Energiesparen: Habecks Nebelkerze

Wolfgang Pomrehn

Habeck ruft zum Energiesparen auf. Das bringt wenig und übergeht die eigentlichen Probleme, sagen Umweltverbände. Bild: Pixabay

Energie und Klima – kompakt: Von falschen Prioritäten, einem gescheiterten Tankrabatt und von einem Wirtschaftsminister, der lieber Eulen nach Athen trägt, als seine Hausaufgaben zu machen

Diese Wochenschau war so gut wie fertig, da kommt noch eine wirklich gute Nachricht rein: Die Ausschüsse für Wirtschaft und Umwelt des Europaparlaments haben mit jeweils sehr deutlicher Mehrheit am Dienstag den Vorschlag der EU-Kommission abgelehnt, Atomkraft und Erdgas in die sogenannte Taxonomie aufzunehmen.

Diese soll Kapitalströme in den Aufbau umweltfreundlicher und das Klima schonende Technologien leiten. Sparten die von der EU das entsprechende Label bekommen, gelten damit als nachhaltig. Damit kommen sie einfacher an Geldgeber, vor allem an solche, die ihr Geld umweltfreundlich anlegen wollen.

Würde sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag durchsetzen, könnten Bankberater künftig Menschen, die ihr Erspartes halbwegs sinnvoll anlegen wollen, Investitionen in neue Atomkraftwerke und Flüssiggasterminals als grüne Anlagen verkaufen.

Nach den Ausschüssen muss in drei Wochen noch das EU-Parlament über die Taxonomie abstimmen und danach der Ministerrat, das heißt, die Regierungen der Mitgliedsländer. Sollte eine der beiden Seiten dem gestrigen Ausschussvotum nicht folgen, müsste nachverhandelt werden.

Vielleicht kann das, was Klimaschützerinnen und Klimaschützer gerne Greenwashing nennen, also noch abgewendet werden. Weniger Erfreuliches gibt es allerdings aus Deutschland über geplante Kapitalströme zu berichten.

Gefährlich falsche Prioritäten

100 Milliarden Euro. Eine gewaltige Summe, die da eine ganz große Koalition von Unionsparteien, Sozialdemokraten und Grünen künftig in die Aufrüstung stecken will. Am 3. Juni hatte der Bundestag, wie berichtet, eine entsprechende Grundgesetzänderung beschlossen, und am vergangenen Freitag gab es nun auch das Okay des Bundesrats.

Damit kann das Parlament nunmehr mit einfacher Mehrheit ein kreditfinanziertes Sondervermögen von bis zu 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung einrichten. Willem Zwo, also Kaiser Wilhelm II., dessen massive Aufrüstung und dessen Russophobie einst viel zum Ausbruch des ersten Weltkriegs beitrugen, lässt grüßen.

Man stelle sich vor, dieses Geld würde in den Klimaschutz gesteckt, in den Umbau von Energieversorgung, Industrie und Verkehrssysteme. Oder auch in die Krisenprävention. Statt die total verarmte, von Oligarchen ausgeplünderte Ukraine seit rund 20 Jahren oder mehr in eine Position zu drängen, in der sie sich zwischen der EU und Russland entscheiden musste, hätte man ihr ja auch Kredite anbieten können, um der desolaten Wirtschaft auf die Beine zu helfen.

Frieden und Umwelt

Wie dem auch sei. Die Tatsache, dass nun für zerstörerische Aufrüstung auf einmal quasi über Nacht Geld aus dem Hut gezaubert wird, dass für so vieles andere nötiger gebraucht würde, zum Beispiel auch für die Linderung der auf uns zurollenden globalen Katastrophe aus epischen Hungerkatastrophen, zerstörerischen Extremwettern, steigenden Meeresspiegeln und sich durch verschobene Klimazonen ausbreitende Krankheiten, brachte am Freitag vor dem Bundesrat ein Bündnis von Friedens- und Umweltinitiativen auf die Beine.

Die katholische Friedensorganisation pax christi demonstrierte gemeinsam mit der Deutschen Friedensgesellschaft, den Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), den klima-bewegten Parents for Future und anderen, um die Länderkammer doch noch in letzter Minute zum Umdenken zu bewegen.

Die Mittel für die massive Erhöhung des Rüstungsetats fehlen bei der finanziellen Bewältigung der Bedrohung von Nahrungsmittel- und Energiesicherheit, der Klimaverwerfungen und der globalen Ungerechtigkeit. Sie drohen zur Quelle neuer Kriege zu werden.

Christine Hoffmann, pax-christi-Generalsekretärin

Für rund 400 Millionen könnte man zum Beispiel 500.000 Klassenräume mit je zwei Luftfiltern ausstatten. Für zehn Milliarden Euro könnten 100.000 dringend benötigte Pflegekräfte ein Jahr lang halbwegs angemessen entlohnt werden.

Und für 12,8 Milliarden Euro könnten die zusätzlichen Wasserstoff-Speicher gebaut werden, die nach einer neuen Studie ergänzend zu den bestehenden Erdgasspeichern geschaffen werden müssen, um rasch auf eine Wasserstoffwirtschaft umzustellen.

Tankrabatt

Doch nichts von dem geschieht. Nur für ein gigantisches Rüstungsprogramm ist Geld vorhanden. Und für einen Tankrabatt, der nicht bei den Autofahrer sondern bei den Energiekonzernen ankommt. Das legen zumindest die weiter hohen Preise an den Tankstellen nahe.

Letzte Woche mussten noch immer durchschnittlich 1,95 Euro für den Liter Benzin und fast Zwei Euro für einen Liter Diesel bezahlt werden. Marcel Fratzscher Vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung fordert daher gegenüber dem ARD-Nachrichtenprogramm Bericht aus Berlin, den Tankrabatt, das heißt, die befristete Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe, sofort zu beenden.

Asien kauft in Russland

China hat inzwischen Deutschland als wichtigsten Abnehmer russischer Kohle-, Öl- und Gasexporte übernommen, berichtet die indische Economic Times. Vor allem Rohöl und seit jüngerem auch Gas kauft das Land der Mitte beim nördlichen Nachbarn ein.

Demnach sind während der ersten 100 Tage des Ukraine-Kriegs insgesamt noch immer 61 Prozent der russischen Energieexporte – im Wert von 57 Milliarden Euro – in die Europäische Union gegangen. Nicht-EU-Abnehmer würden aber an Bedeutung gewinnen. Da diese oftmals nicht über Pipelines aus Russland versorgt werden könnten, gebe es auf dem Weltmarkt derzeit eine große Nachfrage nach Tankern.

An anderer Stelle berichtet die gleiche Zeitung, dass Indien und andere asiatische Länder trotz erheblichen Drucks der US-Regierung ein zunehmend wichtigere Rolle für Russland spielen würden. Indien habe im Mai 18 Prozent der russischen Ölexporte aufgekauft. Damit hätten die dortigen Raffinerien 27 Prozent ihres Bedarfs gedeckt. Vor dem Ukraine-Krieg wären lediglich ein Prozent der russischen Ölausfuhren nach Indien gegangen.

Erdbeben durch Gasförderung

Unterdessen meint die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg sozusagen vor der Haustür der EU eine Alternative zum russischen Gas ausgemacht zu haben. Unter der ostniederländischen Provinz Groningen lagere genug Gas, um die EU für ein Jahr zu versorgen. Angesichts der veränderten außenpolitischen Lage müsse der 2018 endgültig beschlossene Ausstieg überdacht werden.

Noch wird in Groningen allerdings Gas gefördert und ein offensichtlich größerer Teil der Bevölkerung hofft auf das baldige Ende. Seit Beginn der Förderung wird die Region von kleinen Erdbeben erschüttert, die nicht ohne Folgen bleiben.

„Zehntausende“, so Sandra Beckerman aus Westgroningen, die für die Sozialistische Partei in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments sitzt gegenüber Telepolis, müssten in beschädigten und unsicheren Häusern leben.

Die Regierung würde die Betroffenen allein lassen. Über 10.000 Menschen hätten Gesundheitsprobleme, weil die Regierung nichts tue. Auch die staatliche Aufsichtsbehörde habe wieder und wieder festgestellt, dass die Förderung nicht sicher sei.

Auf der Internetseite der Bürgerinitiative „Groninger Bodem Beweging“ sind eindrucksvolle Bilder von den Erdbebenschäden an Häusern zu sehen. Einem dortigen Bericht zur Folge hatte erst Mitte Mai ein Berufungsgericht entschieden, dass die Ermittlungen gegen die Fördergesellschaft NAM fortgesetzt werden müssen. Es bestehe der Verdacht einer schweren Straftat, da nicht nachgewiesen wurde, dass die Gesellschaft Anstrengungen unternommen habe, Gebäudeschäden und Verletzungen von Menschen zu verhindern.

In diesem Zusammenhang nach der geplanten deutsch-niederländischen Offshore-Förderung befragt, meint Beckerman, dass die Förderung unter nicht bewohntem Gelände sicherlich weniger problematisch sei. Dennoch sollte aus dem Groninger Desaster gelernt werden. Besser sei es, die Nutzung von Gas herunterzufahren, als die Probleme in eine andere Region zu verlagern.

Energiesparkampagne

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verlegt sich derweil auf Energiesparapelle an die Bürgerinnen und Bürger. Gemeinsam mit Gewerkschaften sowie Wirtschafts- und Verbraucherverbänden hat er am Freitag eine entsprechende Kampagne vorgestellt.

Die Frage ist allerdings, ob er die richtigen Adressaten gewählt hat. Nach einer kürzlich im Auftrag des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft durchgeführten Umfrage hat eine große Mehrheit im Land – 77 Prozent – bereits ihr Verhalten beim Heizen und Warmwasserverbrauch geändert.

Nur rund 20 Prozent der Befragten gaben an, ihr Verhalten in den letzten Monaten nicht geändert zu haben. Interessant, aber offensichtlich nicht erfragt, wäre wie hoch unter diesen der Anteil jener ist, die ohnehin bereits sehr sparsam mit Energie umgehen und daher unter den jüngsten Preissteigerungen wenig zu leiden haben.

Jedenfalls gaben jeweils rund die Hälfte der neuen Energiesparer an, die Raumtemperatur in der Wohnung gesenkt zu haben, weniger Räume zu beheizen, verstärkt auf das Herunterdrehen der Heizungen zu achten oder sparsamer zu Duschen. Immerhin 13 Prozent haben sich bereits programmierbare Thermostate für ihre Heizkörper besorgt.

Interessant auch die Motivation. Zwei Drittel jener, die in letzter Zeit bewusst Energie gespart haben, taten dies aufgrund der hohen Kosten. 19 Prozent von ihnen spart hingegen vor allem der Umwelt zur Liebe. Den Ukraine-Krieg nannten hingegen nur fünf Prozent der Energiebewussten als wichtigstes Motiv. Dennoch finden viele Journalisten es in der Berichterstattung offenbar wichtig, dieses Motiv in den Vordergrund zu stellen.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen also Habecks Werbekampagne gar nicht, und einigen Umweltschützern greift sie daher viel zu kurz. Die deutsche Sektion des World Wide Funds for Nature WWF fordert zum Beispiel, alle Sektoren einzubeziehen. Der Anteil der Haushalte am Endenergieverbrauch habe 2020 nur bei knapp 29 Prozent gelegen.

Notwendig sind insbesondere verbindliche Einsparungen im Industriesektor. Effizienzmaßnahmen müssen dabei an wirtschaftliche Hilfen geknüpft werden. Im Verkehrssektor wäre unter anderem ein Tempolimit sinnvoll.

Viviane Raddatz, Fachbereichsleiterin für Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland

Handeln statt apellieren

Auch die Deutsche Umwelthilfe ist bei der Kampagne eher skeptisch und fragt, ob Duschkopf-Tipps politisches Handeln ersetzen sollen. Das Problem der mangelhaften Wärmedämmung und des hohen Energieverbrauchs vieler Gebäude werde nicht angegangen.

Der kann zum Beispiel auch – wie bei vielen Büros – durch Glasfassaden entstehen, die bei Sonnenschein zu starkem Aufheizen der Räume führen und Kühlung notwendig machen. Aber das größere Problem ist die fehlende Wärmesanierung.

Die Energiespar-Kampagne von Robert Habeck ist eine Nebelkerze: Anstatt dass er selbst tätig wird, verschiebt er die Verantwortung vor allem auf die Verbraucherinnen und Verbraucher und gibt Duschkopf-Tipps. Dabei ist auch ihm bekannt: Die Einsparpotentiale durch optimiertes Nutzerverhalten liegen bei wenigen Prozent. Was hingegen wirklich viel Energie spart, ist die Sanierung von Gebäuden, ist die Wärmewende. Dazu braucht es aber keine Appelle, sondern starke staatliche Vorgaben und mehr Förderung.

Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH

Statt entsprechende Maßnahmen dazu einzuleiten, lasse der Minister „weiterhin Wochen und Monate verstreichen". Die DUH fordert unter anderem ein sofortiges Einbauverbot für Gasheizungen im Neubau und ab 2024 im Bestand und eine schnellstmögliche Anhebung der Effizienzstandards im Gebäudeenergiegesetz.

Mehr Sonne, Wind und Kohle

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: China will bis 2025 seine Kapazitäten in der Solar- und Windenergie – schon jetzt die weltweit größten – verdoppeln. Das geht aus einem Bericht der malaysischen Zeitung The Star hervor. Anfang Juni seien entsprechende Pläne vorgelegt worden. Ursprünglich sei dieses Ziel für 2030 angestrebt worden.

Das Vorhaben ist Teil einer Initiative, die Energieversorgung des Riesenlandes abzusichern. Deren wichtigstes Standbein wird aber weiter die Verstromung von Kohle sein, deren Gewicht durch die hohen Öl- und vor allem Gaspreise eher zunimmt. China hatte in den letzten Jahren vermehrt auf Erdgas gesetzt, allerdings stellen die hohen Gaspreise inzwischen die Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken in Frage.

Daher ist nun auch die Ausweitung der Kohleförderung und der Bau neuer Kraftwerke geplant, und das ist natürlich ein Wermutstropfen. Die Zentralbank habe für diesen Sektor im Rahmen der neuen Initiative eine Kreditlinie von 15 Milliarden US-Dollar (14,4 Milliarden Euro) zur Verfügung gestellt. (Ein Betrag, für den man in Westeuropa nicht einmal ein neues AKW bauen kann.)

Auf der anderen Seite hätten sich aber die Investitionen in Solarenergie in der ersten vier Monaten 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 29 Milliarden Yuan (4,12 Milliarden Euro) verdreifacht. Außerdem ist zu bedenken, dass chinesische Kohlekraftwerke in den letzten Jahren meist ungewöhnlich schlecht ausgelastet waren.