Energiekrise: Warum die Golfregion keine fossile, nur eine erneuerbare Zukunft hat
- Energiekrise: Warum die Golfregion keine fossile, nur eine erneuerbare Zukunft hat
- Weitere fossile Energieförderung ist aus Klimaschutzgründen untragbar
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Gas und Öl aus der Golfregion sollen die EU unabhängig von russischen Importen machen. Aber gibt es überhaupt genug davon? Warum die Ölmonarchien schnell auf Wind und Sonne wechseln müssen.
Zuerst ein kurzer Überblick über die EU-Partnerschaft mit den Golfstaaten, die im Zuge der Energiekrise zunehmend als fossile Lieferanten in den Fokus geraten.
In einem Bericht der EU-Kommission vom 18. Mai dieses Jahres, in dem die Prioritäten für eine strategische Partnerschaft mit der Golfregion festgelegt werden, wird die Wichtigkeit der Region in Bezug auf die Energieversorgung betont. Die Golfstaaten "können dazu beitragen, die Volatilität der von der Energiewende betroffenen Märkte zu begrenzen, nicht zuletzt durch die Steigerung der Exporte von verflüssigtem Erdgas als Alternative zu Pipeline-Gas".
Es heißt weiter, dass man auf "Maßnahmen zur Stabilisierung der Ölmärkte" setze. Darüber hinaus zähle man auf den Nahen Osten als wichtigen Flüssigerdgas-Lieferanten (LNG), der Russland ersetzen soll. Die Golfstaaten werden außerdem in dem Bericht immer wieder aufgefordert, die Energiewende voranzutreiben.
Wie S&P Global Commodity Insights berichtet, haben sich Vertreter der Golfstaaten über die ihrer Meinung nach kognitive Dissonanz geärgert, die darin bestehe, dass der Westen mit dem Finger auf den Klimawandel zeigt und gleichzeitig mehr Öl- und Gaslieferungen fordert, um die steigenden Preise zu dämpfen und den Versorgungsengpass zu lindern, der durch die Sanktionen der USA und der EU gegen wichtige Produzenten, darunter Russland wegen seines Einmarsches in der Ukraine, noch verschärft wird.
Die Golfproduzenten, die den größten Teil ihres BIP aus den Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor erwirtschaften, investierten weiter viel Geld, um ihre lebenswichtigen Industrien auszubauen, so führt S&P weiter aus.
"Die OPEC-Schwergewichte Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen in den nächsten zehn Jahren zusammen etwa zwei Millionen Tonnen Rohöl pro Tag mehr fördern .... Der Gasriese Katar plant unterdessen, seine LNG-Kapazität bis 2027 um fast zwei Drittel auf 126 Millionen Tonnen pro Jahr zu erhöhen und wirbt damit, dass LNG eine sauberere Alternative zu Kohle und zuverlässiger als erneuerbare Energien ist. Die Importländer, die verzweifelt nach mehr Nachschub suchen, versuchen gleichzeitig, diese drei Golfstaaten mit intensiver Lobbyarbeit zu beeinflussen."
S&P sieht aufgrund der momentanen Energiekrise und den unterschiedlichen Interessenlagen eine Kluft entstehen zwischen den europäischen Importländern und den Erzeugern im Nahen Osten, auf die sie angewiesen sind.
David Goeßmann, Telepolis
Im Angesicht des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und dem damit notwendig gewordenen Ausstieg aus russischen Energielieferungen für Europa, wird seit einigen Monaten diskutiert, inwiefern andere Länder bzw. Regionen aushelfen können, um den hohen Bedarf an Erdöl und Erdgas hierzulande zu decken.
So unternahm der deutsche Klimaminister Habeck bereits Reisen nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAM) sowie in die USA, um LNG bzw. Fracking-Gas einzukaufen. Erst kürzlich kam allerdings die Absage aus Katar, dort sei man bereits am Limit der Fördermöglichkeiten.
Die Not ist groß und gemäß dem Plan der Europäischen Kommission soll Europa bis 2030 gänzlich unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland sein. Dies ist unverzichtbar, da mit den russischen Energielieferungen die Hauptkriegsfinanzierung stattfindet, sie hätte längst vollständig gestoppt werden müssen.
Auch wenn von vielen Seiten, insbesondere von Deutschland und der Europäischen Union (EU), ein Ersatz von russischem Erdöl und Erdgas durch andere Regionen, allen voran der Golfregion angestrebt wird, wird aber auch dies nicht möglich sein. Und das aus zweierlei Gründen:
- Einen wirklich nennenswerten fossilen Ersatz aus der Golfregion wird es aus Gründen der Ressourcenverknappung nicht geben können.
- Den fossilen Ersatz aus der Golfregion wird es aus Gründen des Klimaschutzes nicht geben dürfen. Denn jede weitere starke Nutzung der Gas- und Ölrohstoffe wie auch Kohle wird zweifellos in die Auslöschung der menschlichen Zivilisation münden, auch in der Golfregion.
Ressourcenverknappung und geopolitische Spannungen
Eine signifikante Ausweitung des Fördervolumens in der Golfregion, die für den Ersatz der russischen Energielieferungen ja notwendig wäre, wird es schlichtweg nicht geben können, da das maximale Fördervolumen in vielen Ländern bereits erreicht ist. So bekundet der Energieminister der VAM Al Mazrouei, dass die Situation im Hinblick auf die potenziellen Fördermengen "nicht sehr ermutigend" sei.
Und auch der OPEC-Generalsekretär Mohammad Barkindo erklärt, dass die große Mehrheit der Mitglieder an seine Kapazitätsgrenzen stößt und dementsprechend nicht mehr fördern kann. "Die Welt muss sich mit dieser brutalen Tatsache abfinden", heißt es und die Energiepreise würden in der Folge ins Unermessliche steigen.
Auf dem letzten G-7-Gipfel in Bayern verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron dem US-Präsidenten Joe Biden zudem, dass die VAM bereits ihre maximalen Förderkapazitäten erreicht hätten. Weiterhin hatte der regierende Scheich der VAM, Mohammed bin Zayed al-Nahyan, angemerkt, dass auch die Saudis ihre Ölproduktion lediglich "ein wenig" steigern könnten. Ben van Beurden, Vorstandsvorsitzender von Shell, und der unabhängige Ölanalyst Neil Atkinson kommen insgesamt zu der Einschätzung, dass die Förderkapazitäten der OPEC, insbesondere von Saudi-Arabien und den VAM, schon lange überhöht sind und im Ernstfall nicht so viel gefördert werden könne, wie es sich viele Menschen erhoffen.
Bereits vor Jahren warnte die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem World Energy Outlook 2018 entgegen aller Erwartungen vor einer dramatischen Unterversorgung der weltweiten Erdölversorgung in den kommenden fünf Jahren.
Jenseits dieser Ressourcenverknappung würde der Ersatz von Erdöl- und Erdgaslieferungen aus der Golfregion in Europa zu neuen und gefährlichen geopolitischen Spannungen führen, die sich bereits heute abzeichnen. So können vermehrte Liefermengen von Erdöl und Erdgas nach Europa vor dem Hintergrund der kaum zu vergrößernden Liefermengen in der Golfregion nur zur Kürzung von Exporten in andere Regionen führen, was dann dort enorme Probleme bereitet.
Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Pakistan, wo die LNG-Schiffe aus der Golfregion schon heute nicht mehr ankommen. Die daraus resultierenden Spannungen in Pakistan führen dann zur sozialen und wirtschaftlichen Destabilisierung; Aufstände und Terror weiten sich weiter aus und es drohen regionale Kriege.
Europa ist derzeit darum bemüht, keine Energielieferungen mehr aus Russland zu beziehen, da Russland damit den schrecklichen Krieg in der Ukraine finanziert. Die Öleinnahmen in der Golfregion, insbesondere im Iran und in Saudi-Arabien, sind aber ebenso Kriegsfinanzierung, deren Stellvertreterkrieg im Jemen stattfindet. Seit sieben Jahren führen jene beiden Länder Krieg im Jemen.
Gleichzeitig hilft es auch nicht, wenn Präsident Biden aus eigener Energienot den Schulterschluss mit Saudi-Arabien sucht, obwohl dies nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi undenkbar erschien. Aber die Energienot lässt die Rechtsstaatlichkeit und die Humanität wieder hintenan stellen.
Dies zeigt sich in den Vorbereitungen, französische Söldner im Jemen zur Sicherung von LNG-Lieferungen aus der jemenitischen Schabwat-Provinz einzusetzen. Der Krieg im Jemen bekäme damit eine neue schreckliche Dimension mit europäischer Kriegsbeteiligung.
Somit ist klar: Weder die Weltgemeinschaft und schon gar nicht die Golfregion alleine können den Ersatz der russischen Energielieferungen aus anderen nicht russischen fossilen und atomaren Quellen in Gänze decken. Die europäische Diversifizierungsstrategie führt damit im Wesentlichen dazu, dass das zahlungskräftige Europa den bisherigen Energiekunden die Energielieferungen wegkauft, wie das Beispiel Pakistan schon aufzeigt. Neue große geopolitische Spannungen ziehen damit herauf.