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Enteignen? Unbedingt!

Bild: Free-Photos

Kommentar: Die Enteignung von Immobilienfirmen schafft keinen neuen Wohnraum, kann aber viel bringen, wie sich in Berlin zeigt

Endlich, eine Enteignungsdebatte! Obwohl - einige der wichtigsten Akteure verweigern eher die Debatte. Seit im "linksgrünmultikultistraßendreckversifften" Moloch Berlin eine relevante Bewegung die Enteignung der Immobilienfirmen fordert, die mehr als 3000 Wohnungen in der Stadt ihr Eigen nennen, geht die bundesweite Gegenseite so verbalradikal zu Werke, als müsste sie gegen die Berliner Mauer anreden.

CDU/CSU und FDP verteufeln derartiges Gedankengut natürlich als indiskutabel, manche Polemiker erinnern da an die DDR. Doch selbst potenzielle Profiteure solcher Enteignungen stimmen da ein - auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, kritisierte [1] in der Passauer Neuen Presse schon die Debatte an sich:

Durch derartige publikumswirksame Diskussionen, die sogar von einigen Politikern unterstützt werden, wird die Bereitschaft von privaten Investoren, neuen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, im Zweifel deutlich reduziert.

Gerd Landsberg

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) beauftragte sogar den Verfassungsrechtsprofessor Helge Sodan, der schon einen gesetzlichen Mindestlohn in einer Studie von 2009 als "verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt" eingestuft hatte, mit einem Gutachten, das die Enteignungen zum juristischen Unding erklärte. Brisant daran ist, dass im BBU auch Berlins sechs städtische Wohnungsunternehmen Mitglieder sind, darüber hinaus etliche Genossenschaften. Deshalb gab es Protest gegen die vehemente Positionierung des Verbands gegen Enteignungen.

Künstlich aufregen konnten sich die üblichen Verdächtigen besonders schön, als der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck in lapidarer Übereinstimmung mit dem Grundgesetz sagte, Enteignungen von Immobilieneigentümerinnen seien "notfalls" das richtige Mittel, wenn die Bodenspekulation überhandnimmt.

Aber sogar andere Spitzen-Grüne wollten Habeck da nicht folgen, sondern sprachen sich undifferenziert gegen Enteignungen aus: Hessens Vize-Ministerpräsident und Bauminister Tarek Al-Wazir und dann auch Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württembergs, stimmten in den Chor derjenigen ein, die sagen: So eine Enteignung schafft keinen neuen Wohnraum, verschreckt vielleicht sogar Investorinnen und kostet viel zu viel Geld - nötig ist vielmehr Neubau.

Doch das ist, freundlich ausgedrückt, unreflektiert. Bezogen auf die Grünen muss sogar hinzugefügt werden, dass es unökologisch ist. Dem steht erstens entgegen, dass das Neubau-Gerede heutzutage generell oft ideologisch und kurzsichtig ist. Zweitens ist das Verweisen auf hohe Enteignungsentschädigungen als eine Form der üblichen Politik-Simulation zu werten. Und drittens ignoriert diese anti-sozialistische Sichtweise die Situation der Hunderttausenden von Menschen, die allein in Berlin in den zu enteignenden Wohnungen leben.

"Neubau, Neubau über ahalles"?

Wer heute im politischen Raum "Neubau" sagt, ist meistens auf der sicheren Seite. Der Diskurs muss dann nur noch an die je relevante Bevölkerungsgruppe angepasst werden: Neubau für Familien, für Studierende, ökologischer Neubau, in der Innenstadt, am Stadtrand und so weiter. Dass Neubau für die Armen nur in völlig irrelevantem Ausmaß geschehen kann, ist egal, denn zu denen spricht sowieso kaum jemand.

Ein immenses Ausmaß an Neubau wollen irgendwie fast alle, von der FDP bis zu den MieterInnen-Vereinen. Sogar die tendenziell radikale Berliner Mietergemeinschaft trommelt seit Jahren massiv dafür.

Das ist aber, freundlich formuliert, kurzsichtig. Berlin und viele andere Städte wachsen ständig weiter. Wie lange soll der Nachfrage hinterhergebaut werden? Bis das letzte Stück Grün verschwunden ist? Als ob nicht Klimawandel und Ernährungswende (Stichwort "Essbare Stadt") den vorherrschenden Städtebau mit seinen Beton-Orgien längst diskreditiert hätten.

Und welche Qualität können die schnell hingeklotzten Wohnschachteln haben? Egal, beim sozial klingenden Neubau-Gerede haben schließlich etliche Akteure auch die Interessen der Baubranche im Hinterkopf.

Nötig sind hingegen strukturelle Lösungen. Anzufangen wäre mit der Bekämpfung der Stadt-Land-Diskrepanz. Die Landflucht scheint vor allem da weitgehend eingedämmt zu sein, wo kaum noch jemand fliehen kann. Dort ist dann oft die AfD besonders erfolgreich. Kürzlich erklärte der Chef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle manche ostdeutschen Regionen zu hoffnungslosen Fällen, die aufgegeben werden könnten, womit er eine scharfe Debatte auslöste.

2015 sorgte der Architekt und Verleger Daniel Fuhrhop mit seinem Buch "Verbietet das Bauen!" für Aufsehen. Aus diversen Perspektiven ging er das Prinzip Neubau an, mit vielen Negativbeispielen und alternativen Projekten aus der ganzen Republik. Beispielsweise erwähnte er, dass seit dem Ende der DDR in Ostdeutschland ähnlich viele Wohnungen gebaut wie abgerissen wurden, und dass Studien, die einen großen Neubaubedarf verkünden, bisweilen von Verbänden der Immobilien- und Baustoffwirtschaft mitfinanziert werden.

Dem heutigen Mietenwahnsinn in Berlin und anderen Städten vor allem mit Neubau begegnen zu wollen, ist ebenfalls ein Wahnsinn. Allein schon ökologisch: Im Bausektor ist Recycling die Ausnahme, die Energieverschwendung ist immens. Hinzu kommt: Wenn plötzlich ganz viel gebaut werden soll, werden nicht nur die Rohstoffe (wie Sand, der weltweit rar geworden ist) und ausführenden Firmen knapp, sondern die hohe Nachfrage steigert die Preise beträchtlich. Das weiß in Berlin jeder, der sich in den letzten Jahren auch nur am Rande mit dem Thema beschäftigt hat.

Deswegen, und wegen gelegentlichem Widerstand seitens der örtlichen Bevölkerung, hat der Berliner Senat seine Neubaupläne bei weitem nicht verwirklichen können. In dieser Legislaturperiode wollten SPD, Linke und Grüne 30.000 Wohnungen durch die städtischen Wohnungsfirmen errichten lassen. Kürzlich wurde das Ziel auf 25.000 gesenkt, und selbst über diese Vorgabe beschwerten sich die Firmen. Bis 2030 sollen in Berlin insgesamt 194.000 Wohnungen entstehen!

Wer beim Thema Enteignungen von Neubau redet, lenkt also ab. Es klingt nach Handlungsfähigkeit, die ist aber nicht wirklich vorhanden. Um nicht über unbequemere Themen zu reden, fassen sich Leute fraktionsübergreifend an den Händen und stimmen das Lied an: "Neubau, Neubau über alles!"

Wie teuer müssen Enteignungen sein?

Wenn die Gegner von Enteignungen schon davon sprechen müssen, verweisen sie gerne auf die dafür angeblich nötige Verschuldung. Der Berliner Senat schätzt die Höhe der zu zahlenden Entschädigungen auf Basis des Marktwerts der Häuser auf 28,8 bis 36 Milliarden Euro, was die Größenordnung eines ganzen Berliner Jahreshaushalts ist.

Daran gibt es fundierte Kritik, der zufolge der Senat die Kosten in 30 Jahren durch die Mieten reinholen könne - und das ohne Mieterhöhungen. Ein Sprecher des Volksbegehrens spricht von 7 bis 14 Milliarden Euro Entschädigungskosten. Die Initiative hat verschiedene Möglichkeiten und die Belastung für den Landeshaushalt durchgerechnet.

Das ist der richtige Ansatz. Einer Rechnung, die sich auf einen angenommenen Marktwert bezieht, muss endlich politisch vehement entgegengetreten werden! Genau diese Berechnungsweise erschwert es heute schon den Berliner Bezirken, in Milieuschutzgebieten ihr Vorkaufsrecht auszuüben. Die Häuser sind heutzutage eben horrend teuer, egal, ob ein Investor sie kauft, oder die öffentliche Hand.

In der Immobilienbranche gibt es hingegen eine Rechnung, die viel mehr Sinn ergibt und endlich zur Kernforderung städtischer Wohnungspolitik werden muss: Wer ein Haus kaufen will, berechnet, wann sich der Hauskauf durch die aktuellen Mieteinnahmen refinanziert. Wie hoch der Kaufpreis sein darf, hängt dann davon ab, in welchem Zeitraum das Geld wieder reinkommen soll. Üblich sind - oder waren mal - 20 bis 30 Jahre.

In Berlin ist so eine Berechnung freilich längst nicht mehr maßgeblich. Sehr oft wird egal welcher Preis gezahlt, weil von einer weiteren Preissteigerung ausgegangen wird, das Haus also teurer wiederverkauft werden soll. Die Alternative zum Verkauf: Irgendwie müssen die Mieteinnahmen stark erhöht werden. Da es da gesetzliche Grenzen und Schutzmechanismen gibt, muss eventuell auf die Verdrängung der bestehenden MieterInnen gesetzt werden.

Das Land könnte nun bei jedem zu enteignenden Haus die gesamten Mieteinnahmen auf 30 Jahre hochrechnen, davon die geschätzten Instandhaltungskosten abziehen und das Ergebnis als zu zahlende Entschädigung betrachten. Wenn die jetzige Eigentümerin beim Kauf mehr bezahlt hat, ist das ihr Pech, denn so ein auf Spekulation und/oder Verdrängung ausgerichtetes Geschäftsgebaren muss die öffentliche Hand nicht berücksichtigen.

Bei den einst vom Land privatisierten Wohnungen - nur wegen denen sind einige der großen Immobilienkonzerne so groß - könnte der Senat so vorgehen: Er zahlt die damalige Verkaufssumme zurück, plus Inflation, plus die nachgewiesenen Instandhaltungs- und Modernisierungsausgaben, minus die Mieteinnahmen. Dadurch könnte unterlaufen werden, sich, wie im ersten Vorschlag erwähnt, nur an den heutigen, eventuell erhöhten Mieteinnahmen auszurichten.

Inwieweit all das juristisch durchgehen kann, weiß ich nicht. Aber eine Regierung, die es nicht mal versucht, soll sich nicht Vertreterin der einfachen Leute nennen. In der Politik ist Feigheit die Simulation von Politik.

Enteignungen schützen die aktuellen Mieterinnen und Mieter

Enteignungen schaffen keine neuen Wohnungen, aber sie bringen den hunderttausenden Leuten was, die in den enteigneten Häusern wohnen. Es geht beim Volksbegehren nämlich zumindest zum Teil um Firmen, die sich unbeliebt gemacht haben.

Zum Beispiel mit Rekordmieten von bis zu 40 Euro pro Quadratmeter. Oder weil sie "das soziale Gefüge des Kiezes" angreifen, wie ein Bezirksbürgermeister als Reaktion auf eine Wohnungsanzeige schrieb. Oder weil sie schon gerichtlich verurteilt worden sind, nachdem sie sich bei Neuvermietungen nicht an die sogenannte Mietpreisbremse gehalten hatten.

Einige dieser Firmen geben deutlich mehr für Modernisierungen (die oft auf die Miete umgelegt werden können) und deutlich weniger für Instandhaltung aus als städtische Wohnungsfirmen. Das hat eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung erbracht, die laut dpa noch nicht ganz fertig ist.

Ergebnisse wurden aber schon vorgestellt. Eine Übernahme durch die städtischen Wohnungsfirmen würde also das Leben in den Häusern tendenziell verbessern: weniger Stress durch Modernisierungsarbeiten, weniger Mietsteigerungen, (theoretisch) rechtzeitige und deshalb nicht übermäßig eingreifende Instandhaltungsmaßnahmen, weniger Angst vor Profitgier.

Hinzu kommt: Diese Firmen vertreiben auch Menschen, indem sie deren Wohnungen in Eigentumswohnungen umwandeln und verkaufen. Das geht sogar im Milieuschutzgebiet, da dauert es nur ein bisschen länger. Wer spekuliert und überteuerte Hauspreise zahlt, muss unter anderem auf die Umwandlung in Eigentumswohnungen setzen, um an seine Rendite zu kommen.

Das bedeutet Verdrängung, da die heutigen MieterInnen ihre Wohnung zu den aktuellen Preisen normalerweise nicht kaufen können. Die Nachfrage nach Eigentumswohnungen ist in Berlin immer noch sehr hoch, die Preise steigen immer weiter.

"Der Durchschnittskaufpreis aller im Jahr 2017 nicht in Paketen veräußerten Eigentumswohnungen lag 2017 bei 3626 Euro pro Quadratmeter", schrieb kürzlich das Mieterecho, die Zeitschrift der Berliner Mietergemeinschaft. Im Bezirk Mitte liege der Durchschnittspreis schon bei 5300 Euro. 2017 seien 25 Prozent mehr Wohnungen umgewandelt worden, als 2016.

Unlängst wurde ein Beispiel aus dem Stadtteil Wedding bekannt, der nicht gerade für begehrte Wohnlagen bekannt ist, aber zum Bezirk Mitte gehört. Die berühmt-berüchtigte Firma Deutsche Wohnen, die den Anstoß für das Volksbegehren gab, will dort Wohnungen zum Quadratmeterpreis von 3800 Euro umwandeln, für den zuständigen Baustadtrat "ein echter Hammer".

Enteignen alleine reicht nicht

Es gibt einen vierten, in der (Pseudo-)Debatte um die Immobilienenteignungen vernachlässigten Aspekt: Das Volksbegehren fordert auch, dass "die in Gemeineigentum überführten Bestände unter mehrheitlich demokratischer Beteiligung von Stadtgesellschaft und Mieter*innen verwaltet werden".

Auch das wäre ein neuer Schritt und zwar in Richtung basisorientierter, nicht staatsfixierter Verwaltung von Gemeineigentum. Das könnte wegweisend auch für andere gesellschaftliche Bereiche sein.

2016 setzte der Berliner Senat als Reaktion auf den Versuch eines Volksentscheids, der sich gegen die Dynamik auf dem Wohnungsmarkt richten sollte, neuartige Mieterräte für die städtischen Wohnungsfirmen ein. Allerdings waren die ersten Wahlen zu diesen Räten umstritten, weil einige Firmen dafür sorgten, dass kritische Leute nicht kandidieren durften. Da liegt der Wunsch nach mehr Selbstverwaltung nahe.

Es gibt also mehr als genug gute Gründe für die umstrittenen Enteignungen - und dafür, sich ausnahmsweise an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu halten, der in dieser Debatte sagte: Wer das Eigentum nicht mehr respektiert, "ändert unsere Gesellschaft von Grund auf". Schließlich sagte sogar Andreas Hofer, Chef der Internationalen Bauausstellung 2017 in Stuttgart, kürzlich in einem Interview mit der SZ: "Wenn man den Kapitalismus ernst nimmt, wird er Wohnungsnot produzieren, das ist seine Logik."


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[1] https://www.pnp.de/nachrichten/politik/3284342_Landsberg-Kritik-an-Umweltschutz-Vorrang-fuer-Bauen.html