Entlassener Guantanamo-Häftling fordert Entschädigung
Wegen psychischer Folgeschäden und der unbegründeten und schikanösen Haft von 10 Monaten verlangt ein Pakistani 10 Millionen US-Dollar Wiedergutmachung von der US-Regierung
Mit dem Gefangenenlager in Guantanamo hat sich die USA außerhalb des Rechts gestellt. Proteste gab es schon, als bekannt wurde, wie die Gefangenen, die von der US-Regierung als "feindliche Kämpfer" betrachtet werden und daher nicht als Kriegsgefangene gelten, zum kubanischen Stützpunkt gebracht und dort behandelt wurden. Bestenfalls werden die Gefangenen einfach nach monatelanger Haft in ihre Heimat zurück geschickt, schlimmstenfalls, grundlegender Rechte beraubt, vor ein Kriegsgericht gestellt und womöglich zum Tode verurteilt. Dabei scheint es sich bei einer großen Zahl der Gefangenen eher um Mitläufer des Taliban-Regimes zu handeln. Ein freigelassener Pakistani verlangt nun Schadensersatz in Millionenhöhe.
Die Gefangenen von Guantanamo haben es wahrscheinlich noch einigermaßen gut. Wer in den afghanischen Gefängnissen einsitzt, in andere Länder verschickt wurde oder etwa auf dem US-Stützpunkt in Bagram oder Diego Garcia eingesperrt wurde, ist der Willkür noch weit mehr ausgeliefert, da es hier praktisch keine Öffentlichkeit gibt. Dort werden oder wurden sie auch gefoltert, "torture lite", wie dies ein Geheimdienstoffizier nannte, woran vermutlich aber zumindest zwei Gefangene auf dem US-Stützpunkt im afghanischen Bagram gestorben sind. Ein Artikel der Washington Post beschrieb den Umgang mit den Gefangenen in dem vom CIA betriebenen Gefängnis:
Wer in diesem geheimen Befragungszentrum der CIA die Mitarbeit verweigert, muss nach Geheimdienstexperten, die mit den Befragungsmethoden der CIA vertraut sind, manchmal stundenlang mit einer schwarzen Kapuze oder undurchsichtigen Brillen stehen oder knien. Zeitweise werden sie unbequemen, schmerzhaften Körperstellungen gezwungen und durch eine 24-stündige Bombardierung mit Licht des Schlafs beraubt. Sie sind dem unterworfen, was man "stress and duress"-Techniken nennt. ... Manche, die nicht kooperieren, werden an ausländische Geheimdienste übergeben, deren Folterpraxis von der US-Regierung und Mesnchenrechtsorganisationen dokumentiert wurde.
Auf den Folterwurf reagierte das Pentagon nur insofern, als allgemein versichert wurde, dass die US-Regierung Folter verurteile. Bekannt ist auch geworden, dass auf Guantanamo mehrere Kinder unter 16 Jahren als "feindliche Kämpfer" eingesperrt sind (Die Kinder von Guantanamo).
Aktuell sind bezüglich der Behandlung der Gefangenen Differenzen zwischen den britischen und amerikanischen Regierung aufgetreten. Die US-Regierung hatte angekündigt, bald mit den ersten Prozessen vor einem Kriegsgericht zu beginnen, die aufgrund der fehlenden Rechte der Angeklagten juristisch eine Farce sind. Dabei sein werden auch zwei britische Staatsbürger, denen möglicherweise die Todesstrafe droht, wenn sie sich nicht schuldig bekennen und dafür 20 Jahre Gefängnisstrafe erhalten. Moazzam Begg, der überdies in Pakistan gefangen genommen und verschleppt wurde, und Feroz Abbasi sind wie viele andere ohne jede Anklage und jeden Rechtsbeistand anderthalb Jahre festgehalten worden. Über 200 britische Abgeordnete haben eine Petition unterzeichnet, in der sie verlangen, dass die Beiden nach Großbritannien überstellt werden sollen. Die unter Druck stehende britische Regierung hat ausnahmsweise ein wenig deutlicher als oft vom großen Bruder gefordert, dass die Prozesse aller Angeklagten fair geführt und eine rechtlich einwandfreie Beweisaufnahme stattfinden müsse.
Als im Oktober 2002 die ersten Gefangenen von Guantanamo entlassen wurden, wurde bereits die Willkürlichkeit von Festnahme und Gefangenschaft heraus: Es handelte sich um zwei Siebzigjährige und einen Afghanen, der von den Taliban zum Militärdienst gezwungen wurde. Bei Dutzenden von Gefangenen haben US-Geheimdienstagenten bereits nach Verhören in Afghanistan erklärt und empfohlen, sie wieder frei zu lassen. Manche waren einfache Kämpfer, die von den Taliban nur zum Militärdienst gezwungen wurden, manche wurden wahrscheinlich von Mitgliedern der Nordallianz oder vom pakistanischen Militär nur abgeliefert, um ihre Effizienz zu erweisen oder um manche lästige Menschen los zu werden. Gleichwohl wurden sie nach Guantanamo gebracht - wider besseren Wissens oder wegen Kommunikationsproblemen zwischen unterschiedlichen Pentagon-Abteilungen, jedenfalls ohne jede Chance, dagegen selbst etwas unternehmen zu können, wie dies in einem Rechtsstaat eigentlich üblich sein sollte (Die Gefangenen von Guantanamo). Dafür haben auch die kaum gefährlichen Gefangenen die von Präsident Bush gerne in Reden erwähnten Zahlen der gefangenen und getöteten Taliban- und al-Qaida erhöht, um so für die "Effizienz" der Terroristenbekämpfung Zeugnis abzulegen.
Eingesperrt in einen Zookäfig
Im November 2002 wurde nach 10 Monaten Haft der 51-jährige Mohammed Saghir, der in Afghanistan nicht gekämpft haben will, sondern dort schon vor dem 11.9. mit einer Missionsgruppe unterwegs gewesen sei, entlassen und zurück in sein Land geschickt. Dort wurde er noch neun Tage lang von pakistanischen Geheimdienstmitarbeitern verhört, bis er endlich nach Hause durfte. Angeblich hätten die Amerikaner gesagt, dass er unschuldig sei: "Sie baten nicht um Entschuldigung. Sie sagten nur: Sie können nach Hause gehen." Versprochen hätten sie ihm 2.000 US-Dollar Entschädigung, erhalten habe er nur 100 US-Dollar.
Nachdem er vergeblich versucht hatte, das versprochene Geld zu erhalten, fordert er nun von der US-Regierung eine Haftentschädigung von 10 Millionen US-Dollar und will, wenn diese nicht zahlen will, in Pakistan und vielleicht auch in den USA Klage erheben. In der 10-monatigen Gefangenschaft habe Saghir, so sein Anwalt Chaudhry, einen "geistigen Schock, finanzielle Verluste, körperliche Schikanen, Freiheitsberaubung und religiöse Schikanen" erlitten.
Saghir berichtet, dass er von den Kämpfern des berüchtigten Warlords Rashid Dostum in Kundus festgenommen wurde. Dort sei er dann in mit anderen Gefangenen vollgestopften Containern gesperrt und mit Lastwagen in das Gefängnis Sheberghan gebracht worden. Viele Menschen seien während des Transports erstickt. Dostum, der in der Nordallianz zusammen mit den Amerikanern kämpfte, hatte auch, möglicherweise in Kenntnis von US-Soldaten, ein Massaker an Tausenden von Gefangenen begangen (Das Massaker, das nicht sein darf sowie Vorwürfe gegen US-Armee weiter ungeprüft). Zu einem Massaker kam es auch in Dostums Festung Kaala-e-Dschangi, in die mutmaßliche al-Qaida-Kämpfer gebracht wurden und dort, möglicherweise durch die Verhörpraktiken der CIA-Agenten, revoltiert hatten. Auch im Gefängnis von Shiberghan muss es schrecklich zugegangen sein (Die vergessenen Kriegsgefangenen).
Von Shiberghan aus sei er nach Kandahar gebracht worden, wo ihm und allen anderen Gefangenen Bart und Haare geschoren wurden. Man habe sie nicht schlafen und beten lassen, manche mussten in der Kälte draußen stehen. Gefragt hat man sie nach Kenntnissen über die Taliban, Bin Ladin und al-Qaida. Nach 18 Tagen kam er schließlich nach Guantanamo in eine Zelle, die zwei Meter lang, zwei Meter breit und zwei Meter hoch gewesen sei. Er vergleicht sie mit einem Zookäfig. Zwei Mal die Woche durften sie sich außerhalb der Zelle bewegen, nach einem Hungerstreik auch beten. Und es habe unentwegt Verhöre gegeben. Einmal habe man ihn als Strafe für 8 Tage und einmal für 16 Tage in eine winzige, dunkle Zelle gesteckt, in der andauernd kalte Luft geblasen wurde.
Wegen der illegalen Gefangennahme sei Saghir geistig verwirrt und habe das Recht, juristisch gegen die USA vorzugehen, sagte sein Rechtsanwalt: "Wenn die US-Strafverfolger ihn für schuldig befunden hätten, würden wir ihn nicht verteidigen, aber es handelt sich um den Fall eines unschuldigen und armen Muslims, der eine quälende Gefangenschaft ohne jedes Vergehen erleiden musste." Warum ein armer Muslim, der wegen der Folgen für seine Psyche 10 Milionen Dollar Schmerzensgeld will, aber 400.000 Dollar als Entschädigung für die Schulden, die seiner Familie in den 10 Monaten seiner Haft entstanden seien, und für die Verluste seiner Getreidemühle verlangt, zumal er ja bereits vorher missionarisch in Afghanistan herumgewandert ist, mag schon verwundern. Chancen dürfte er allerdings wenig haben, auch wenn der Umweg über Schadensersatz möglicherweise erfolgreicher sein dürfte als eine Klage wegen der Vorenthaltung fundamentaler Menschenrechte.