Erdogans langer Arm: Wie die Türkei den Kaukasus neu ordnet

Luca Schäfer
Karte von Armenien und Aserbaidschan

Im Armenisch-Aserbaidschanischen Konflikt mischen viele externe Akteure mit

(Bild: Michele Ursi/Shutterstock.com)

Zwischen Armenien und Aserbaidschan scheint ein Friedensvertrag in Sicht. Warum das ein Sieg für Baku, eine Niederlage für Moskau und ein Fortschritt für Ankara ist. Eine Analyse.

Kaum eine Grenze zwischen Staaten ist militarisierter als die zwischen Armenien und Aserbaidschan. Oft trennen die beiden Armeen keine zehn Meter, zwischen armenischen und aserbaidschanischen Posten kreuzten zudem Soldaten der russischen Armee sowie OSZE-Beobachter.

Die Lage schien festgefahren, insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Streitigkeiten um die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan und der blutigen Auseinandersetzungen der Vergangenheit.

Entsprechend unerwartet kam Anfang März dieses Jahres die Nachricht, dass sich die beiden südkaukasischen Staaten nach übereinstimmenden Angaben ihrer politischen Repräsentanten auf den Entwurf eines Friedensabkommens geeinigt hätten. Der genaue Wortlaut ist allerdings bis heute, rund 14 Tage nach der ersten Ankündigung, nicht bekannt. Fragezeichen bleiben.

Aber: Eriwan fordert nun ein baldiges Treffen zur Unterzeichnung, der Frieden scheint besiegelt. Wie wird sich also die als volatil geltende und vor allem energiepolitisch immens interessante Region, eingeklemmt zwischen dem Iran und der Türkei sowie Russland, entwickeln?

Ein Blick in die Geschichte: Petrodollars als Game-Changer

Seit Jahrzehnten streiten sich die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken um ein Gebiet, das nur wenig größer ist als das deutsche Saarland. Die Region Berg-Karabach (armenisch: Republik Arzach) wird fast ausschließlich von christlichen Armeniern bewohnt, war aber zu Sowjetzeiten dem mehrheitlich schiitischen Aserbaidschan zugeschlagen worden.

1991 erklärte sich Berg-Karabach, mit seiner "Hauptstadt" Stepanakert einseitig für unabhängig. Das De-facto-Regime näherte sich Armenien an, bleibt aber nach Ansicht der Vereinten Nationen Teil des aserbaidschanischen Territoriums (der Europarat teilt diese Ansicht).

Das Autonomiegebiet umfasst 4400 Quadratkilometer und ist eine gebirgig-zerklüftete, unwirtliche, aber wasserreiche Landmasse. Die beiden Flüsse Kura und Aras durchziehen das ansonsten wasserarme, umkämpfte Gebiet.

Nach der Implosion der UdSSR kam es 1994, 2020 und 2023 zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen. Zunächst siegt die Macht der armenischen Gewehrläufe über die Ansprüche Bakus. 1994 setzt sich Armenien durch.

Seit 1993 regiert der Familienclan der Alijews den Ölstaat Aserbaidschan. Was Vater Haidar begann, soll Sohn Ilham vollenden. Der "Clan-Staat" hat in Gestalt des Ölkonzerns Socar beträchtlichen Reichtum angehäuft, das Gastgeberland der Weltklimakonferenz COP 29 erwirtschaftet 90 Prozent seiner Exporteinnahmen, 60 Prozent seiner Staatseinnahmen und zwischen 30 und 50 Prozent seines BIP durch den Verkauf von Öl und Gas.

Das fossile Rückgrat seines Eroberungsfeldzugs wird auch durch deutsche Einkäufe finanziert, immerhin sollen die deutschen Importe bis Ende 2027 20 Milliarden Kubikmeter Gas betragen, rund 18 Prozent des Jahresverbrauchs.

2023: Russlands Scheitern

Russland blieb Armeniens Schutzmacht: die Russische Föderation war kultureller, energiewirtschaftspolitischer und nicht zuletzt militärischer Bezugspunkt des 3-Millionen-Volkes. Armenien war bis zu seinem Austritt bzw. dem Einfrieren seiner Mitgliedschaft im Februar 2024 Mitglied der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS).

Die OVKS war der Versuch, eine Nachfolgeorganisation für den Warschauer Vertrag zu gründen, der Versuch Moskaus, ein Gegengewicht zur fortbestehenden Nato zu schaffen.

Diesem Militärpakt gehörten maximal neun ehemalige Sowjetstaaten an. Im Kern Russland, Kirgisistan, Weißrussland, Kasachstan sowie Tadschikistan. Ironie der Geschichte: Bis zur Nichtverlängerung seiner Mitgliedschaft 1999 gehörte auch Aserbaidschan (wie Usbekistan und Georgien) dem Pakt an.

Die Achse Ankara-Baku, Ilham Alijew ist ein Intimus des türkischen Präsidenten Erdogan, hat im September 2023 militärisch Fakten geschaffen. Dank türkischer Drohnenproduktion, einem Ölpreis-Hoch und einer Blitzoffensive konnte fast das gesamte Gebiet "zurückerobert" werden.

Die Folge: Hunderttausende wurden vertrieben, gen Armenien oder Russland. Russland hat seinen einstigen Verbündeten im Stich gelassen: Die stationierten Truppen griffen nicht ein.

Die veränderten geopolitischen Bedingungen, vorangetrieben durch den Krieg um die Ukraine, machten eine gute "Nachbarschaft" zu Aserbaidschan wie auch zur Türkei notwendig. Zudem: Mit den Erkenntnissen aus dem syrischen Kotau vom Dezember 2024 kann argumentiert werden, dass das russische Militär schlichtweg kaum in der Lage oder willens zu sein scheint, einen Mehrfrontenkrieg zu führen.

Sieger von deutschen Gnaden

Auch wenn derzeit noch offene Fragen wie das Rückkehrrecht der Vertriebenen, die Entmilitarisierung oder die endgültige Zugehörigkeit des Gebietes diskutiert werden müssen, lässt sich feststellen, dass die Türkei mit ihrem aserbaidschanischen Günstling als Sieger vom Schlachtfeld gegangen ist.

Erstens: Aserbaidschan beherrscht das fruchtbare und rohstoffreiche Gebiet, es werden aserbaidschanische Konzerne sein, die Berg-Karabach wirtschaftlich ausbeuten werden. Neben den Wasserreserven locken nach Recherchen von Report Mainz 350 Vorkommen kritischer Rohstoffe, darunter wirtschaftlich relevante Mineralien und Kupfer oder Kobalt.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die USA, die EU sowie Russland ein erbittertes "Gas-Gambit" um Transportrouten und Einflussmöglichkeiten auf die Anrainerstaaten liefern. In dieser Rivalität liegt die wachsende geopolitische Bedeutung Aserbaidschans als Transit-, Produktions- und Drehscheibe für Erdölprodukte begründet.

Auch wenn die Regierung von Ilham Alijew immer wieder von der westlichen Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert wird, etwa wegen willkürlicher Verhaftungen von Oppositionellen im Vorfeld der COP 29, tut dies den Geschäftsbeziehungen vor allem mit Berlin keinen Abbruch.

So ist Siemens Energy, ein deutscher Konzern, seit Jahren stark im Geschäft am Schwarzen Meer vertreten und Tobias Baumann, Leiter der Außenhandelskammer in Baku, sekundiert, dass deutsche Konzerne in Aserbaidschan das finden, "was wir gerade für die Zukunft brauchen".

Lachender Dritter

Vor und nach dem Waffengang von 2023 wurde deutlich, dass die Türkei als Spiritus Rector im Hintergrund das militärische Vorgehen ihres "Brudervolkes" absicherte. Die militärischen Bande wurden gestärkt, die Bayraktar-Drohnen sorgten 2020 für den ersten Sieg und die wirtschaftlichen Beziehungen wurden stark ausgebaut. Nicht zuletzt kämpften von Ankara in Syrien angeworbene Söldner auf aserbaidschanischer Seite.

Erschreckend für die armenische Seite war die ideologische Komponente des Krieges. Die AKP rief ein Zeitalter des Panturkismus aus. In der panturkischen Achse, die sich in Recep Tayyip Erdogans Phantasie von Istanbul über Usbekistan bis zu den Uiguren in China erstreckt, wirkt die armenische Mikronation wie ein störender Fremdkörper.

Erinnerungen an den Völkermord von 1915/16 werden wach. Erst kürzlich wurde eine verstärkte Handelspartnerschaft beschlossen. Aserbaidschan und die Türkei unternehmen Schritte zum Ausbau der vor dem Spannungsfeld wachsender innenpolitischer Widerstände gegen die Regierung Erdogan, wie Telepolis berichtete, kann ein außen- und handelspolitischer Erfolg immensen Einfluss haben.

Zukunftssorgen und geopolitisches Gewicht

Offene Fragen sind derzeit: Wird Armenien seine Verfassung dahingehend ändern, dass es auf Gebietsansprüche verzichtet? Und: Werden pro-europäische Einflussfaktoren wie die Minsker OSZE-Vermittlungsgruppe aufgelöst und in ihrem Einfluss beschnitten?

Zur ersten Frage ist anzumerken, dass der armenische Präsident Paschinjan diesen Schritt kaum ohne massive innenpolitische Proteste durchsetzen kann. Die armenische Regierungspolitik scheint eine Konsolidierungspolitik zu verfolgen, man konzentriert sich wohl primär auf die Entwicklung des eigenen Kerngebietes. Armenien und Aserbaidschan einigen sich auf Frieden

Russland hingegen muss befürchten, seinen Einfluss in der Region zu verlieren, vergleichbar mit den Stützpunkten in Syrien sollen die Truppen die Region bald verlassen. Diese Ergebnisse sind international konkreter Ausdruck eines gewachsenen geopolitischen Gewichts der Türkei.