Energiewende für Fortgeschrittene: Ökoenergie ist nicht knapp, teuer und schmutzig

Energiewende-Skepsis ist nicht neu. Dieser Slogan ist schon über zehn Jahre alt, aber immer noch aktuell und virulent. Karikatur: Gerhard Mester / SFV

Energiewende-Skepsis ist so alt wie Wind- und Solarstrom. Historisch und durch Studien ist sie längst widerlegt. Doch auch Umweltschützer zweifeln weiter an der Machbarkeit. Warum das falsch und schädlich ist. (Teil 1)

Es ist erstaunlich, dass trotz aller Erfahrungen und Machbarkeitsstudien Skepsis gegenüber der Energiewende weiter vorherrscht. Dabei haben die Energiewende-Skeptiker und -pessimisten immer Unrecht behalten. Sie sind historisch widerlegt – auch wenn dieser Tatsache in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit geschenkt wird.

So irrten sich die Wirtschaftsberater der Bundesregierung bereits 1977, als sie erklärten, ein Anteil von mehr als fünf Prozent Erneuerbare bei der Stromproduktion sei unmöglich. Ende der 1980er glaubten selbst Vordenker der Grünen nicht, dass mehr als zehn Prozent machbar sind. 2005 erklärte die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU): "Den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch auf 20 Prozent zu steigern ist wenig realistisch."

Alle Regierungen und Parteien haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit ihren Aussagen zu den Möglichkeiten der Energiewende blamiert. Auch viele Szenarien von Wissenschaftlern wurden umgehend von der Realität überholt.

Ob nun The European Wind Energy Association, die EU-Kommission, die sich auf renommierte Institute stützte, die Internationale Energieagentur (IEA) und selbst Erneuerbaren-Vertreter wie der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE): Niemand von ihnen hielt das für möglich – die meisten lagen tatsächlich weit daneben –, was heute in Deutschland trotz stark abgebremster Energiewende und weiterer fossiler Subventionierung erreicht wurde: 50 Prozent Anteil der Erneuerbaren Energien, insbesondere Solar und Windkraft, an der Stromerzeugung.

Sicherlich ist das Kaputtreden der Energiewende erwartbar bei Vertretern von fossilen Lobbys und denen, die ihnen in Politik, Medien und Denkfabriken zur Hand gehen. So hielt der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP als Parteivorsitzender 2019 den klimastreikenden Schüler:innen vor, das "technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare" nicht zu sehen.

Die damalige Kanzlerin Merkel sprang ihm bei, indem sie den Forderungen der Klimaschützer:innen und Klimawissenschaftler:innen eine Absage erteilte. Man müsse schon sagen, "in welcher Weise Technologie, Innovation gerade im Energiebereich, aber auch im Energieeinsparbereich uns Möglichkeiten eröffnet, die Ziele zu erreichen". Eine rhetorische Frage von derjenigen, in deren Amtszeiten unter anderem das Abwracken der Energiewende oder die bis heute verhinderte Verkehrswende fallen.

Im Berliner Tagesspiegel kommentierte der Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff, dass in dieser "aufgeheizten Lage" Merkel "dem Problem angemessen" und "sachlich" begegnet sei: "Sie hat sich in ihrer ruhigen Art um Hinweise auf das bemüht, was ihr gerade machbar zu sein scheint."

Die Energiewende-Skepsis, die sich wie ein Krebsgeschwür von den fossilen Lobbys über Wirtschaftsinstitute, Parlamente, Regierungen und Massenmedien über Jahrzehnte ausbreitete, hat sich tief in die Gesellschaft eingegraben und scheint wirkmächtig auch deswegen, weil sie einen durchaus rationalen Kern besitzt. Denn natürlich ist nicht alles möglich. Zudem ist nicht alles, was technisch gemacht werden kann, auch zu begrüßen.

Die Skepsis hat auch bei einigen Umweltschützer:innen einen Nährboden gefunden, die durchaus für Klimaschutz bzw. mehr Klimaschutz eintreten. Sie halten eine "rein technische Lösung" der Klimakrise für nicht möglich und eine Sackgasse. Denn Ökoenergien seien strukturell knapp, ineffizient, unwirtschaftlich und letztlich auch schmutzig.

Neben der Energiewende brauche es daher eine grundsätzliche Rücknahme der ökonomischen Tätigkeiten jenseits von Effizienzgewinnen, um die Welt von Kohle, Gas und Öl befreien zu können. Da das in einem kapitalistischen System nicht funktionieren kann bzw. zu einem Zusammenbruch führen würde (Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Kollaps der sozialen und politischen Systeme), müssten die gesellschaftlichen Institutionen erst ersetzt werden, um sie vom Wachstumszwang zu befreien.

Schwierigkeiten der Energiewende werden übersteigert

Wenn man diese Annahmen teilt, bleibt einem nicht viel übrig, als zu hoffen, dass der Weltgeist es sich in den nächsten Jahren anders überlegt, und Kapitalismus und Wachstum umgehend von der Erde verscheucht.

Es geht hier nicht darum, ob die Vorschläge falsch oder richtig sind. Sicherlich wäre eine Überwindung des zerstörerischen Kapitalismus wünschenswert. Auch sind die Annahmen der Energiewende-Skepsis nicht deswegen abzulehnen, weil die Schlussfolgerungen eine Lösung der Klimakrise in der kurzen Zeit, die noch übrig bleibt, faktisch unmöglich macht.

Es ist vielmehr so, dass die Annahmen in dieser Form nicht zutreffen. Denn die Energiewende-Skeptiker übersteigern ohne Not die Schwierigkeiten einer schnellen Energiewende wie auch die Auswirkungen notwendiger Energieeinsparungen, die keineswegs das Ende wirtschaftlicher Stabilität und allgemeinen Wohlstands bedeuten.

Um ein prominentes Beispiel progressiver, an Klimaschutz interessierter Energiewende-Skepsis zu nehmen. Die Taz-Wirtschaftsredakteurin und Buchautorin Ulrike Herrmann behauptet immer wieder, dass es für echten Klimaschutz einfach nicht genügend Ökostrom gebe. Das liege unter anderem daran, dass der Energieertrag – also die Energie, die man beispielsweise aus einem Windrad herausbekommt minus die Energie, die man hineinsteckt (für Herstellung und Betrieb) – deutlich schlechter sei als beim Öl. Ökoenergie sei somit immer ein knappes Gut.

Daher bringen auch Elektroautos nichts, so Herrmann weiter, weil sie am Ende mit fossilem Strom fahren müssen. Die Tesla-Fabrik in Grünheide könne man sich letztlich sparen. Denn der zusätzlich für E-Autos benötigte Strom könne von Wind und Sonne nicht in genügender Menge produziert werden.

Somit bleibe zur Rettung des Planeten vor allem Verzicht, Schrumpfung der Volkswirtschaften und letztlich ein Ausstieg aus dem Kapitalismus, da er ohne Wachstum nicht funktioniere, wie Herrmann in ihren Artikeln und Kommentaren feststellt. Für solch eine gesellschaftliche Kehrtwende gebe es aber bisher gar keinen Plan.

Allerdings ist Windkraft, anders als Herrmann meint, heute genauso ertragreich wie konventionelle fossile Energien und energieeffizienter als die unkonventionellen. Mit steigender Tendenz, da die technologische Dynamik, wie in anderen Bereichen auch, nach oben geht. Aber selbst wenn Erneuerbare weniger effizient wären, gäbe es keine Knappheit an Ökoenergie. Es ist schlicht ein Mengenproblem: Die Zahl der Windräder und Solarpanels entscheidet.

Jeden Tag trifft 20.000 Mal mehr Sonnenenergie auf den Planeten Erde als die Menschen täglich benötigen (energetisch nutzbar als Licht, Wind und Biomasse). "Zweifel daran, dass dieses Potenzial für die Energieversorgung der Menschheit ausreichen könnte, sind lächerlich", sagte schon der bereits verstorbene Energiepionier Hermann Scheer von der SPD.

Die Windkraftpotentiale in Deutschland und Europa liegen um ein Vielfaches höher als der Bedarf, wie eine Reihe von Berechnungen zeigen. Eine aktuelle Untersuchung fand sogar heraus, dass das Potenzial allein von Onshore-Windenergie in Europa den globalen Energiebedarf aller Sektoren von jetzt an bis zum Jahr 2050 decken könnte.

Auch die für Solarzellen, Windkraftanlagen oder Batterien benötigten Ressourcen und seltenen Erden sind nach Rohstoffanalysen ausreichend vorhanden, wenn auch jährliche Engpässe entstehen könnten. Sicherlich stimmt es, dass es dabei wie bei vielen Unternehmungen im globalen Süden zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen kommt. Daran sollte man dringend etwas ändern anstatt zur Energiewende-Skepsis zu blasen.

Natürlich kann man gegen Elektroautos und gegen Tesla eine Reihe von Argumenten anbringen. Eine radikale Verkehrswende wird den öffentlichen, schienengebundenen Verkehr stark ausbauen müssen. Denn aus Treibhausgas-Sicht ist es die effizientere Lösung. Aber Elektroautos können mit Ökostrom betrieben und hergestellt werden. Sie sind keine Sackgasse, sondern werden Teil der Lösung sein. In welchem Umfang, das muss auf Grundlage von CO2-neutralen Verkehrsszenarien ausgehandelt werden.

Die Batterien von E-Autos können, wie Untersuchungen zeigen, auch als Speicher im Stromnetz genutzt werden und bei erhöhtem Energiebedarf Strom wieder ans Netz abgeben ("Vehicle to Grid"). Denn Windräder drehen sich nicht durchgängig, auch die Sonne scheint nicht permanent. Das wird von Energiewende-Skeptikern auch immer wieder gegen einen Umstieg auf Erneuerbare vorgebracht.

Studien: Warum es genügend Ökostrom gibt

Man behauptet, zur Sicherstellung der "Grundlast" bedürfe es eines unerschwinglichen Aufwands für die Speicherung von Solar- und Windstrom. Aber ein Speicherproblem, wie immer wieder unterstellt, gibt es nicht. Auch heute schon muss Energie bei der Stromproduktion gespeichert werden, meist jedoch vorgelagert in Form von Kohlebergen.

Und Schwankungen gibt es seit langem, etwa wenn ein Atomkraftwerk ausfällt. Die Schwankungen im 100-Prozent-Ökostrom-Netz können mit einem Mix aus »smart grids«, diversen Speichermöglichkeiten wie Pumpkraftwerken, Großbatterien, thermischen Speichern, flexiblen Biomasse-Anlagen, Wasserstoff- und Methanumwandlung oder Langzeitspeichern (zum Beispiel Wasserkraftwerken in Norwegen) ausgeglichen werden.

Damit sind natürlich Investitionen und Kosten verbunden. Aber ihnen stehen die Energieverluste, der geringe Effizienzgrad und die Kosten für nicht benötigte Reservekapazitäten der fossilen Grundlastkraftwerke gegenüber.

Die Knappheitsthese wird von Energiewende-Skeptikern noch durch ein anderes Argument vorangetrieben. Es wird darauf verwiesen, dass der Strombedarf im Zuge der Wende deutlich zunehmen wird. Das ist richtig. Einerseits müssen der Autoverkehr und das Heizen zu großen Teilen elektrifiziert werden. Das erzeugt neue Stromkunden.

Andererseits sind bestimmte Sektoren wie die Stahl- oder Chemieindustrie sowie die Schiff- und Luftfahrt auf grünen Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe angewiesen. Bei der Herstellung dieser Kraftstoffe wird sehr viel Strom benötigt, da es bedeutsame Umwandlungsverluste gibt.

Doch selbst der erhöhte Bedarf stellt kein unlösbares Problem dar, wie Studien uns zeigen. In der Industrie (Chemie, Stahl, Zement) kann durch Kreislaufwirtschaft, Recyling und Effizienzsteigerung der Strombedarf deutlich reduziert werden, um ein Drittel bis zwei Drittel. Die immer wieder als Schreckgespenst kursierende Zahl, dass allein für die chemische Grundstoffindustrie ein Zusatzbedarf von rund 600 Terrawattstunden entsteht (die Höhe der heutigen Stromerzeugung in Deutschland) ist daher zu hoch angesetzt.

Beim Flugverkehr muss, solange es noch keine realisierbaren anderen Antriebssysteme gibt, eingespart werden müssen. Aber auch das ist machbar. Denn in Deutschland sind allein 53 Prozent aller Flüge Kurzflüge (unter 1000 Kilometer), die durch andere Verkehrsmittel ersetzt werden können, am besten durch Bahnverbindungen.

Bei der Schifffahrt fallen allein rund 40 Prozent der Emissionen automatisch durch die Energiewende weg, da sie nur dadurch entstehen, dass fossile Brennstoffe über Meere und Flüsse transportiert werden müssen. Der Rest der Schiff-Emissionen muss dadurch auf null gebracht werden, indem auf andere Antriebe (Brennstoffzelle etc.) umgerüstet wird.

Auf der anderen Seite gibt es gleichzeitig Effizienzgewinne, die den Verbrauch an Strom vermindern, auch wenn sie den Mehrbedarf an Strom nicht ausgleichen. So erhöhen allein E-Autos den Strombedarf um 400 TWh pro Jahr.

Diverse Szenarien gehen davon aus, dass für ein komplett klimaneutrales Deutschland 700 bis 1.400 TWH Strom durch Erneuerbare Energien produziert werden müssen. Die Energy Watch Group (EWG) berechnet den Bedarf in einer Untersuchung auf über 1600 TWh. In diesem Fall würde allerdings der komplette Strom in Deutschland selbst hergestellt.

Aber auch diese Erhöhung der Stromproduktion um das Zwei- bis Dreifache ist machbar, wie die Wissenschaftler in ihren Berechnungen erklären. Das Wuppertal Institut stellt in der Studie "CO2 -neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze" fest:

Ein vollständig auf erneuerbaren Energien beruhendes Stromsystem wird von verschiedenen Szenariostudien sowie weiteren wissenschaftlichen Studien als technisch und ökonomisch realisierbar eingeschätzt. … Insgesamt legen die Analysen in dieser Studie nahe, dass das Erreichen von CO2-Neutralität bis zum Jahr 2035 aus technischer und ökonomischer Sicht zwar extrem anspruchsvoll wäre, grundsätzlich aber möglich ist.

Das EWG hält eine Umstellung bis 2030 für realisierbar. Dabei würden Wind- und Sonnenenergie (PV) etwa 80 Prozent ausmachen, während Batterien, Geothermie und Wasserkraft bundesweit einen Anteil von etwa 12 Prozent für die Strom-Erzeugung beisteuern.

Es zeigt sich, dass der notwendige Umbau aller Energiesektoren mit gleichmäßigem Ausbau der Erneuerbaren Energien kostengünstig bis 2030 möglich ist.

Es würden in einem 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-System danach Entstehungskosten von 76 Euro pro Megawattstunde (MWh) anfallen. Das entspricht den Kosten im herkömmlichen System.

Technisch und ökonomisch ist also die Wende zu 100 Prozent Erneuerbare auch in kurzer Zeit möglich, wenn man den maßgeblichen Studien folgt. Das Nadelöhr liegt, wie schon gesagt, an anderer Stelle. So stellt das Wuppertal Institut fest:

Ob sich dieses Ziel (CO2-Neutralität bis 2035, Telepolis) jedoch tatsächlich realisieren lässt, hängt auch maßgeblich von der gesellschaftlichen Bereitschaft und einem massiven politischen Fokus auf die notwendige Transformation ab.

Daher ist Energiewende-Skepsis so schädlich, weil sie die gesellschaftliche Bereitschaft und den notwendigen politischen Fokus schwächt.

Im zweiten Teil der Analyse wird es darum gehen, warum auch der Einwand, dass eine wachsende Ökonomie unvereinbar ist mit einer Klimawende, in dieser Form nicht richtig ist.

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