Entzündet der Gaza-Krieg den arabischen Raum?
Seite 2: Was ist mit dem Iran?
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Die Iraner sind das große Fragezeichen. Würden sich die Iraner auf eine direkte Konfrontation mit Israel einlassen? Mein Verdacht ist, dass sie das wahrscheinlich nicht tun wollen, weil sie wissen, dass das die Vereinigten Staaten auf den Plan rufen würde.
Jetzt argumentieren einige Leute: "Nun, das ist es, was sie wollen. Sie wollen, dass die Amerikaner in ein weiteres unvernünftiges militärisches Abenteuer gezogen werden, wie in Vietnam, Afghanistan oder im Irak. Sie möchten, dass die USA noch eines mit dem Iran eingehen."
Das sind also alles spekulative Ideen. Niemand weiß es wirklich. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass die Hisbollah und die Hamas sowie die Huthi im Jemen bereit sind, zu kämpfen.
Ob es eine selbstmörderische, unkluge Politik ist, wird uns die Geschichte zeigen. Aber was wir bisher gesehen haben, ist, dass sie in der Lage sind, sich mit Israel – und in einigen Fällen mit den USA – in kämpferische Auseinandersetzungen zu begeben und es am nächsten Tag erneut zu tun.
Das ist nichts, was wir feiern sollten. Der Nahe Osten ist ein Schmelztiegel permanenter Gewalt, einschließlich der von Ihnen erwähnten riesigen Zahl vertriebener Zivilisten. Das ist für die Familien mit sehr viel Leid verbunden.
Verlogenheit des Westens: Es besteht Gefahr eines größeren Krieges
Ich habe das im Libanon, in Palästina, Jordanien und Syrien miterlebt, wenn ich den Flüchtlingen begegnete, die in Kriegen herumirrten. Das war im Irak der Fall. Es geschah in Kuwait, im Jemen und überall sonst. Und wir wollen nicht, dass sich so etwas wiederholt.
Aber das ist die unvermeidliche Konsequenz, wenn man zulässt, dass sich der arabisch-israelische Konflikt hundert Jahre lang ausweitet, ein Jahrhundert lang, mit direkter, ausdrücklicher, permanenter und expandierender US-amerikanischer und britischer Hilfe sowie Waffen und politischem Schutz in der UNO.
Wenn man das tut, ist das oben Beschriebene die Folge. Es ist also unaufrichtig, ziemlich infantil und lächerlich, wenn US- oder britische Regierungsvertreter sagen: "Es besteht die Gefahr eines Krieges."
Natürlich besteht die Gefahr eines größeren Krieges. Denn ihre Politik in Verbindung mit der israelischen Politik und einiger Araber hat uns an diesen Punkt gebracht, sodass sie, wenn sie einen künftigen Krieg verhindern wollen, die zugrunde liegenden Bedingungen angehen müssen.
Warum gibt es im Moment keinen großen Krieg in Afghanistan oder Vietnam? Das liegt daran, dass die zugrunde liegenden Bedingungen beseitigt wurden, und deshalb gibt es dort eine Art Normalzustand.
Die Milizen sind ein zentraler Faktor in der Region
Sie bezeichnen die Hisbollah als einen nicht-staatlichen Akteur. Aber wie sieht es mit der Beziehung zwischen der Hisbollah und der libanesischen Zentralregierung aus?
Rami Khouri: Die Hisbollah ist militärisch stärker als die libanesische Regierung. Daran besteht kein Zweifel. Aber sie erkennen an, dass sie Teil der libanesischen Regierung sind.
Sie sind im Parlament vertreten. Sie haben Minister in der Regierung, mal mehr, mal weniger. Sie sind keine von außen kommende politische Kraft.
Aber sie expandierten und wurden stark, weil die libanesische Regierung in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren nicht in der Lage war, den Süden des Libanon zu schützen, als dieser zunehmend von Israel bedroht wurde. Als sich die palästinensische Guerilla irgendwann im Südlibanon niederließ, führte die zu israelischen Repressalien.
Da die libanesische Regierung nicht in der Lage war, den Libanon zu schützen, entwickelte sich die Hisbollah organisch zu der militärischen Kraft, die sowohl den Süden als auch den gesamten Libanon schützt, wobei sie mit anderen im Lande zusammenarbeitet. Es gibt andere kleinere linke und andere Kräfte, die mit ihr zusammenarbeiten.
Israel-Palästina-Konflikt muss gelöst werden
Sie haben eine sehr instabile Beziehung zur Regierung, weil sie so mächtig sind. Sie können einen Krieg auslösen, wie es schon einmal zwischen Israel und der Hisbollah geschehen ist, und die libanesische Regierung kann nichts dagegen tun.
Und das libanesische Volk leidet, weil der Flughafen bombardiert wird, die Stromversorgung ausfällt. Im Krieg passieren schreckliche Dinge.
Die libanesische Regierung versucht ständig, mit der Hisbollah eine Einigung über eine Koexistenz zu erzielen, aber das ist nahezu unmöglich, solange der zugrunde liegende arabisch-israelische, palästinensisch-israelische Konflikt nicht gelöst ist.
Sobald dieser Konflikt gelöst ist, braucht die Hisbollah nicht mehr all diese Waffen, um den Libanon vor israelischen Angriffen zu schützen, denn die Hisbollah wird nicht versuchen, Israel zu zerstören. Es ist unbestreitbar, dass diese Gruppen Israel kritisch gegenüberstehen, man redet abfällig über die israelische Führung und spricht Drohungen aus.
Hisbollah würde Friedenslösung akzeptieren
Aber sie verhandeln auch mit Israel, tauschen Gefangene aus. Sie haben insgesamt deutlich gemacht: Wenn die Palästinenser ein Abkommen mit Israel erreichen, das für beide Seiten fair ist und die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung es unterstützt, werden sie sich dem anschließen. Daran gibt es keinen Zweifel.
Wir müssen also unseren Blick immer wieder von den schrecklichen, furchtbaren Dingen abwenden, die jetzt passieren, oder von der Möglichkeit, dass noch Schlimmeres passiert, und uns auf die zentralen, entscheidenden Fragen in dieser Region besinnen.
Die eine betrifft die permanente ausländische Militärintervention seit Napoleon. Die militärischen Einmischungen von außen weiten sich sogar aus, wie wir jetzt sehen, insbesondere durch die USA, Russland, den Iran, die Türkei, Großbritannien und andere.
Die andere Frage beinhaltet den arabisch-israelischen Konflikt. Das sind die beiden wichtigsten Ursachen für die regionalen Spannungen, Kriege und Instabilitäten. Diese müssen angegangen werden.
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Democracy Now. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
Redaktionelle Anmerkung: In der Teaser-Unterzeile hieß es: "Wie reagieren arabischen Staaten wie Iran und nicht-staatliche Akteure?". Die Formulierung ist korrigiert worden in: "Wie reagieren arabischen Staaten, der Iran und nicht-staatliche Akteure?"