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Energiewelt steht am Beginn einer neuen industriellen Ära

Solarpanels werden auf einem Dach eines Forschungszentrums installiert. Bild: Public Domain

Hunderte Milliarden US-Dollar durch Erneuerbare, viele Millionen neuer Jobs. Die Internationale Energieagentur spricht vom Konjunktur-Booster durch die Energiewende. Warum Deutschland lahmt und China vorangeht.

Laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur [1] (IEA) wird sich die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der Produktion sauberer Energien bis zum Ende des Jahrzehnts mehr als verdoppeln, wenn die Länder weltweit ihre Klima- und Energieversprechen einhalten.

Die Energiewelt steht am Beginn einer neuen industriellen Ära – der Ära der sauberen Energietechnologien –, die große neue Märkte und Millionen von Arbeitsplätzen schafft, aber auch neue Risiken mit sich bringt und Länder auf der ganzen Welt dazu veranlasst, industrielle Strategien zu entwickeln, um ihren Platz in der neuen globalen Energiewirtschaft zu sichern,

… heißt es in dem IEA-Bericht mit dem Titel Energy Technology Perspectives 2023.

Die Publikation ist eine "umfassende Analyse der globalen Produktion von sauberen Energietechnologien – wie Solarmodule, Windturbinen, Batterien für Elektrofahrzeuge, Elektrolyseure für Wasserstoff und Wärmepumpen – und ihrer weltweiten Lieferketten sowie eine Darstellung ihrer voraussichtlichen Entwicklung, wenn der Übergang zu sauberer Energie in den kommenden Jahren voranschreitet".

In der Studie heißt es weiter:

Der Weltmarkt für wichtige serienmäßig hergestellte saubere Energietechnologien wird bis 2030 einen Wert von rund 650 Milliarden US-Dollar pro Jahr erreichen – mehr als das Dreifache des heutigen Wertes –, wenn die Länder weltweit ihre angekündigten Energie- und Klimaverpflichtungen vollständig umsetzen. Die damit verbundenen Arbeitsplätze im Bereich der sauberen Energien würden sich von heute sechs Millionen auf fast 14 Millionen im Jahr 2030 mehr als verdoppeln. Auch in den Jahrzehnten danach ist mit einem weiteren raschen Wachstum von Industrie und Beschäftigung zu rechnen.

Die Autor:innen warnen jedoch vor Risiken, die bei den jetzigen Lieferketten für Rohstoffe bestehen, die für die Herstellung von Erneuerbaren-Energien-Technologien benötigt werden. Es gäbe zudem eine hohe geografische Konzentration auch bei der Produktion von Solarpaneelen, Windturbinen oder Elektrobatterien. Allein drei Länder vereinten 70 Prozent der Produktionskapazitäten auf sich, wobei China in allen Bereichen dominiere.

IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol sagte bei der Vorstellung des Berichts [2]:

Die ermutigende Nachricht ist, dass die globale Projektpipeline für die Herstellung sauberer Energietechnologien groß ist und wächst.

Die Länder seien nun aufgefordert, ihre eigene industrielle Energiestrategie zu verfolgen und neue Energie-Abhängigkeiten wie die Europas von Russland zu vermeiden.

Der IEA-Bericht unterstreicht erneut die aufsteigende Tendenz und die Vorzüge der globalen Energiewende. Schon eine Studie der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Ende September letzten Jahres zeigte die wachsende Zahl von Arbeitsplätzen [3] im Bereich der erneuerbaren Energien.

Allein im Jahr 2021 sind danach 700.000 neue Jobs hinzugekommen. Momentan arbeiten weltweit 12,7 Millionen Menschen in der Forschung, Planung, Produktion, Installation und bei der Betriebsführung von Erneuerbaren-Energien-Anlagen und -Technologien.

Die meisten Beschäftigten gibt es in der Photovoltaik – 4,3 Millionen. Dieser Sektor wächst am schnellsten und stellt mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze. Wasserkraft und Biokraftstoffe beschäftigen jeweils 2,4 Millionen Menschen. In der Windenergie sind 1,3 Millionen Menschen beschäftigt.

Die regionale Verteilung zeigt deutliche Schwerpunkte. Fast zwei Drittel der Arbeitsplätze befinden sich in Asien. Allein auf China entfallen 42 Prozent, gefolgt von der EU und Brasilien mit jeweils zehn Prozent sowie den USA und Indien mit jeweils sieben Prozent.

China ist der führende Hersteller und Installateur von PV-Solarmodulen. Europa ist demgegenüber der größte Exporteur von Windenergieanlagen, 40 Prozent der weltweit installierten Anlagen werden hier produziert.

Wie Deutschland zur lahmen Ente wurde

Deutschland hat durch eine verfehlte Industriepolitik unter den Merkel-Regierungen den Anschluss im Bereich Erneuerbare längst verloren. Erst zog die Solarbranche ab, jetzt ist das Gleiche bei der Windkraft geschehen.

Der dänische Windturbinenbauer Vestas hat im letzten Jahr sein Werk in Lauchhammer/Brandenburg nach 19 Jahren Jahr geschlossen. Für die Region, einstmals Braunkohleregion, ein schwerer Schlag. 500 Mitarbeiter:innen verloren ihren Job. In Rostock hat gleichzeitig der Windrad-Hersteller Nordex sein letztes Werk in Rostock dicht gemacht und ist nach Indien weitergezogen. In Rostock wurden noch Rotorblätter produziert. Jetzt suchen die 600 Mitarbeiter:innen nach Arbeit.

Massiver Stellenabbau auch beim größten deutschen Hersteller von Windkraftanlagen Enercon. 2019 kündigte er an, in Aurich und Magdeburg insgesamt 3.000 Stellen zu streichen [4]. Insgesamt wurden 2019 rund 20.000 Stellen in der Branche gestrichen. Im darauffolgenden Jahr ein ähnliches Szenario.

Der Windkraftunternehmer Horst Mangels macht falsche Weichenstellungen dafür verantwortlich [5], die auf eine verfehlte Wirtschaftspolitik zurückgeht. "Hochwertige, gut bezahlte Industriearbeitsplätze" gingen verloren, "einfach nur durch die vollkommen falschen Signale und falsche Politik der Bundesregierung".

Mit Riesensummen haben wir eine Photovoltaik in Deutschland aufgebaut, eine Photovoltaikindustrie, mit eigenen Fertigungsstätten – und die sind von heute auf morgen per Handstreich alle letztendlich plattgemacht worden, weil einfach nur das EEG [Erneuerbare-Energien-Gesetz] verändert wurde und die politischen Rahmenbedingungen vollkommen falsch gesetzt wurden.

China hat davon profitiert. Heute ist das Land, dank deutscher Verhinderungspolitik, Weltmarktführer und exportiert seine Produkte weltweit.

Stefan Schad, Geschäftsführer der IG Metall Rostock-Schwerin, spricht von einer energiepolitischen Katastrophe [6]:

Da werden unhandliche Rotorblätter mit Längen von 50 und mehr Metern künftig um die halbe Welt transportiert, "damit hierzulande die Energiewende eine Chance hat".

Berechnungen zeigen [7]: 100.000 Jobs sind durch die politische Bremspolitik in der Solarenergie- und Windkraft-Branche in Deutschland verloren gegangen.

Trotz leichter Verbesserungen hat die Ampelregierung bisher keinen wirklichen Umschwung [8] bewirken können. So wurden im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland nach SWR-Angaben nur 311 Windräder genehmigt [9], weniger sogar als im Vergleichszeitraum des historisch schlechten Jahres 2021.

Dabei sind die Potenziale der globalen Energiewende enorm. So hat der renommierte Klimaökonom Robert Pollin mit seinem Team in den USA berechnet [10], dass für den Aufbau eines 100 Prozent sauberen Energiesystems jährlich nur etwa 2,5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts in den nächsten dreißig Jahren benötigt wird. Das sind umgerechnet rund zwei Billionen Dollar.

Diese Investitionen würden sich aber mehr als auszahlen. Denn sie kurbelten die Volkswirtschaften an und legten ein wichtiges Fundament für die Schaffung von Arbeitsplätzen in allen Regionen der Welt. Nach Berechnungen von Pollin [11] würden dadurch jedes Jahr von 2021 bis 2030 durchschnittlich etwa 160 Millionen neue Jobs hinzukommen.

Damit die grüne Industrialisierung aber auf Touren kommen könne, so IEA-Chef Fatih Birol, müssten die Staaten ihre Klima- und Energieversprechen umsetzen und die Energiewende endlich energisch unterstützen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7486331

Links in diesem Artikel:
[1] https://iea.blob.core.windows.net/assets/d1ec36e9-fb41-466b-b265-45b0e7a4af36/EnergyTechnologyPerspectives2023.pdf
[2] https://www.iea.org/news/the-world-is-entering-a-new-age-of-clean-technology-manufacturing-and-countries-industrial-strategies-will-be-key-to-success
[3] https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_856710/lang--de/index.htm
[4] https://www.deutschlandfunkkultur.de/wut-auf-die-energiewende-warum-in-der-windkraftbranche-100.html
[5] https://www.deutschlandfunkkultur.de/wut-auf-die-energiewende-warum-in-der-windkraftbranche-100.html
[6] https://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/nordex-schliesst-werk-energiewende-paradox-deutsche-windkraftfirmen-stecken-in-der-krise_id_94915566.html
[7] https://www.deutschlandfunkkultur.de/wut-auf-die-energiewende-warum-in-der-windkraftbranche-100.html
[8] https://www.telepolis.de/features/Bisher-kein-Klimaschutz-Kommt-die-Energiewende-im-Jahr-2023-7458737.html
[9] https://www.ecoreporter.de/artikel/das-sind-die-besten-windaktien/
[10] https://www.telepolis.de/features/Pollin-Globaler-Green-New-Deal-schafft-Hunderte-Millionen-Jobs-7267250.html?seite=all
[11] https://www.telepolis.de/features/Pollin-Globaler-Green-New-Deal-schafft-Hunderte-Millionen-Jobs-7267250.html?seite=all