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Erneut Ärger in der Mazedonien-Problematik

Alexis Tsipras und Zoran Zaev nach Unterzeichnung der Prespes-Vereinbarung am 17. Juni 2018. Foto: Влада на Република Македонија from Македонија - Потпишување на договорот за македонско-грчкиот спор [17.06.2018, Преспа] / gemeinfrei

Neuwahlen in Griechenland kann nur Tsipras auslösen

Am 15. Januar soll das Parlament in Skopje in der EJR Mazedonien (vorläufiger UNO-Name) oder Nord-Mazedonien (Name gemäß des Vertrags von Prespes) mit einer Abstimmung zur Änderung einiger Verfassungsartikel die letzten Bedingungen für den Vertrag von Prespes hinsichtlich des Namensstreits mit Griechenland erfüllen.

Danach liegt der Ball im griechischen Feld. Je näher die Entscheidung für die Parlamentarier der Vouli der Hellenen, wie das griechische Parlament heißt, rückt, umso fraglicher wird es, ob der Vertrag seine letzte Hürde nimmt.

Bricht Zaev den Prespes-Vertrag?

Die griechischen Medien zeigten mehrfach Videos mit Ansprachen des Premierministers der Nachbarrepublik. Dieser nennt sein Land schlicht Mazedonien und die Sprache, welche die Bürger des Landes sprechen, kurz Mazedonisch. Unabhängig davon, dass außer in Griechenland so ziemlich in allen Ländern der Erde die gleiche Praxis geübt wird, stellt dies streng genommen einen Verstoß gegen den Vertrag von Prespes dar, - meinen nicht nur die Griechen.

Sie sprechen der in der Nachbarrepublik üblichen, allgemeinen Amtssprache den Status einer eigenständigen Sprache ab. Die Griechen sind mit ihrer Meinung nicht allein. Auch aus Bulgarien gibt es Proteste und Einsprüche gegen die Anerkennung einer mazedonischen Sprache. Der bulgarische Verteidigungsminister Krasimir Karakachanov betonte [1] im bulgarischen Fernsehen, dass es keine mazedonische Sprache gebe und dass der Nachbarstaat mit der derzeitigen Einstellung der politischen Führung keinesfalls Mitglied in der EU und in der NATO werden könne.

Dabei ist zu beachten, dass es auch in Bulgarien nationalistisch gesinnte Bürger gibt, welche Mazedonien als ihr Territorium betrachten. Denn ein Teil der geographischen Region Mazedonien liegt auch in Bulgarien. Vor den Balkankriegen und der so genannten kleinasiatischen Katastrophe, die hunderttausende Griechen aus der heutigen Türkei nach Griechenland verschlug, waren auch heute nordgriechische Dörfer von Bulgarisch sprechenden Menschen bewohnt. Der gesamte Balkan war schließlich hunderte Jahre unter der Verwaltung des osmanischen Reichs. Die heute existierenden nationalen Grenzen gab es nicht.

Das gesamte Gebiet Mazedoniens war im vergangenen Jahrhundert nach dem Zerfall des osmanischen Reichs ein Schauplatz vielfachen Bevölkerungsaustauschs. Exemplarisch dafür ist, dass der Gründer der heutigen Türkei, Mustafa Kemal, genannt Atatürk, in Thessaloniki geboren wurde. Bei vielen der damaligen Bewohner wurde die ethnische Zuordnung über die jeweilige Muttersprache und die Religion bestimmt.

Jede Diskussion über mögliche Grenzverschiebungen, ethnische Minderheiten jenseits einer Landesgrenze aber auch über Namen von Ortschaften ruft Reaktionen hervor, die für westliche Europäer nicht immer rational nachvollziehbar sind.

Nun gibt es in Nordgriechenland aus welchen Gründen auch immer Menschen, welche den slawischen Dialekt - als solcher ist er international anerkannt - der EJR Mazedonien sprechen. Nationalistisch denkende Griechen sprechen diesen Menschen das Recht ab, sich als mazedonische Minderheit zu bezeichnen. Das nationalistische Denken ist jedoch nicht nur auf die üblichen Verdächtigen, die Anhänger rechtskonservativer oder rassistischer Ideologien beschränkt, sondern quer Beet bei Parteigängern sämtlicher politischer Strömungen existent.

Innenpolitische Spiele mit außenpolitischer Wirkung

Als Zoran Zaev, Premierminister der EJR Mazedonien / Nord-Mazedonien, vor den eigenen Landleuten über die mazedonische Sprache, die mazedonische Identität und über mögliche Sprachschulen zur Lehre der Sprache in Nordgriechenland philosophierte, mag er vielleicht keine Gebietsansprüche im Sinn gehabt haben. Aber genauso wurde es jenseits der Grenze von den Kritikern des Prespes-Vertrags aufgefasst. Die entsprechenden Medienberichte sehen gar vorgezogene Neuwahlen in Athen als real existierende Gefahr.

Weil das Thema eng mit Syriza und dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras verbunden ist, dient es oppositionellen Kräften und vor allem den Medien als reißerischer Aufhänger für Regierungskritik. In den Hauptnachrichten der Sender Skai, Star und Ant1 wurden die sicherlich innenpolitisch gemeinten Sprüche Zaevs fast zu einer Art Kriegserklärung aufgebauscht.

Die Tatsache, dass Zaev selbst in der eigenen Heimat unter erheblichem Druck nationalistischer Kräfte und der im Land lebenden ethnischen Minderheiten steht, wird den griechischen Medienkonsumenten in keiner Weise vermittelt. So viel einschlägige mediale Berichterstattung bleibt nicht ohne Echo.

In Nordgriechenland - und nicht nur dort - besetzten Schüler ihre Schulen aus Protest gegen den Prespes-Vertrag. Die der Regierung wohl gesinnten Medien erklärten diese Schüler pauschal zu Opfern von faschistischer und nationalsozialistischer Propaganda, die Oppositionsmedien führten als Gegenargument von linken Ideologen begrüßte Schulbesetzungen der Vergangenheit ins Gefecht. Sieger in diesem bizarren Streit sind vor allem in Nordgriechenland nationalkonservative bis rechtsextreme Parteien. Sie erfreuen sich eines großen Zuspruchs bei den Umfragen.

Das wiederum setzt die einzelnen Abgeordneten der Parteien unter Druck. Denn sie müssen spätestens im Oktober 2019 auf die Jagd nach persönlichen Wahlstimmen gehen. Sie machen es, wie es momentan überall auf der Welt geschieht, indem sie die von rechten Populisten ausgegebenen Parolen als eigene Einstellung übernehmen. Dabei ist ihnen nicht klar, dass sie damit auf der gegenüberliegenden Seite der Grenze die nächste Eskalationsstufe hervorrufen.

Wo es rechte Populisten gibt, sind auch nach eigener Einordnung als links einzuordnende Populisten nicht weit. Die im Streit über Tsipras Schwenk zum Sparkurs von Syriza abgespaltenen Parteien Popular Unity (Laiki Enotita /LAE) unter Panagiotis Lafazanis und die Plefsi Eleftherias unter der früheren Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou treten als linke "Makedonomachen", als Streiter für die Rechte der (griechischen) Makedonen auf.

Superwahljahr in Griechenland

2019 wird für die Griechen ein Super-Wahljahr. Im Mai stehen Europawahlen, Regionalwahlen und Kommunalwahlen an. Spätestens bis zum Oktober 2019 muss zudem ein neues Parlament gewählt werden. Finanziell gibt es für das Land auch nach nunmehr neun Jahren Finanzkrise kaum Spielraum.

Zudem vermag kaum einer der Griechen glauben, dass sich eine der großen Parteien gegen den von Brüssel und Berlin diktierten Sparkurs auflehnt. Schließlich haben sämtliche gewählte Regierungen, angefangen bei der Pasok 2009, der Nea Dimokratia 2012 und schließlich Syriza 2015 ihre Wahlkämpfe mit dem Versprechen zum Ende des Sparkurses gewonnen und danach einen noch härteren Sparkurs umgesetzt.

Derzeit verteilen sich die Parlamentssitze wie folgt. Syriza hat 145 Sitze. Die Partei bekam als stärkste Fraktion gemäß dem griechischen Wahlrecht fünfzig Bonussitze. Die Unabhängigen Griechen verfügen über sieben Abgeordnete. Zusammen mit einer die Regierung unterstützenden, unabhängigen Abgeordneten, der Vizeministerin für Bürgerschutz, Katerina Papakosta, stützen somit 153 Abgeordnete des Parlaments mit 300 Sitzen die Regierung. Diese halten in einer Art Burgmentalität zusammen.

Denn fast alle fürchten, dass sie bei Neuwahlen ihren gut dotierten Posten verlieren könnten. Wahlumfragen sagen Tsipras ein Debakel voraus. Die Regierungsabgeordneten hoffen somit inständig, dass sich in den Monaten bis zum letztmöglichen Wahltermin noch etwas zu ihren Gunsten ändert.

Als größte Oppositionspartei hat die Nea Dimokratia 77 Abgeordnete, es folgt - als Dimokratiki Symmachia firmierend, der jetzt als KinAl bekannte Parteiverbund sozialdemokratischer Parteien mit zwanzig Sitzen. Die Goldene Morgenröte hat ebenso wie die kommunistische KKE fünfzehn Parlamentarier. To Potami zählt nunmehr sechs Abgeordnete und die Zentristen-Union verfügt über fünf Sitze. Neun Parlamentarier sitzen nach Parteiausschluss oder -austritt fraktionslos in der Opposition.

Das Mazedonien-Thema ist für die Parteien ein willkommenes Thema, um sich von den Konkurrenten zu unterscheiden. Im Parlament, welches den Prespes Vertrag absegnen muss, bestimmt dies nun die möglichen Mehrheitsverhältnisse.

Die Nea Dimokratia unter Kyriakos Mitsotakis hat sich bereits frühzeitig gegen den Vertrag von Prespes positioniert. Mitsotakis Partei hat sich von einer konservativen, wirtschaftsliberalen Partei, welche sie in den Nullerjahren war, zu einer rechtsnationalistischen Law & Order-Partei gewandelt. Der um sein eigenes politisches Überleben kämpfende, ansonsten als überzeugter Europäer auftretende Mitsotakis überlässt daher gern seinem Kontrahenten Tsipras die, von EU und NATO geforderte Erfüllung des Prespes Vertrags.

Die KinAl, Bewegung der Wende - früher als Pasok bekannt, stand der Lösung des Namenskonflikts zunächst positiv gegenüber, hat sich aber mittlerweile zu einer kritischen Haltung entschlossen. Sie steht damit in Tradition zum Pasok-Gründer Andreas Papandreou, der 1993 mit der Mazedonien-Frage seinen damaligen Gegner Konstantinos Mitsotakis zu Fall brachte. Konstantinos Mitsotakis, Kyriakos Mitsotakis Vater, hatte öffentlich geäußert, es wäre ihm egal, wie sich das Nachbarland nennen würde. Das kostete ihn den Premierministerposten.

Die Haltung der rechtsextremen Goldenen Morgenröte zu Mazedonien-Frage ist konstant die Ablehnung jeglichen Namensbestandteils mit "Mazedonien" für die Nachbarrepublik. Schließlich war die damalige Splitterpartei durch ihr Engagement im Namensstreit in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts erst landesweit bekannt geworden.

Streng gegen den Vertrag opponiert zudem die Zentristen- Union unter Vassilis Leventis. Aus wahltaktischen Gründen ist dies vollkommen nachvollziehbar. Leventis Partei kam nach Jahrzehnten des außerparlamentarischen Daseins mit den Stimmen der Nordgriechen ins Parlament. Zu denen, die den Vertrag von Prespes ablehnen, gehört zudem die kommunistische KKE.

Ihr kommt jedoch eine Schlüsselrolle zu. Denn die KKE hat keine nationalistisch motivierten Einwände, sondern vielmehr eine Ablehnung gegen EU und NATO. Sie bemängelt, dass der Vertrag das Nachbarland in beide ungeliebte internationale Staatenvereinigungen drängen würde.

Die unabhängigen Parlamentarier im Parlament stammen überwiegend aus dem national gesinnten Lager. Ihre Einstellung zur Mazedonien-Frage ist damit klar gegen den Prespes-Vertrag.

Schließlich bleibt als Parteifraktion noch die unter Mitgliederschwund leidende Partei To Potami. Ursprünglich stand deren Parteichef Stavros Theodorakis dem Prespes-Vertrag wohlwollend gegenüber. Er opponierte im Parlament stetig gegen Tsipras, votierte aber für Gesetzesnovellen, die seiner linksliberalen Ideologie entsprachen. Zwischenzeitlich war To Potami auch Mitglied in der KinAl, wandte sich jedoch von ihr ab, als letztere ihr sozialdemokratisches Profil verwässerte.

Dies alles kostete Theodorakis Parlamentarier, die von seiner Fraktion zur KinAl und zur Nea Dimokratia wechselten. Nun äußerte Theodorakis angesichts der Äußerungen Zaevs Bedenken. Dies allein reichte, um das politische Leben in Athen aufzuschrecken. Denn mit den Stimmen von To Potami wollte Tsipras den Prespes-Vertrag durchs Parlament bringen.

Der Koalitionspartner von Syriza, die Unabhängigen Griechen unter Panos Kammenos, werden dem Vertrag nämlich nicht zustimmen. Der nationalkonservative Kammenos, der als Umfaller bekannt ist, verliert vor allem in Nordgriechenland massenweise Anhänger an die Konkurrenz. Seine Zustimmung zum Prespes-Vertrag würde ihn nach 25 ununterbrochenen Jahren als Parlamentarier endgültig aus dem Parlament kegeln.

Welche Mehrheit ist notwendig in Athen?

Für die Ratifizierung des von den Regierungen Athens und Skopjes unterschriebenen Vertrags von Prespes ist eine einfache Mehrheit im Parlament notwendig. Das ergibt für Tsipras zusätzliche Optionen. Theoretisch kann der Vertrag allein mit den Stimmen von Syriza abgesegnet werden, wenn die KKE sich zur Abgrenzung von den nationalistisch argumentierenden Oppositionsparteien und den Unabhängigen Griechen der Stimme enthält.

Ob Theodorakis schlussendlich gegen den Vertrag stimmt, ist nicht klar. Denn mindestens drei seiner Abgeordneten haben zwischenzeitlich öffentlich betont, dass sie trotz aller Bedenken für den Vertrag stimmen würden.

Das, was die Propheten vorgezogener Parlamentswahlen in Griechenland jedoch gern übersehen, ist die Tatsache, dass Tsipras nicht automatisch den Posten verliert, wenn der Vertrag von Prespes keine absolute Mehrheit im Parlament bekommt. Denn dazu müsste gemäß der Verfassung entweder ein Rücktritt Tsipras erfolgen oder aber ein Misstrauensvotum die absolute Mehrheit erhalten.

Kammenos hat bereits betont, dass er zwar den Vertrag als solchen im Parlament vehement ablehnen würde, die Regierung jedoch weiterhin stützen wird. Zudem weiß Mitsotakis, dass er im Fall von Tsipras Scheitern auf Druck der Kreditgeber und der USA als nächster Premier, einer Einigung im Namensstreit zustimmen müsste.

Nichts wäre für sein politisches Überleben fataler, als sich den Namensstreit als politisches Problem aufzuhalsen. Der in Interviews redselige Vassilis Leventis betont bei jeder sich ergebender Gelegenheit, dass auch er vom US-Botschafter in Athen, Geoffrey Pyatt, unter Druck gesetzt wird, doch dem Vertrag von Prespes zuzustimmen.

Nur Tsipras kann Neuwahlen auslösen

Schließlich wird am Freitag, wenn Tsipras seine Ansichten zum Prespes-Vertrag in Thessaloniki öffentlich präsentieren wird, gleichzeitig vor dem Veranstaltungsort eine große Demonstrationsgruppe in Gelben Westen gegen den Vertrag protestieren. Aus dieser Gruppe möchte Mitsotakis in Konkurrenz zu den übrigen national eingestellten Oppositionsparteien Wähler rekrutieren.

Dies führt zu einem Paradoxon. Je größer die Protestdemo wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass Mitsotakis seinem Kontrahenten Tsipras für die Abstimmung über den strittigen Vertrag keine weiteren Steine in den Weg legen wird.

Die Ansicht, dass Tsipras über den Vertrag von Prespes stürzen könnte ist daher eher Wunschdenken der Opposition denn eine reale Gefahr für die Regierung. Das schließt jedoch nicht aus, dass Tsipras selbst in Eigeninitiative den Prespes-Vertrag für die Ausrufung von Neuwahlen nutzt.

Das wäre der Fall, wenn Tsipras durch ein außergewöhnliches Ereignis oder aber durch einen handfesten Skandal der Opposition einen früheren Wahltermin als günstig betrachtet.


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