zurück zum Artikel

Erste oder Letzte Generation?

Carla Hinrichs (re.) von der "Letzen Generation" spricht während einer Blockade der A100 in Berlin mit einer Journalistin, 10.02.22. Bild: Stefan Müller, CC BY 2.0

"Klima-Terroristen", "grüne RAF", "Ökofaschisten", "Putschisten gegen die Rechtsstaatlichkeit". Die Aufregung über die "Letzte Generation" und ihre Aktionen ist groß. Was das für die Aktivisten bedeutet.

Der Name "Letzte Generation" bedeutet nicht, dass sich die radikalen Jugendlichen dieser Gruppierung als die letzte Generation der Überlebenden der Klimakatastrophe sehen. Die Selbstbezeichnung geht auf eine Rede des früheren US-Präsidenten Barack Obama [1] zurück. Obama hatte im Jahr 2015 gesagt:

Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel am eigenen Leib spürt und die letzte Generation, die etwas dagegen tun kann.

Ob erste oder letzte Generation – das Problem ist erkannt. Von der Klimawissenschaft seit Jahrzehnten. Und von der Mehrheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger spätestens seit sich die schwedische Schülerin Greta Thunberg mit einem selbstgebastelten Pappschild und der Aufschrift "Schulstreik fürs Klima" vor den Reichstag in Stockholm gesetzt und eine weltweite Klimaschutzbewegung initiiert hat, der sich Millionen Menschen angeschlossen haben.

Der "Fridays for Future"-Bewegung folgten unter anderem die "Scientists for Future", die "Parents for Future", "Omas for Future" und sogar die "Churches for Future".

Die Bewegung war und ist erfolgreich. Greta Thunberg wurde in die UNO eingeladen, sprach auf internationalen Kongressen und mit der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sogar das Bundesverfassungsgericht ließ sich von ihr inspirieren.

Aber was hilft dem Klima wirklich?

Es fehlt also nicht an Erkenntnissen zum Klimawandel. Es fehlt freilich noch immer an der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz. Noch ist die Politik bis hin zu den Weltklimakonferenzen viel zu abhängig von der alten, fossil-atomaren Energiewirtschaft. (…)

Wir führen einen dritten Weltkrieg gegen die Natur und damit gegen uns selbst. So hat es soeben der UNO-Generalsekretär António Guterres zur Eröffnung der Weltnaturkonferenz in Montreal gesagt.

Wir haben die Wahl: Kollektives Handeln oder kollektiver Suizid.

António Guterres, 2022

Sind aber deshalb Verkehrsblockaden auf Straßen, Autobahnen und Flughäfen gerechtfertigt und hilfreich für die Rettung des Klimas? Ist es deshalb legitim und hilfreich, Kunstwerke mit Kartoffelbrei zu traktieren? Hilft das dem Klima wirklich? Darauf kommt es doch an.

Nötige Selbstkritik – auch bei Aktivisten

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Augsburger Allgemeinen Zeitung lehnen 81 Prozent der Deutschen die Aktionen der "Letzten Generation" ab, 86 Prozent denken, dass die Aktivisten dem Anliegen des Klimaschutzes schaden.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das gilt selbstverständlich auch beim Klimaschutz. Greta Thunberg und die von ihr initiierten Aktionen werden weltweit respektiert. Die Aktionen der Bilderstürmer und Verkehrsblockierer aber werden mehrheitlich abgelehnt. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt an einem Tag "Ärger gehört dazu", die Aktivisten helfen, "Veränderungen herbeizuführen", vermutet aber wenige Tage später: "Die Aktivisten überschreiten mit ihren Protesten die Grenze zur politischen Erpressung. Diese Radikalisierung wird die gesamte Klimabewegung schwächen."

Junge Menschen sollen und dürfen radikal sein im Sinne von Problemen auf den Grund und an die Wurzel (radix) gehen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch an die Folgen ihres Tuns selbstkritisch nachdenken müssten, wenn sie ernst genommen werden wollen.

Die Boulevard-Presse, die AfD und Teile der Unionsparteien machen sich mit ihrer radikalen Aufgeregtheit über die "Letzte Generation" geradezu lächerlich und lenken von ihrem eigenen Versagen beim Thema Klimaschutz ab.

Nun gilt: Protestieren und kämpfen für die solare Energiewende und gegen den Klimawandel ist überlebenswichtig für die Menschheit und für alles Leben. Wenn die Methoden allerdings von über 80 Prozent der Menschen abgelehnt werden, dann sind die Proteste eher kontraproduktiv. Die "Letzte Generation" sollte achtsamer sein [2] und über die Wirkung ihrer Proteste selbstkritisch nachdenken.

Terroristen sind sie jedoch nicht. Unruhegeister gehören zu jeder Demokratie, sonst ist sie keine.

Mehr von Franz Alt auf sonnenseite.com [3].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7379029

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/wir-sind-die-letzte-generation-die-etwas-gegen-den-klimawandel-tun-kann-4423192.html
[2] https://letztegeneration.de/forderungen/
[3] https://www.sonnenseite.com/de/