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Seite 2: Komplexe Fragen
Schon aus der in Nature verwendeten Terminologie von Naturwissenschaftlern, die nonchalant an "Multigrad-Kontrolle lebendiger Wesen" interessiert waren – möglicherweise nicht nur der Ratte, sondern auch des beteiligten Menschen! –, ergaben sich zahlreiche Fragen. Diese reichten von Beobachtungs- zu Verständnis und Interpretations-Fragen. Die Wissenschaftler bemerkten sie nicht einmal, daher erläuterten sie sie auch nicht. Unter diesen Fragen ragen fünf hervor.
Erstens: "Multigrad-Kontrolle lebendiger Wesen" erfolgte vonseiten einer Gruppe von Wissenschaftlern, die im erfolgreichsten streng autoritären System der Welt: im zeitgenössischen China erfolgreich sind und sich im Top-Down-System Xi Jinpings durchgesetzt haben, was so ethisch bei vielen im Westen verpönt wäre. Der Bezug zu politischen Implikationen liegt nahe.
Zweitens: Die Behauptung, dass es seit jeher ein Traum der Menschen sei, lebendige Gehirne miteinander zu verschalten, bezieht sich historisch auf eine sehr junge und elitäre Phantasie. Der "Traum" wurde auch nicht vonseiten "der Menschen" geträumt, sondern von "bestimmten Menschen", und zwar im Überblick von sehr wenigen.
Drittens: Die Entwürdigung der Ratte, also des lebendigen Organismus, zum steuerbaren "Rattencyborg" wurde nicht thematisiert. Und damit auch nicht hierarchische und ethische Implikationen der "Interspezies-Verschaltung" (interspecies brain-to-brain interfacing).
Viertens: die Identifikation der menschlichen "mind", also der rationalen Gedankenfähigkeit des Menschen, mit dem menschlichen Denken, Erfahren und Bewußtsein an sich ist eine längst widerlegte Vereinfachung naiven Ausmasses, die die jüngere Psychologie- und Bewußtseinsgeschichte der offenen Gesellschaften des Westens ignoriert.
Das ist kein Wunder, da China seine eigenen, autoritären Sozialwissenschaften erschafft, die sich in ihrer Funktion als Interpretationsinstrumente ideologisch als Konkurrenz zum Westen verstehen und eher an differenzierter Kontroll-Integration als an Erkenntnis-Differenzierung interessiert sind.
Vielleicht am wichtigsten ist aber – fünftens – bei der in Nature veröffentlichten Darstellung der Begriff "Kooperation zwischen zwei Gehirnen". Der verwendete Begriffszusammenhang ist undurchdacht und eine reine Behauptung.
Was "Kooperation" hier heissen soll, wird auch nicht erklärt, da gleichzeitig von "human mind control" die Rede ist – was einen Widerspruch darstellt. Die Verwendung des Begriffs "Kooperation zwischen Gehirnen" ist wohl am ehesten eben aus dem autoritären Gesellschaftshintergrund der chinesischen Wissenschaftler zu verstehen: in Xi Jinpings China ist "Kontrolle", die ja die Wissenschaftler mit ihrem Experiment anstrebten, eben die eigentliche Form von Kooperation. Indem ich dich kontrolliere, arbeiten wir am besten zusammen. Das gilt offenbar auch für Gehirne.
An solchen Beispielen erkennt man, dass – wie unter anderem bereits Martin Heidegger in seiner Technikphilosophie und seinem geistigen Testament bemerkte – die neue instrumentelle Naturwissenschaft aufstrebender autoritärer Regime in ihrer Begrifflichkeit und Selbstinterpretation keineswegs naturwissenschaftlich, sondern sozialwissenschaftlich verfährt, ohne es zu reflektieren.
Pikantes Detail am Rande: Angeblich erfolgte diese Mensch-Tier-Verschaltung von Gehirnen ohne Wissen der chinesischen Regierung. Die Behauptung des Nichtwissens war hier ähnlich wie die bei anderen inzwischen massgeblich von China ausgehenden meta-ethischen Entwicklungen, so bei der Herstellung von Designbabies mittels CRIPR-Genschere im November 2018.
Auch hier war im Hintergrund KI-Basistechnologie wichtig. In China weiß jedoch jedes Kind, dass ohne Wissen der autoritärsten Regierung aller Zeiten, nämlich derjenigen Xi Jinpings – dessen Wort, kaum dem Mund entkommen, bereits Partei- und Staatsdoktrin wird –, kein Bleistift bewegt wird.
Dass die chinesische Regierung immer wieder aufsehenerregende ethische Korrektur-Eingriffe in die Wissenschaft vornimmt, wenn es international Proteste gegen unethische Praktiken gibt, ist Makulatur. Sie verbindet sich mit einem bewußten Symbolcharakter, um die Vielzahl an unethischen Praktiken unter der Spitze des Eisbergs zu vertuschen – und dadurch am Laufen zu halten.