Erhöht ein Parasit das Selbstmordrisiko bei Menschen?
Der Einzeller Toxoplasma gondii soll auch bei Menschen zu Verhaltensveränderungen führen, ein Drittel bis die Hälfte der Menschen ist von ihm infiziert
Neues gibt es vom Parasiten Toxoplasma gondii, der deswegen schon lange Wissenschaftler fasziniert, weil er möglicherweise nicht nur das Verhalten von Ratten und Mäusen, sondern auch das von Menschen beeinflussen kann (Neurotisch durch Parasiten?). Dänische und US-amerikanische Wissenschaftler wollen nun herausgefunden haben, dass der Parasit zu einem erhöhten Suizidrisiko bei Menschen führen könnte.
Der Endwirt des Einzellers sind eigentlich Katzen oder andere Raubtiere, in deren Darm er sich sexuell vermehrt und sich dann durch den Kot verbreitet. Doch auch in Vögeln und anderen Säugetieren, die als Zwischenwirte fungieren, kann er sich in Muskeln und im Gehirn reproduzieren und jahrelang in Zysten überleben. In manchen Ländern ist bereits die Mehrzahl der Menschen infiziert, weltweit soll es bis zur Hälfte der Menschheit sein. In der Regel wird die Infektion kaum bemerkt und gibt es höchstens leichte Symptome, problematisch kann es nur werden, wenn Mütter sich während der Schwangerschaft infizieren und der Parasit auch auf das Kind übertragen wird.
Zunächst hatte man entdeckt, dass infizierte Ratten und Mäuse offenbar weniger ängstlich gegenüber Katzen werden oder auch von Katzengeruch angezogen werden, anstatt Reißaus zu nehmen. Interpretiert wird dies gerne so, dass der Parasit das Verhalten des Zwischenwirts ändert, damit dieser eher zum Opfer des Endwirts wird, wo er sich sexuell vermehren kann. Vermutet wird, dass die Verhaltensveränderung über die Beeinflussung von Neurotransmitter bewirkt wird. Menschen werden zwar nicht zu Opfern von Katzen, aber einige Wissenschaftler vermuten dennoch, dass es auch bei diesen zu Verhaltensveränderungen kommen kann. So haben letztes Jahr britische Wissenschaftler eine Studie veröffentlicht, nach der Toxoplasma gondii den Dopamin-Metabolismus in den Gehirnen von Mäusen zu beeinflussen scheint. Nach ihren Beobachtungen wird von Infizierten mehr Dopamin ausgeschüttet. Der Neurotransmitter ist an der Regulation der Belohnungs- und Lustzentren und der emotionalen Reaktionen beteiligt und soll bei vielen psychischen Störungen wie Schizophrenie, Parkinson oder der Aufmerksamkeitsstörung ADHS eine Rolle spielen (Der Parasit, der das Verhalten seines Wirts verändert).
In ihrer aktuellen Studie, die vorab online in den Archives of General Psychiatry erschienen ist, haben die Wissenschaftler eine Kohorte von über 45.000 dänischen Frauen untersucht, deren Kinder kurz nach der Geburt in den Jahren 1992 bis 1995 auf eine Toxoplasma-Infektion untersucht wurden, festgestellt anhand spezifischer IgG-Antikörper, und bis zum Jahr 2006 beobachtet wurden. Da die Antikörper zu dieser Zeit noch von den Müttern stammen, lässt sich von den Kindern auf die Mütter schließen. Nachdem ein Viertel der Neugeborenen seropositiv waren, waren auch ein Viertel der Frauen (26,8 Prozent) von dem Parasiten infiziert. Mehr als 12.000 Frauen waren bereits vor der Geburt auf die Antikörper untersucht worden, wodurch sich der Rückschluss von Kind auf Mutter bestätigen ließ.
Das Team des Neuroimmunologen Teodor Postolache von der Maryland School of Medicine in Baltimore, das auch an dieser Studie mitwirkte, hatte schon zuvor bei Patienten einen Zusammenhang zwischen einer hohen Konzentration an IgG-Antikörpern und psychischen Erkrankungen sowie einer erhöhten Neigung zu Selbstmordversuchen festgestellt. Daher wurde anhand der Informationen über die Mütter und im Abgleich mit der dänischen Krankenhaus-Datenbank, in der auch die psychiatrischen Diagnosen mit der persönlichen Identifikationsnummer der Patienten gespeichert war, sowie mit der Todesfall-Datenbank noch einmal nach diesem Zusammenhang gesucht. Gefunden wurden 994 aus der Kohorte, die Gewalt gegen sich selbst ausgeübt haben, 78 davon haben Selbstmordversuche begangen, 18 haben sich umgebracht. 8 der 18 Frauen, die selbst getötet haben, waren seropositiv, also mit Toxoplasma infiziert. 261 starben durch andere Gründe als Selbstmord, 616 waren in der Zeit ausgewandert.
Obgleich die Zahl der Selbstmorde im Verhältnis zur Gesamtzahl ziemlich klein ist, errechneten die Wissenschaftler, dass seropositive Frauen ein 1,53 Mal größeres Selbstmordrisiko haben als seronegative Frauen. Ist die Antikörperkonzentration sehr hoch, steigt das Risiko. Eine etwas breitere Datenlage bietet die Analyse der Selbstmordversuche, die mit Gewalt gegen sich ausgeübt werden. Hier liegt das relative Risiko der infizierten Frauen bei 1,81, beim Selbstmordrisiko liegt das relative Risiko bei 2,05.
Natürlich kann man aus der festgestellten statistischen Korrelation nicht schließen, dass eine Toxoplasma-Infektion die Ursache für ein erhöhtes Suizidrisiko ist. Es könnte durchaus sein, dass womöglich Menschen mit einer Immunschwäche, die leichter von dem Parasiten infiziert werden, durch unbekannte Zusammenhänge auch ein erhöhtes Suizidrisiko haben. Ob es entsprechende Zusammenhänge bei Männern und bei allen Frauen gibt, geht aus der Studie auch nicht hervor. Und wenn der Parasit tatsächlich entsprechende Veränderungen im Gehirn vornehmen sollte, dann müsste die Selbstmordneigung auch durch eine Behandlung des Parasiten sinken. Dumm nur, dass man den Parasiten noch nicht wirksam bekämpfen kann. Unbekannt ist auch, worauf die Wissenschaftler hinweisen, ob verschiedene Toxoplasma-Stämme unterschiedliche Folgen in den Gehirnen der Wirte haben können.
Gleichwohl bleibt Toxoplasma gondii als Paradeparasit für Verhaltensveränderungen bei Menschen als ihren (Zwischen)Wirten auf jeden Fall weiter interessant - nicht nur für die Psychologie, sondern auch für die Philosophie (Aushebelung der Willensfreiheit).