bislang noch wirtschaftlich arbeiten.
"Wenn eine solche Entwicklung einsetzt, ist das ein Dominoeffekt, der dazu führt, dass die chemische Industrie nicht nur in Leuna, sondern im gesamten mitteldeutschen Chemiedreieck in Mitleidenschaft gezogen wird", sagte Günther weiter.
Sollte das geschehen, blieben die Auswirkungen der Krise nicht auf den Chemiepark beschränkt. Viele andere Industrien sind auf chemische Vorprodukte angewiesen. Die Elektrotechnik, der Maschinen- und Anlagenbau, die Bauwirtschaft und die Landwirtschaft würden in einem solchen Fall in Mitleidenschaft gezogen.
Die Bundesregierung hatte letzte Woche beschlossen, auf die umstrittene Gasumlage zu verzichten und stattdessen 200 Milliarden Euro für einen Preisdeckel beim Erdgas bereitstellen zu wollen. Wie stark Haushalte und Industrie entlastet werden, ist allerdings noch unklar. Deshalb blicken nun alle Augen auf die Kommission, die vom Bund für das Ausarbeiten eines Entlastungsplans eingesetzt wurde.
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[1] https://www.haz.de/politik/unionsfraktionsvize-mueller-fordert-beschleunigten-bau-einer-zweiten-pipeline-nach-schwedt-2ZFIBSM7W5COLMIXF6E2FAB6IQ.html
[2] https://www.stern.de/gesellschaft/regional/baden-wuerttemberg/bundesregierung--woidke-will-vom-bund-konkrete-zusagen-fuer-energiehilfen-32778432.html
[3] https://www.moz.de/lokales/schwedt/oel-embargo-pck-schwedt-gregor-gysi-wettert-bei-regen-gegen-die-wirtschaftspolitik-von-scholz-und-habeck-66853777.html
[4] https://www.moz.de/lokales/schwedt/oel-embargo-pck-schwedt-gregor-gysi-_-treuhand-verwaltung-von-rosneft-weckt-im-osten-boese-erinnerungen-66805967.html
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