Enorme Kluft
Wirtschaftsboom und Erdölrendite vertiefen den Gegensatz zwischen Arm und Reich in Angola
Sechs Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges zwischen der herrschenden MPLA und der nun zur Ovimbundu-Oppositionspartei gewordenen UNITA erlebt Angola einen Boom wie kaum ein anderer Staat auf der Welt. In den letzten drei Jahren bewegte sich das Wirtschaftswachstum zwischen 18,6% und 21%. In diesem Jahr sollen es dem Economist zufolge 16% sein. Anders als bei solchen Schwindel erregenden Raten üblich, sinkt parallel dazu die Inflation, die für 2008 auf 9 Prozent veranschlagt wird. Der Leistungsbilanzüberschuss betrug 2006 stolze 23,3% des Bruttoinlandsproduktes. Das heißt, Angola verbrauchte knapp ein Viertel weniger als es einnahm.
Die Hochkonjunktur basiert allerdings im Wesentlichen auf dem Ölreichtum des Landes. Ölforderung und Bergbau tragen mit 52% den Löwenanteil zum BIP bei. Landwirtschaft und Industrie hingegen nur 11% bzw. 5%. Bei den Exporten macht das Erdöl sogar 95% aus. Den Rest steuert der Diamantenhandel bei. Für Aufsehen sorgte Ende Juli die Meldung, dass Angola im zweiten Quartal 2008 erstmals Nigeria als größten Ölproduzenten Afrikas abgelöst hat. Während die nigerianische Ölförderung aufgrund der Aktionen der gut ausgerüsteten Rebellen im Nigerdelta auf 1,8 Millionen Barrel pro Tag sank, fördert Angola inzwischen 1,9 Millionen Fass am Tag. Bis 2014 sollen es 2,6 Millionen sein. Damit ist Angola bereits heute – noch vor Saudi-Arabien – Chinas wichtigster Öllieferant.
Die Volksrepublik China spielt auch ansonsten eine große Rolle. Mit einem Kreditvolumen von mindestens sechs Milliarden Dollar ist sie wichtigster Gläubiger und zugleich Großunternehmer in der ehemaligen portugiesischen Kolonie. Da die Vergabebedingungen unter anderem vorsehen, dass 70% der mit diesem Geld finanzierten Infrastrukturprojekte an chinesische Firmen vergeben werden müssen, fühlten sich die Angolaner zunehmend bevormundet und bemühen sich nun um eine Diversifizierung. So verfügt der brasilianische Baukonzern Odebrecht, der 33.000 Mitarbeiter in Angola beschäftigt, über mehr Aufträge als der wichtigste chinesische Konkurrent China Bridge and Road Company. Auch das deutsche Kapital versucht sich inzwischen einen Teil des Kuchens zu sichern. Beteiligt daran sind u.a. die Deutsche Bank, MAN, die bayrische Bauer AG und das Hamburger Handelshaus Woermann. Die Frankfurter Allgemeine wies ihre anlagefreudigen Leser am 18.8.2008 darauf hin, dass „vor allem in der industriellen Landwirtschaft und ihren Zulieferern Potential steckt“ und sich in der verarbeitenden Industrie sowie dem Dienstleistungssektor „weitere Chancen bieten“.
Der Anfang Oktober bekannt gegebene Plan massiver Agrarinvestitionen bestätigt diese Einschätzung. Sechs Milliarden US-Dollar (4,3 Milliarden Euro) will die Regierung bis 2013 in die Entwicklung der Landwirtschaft investieren, um die eigene Versorgung zu verbessern und durch Exporte von den hohen Preisen für Agrarprodukte zu profitieren. Gegenüber der Financial Times setzte sich der Chef der Planungsabteilung des Landwirtschaftsministeriums in Luanda, Joaquim Duarte Gomes ehrgeizige Ziele: „Die Nahrungsmittelpreise sind weltweit kräftig gestiegen. Angola kann Nahrung für die Region und für die Welt produzieren.“1
Gegenwärtig importiert der afrikanische Staat allerdings mehr als die Hälfte seiner Nahrungsmittel, obwohl er über 35 Millionen Hektar Ackerland verfügt – eine Fläche, die ungefähr dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Ändern will die MPLA-Exekutive diesen Zustand ausgerechnet mit Hilfe multinationaler Konzerne, die in der Vergangenheit nicht unbedingt durch gemeinnützige Tätigkeiten aufgefallen sind. So plant der von weißen Kolonialisten im ehemaligen Rhodesien (heute: Simbabwe) gegründete Lonrho-Konzern ein 20.000 Hektar umfassendes landwirtschaftliches Projekt in Angola „als Teil einer ‚aggressiven’ Strategie, deren Ziel es ist, das Zehnfache an produktivem Land auf dem gesamten Kontinent aufzukaufen“, wie sein Vorstandsvorsitzender Dave Lenigras der Financial Times vom 4.10.2008 verriet.
Der im US-Bundesstaat Ohio ansässige und wegen blutiger Unterdrückung von Gewerkschaften sowie seiner Verwicklung in zahlreiche rechte Militärputsche in lateinamerikanischen Ländern wie Guatemala, Honduras, Costa Rica, Kolumbien, Chile etc. (ehemals unter den Namen United Fruit Company) bekannte Obst- und Gemüsekonzern Chiquita Brand hatte bereits im März sein Interesse bekundet, um auf diesem Wege die Einfuhrzölle der Europäischen Union zu umgehen. Wie weit sich die einst sozialistische bzw. sozialrevolutionäre und seit 1990 sozialdemokratische MPLA hier von ihren Wurzeln entfernt hat, zeigt unter anderem die Tatsache, dass selbst die UNO jüngst vor der Gefahr eines „Neokolonialismus“ als Folge einer solchen Investitionsstrategie warnte.
Das Organ der Londoner City ließ darüber hinaus Zweifel erkennen, inwieweit die anvisierte Größenordnung von 6 Milliarden Dollar bis 2013 realistisch ist. Die gesamten Investitionen betrugen außerhalb des Erdölsektors im letzten Jahr nämlich nur 924 Millionen $ und die Weltbank wies darauf hin, dass die Gründung eines Unternehmens in Angola, aufgrund von Korruption und einer labyrinthartigen Bürokratie derzeit allein 119 Tage in Anspruch nehme – mehr als das Doppelte des regionalen Durchschnitts!
Von dem neuen Reichtum profitiert bislang auch in Angola tatsächlich nur eine schmale Oberschicht. Zwei Drittel der 17 Millionen Einwohner muss mit weniger als zwei Dollar (1,40 Euro) am Tag auskommen. Rund ein Drittel der Über-15jährigen sind Analphabeten und jedes vierte Kind stirbt bevor es fünf Jahre alt ist. Grund sind die miserablen sanitären Verhältnisse und die Tatsache, dass eine Krankenhausbehandlung nur gegen Bezahlung eines entsprechenden Schmiergelds zu bekommen ist. An den Wohnbedingungen wird die Kluft zwischen Arm und Reich am deutlichsten. In den beiden größten Städten Luanda und Lobito lebt ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes in den „Musseques“ (Slums), die jeden Tag weiter wachsen. Dort zahlt ein kleiner Staatsbediensteter 30 Dollar im Monat für ein Zimmer ohne Strom und fließendes Wasser. Ein Angehöriger der oberen Zehntausend an der Praia do Bispo im Süden Luandas überweist hingegen 9 bis 12.000 Dollar Monatsmiete oder kauft sich eine der Villen für bis zu zwei Millionen $, ohne deshalb auf die neuesten Limousinen, einen Besuch in den Luxusrestaurants oder den Einkauf in Afrikas modernster Shoppingmall „Belas Shopping Center“ verzichten zu müssen.
Das Erfolgsrezept verrät ein lokaler Wirtschaftswissenschaftler im Economist vom 28.8.2008: „In den meisten Ländern werden die Leute in der Privatwirtschaft reich bevor sie in die Regierung gehen. In Angola verläuft dieser Weg andersherum.“ Auch die Investitionspolitik ist fragwürdig: Während in Angola mangels Schulgebäuden die UN-Entwicklungsorganisation UNDP erst für 2015 mit einer allgemeinen Grundschulbildung rechnet, die es in sehr viel ärmeren afrikanischen Staaten längst gibt, werden Unsummen in den Neubau von Fußballstadien gesteckt, denn in Angola soll 2010 die Afrikameisterschaft stattfinden.
Skeptisch darf man auch gegenüber der Ankündigung des seit 29 Jahren amtierenden Staatspräsidenten José Eduardo dos Santos sein, dass nach den Wahlen mit der Korruption aufgeräumt wird. Bestechlichkeit und Bereicherung sind kein Problem von Randfiguren. Die Präsidialrepublik Angola wird faktisch von einem Triumvirat regiert, das aus dem Staatspräsidenten dos Santos, dem Präsidenten der Ölgesellschaft Sonangol, Manuel Vicente, und Generalstabschef Francisco Pereira Furtado besteht. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass sich nicht nur die Befehlshaber der Militärbezirke im diamantenreichen Norden durch „tiefe Taschen“ auszeichnen und die wenigen florierenden landwirtschaftlichen Güter allesamt in der Hand von MPLA-Proteges sind. Ohne die Unterstützung des Sonagol-Chefs Vicente wären die enormen Abzweigungen von Öleinnahmen kaum denkbar. Und ein nicht unwesentlicher Grund für das große Auftragsvolumen des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht dürfte die starke Beteiligung der Familie des Staatspräsidenten an demselben sein.