Erik Jan Hanussen - Hokus-Pokus-Tausendsassa
Seite 3: Hitlers Hellseher
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Der neureiche Hanussen veranstaltete für die Berliner Schickeria auf seiner Yacht Orgien, bei denen er seinen Gästen u.a. willige Damen und Knaben anbot. Zu seinen Gästen zählte auch der SA-Führer von Berlin-Brandenburg (und spätere Berliner Polizeichef) Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, dem Hanussen - nach Bruno Frei - einen 14jährigen Inder zugeführt haben soll, den dieser bis zur Bewußtlosigkeit „bestrafen“ durfte. Lebemann Helldorf, auch dem Okkulten zugeneigt, hatte noch weitere Laster, etwa Spielsucht, Hanussen beglich Helldorfs hohe Schulden gegen Schuldscheine. Ebenso großzügig zeigte er sich gegenüber Helldorfs Rivalen Karl Ernst sowie Sturmbannführer Wilhelm Ohst und SA-Chef Ernst Röhm. Der inzwischen äußerst vermögende Hanussen stellte seinen Freunden von der SA repräsentative Limousinen wie seinen Bugatte und seinen Cadillac zur Verfügung, machte der SA Sachspenden und wurde selbst förderndes Mitglied der SA. Diese wiederum besorgte bei Hanussens Vorstellungen fortan den Saalschutz gegen kommunistische Störtrupps, die von Juhn und Frei organisiert waren.
Hanussen und Hitler
Viele Indizien sprechen dafür, das Helldorf seinen engen Freund Hanussen mit Hitler bekannt gemacht hat. So soll Hanussen Hitler in dessen damaligem Berliner Hauptquartier, dem Hotel „Kaiserhof“ mehrfach aufgesucht und beraten haben. Jedenfalls machte Hanussen in seiner Zeitung Hitler und der NSDAP gefällige Prophezeiungen, die auch aktuelle Themen betrafen wie die Strasser-Krise, die Hanussen aufgrund seiner persönlichen Kontakte zu Otto Strasser „vorausgesehen“ haben dürfte.
Palast des Okkultismus
Hanussen erwies sich als geschickter Gastgeber im dekadenten Berlin der Weimarer Republik. Seine Orgien hatten oft einen okkulten Anstrich, etwa den eines indischen Sexualkults zu Ehren der vierarmigen Göttin Saraswati. Der Magier zelebrierte Luxus in einer Zeit bitterer Armut. 1933 ließ er sich in der Berliner Lietzenburger Straße einen sagenhaften „Palast des Okkultismus“ einrichten, der futuristisch nur vom feinsten möbliert war und über versteckte Abhörsysteme und allerhand Spielereien verfügte. So zelebrierte er seine Orakel in einem runden Glastisch sitzend, der „astrologischen Bar“.
Pressefehde
Wie andere Wahrsager auch wagte Hanussen in seiner Zeitung öffentliche Vorhersagen, wobei er die zahlreichen Fehler herunterspielte, Zufallstreffer jedoch ausgiebig feierte. U.a. sagte Hanussen auch Aktienkurse voraus. Da seine Leser die Aktie in großer Zahl kauften, stieg dem Gesetz der Nachfrage entsprechend der Kurs („Hanussen-Hausse“). Dies „bewies“ nicht nur Hanussens Fähigkeiten als Hellseher, sondern dürfte auch dessen zweckmäßig eingerichtetes Aktienportfolio aufgebessert haben.
In seiner Zeitung machte er immer wieder Andeutungen wie, dieser Reichstag sei der letzte. Neben bürgerlichen Kritikern wie Hellwig war Hanussen insbesondere bei der kommunistischen Presse verhasst. Bruno Frei schrieb in der „Weltbühne“ gegen Hanussen an, der in Goebbels Zeitung „Der Angriff“ zunächst hochgelobt worden war. Frei wurde von Juhn beraten, der als aktiver Zionist auch ein politisches Interesse daran hatte, Hanussen zu demaskieren. So enthüllte Juhn, dass der von den Nazis gefeierte Hanussen jüdischer Abstammung war, was nach den kommunistischen Zeitungen schließlich auch „Der Angriff“ druckte. Juhn schrieb sogar einen Brief an Hitler!
Hanussen ging gegen Frei mit rechtlichen Mitteln vor und zog seine Autobiographie zurück. Doch seine nun nicht mehr zu leugnende jüdische Abstammung belastete sein Verhältnis zu den Nationalsozialisten. Superstar Hanussen glaubte, durch eine kurzfristig angesetzte christliche Taufe, NSDAP-Parteieintritt (nicht endgültig nachgewiesen) und vor allem durch seine Kontakte geschützt zu sein, standen doch die wichtigen SA-Führer Helldorf und Ernst in seiner finanziellen Schuld.
Reichstagsbrand
In seiner Zeitung orakelte Hanussen in „Horoskopen“, dass das Ende des Reichstages bevorstehe. Es sei auch in Kürze mit einem kommunistischen Anschlag zu rechnen, auf den Hitler angemessen reagieren werde. Bei der Eröffnung seines „Palastes des Okkultismus“ am 26.02.1933 machte er Andeutungen über einen bevorstehenden Großbrand, die zunächst jedoch nicht publiziert werden durften. Dennoch berichtete das „12 Uhr-Blatt“. Einen Tag später brannte das Reichstagsgebäude, was die Nazis „veranlasste“, in großem Umfang Verhaftungen ihrer Gegner vorzunehmen.
Als Verdächtiger wurde der geistesschwache Marinus van der Lubbe festgenommen, der die Nacht zuvor in einem Polizeiasyl in Henningsdorf zugebracht hatte. Der Verdächtige wurde vom Reichsgericht als einer der kommunistischen Täter präsentiert, dessen Mittäter und Hintermänner nicht gefaßt werden konnten, und im Januar 1934 in Leipzig guillotiniert.
Verschiedenen zeitgenössischen Quellen zufolge soll der Reichstagsbrand, der politisch einzig den Nazis genutzt hatte, sogar eine Idee des PR-Profis Hanussen gewesen sein, der auch van der Lubbe vorher hypnotisiert haben soll. Der angeblich kommunistische Anschlag ermöglichte die politische Durchsetzung der Notstandsgesetze, die den Rechtsstaat bis 1945 außer Kraft setzten. Konsequenterweise wurde Hanussen als unbequemer Mitwisser intimer Details der „Machtergreifung“ eines der ersten Opfer des totalitären Regimes.
Tod eines Hellsehers
Hanussen scheint durchaus geahnt zu haben, dass er zu hoch gepokert hatte, denn er hatte ab April 1933 ein Engagement in Wien angenommen, wo seine für 10 Jahre befristete Ausweisung gerade abgelaufen war. Doch wie der vormalige Reichstagspräsident Paul Löbe berichtete, schienen die Nazis Wind von seinen Plänen bekommen zu haben.
In einem internen Bericht des SA-Gerichts schilderte SA-Mann Rudolf Steinle, er habe am 24. März 1933 vom neu ernannten SA-Gruppenführer von Berlin-Brandenburg, Karl Ernst, den Befehl bekommen, “Hanussen umzulegen“. Helldorf war kurzfristig abgesetzt worden, möglicherweise deshalb, weil er gezögert haben könnte, seinen Freund Hanussen ermorden zu lassen. Den Herren Ohst und Ernst, die auf diese Weise nicht nur einen lästigen Mitwisser los wurden, sondern auch ihren Gläubiger, waren solcherlei Skrupel offenbar fremd. Neben Ohst und Steinle war auch Kurt Egger aus dem Begleitstab Hitlers am Mordkommando beteiligt, was auf einen direkten Befehl des „Führers“ schließen lässt.
Hanussen wurde in seiner Wohnung festgenommen, in die Berliner SA-Kaserne in der Papestraße Kaserne in der Papestraße gebracht und soll gegen 24 Uhr wieder frei gelassen worden sein. Danach sei er von unbekannten Tätern erschossen worden, so das offizielle Protokoll.
Laut „Völkischem Beobachter“ soll sich Hanussen am 25. März wegen Einschleichens in die NSDAP mit falschen Papieren in Haft befunden haben. Der Presse wurde verboten, über den Fall zu berichten. Die Ermittlungen zur Mordsache mussten auf Anweisung des Justizministeriums eingestellt werden.
Es hat den Anschein, dass Ernst mit den erbeuteten Schuldscheinen Helldorfs diesen anschließend erpresste. Jedenfalls wurde Helldorf am Tag nach Hanussens Ermordung zum Polizeipräsidenten von Potsdam ernannt, in dessen Zuständigkeitsbereich man Hanussens Leiche erst nach Wochen stark entstellt in einem Waldstück auffand. Als „Erik Jan Hanussen“ liegt Steinschneider auf dem Friedhof in Berlin-Stahnsdorf begraben.
Cover Up
Eine Ausgabe der „Hanussen-Zeitung“, in der vermutlich der Kontakt zwischen Hanussen und Hitler belegt wird, ist aus allen Archiven verschollen. Auch die Akte der Kriminalpolizei zur „Leichensache Steinschneider“ ist verschwunden, so dass die Presse lange nur rätseln konnte.
Hitler beerbte Hanussen als Kreditgeber Helldorfs und Prophet in eigener Sache. Ein Jahr später ließ Hitler Karl Ernst beim sogenannten "Röhm-Putsch" liquidieren. Ohst geriet wegen finanzieller Ungereimtheiten in Bedrängnis. Er lebte vermutlich nach dem 2. Weltkrieg unter falschem Namen. Gegen Steinle wurde ein parteigerichtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, das jedoch aufgrund dessen Abkommandierung zur „Leibstandarte Adolf Hitler“ eingestellt wurde. Steinle fiel wie auch Egger im 2. Weltkrieg.
Privatsekretär Dzino war sofort nach Hanussens Verhaftung nach Österreich geflohen, wo er ein Enthüllungsbuch ankündigte. Eine Serie mit dem Vorabdruck in der sozialdemokratischen Zeitung „Der Morgen“, die in Deutschland wegen ihrer „Verleumdungen“ verboten war, wurde während des Reichtstagsbrandprozesses ohne Erklärung abgebrochen. Das deutsche Außenministerium habe interveniert, so Hanussens letzte Geschäftspartnerin, Elisabeth Heine. Dzino soll sein Manuskript erfolglos auch ausländische Zeitungen angeboten haben. 1937 soll Dzino seine Familie und anschließend sich selbst erschossen haben, wobei ihm offenbar „drei, vier Herren aus Deutschland in langen Ledermänteln“ behilflich waren. Der Leiter der Wiener Staatspolizei Weiser, dem Dzino sein Manuskript übergeben haben soll, wurde nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 ins KZ gebracht. (Die Österreicher Behörden sind bis heute bei der Aufklärung des Falles Hanussen unkooperativ.)
Nach dem England-Flug des okkultgläubigen Führer-Stellvertreters Rudolf Hess verboten die Nazis Astrologie u.ä., betrieben aber heimlich entsprechende okkulte Forschungen weiter. Helldorf, der zum Berliner Polizeichef aufgestiegen war, fand schließlich zum Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 und wurde nach dem Scheitern des Hitlerattentats gehängt. Sein Richter Roland Freisler hatte noch 1932 Helldorf als Anwalt wegen der SA-Judenpogrome verteidigt. Der Chauffeur des Mordkommandos wurde 1968 vernommen, ohne dass man ihm eine Tatbeteiligung nachweisen konnte.
Der Leiter der politischen Abteilung der preußischen Polizei, Rudolf Diels, der nach dem Reichtstagsbrand die Verfolgungen von Kommunisten organisiert und gemeinsam mit Karl Ernst die Vollzugsmeldung des Mordes an Hanussen entgegen genommen hatte, wurde erster GeStaPo-Chef. 1949 lancierte Diels im „SPIEGEL“ die „Einzeltätertheorie“ und schob wie schon Karl Ernst den Hanussenmord auf Helldorf. Diels verstarb 1957 an einem angeblichen Jagdunfall, nachdem er im „stern“ über die Hintergründe des Reichstagsbrandes auspacken wollte.
Rezeption
Hanussens Geschichte wurde 1955 von und mit O.W. Fischer verfilmt ("Hanussen"), der den Magier persönlich gekannt hatte und mit einem früheren Hanussen-Mitarbeiter befreundet war. Der Film wurde nie im deutschen TV ausgestrahlt, möglicherweise deshalb, weil dessen Darstellung des Reichstagsbrands inzwischen politisch nicht mehr erwünscht war. So sah man bei O.W. Fischer die Brandstifter durch den unterirdischen Gang zwischen Reichstagspräsidentenpalais und Reichstagstagsgebäude marschieren. Die ostdeutsche DEFA konterte im gleichen Jahr mit „Der Teufelskreis“ und 1972 mit dem Fernsehfilm „Die Brüder Lautensack“ nach Lion Feuchtwanger.
Der Regisseur Géza von Cziffra, dem Dzino seinerzeit sein Manuskript gezeigt hatte, verarbeitete seine Erinnerungen 1978 in dem Roman „Hanussen. Hellseher des Teufels“. Istvan Szabo inszenierte 1988 mit Klaus-Maria Brandauer „Hanussen“ in einer sehr freien Fassung, in der Hanussen nicht als Jude erkenntlich ist und als Märtyrer stilisiert wird.
1998 legte der Physiker und Psychologe Dr. Wilfried Kugel eine aufwendig recherchierte Biographie vor, die trotz ausgezeichneter Presse-Kritiken vom Fernsehen weder besprochen wurde, noch zum Anlass für eine überfällige Dokumentation über die historisch heikle Person des zwielichtigen Hellsehers genommen wurde.
Gary Bart, ein Großneffe von Hanussens Konkurrenten Breitbart, gab bei Prof. Mel Gordon eine für den Kraftartisten schmeichelhafte englischsprachige Biographie („Hanussen. Hitler's Jewish Clairvoyant“, 2001) in Auftrag, die sich üppig aus Kugels Buch bediente, aus erfundenen Dokumenten zitierte und den schlechten Juden Hanussen noch schlechter machte. Bart produzierte zeitgleich auch Werner Herzogs naiven Film "Invincible" ("Unbesiegbar!) (2001), der Breitbart ein kaum verdientes Denkmal setzen sollte und an der Kinokasse floppte.