Energiewende auf Abwegen: Der Markt regelt es nicht
Hohe Gaspreise bremsen den Kohleausstieg in der EU. Statt Kohle- werden Gaskraftwerke vom Markt gedrängt. Nötig wären schneller Ausbau der Erneuerbaren und Entspannungspolitik
Ohne das fossile Erdgas wird der Kohleausstieg nicht funktionieren, darüber sind sich zumindest Vertreter der Industrie und der Regierungsparteien einig. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zeigte sich jüngst auch erfreut über das Bestreben der Bundesregierung, die Energiewende zu beschleunigen.
Doch die gestiegenen Gaspreise machen einen Strich durch die Entwicklung, denn ihretwegen werden momentan die Gaskraftwerke durch die Erneuerbaren Energien aus dem Markt gedrängt. Dagegen wird der Kohleausstieg deutlich gebremst. Das geht aus einer Analyse der Strommarktdaten hervor, die die britische Denkfabrik Ember nun vorgelegt hat. Sollten die Gaspreise weiterhin auf dem hohen Niveau verbleiben, dann dürfte es schwer werden, den Kohleausstieg bis 2030 zu realisieren.
Die Gaspreise stiegen im vergangenen Jahr um 585 Prozent, heißt es bei Ember, "was zu einem der größten Energiepreisschocks seit dem OPEC-Ölembargo von 1973 führte". In der Folge seien die Kosten für Strom aus fossilen Gaskraftwerken förmlich explodiert; sie stiegen um das Siebenfache. "Ab Juli war die Stromerzeugung aus fossilem Gas teurer als Kohle." Und im Laufe des Jahres ging die Schere zwischen beiden noch weiter auf, trotz steigender CO2-Preise.
Rückgang der Kohleverstromung dramatisch verlangsamt
Mit Blick auf die Europäische Union bedeutet das: Die Kohleverstromung ging in den Jahren 2019 bis 2021 nur um drei Prozent zurück, während sie in den zwei Jahren zuvor um 29 Prozent abnahm. In Spanien und Griechenland ging die Kohleverstromung jeweils über 40 Prozent zurück, in Polen wurde sie dagegen noch um sieben Prozent erhöht. Einen weiteren Grund für den lahmenden Kohleausstieg sieht Ember in den häufigen Ausfällen von Atomkraftwerken.
Charles Moore, Europa-Chef von Ember und Autor der Studie, machte deutlich, dass Klimaschutz nicht dem Marktgeschehen überlassen werden dürfe. Die Gaskrise sei ein Paradigmenwechsel für die Stromwende in der EU, sagte er. "Es muss gehandelt werden, damit der europäische Kohleausstieg auf Kurs bleibt."
Die schwankenden Gaspreise hätten zudem deutlich gemacht, dass man sich nicht allein auf die Marktkräfte verlassen können. Deshalb sei der Gesetzgeber "der einzige Weg, um zu garantieren, dass Kohlekraftwerke bis 2030 geschlossen werden".
Von Gas hält Moore aber auch nicht viel. "Sowohl Kohle als auch Gas müssen weg; und zwar schnell", sagte er. Ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien sei erforderlich, damit alle fossilen Brennstoffe bis 2035 vom Netz seien. Nur so könne das Ziel erreicht werden, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu beschränken.
Davon will man aber in Deutschland nicht viel hören. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler pries neulich erst Gaskraftwerke als Brückentechnologie an. "Ohne massive Investitionen in neue Gaskraftwerke wäre der Kohleausstieg in Deutschland nicht nur 2030, sondern auch weit darüber hinaus völlig unrealistisch", sagte er.
Damit befindet sich Köhler auf einer Linie mit Industriepräsident Russwurm. Dieser hatte die Bundesregierung kürzlich aufgerufen, stärker auf den Energieträger Gas zu setzen und trug das alte Mantra vor: Der steigende Strombedarf müsse auch gedeckt werden, "wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht", dafür brauche es Gas als Brückentechnologie.
Bundesregierung ohne Plan, wie das Klimaziel erreicht werden kann
Heute bestehe die Brücke noch zum guten Teil aus Kohle – mit all ihren Nachteilen für das Klima. "Nur wenn wir bis dahin eine andere verlässliche und belastbare Versorgung haben, kommen wir bis 2030 aus der Kohle raus", sagte er weiter. Damit dies gelingen könne, müsse die Politik auch mehr Tempo machen, denn der Bau eines neuen Gaskraftwerkes dauere schon fünf Jahre und bei dieser Zeitspanne sei der Genehmigungsprozess noch nicht berücksichtigt.
Einen Plan, wie das Klimaziel erreicht werden kann, wenn die Gaspreise auf diesem hohen Niveau bleiben sollten, hat die Bundesregierung bislang nicht. An einem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und einem entspannten Verhältnis zu Russland als wichtigsten Gaslieferanten scheint kein Weg vorbeizugehen, wenn der Kohleausstieg gelingen soll.
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