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Erdgas könnte übergangsweise Braunkohle ersetzen

Gas-und-Dampf-Kraftwerk Hamm-Uentrop. Bild: Possi88/CC By-3.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Windparks, die auf dem Markt mit konventionellen Kraftwerken konkurrieren sollen, unterbeschäftigten Gaskraftwerken und Chinas solarer Revolution

Die Bundesnetzagentur hat letzte Woche die ersten Zuschläge für Offshore-Windparks im neuen Ausschreibungsverfahren vergeben. Das Ergebnis [1] ist überraschend: Drei Parks werden gänzlich ohne garantierte Einspeisevergütung gebaut werden.

Die beiden Projektbetreiber EnBW und Dong Energy (staatliches dänisches Unternehmen) werden ihre Windkraftanlagen in der Nordsee also in der Erwartung bauen, über den direkten Verkauf genug einnehmen zu können, um profitabel zu wirtschaften. Der Netzanschluss wird ihnen aber wie auch den anderen Projekten gestellt werden. Diese werden über die Netzentgelte finanziert, die den Netzbetreibern zugleich einen garantierten Gewinn [2] von derzeit 9,05 Prozent und ab 2019 immer noch knapp sieben Prozent einspielen.

Insgesamt bekamen vier Projekte in der Nordsee einen Zuschlag. Zusammen werden sie, wenn sie in den nächsten Jahren umgesetzt werden, 1,49 Gigawatt (GW) elektrische Leistung unter Volllast einspeisen können. Einem vierten Projekt, das noch einen Zuschlag bekam, wurde eine Einspeisungsvergütung von sechs Cent pro Kilowattstunde zugesprochen. Die Anlagen sollen nach 2021 ans Netz gehen.

EnBW und Dong spekulieren damit auf weiter sinkende Anlagenpreise, wie das Manager-Magazin schreibt [3]. Außerdem müssen sie darauf hoffen, dass der Börsenstrompreis nicht noch weiter sinkt. Bis Ende 2022 gehen allerdings die letzten deutschen AKW vom Netz und dann sollten die Zeiten des ganz großen Überangebots vorbei sein. Insbesondere, wenn auch die Flotte der Kohlekraftwerke bis dahin etwas verkleinert werden sollte.

Angesichts der bisher gezahlten Einspeisevergütungen von über 18 Cent pro Kilowattstunde, die den Windstrom von See teurer als solchen aus neuen Solaranlagen machen, ist das Ausschreibungsergebnis bahnbrechend. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Projekte tatsächlich wirtschaftlich betrieben werden können und die Unternehmen nicht doch noch einen Rückzieher machen. Auf jeden Fall müssen die Unternehmen ihre Anlagen bis 2024 errichtet haben, andernfalls drohen Strafzahlungen.

Braunkohle wird kaum noch gebraucht

Zeit also, um zum einen etwas gegen das Überangebot auf dem Stromgroßmarkt zu tun, der die Preise in unvernünftige Tiefen drückt - mit denen über den Umweg der EEG-Umlage unter anderem die Großverbraucher subventioniert werden [4] - und zum anderen die technischen Bedingungen für die vermehrte Nutzung von unstetig, aber durchaus planbar anfallenden Windstrom zu schaffen.

Dazu gehören diverse Speicherkonzepte aber auch der vermehrte Einsatz flexibler Gaskraftwerke. Die haben gegenüber den Braun- oder Atomkraftwerke den Vorteil, dass sie wesentlich flexibler sind und auch schneller als Steinkohlekraftwerke hoch- und runter gefahren werden können. Ein weiterer Pluspunkt: Sie verursachen deutlich weniger Emissionen an Kohlendioxid und anderen schädlichen Gasen und Feinstäuben. Für eine Kilowattstunde Strom entstehen nach Angaben [5] des Umweltbundesamtes im deutschen Kraftwerkpark 411 Gramm Kohlendioxid, wenn Erdgas als Brennstoff dient. Bei der Steinkohle sind es hingegen 902 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde und bei der Braunkohle gar 1161 Gramm.

Mit anderen Worten: In Gaskraftwerken lässt sich die gleiche Menge Strom mit erheblich weniger schädlichen Emissionen erzeugen. Und zwar sofort. In Deutschland gibt es erhebliche Kapazitäten, die weitgehend ungenutzt bleiben. Die hiesigen Gaskraftwerke waren 2016 nur zu durchschnittlich 19 Prozent ausgelastet, wie sich aus den Daten [6] des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme ergibt. Würden diese Kraftwerke stattdessen zu 80 Prozent ausgelastet, könnten sie ohne weiteres sofort alle Braunkohlekraftwerke ersetzen.

In konkreten Zahlen sieht das so aus: Gaskraftwerke haben 2016 46,5 Milliarden Kilowattstunden Strom ins Netz eingespeist. Bei 80 Prozent Auslastung wären es 149 Milliarden Kilowattstunden mehr gewesen. Braunkohlekraftwerke haben hingegen 2016 135 Milliarden Kilowattstunden Strom geliefert. Die Gaskraftwerke müssten also nicht einmal zu 80 Prozent ausgelastet werden, um die Braunkohle von heute auf morgen zu ersetzen.

Aber natürlich sind da auch noch die AKW, die 2016 rund 80 Milliarden Kilowattstunden produziert haben. Wenn man deren Abschaltung vorzöge - was sicherlich angesichts ihrer besonderen Gefährlichkeit sinnvoll wäre -, könnten die Gaskraftwerke immer noch aus dem Stand die Hälfte aller Braunkohlekraftwerke ersetzen.

Planung notwendig

Das ist zunächst natürlich nur eine Durchschnittsbetrachtung. Für die Versorgung mit Strom ist besonders wichtig, dass der Bedarf jeder Zeit abgedeckt werden kann, daher ist der Hinweis auf den Extremfall "Dunkelflaute" [7] nicht abwegig. Schauen wir uns also solch einen Extremfall an.

Im vergangenen Winter war das der Nachmittag des 5. Dezembers. Die Sonne war um 16 Uhr schon fast untergegangen und der Wind war sehr schwach. Der Verbrauch war wegen der winterlichen Dunkelheit und Kälte besonders hoch, zumal es sich um einen Wochentag handelte und um 16 Uhr in Büros, Fabriken und Geschäften noch reger Bedarf herrschte. Fast 75 GW wurden nachgefragt, was einen der höchsten Werte des Jahres darstellte. In der Mittagszeit war der Verbrauch noch etwas höher gewesen, aber zu dieser Zeit hatte die Sonne immerhin fast zehn GW geliefert.

Um 16 Uhr wurde von Solaranlagen allerdings nur noch 0,04 GW ins Netz eingespeist, und auch die Windkraftanlagen lieferten lediglich 2,75 GW. Wasser- und Biomassekraftwerke speisten allerdings zuverlässig 8,39 GW ein. Die Atom- (10,21 GW) und Steinkohlekraftwerke (20,2 GW) waren gut ausgelastet und die Braunkohlekraftwerke trugen 17,49 GW bei.

Und die Gaskraftwerke? Die arbeiteten an diesem Nachmittag mehr als sonst, aber hatten immer noch reichlich Kapazitäten frei. Von ihrer maximal möglichen Leistung von etwas mehr als 24 GW wurden nur knapp 13 GW abgefragt. (In einer früheren Version dieses Textes war die zur Verfügung stehende Kapazität der Gaskraftwerken zu hoch angegeben worden, weil rund 5,4 GW in Industrieanlagen mitgerechnet wurde, die aber nicht für die öffentliche Versorgung zur Verfügung stehen, und deren Daten auch nicht in die Produktionswerte eingehen, auf die im Text Bezug genommen wird.)

Bedenkt man außerdem, dass zu diesem Zeitpunkt knapp 4 GW der deutschen Produktion exportiert wurden, so hätte selbst in diesem extremen Fall die Leistung der Gaskraftwerke fast ausgereicht, um alle Braunkohlekraftwerke zu ersetzen und den Inlandsbedarf abzudecken.

Das alles sind Rechenbeispiele. Kein Mensch fordert, die Braunkohlekraftwerke über Nacht und ohne Vorbereitung abzustellen. Derlei muss geplant werden, Großverbraucher und der Markt müssen darauf vorbereitet und vor allem auch Sozialpläne für die Mitarbeiter und Strukturanpassungsmaßnahmen für die betroffenen Regionen organisiert werden. Die Zahlen belegen jedoch, dass die Bedingungen für einen zügigen Ausstieg aus Braunkohle und Atomkraft existieren und der Übergang verbunden mit einem weiteren Ausbau der Erneuerbaren und von Speicherkapazitäten spätestens bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts geschafft sein könnte.

Erdgas nicht der Weisheit letzter Schluss

Aber natürlich kann die Verfeuerung von Erdgas nur eine Übergangslösung sein. Zum einen, weil zwar weniger, aber noch immer zu viele Treibhausgase freigesetzt würden. Zum anderen, weil auch die Förderung von Erdgas alles andere als harmlos ist. Auch bei der konventionellen Förderung wird zum Beispiel Benzol freigesetzt [8], das in Niedersachsen in Verdacht steht, für die dortige Häufung von Krebsfällen [9] in der Nachbarschaft zumindest eines Teils der Bohrlöcher verantwortlich zu sein. Die Erdgasförderung hat hierzulande eine lange Tradition und deckt mit rasch abnehmender Tendenz derzeit noch 8,3 Prozent [10] des Inlandsbedarfs.

Mittelfristig muss also Ersatz für das in Gaskraftwerken verbrannte Erdgas her. Dafür bietet sich unter anderem an, das Potenzial der Abfallvergärung besser auszunutzen. In Biogasanlagen können kompostierbare Abfälle vergärt und so Methan hergestellt werden, das auch der wesentliche Bestandteil des Erdgases ist. Doch damit wird der Gasbedarf für die Kraftwerke nicht annähernd zu decken sein, auch wenn es noch erhebliches Ausbaupotenzial gibt, da bisher nicht viel mehr als ein Sechstel [11] des geeigneten Bioabfalls entsprechend genutzt wird.

Letztlich wird vermutlich der Einsatz von sogenanntem Windgas eine zentrale Rolle zu kommen. Greenpeace Energy weist darauf hin [12], dass die Umwandlung von überschüssigem Strom in Wasserstoff schon jetzt die Stromkunden entlasten könnte. Es würde nämlich die Notwendigkeit für Netzausbau minimieren und der Wasserstoff könnte zugleich ins Gasnetz eingespeist werden.

Auch zur Optimierung von Biogasanlagen kann Strom eingesetzt werden. Wird in dieser zusätzlicher Wasserstoff per Elektrolyse erzeugt, dann würde das Rohbiogas deutlich weniger Kohlendioxid aber mehr Methan enthalten.

Viel Sonne

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Die Climate-Action-Plattform des UN-Umweltprogramms UNEP berichtet [13] von einer :Untersuchung des internationalen Marktes für Solaranlagen [14], die von einem neunprozentigen Wachstum in diesem Jahr ausgeht. Demnach würden 2017 weltweit bis zu 85 GW neue Solarleistung installiert werden. Das Gros davon, fast drei Viertel, werde auf China, Indien, die USA und Japan entfallen. 2016 waren es 78 GW gewesen, im Vorjahr erst 51 GW.

Nachdem vor einem knappen Jahr in China drastische Kürzungen der Einspeisevergütungen angekündigt wurden, waren viele Beobachter davon ausgegangen, dass der chinesische Markt erheblich schrumpfen würde. Bei hiesigen Modulherstellern war leichte Panik angesichts der befürchteten gewaltigen Überproduktion und den damit zu erwartenden Dumpingpreisen zu verspüren gewesen. Wie es aussieht ist es nicht so schlimm wie erwartet gekommen. Die Preise sind zwar deutlich zurückgegangen - hierzulande waren Module im Februar im Großhandel [15] 13 bis 20 Prozent günstiger als im Januar 2016 -, doch in China wurden so viele Solaranlagen installiert wie nie zuvor. Rund 34 GW Solarleistung kamen hinzu, mit 30 GW wird für dieses Jahr gerechnet.

Auch Indien hat Großes vor: Die Regierung plant die installierte Solarleistung bis 2022 auf 100 GW [16] zu bringen. Das heißt, in den kommenden fünf Jahren müssten 90 GW hinzukommen. Für dieses Jahr wird mit 14 GW gerechnet, ein Ausbautempo, das noch weiter gesteigert werden muss, um das Ziel zu erreichen.

Der Beitrag auf der UNEP-Seite verweist auf die Bedeutung der gesunkenen Preise für die Erschließung neuer Märkte für Solarmodule. Wenn die Preise für Module und Speicher weiter wie im bisherigen Maße sinken, könnte Indien bis 2050 vollständig auf Kohlekraftwerke verzichten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3687640

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/13042017_WindSeeG.html;jsessionid=B6DE57B61500F7D9F7D282B1A0055416
[2] https://www.pv-magazine.de/2016/09/06/gutachten-milliarden-entlastung-der-kunden-bei-netzentgelten-mglich/
[3] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/energiewende-offshore-windstrom-bald-ohne-subventionen-a-1143274.html
[4] http://julia-verlinden.de/detail/article/strompreise_verbraucher_zahlen_115_milliarden_fuer_industrieprivilegien/
[5] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/461/publikationen/climate_change_07_2013_icha_co2emissionen_des_dt_strommixes_webfassung_barrierefrei.pdf
[6] https://www.energy-charts.de/energy_de.htm
[7] https://www.heise.de/tp/features/Braunkohle-Dunkelflaute-ueber-der-Lausitz-3682257.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Was-wird-aus-Euratom-nach-dem-Brexit-3255824.html?seite=2
[9] http://www.radiobremen.de/gesellschaft/krebsregister-bothel100.html
[10] http://www.lbeg.niedersachsen.de/erdoel-erdgas-reservenbericht/kurzbericht-erdoel--und-erdgasreserven-in-der-bundesrepublik-deutschland-am-01012011-786.html
[11] http://www.biogas.org/edcom/webfvb.nsf/id/5BC5849C8BCA421EC1257CD600320AFF/$file/Biogas_2_2014_34-38_Reststoffverg%C3%A4rung.pdf
[12] https://www.greenpeace-energy.de/presse/artikel/windgas-elektrolyseure-entlasten-verbraucher-bei-stromkosten-um-viele-millionen.html
[13] http://www.climateactionprogramme.org/news/85gw-of-solar-capacity-to-be-installed-this-year
[14] https://www.greentechmedia.com/research/report/global-solar-demand-monitor-q1-2017
[15] http://www.solarserver.de/service-tools/photovoltaik-preisindex.html
[16] https://www.pv-tech.org/editors-blog/100gw_by_2022_behind_indias_big_solar_numbers