Entsendung von US-Kriegsschiffen vor die iranische Küste
Militärische Routine, diplomatisches Säbelgerassel oder letzte Vorbereitungen für den Iran-Krieg?
Die Anzeichen, dass der ausgebliebene Showdown zwischen den Präsidenten der USA und des Iran am Dienstag vor der UN-Vollversammlung (Showdown in New York: Das Duell, das keines war) nur die Ruhe vor dem Sturm war, mehren sich, obwohl bislang weder die amerikanische noch die internationale Mainstream-Presse davon Kenntnis genommen hat. Offenbar ist man in den Redaktionsstuben damit beschäftigt, das Säbelrasseln gegen den Iran, das nach ersten Enthüllungsstories:www.newyorker.com/fact/content/articles/060417fa_fact den Sommer über Schlagzeilen gemacht und eine Irankriegsdebatte ausgelöst hatte, als bloße Rhetorik umzuinterpretieren und der Bush-Regierung einen "neuen Realismus" in der Außenpolitik zu attestieren.
In der "Washington Post" hieß es am Mittwoch in einem Kommentar über die Bush-Rede beispielsweise merklich erleichtert, in Bushs zweiter Amtszeit habe endgültig die Diplomatie wieder die Oberhand gewonnen, die Option Krieg sei vom Tisch:
With the United States ensnarled in an increasingly difficult campaign in Iraq, war is no longer a viable option. Instead, the administration is struggling with the difficult and messy business of diplomacy.
Berichte von zwei ernstzunehmenden alternativen Nachrichtenquellen vom Donnerstag lassen das Gegenteil vermuten. Danach plant das Pentagon die Entsendung einer ganzen Armada von Kriegsschiffen direkt vor der Küste Irans. Die Wochenzeitung "The Nation" postete in ihrer Online-Ausgabe unter der Überschrift War signals? unter Berufung auf Militärs Recherchen, denen zufolge das Weisse Haus und das Pentagon Marschbefehle für die Entsendung einer "strike group" von Kriegsschiffen in den Persischen Golf vor die Westküste des Iran erteilt haben. Die Flotte, die unter anderem den mit Atomwaffen bestückten Flugzeugträger Eisenhower, Zerstörer, Fregatten und U-Boote umfasst, soll vor dem 1. Oktober auslaufen und drei Wochen später vor Ort sein.
Die Öffentlichkeitsabteilung der Navy bestätigte den Befehl zum Auslaufen, ebenso wie ein Sprecher der "Second Fleet", nachdem bekannt geworden war, dass mehrere auf der "Eisenhower" stationierten Offiziere ihrem Ärger Luft machten und Kriegsgegner über den Plan informierten. Die Regierung wolle den Iran angreifen, ohne den Kongress informiert zu haben, berichtete die "Nation".
Trotzdem besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Entsendung des Flugzeugträgers eine militärische Routinemaßnahme ist, um die Enterprise - einen Flugzeugträger, von dem aus Ziele in Afghanistan angegriffen werden - abzulösen. Denn dessen auf sechs Monate veranschlagter Einsatz geht demnächst zu Ende. Bleibt die "Enterprise" trotzdem länger, so ist die Entsendung der "Eisenhower" und ihrer Begleitschiffe ein deutliches Kriegssignal, so "The Nation". Ungewöhnlich ist jedenfalls der Zeitpunkt des Auslaufbefehls. Denn die "Eisenhower", die in Norfolk im Bundesstaat Virginia überholt und aufgerüstet wird, sollte ursprünglich erst im späten November zum Einsatz kommen.
Auch das Online-Magazin The Raw Story veröffentlichte am Donnerstag einen Bericht über die "Iran strike option". Die These, die sich angeblich auf Aussagen hochrangiger Militärs und Geheimdienstoffiziere stützt, lautet darin, dass das Pentagon die erste Planungsphase für einen Krieg gegen den Iran beendet hat und vom sogenannten "contingency planning" zum konkreteren "branches and sequels planning" übergegangen sei. Dabei sei entgegen früherer Dementi der Einsatz von Atomwaffen auf iranische Ziele eine alte und neue Planungsoption.
Merkwürdigerweise war auf die Titelstory der Zeitschrift "Time" diese Woche kein nennenswertes US-Massenmedium zur weiteren Recherche aufgesprungen. Michael Duffy hatte darin berichtet, dass die Besatzungen von Minenschiffen und Minensuchern angewiesen wurden, sich bis zum 1. Oktober einsatzbereit zum Auslaufen zu melden.
Bushs UN-Rede am Dienstag schien dies zu bestätigen. Statt die iranische Führung direkt des Terrorismus und indirekt der Unterstützung von Terrorismus zu bezichtigen oder die iranische Bevölkerung zum "regime change" aufzufordern, benutzte er eine überraschend milde Sprache. Der Iran und die USA würden eines Tages "gute Freunde und enge Partner in der Sache des Friedens" sein, sagte er. Washington habe nicht einmal "etwas gegen Irans Streben nach einem wirklich friedlichen Atomkraftprogramm einzuwenden". Nicholas Burns, der Unterstaatssekretär im Außenministerium, dessen Chefin Condoleezza Rice eine Nahostreise vorbereitet, unterstrich am Abend nach der Bush-Rede vor Reportern, Washington setze auf "Verhandlungen und eine diplomatische Lösung" mit dem Iran.