Energiepreise, Nord Stream 2 und die Ukraine-Krise
Seite 2: Das "große Schachbrett" aus der Sicht der USA
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Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Sicherheitsberater von Präsident Carter, hat in seinem Buch "The Grand Chessboard, american primacy and ist geostrategic imperatives" klar ausgeführt, dass die USA alles tun sollten, damit die frühere Sowjetunion zerfällt. Von Russland sollte dabei die Ukraine abgespalten und als eigener, slawischsprachiger Staat gegen Russland in Stellung gebracht werden. Divide et Impera. Dies Ziel wird seither konsequent durch die amerikanische Politik verfolgt.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion herrschte in allen neuen Staaten ein riesiges Durcheinander. Alle möglichen örtlichen Machthaber, ehemalige Apparatschiks, Generäle, Fabrikdirektoren usw. versuchten, sich aus der Konkursmasse der Sowjetunion so viel wie möglich an Werten, Macht und Einfluss zu sichern. Das waren die späteren Oligarchen.
Dabei kämpften sie in wechselnden Bündnissen jeder gegen jeden. Und das mit allen Mitteln. Dazu gehörten auch Erpressung, Mord und Terror. Dafür wurden Kriminelle aus der örtlichen Unterwelt sowie Soldaten und Angehörige des Sicherheitsapparats, die entweder entlassen oder mit ihrer Besoldung nicht zufrieden und deshalb korrupt waren, angeheuert.
Wildost. Und das galt sowohl für Russland als auch für die Ukraine und andere GUS-Staaten. In Russland änderten sich diese Zustände allerdings sehr schnell, nachdem Putin Boris Jelzin als Präsidenten abgelöst hatte.
Der strenge Oligarchenbändiger
Putin hatte als ehemaliger KGB-Offizier die Sicherheitskräfte und die Armee hinter sich versammelt. Mit dieser Hausmacht im Rücken konnte er den Oligarchen eine klare Ansage machen: Entweder ihr befolgt die Befehle und Weisungen aus Moskau, oder ihr habt in Sibirien im Straflager Zeit, darüber nachzudenken, was ihr falsch gemacht habt.
Und nachdem dann ein paar Exempel statuiert worden waren, hat sich unter den russischen Oligarchen ganz schnell herumgesprochen, dass es gesünder ist, Befehle aus Moskau zu befolgen.
Natürlich darf die Rechtsstaatlichkeit dieses Vorgehens bezweifelt werden, aber es war für Putin wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, sich durchzusetzen und der allgemeinen Anarchie beziehungsweise dem Anarchokapitalismus in Russland ein Ende zu setzen. Und die Oligarchen beseitigen konnte er auch nicht, da er sie als Führungspersonal brauchte und braucht.
Hintergründe der Ukraine-Krise
Ganz anders in der Ukraine. Dort gab es keinen Putin, sondern zwei ungefähr gleichstarke Lager, die sich unversöhnlich gegenüber standen. Die Westukraine ist ökonomisch hauptsächlich von Landwirtschaft und Leichtindustrie abhängig. Deren Besitzer wollen mit ihren Produkten auf den EU-Markt und sind deshalb an guten Beziehungen zum Westen interessiert. Das schließt einen Beitritt zu EU und der Nato ein.
Die Ostukraine ist dagegen von Schwer- und Rüstungsindustrie geprägt (Donbass), die eng mit der russischen Industrie verflochten ist. Und diese Industrie ist weitgehend veraltet und gegenüber vergleichbaren westlichen Betrieben nicht konkurrenzfähig. Deshalb waren deren Besitzer und Oligarchen an guten Beziehungen zu Russland interessiert und gegen einen Beitritt zur EU.
Verschiedene Oligarchen wurden nacheinander Präsident der Ukraine. Sie hatten alle 2 Dinge gemeinsam: Sie waren korrupt und relativ machtlos, so dass ihre Regierungen instabil waren.
Die katastrophalen wirtschaftlichen Zustände im Land konnten sie genau so wenig ändern wie dessen Spaltung. Dazu kam, dass die beiden verfeindeten Lager andauernd von Russland seinerseits und dem Westen andererseits gegeneinander unterstützt wurden.
Letztendlich siegten in Kiew mit westlicher Unterstützung die prowestlichen Kräfte in der Maidan-Revolution und erklärten den nach Russland geflüchteten Präsidenten Janukowitsch für abgesetzt. Am 27. Februar 2014 wurde in Kiew eine Übergangsregierung unter dem prowestlichen Arsenij Jazenjuk gebildet. Daraufhin besetzten russische Truppen die Krim.
Das war für Putin notwendig, da er Sewastopol als Basis für die Schwarzmeerflotte nicht aufgeben konnte. Die Bevölkerung der Krim war größtenteils mit der Annexion einverstanden, da es sich meist um Russen, hauptsächlich Angehörige der russischen Streitkräfte und deren Familien, handelte, die die Krim sowieso als einen Teil Russlands sahen und außerdem froh waren, dass ihnen die russische Invasion geordnete Verhältnisse auf der Krim sicherte.
Im Osten der Ukraine fanden Aufstände gegen die Regierung in Kiew statt, die von Moskau unterstützt wurden und zur Abspaltung der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk führten. Diese werden allerdings nur von Moskau anerkannt. Seitdem tobt in der Ostukraine ein erbitterter Krieg zwischen der Ukraine und den Separatisten, in dem Kiew vom Westen mit Waffen und Militärberatern unterstützt wird, während Moskau den Separatisten mit Material und Söldnern hilft.
Und Putin hat im letzten Telefonat mit seinem US-Amtskollegen Joseph Biden ganz klar gesagt, dass Russland nicht beabsichtigt, gegen die Ukraine militärisch vorzugehen, dass aber die aktuelle russische Militärdoktrin vorsieht, dass im Falle einer ukrainischen Offensive gegen die Separatisten die russische Armee eingreift.
Eine Besetzung der Ukraine wäre schwierig und teuer
Zur Zeit schreien US-Amerikaner und die Nato Zeter und Mordio, dass die Russen an den Grenzen zur Ukraine Truppen für eine Invasion zusammenziehen. Das ist Blödsinn: Wenn Putin die Absicht gehabt hätte, die Ukraine zu erobern, hätte er 2014 seine Armee dort einmarschieren lassen. Er denkt aber sicher nicht im Traum daran, den Nato-Strategen diesen Gefallen zu tun, denn er hat seine Lektion aus dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan gelernt.
Dort war es den USA gelungen, die Sowjetunion zum Einmarsch in ein fremdes Land zu verleiten. Die Besetzung des Landes verlief auch schnell und planmäßig, ohne große Verluste. Aber der anschließende Guerillakrieg band große Ressourcen, zermürbte die sowjetischen Truppen, kostete irrsinnig viel Geld und führte schließlich mit zum Zerfall der Sowjetunion.
Die gleichen Probleme mit der asymmetrischen Kriegsführung hatten übrigens die Amerikaner im Irak und in Afghanistan. Ein Land zu besetzen ist leicht, wenn man entsprechende Truppen hat, aber es besetzt zu halten ist sehr schwer und teuer. Und noch schwieriger ist es, so ein Abenteuer zu beenden.
Den Fehler macht Putin nicht. Er hat es auch gar nicht nötig, da er eine viel wirksamere Waffe hat: Nord Stream 2. Die Ukraine ist auf russisches Erdgas angewiesen. Wenn die Ukrainer im Winter kein Gas bekommen, können sie nicht heizen und ihre Heizsysteme frieren ein. Das ist wirksamer als jeder Bombenangriff.
Allerdings konnte Putin die Erdgastrasse durch die Ukraine bisher nicht abschalten, da er sie brauchte um seine Gaslieferungen nach Westeuropa zu erfüllen. Aber jetzt ist Nord Stream 2 fertig und er kann dadurch auf die Pipeline durch die Ukraine verzichten.
Natürlich ist der Betrieb von Nord Stream 2 durch die EU und die deutschen Behörden noch nicht genehmigt, aber das muss Putin nicht interessieren. Er kann die Gasleitung durch die Ukraine jetzt einfach abschalten und uns sagen: "Entweder ihr nehmt das Gas aus Nord Stream 2, oder ihr friert, ich bin jedenfalls bereit, meine Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Wenn ihr das Gas nicht abnehmt, ist das euer Problem, nicht meins."
Und damit hat er recht. In der jetzigen Situation, mit schlecht gefüllten Erdgasspeichern und ohne ausreichendes LNG-Angebot auf dem Weltmarkt, können wir uns einen Verzicht auf die russischen Gaslieferungen einfach nicht leisten, denn dann gehen bei uns die Lichter aus und wir sitzen im Kalten.
Und um das Ganze noch ein bisschen zu verschärfen, begrenzt Russland auch noch seine Ölexporte im Rahmen von OPEC plus, damit das Öl weltweit knapp und teuer ist und wir nicht auf Öl ausweichen können.
Die US-Amerikaner und die Nato haben natürlich recht, wenn sie sich über die Abhängigkeit der Europäer von russischem Gas und Öl beschweren. Aber wir haben so lange keine Alternative, wie wir nicht genug erneuerbare Energie erzeugen. Anders geht es nicht, denn es gibt niemand, der für die russischen Lieferungen einspringen könnte.
Deutsche Zusagen von grüner Außenministerin
Unsere neue Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), hat gleich auf ihrer ersten Auslandsreise laut versprochen, dass Deutschland in der Ukraine-Politik fest an der Seite der USA steht und im Falle eines russischen Angriffs die US-Sanktionen mitträgt.
Das wird Putin mächtig beeindrucken. Wirtschaftssanktionen haben schon in der Vergangenheit nichts gebracht und uns mehr geschadet als den Russen. Und außerdem hat Russland vermutlich gar keine militärischen Aktionen vor.
Das Frau Baerbock eine entschiedene Gegnerin von Nord Stream 2 ist, hat sie schon lange klar gesagt. Aber Politik ist nun mal die Kunst des Möglichen. Leider scheint es gegenwärtig unmöglich, auf das russische Erdgas zu verzichten. Mit dem Weiterbetrieb von Kohle- oder Atomkraftwerken hätten wir dann die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Anstatt sinnlos gegen Nord Stream 2 zu kämpfen, sollte Annalena Baerbock sich lieber für ein atomwaffenfreies Deutschland stark machen. Atomraketen wirken nämlich wie Magnete. Diese alte Parole der Grünen ist leider immer noch richtig.
Was den Ukraine-Konflikt betrifft, so ist es sicher besser, wenn Putin die Geschichte ohne weiteres großes Blutvergießen durch ein Gasembargo beendet, als wenn der Konflikt ewig weiter vor sich hin schwelt und weitere tausende Menschenleben kostet.
Im Übrigen geht es Putin vermutlich auch gar nicht darum, die Ukraine zu unterwerfen (sie wäre für Russland sowieso nur ein Klotz am Bein), sondern er will unter allen Umständen verhindern, dass die Ukraine zum Aufmarschgebiet der Nato gegen Russland wird.
Das hat er in den letzten Verhandlungen mit den Amerikanern auch ganz klar gesagt. Aber die geforderte Verzichtszusage auf eine Osterweiterung der Nato hat er von Joe Biden leider nicht erhalten. Also muss er handeln, was die Spannungen in Europa und der Welt sicher weiter verschärfen wird.
Wir sollten endlich akzeptieren, dass wir in diesem Konflikt am kürzeren Hebel sitzen, uns mit Russland gütlich einigen und die Sache beenden. Alles andere geht nach hinten los. Und die am meisten Geschädigten sind, neben den Menschen in der Ukraine, wir, nicht die Russen und auch nicht die Amis.
Wir sollten nicht den Kopf hinhalten, damit Joe Biden den starken Mann markieren und so innenpolitisch punkten kann.
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