Erster Mai: Russische Gewerkschaften gegen Oligarchen und Kriegszündler
Seite 2: "Wirtschaft lahmt auf vier Pfoten"
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- "Wirtschaft lahmt auf vier Pfoten"
- Überfälle auf 1.Mai-Demonstrationen in der Ukraine
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Fröhlich ging es auch beim Marsch der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) zu. Es gab ein Blasorchester, Trommler, einen riesigen roten Hammer mit der Aufschrift "gefährlich" und ein Meer von roten Fahnen. An dem Marsch, der von der U-Bahn Station Oktjabrskaja vorbei am Kreml zum Bolschoi-Theater führte, nahmen 15.000 Menschen teil. Die Teilnehmerzahl der KPRF-Demo stagniert seit Jahren.
Michail, ein jüngerer Teilnehmer des Marsches, mit dem ich sprach, machte für die stagnierende Teilnehmerzahl die Politik von KP-Chef Gennadij Sjuganow gegenüber Wladimir Putin und den Oligarchen verantwortlich. "Sjuganow ist zu weich. Er beredet alles mit Putin", beschwerte sich mein Gesprächspartner.
Auf der Abschlusskundgebung forderte der KPRF-Vorsitzende den Aufbau einer Gesellschaft, "die von den arbeitenden Menschen geleitet wird, und nicht von Oligarchen und Dieben". Die Arbeitenden - so Sjuganow - demonstrierten heute "auf der ganzen Welt gegen einen neuen Krieg". Dass man heute erneut einen Krieg führen wolle, sei "nur im Interesse einer Handvoll von Oligarchen und Globalisierer. Russland werde heute von "feindlichen Kräften" eingekreist. Die amerikanischen Imperialisten "schüren heute erneut einen Krieg in der Ukraine".
Doch mit Solidarität könne man im heutigen "kriminell-bourgeoisen Russland" Erfolge erreichen. Als Beispiel führte der KPRF-Chef das von dem kommunistischen Gouverneur Sergej Lewtschenko geführte Gebiet Irkutsk an. Dieses Gebiet gehöre heute zu den fünf Regionen Sibiriens, die sich "am besten entwickeln".
Heftig kritisierte der KPRF-Chef, dass die russische Regierung die Finanz- und Wirtschaftspolitik "von Jegor Gajdar und Boris Jelzin" fortführe. Die Wirtschaft des Landes lahme "auf vier Pfoten", so der KPRF-Chef. Die Oligarchen würden von der Regierung weiter "bedient", obwohl "sie noch nicht mal normale Steuern zahlen wollen". Deshalb werde die soziale Situation im Land immer schwieriger.
Bürgerinitiativen umwogt von roten Fahnen
In der Marschkolonne der Kommunisten, die von der U-Bahnstation Oktjabrskaja zum Bolschoi-Theater zog, liefen mehrere Blocks von Bürgerinitiativen mit. So ein Block von Menschen, die sich um ihre Wohnungen betrogen fühlten. Diese Bürger hatten oft umgerechnet 100.000 Euro für eine Neubauwohnung bezahlt. Die Bauherren ziehen den Bau jedoch in die Länge, einer hat sich ins Ausland abgesetzt. Es wird kritisiert, dass den betrogenen Wohnungskäufern vom Staat nicht geholfen werde. "Putin, baue Wohnungen!", riefen die Demonstranten.
In einem anderen Demonstrationsblock wurde der Erhalt der Moskauer Trolleybusse gefordert. Der Moskauer Bürgermeister will die Oberleitungsbusse angeblich abschaffen und durch Mini-Busse und Taxis ersetzen.
Auch eine Abordnung der seit Ende März streikenden Fernfahrer beteiligte sich an der 1. Mai-Demonstration. Die Fahrer - vor allem kleiner Speditionen - fordern die Abschaffung der Ende 2015 eingeführten Fernstraßen-Maut, welche den Kleinbetrieben die Luft abschnüre.
Die KPRF-Abspaltung "Vereinigte Kommunisten" rief zu einer eigenen Demonstration auf. Der Demonstrationszug startete mit 1.000 Teilnehmern von einem Platz vor dem "Weißen Haus", auf dem 1993, beim Kampf zwischen Obersten Sowjet und Präsident Boris Jelzin, Barrikaden standen. Im Schlepptau der "Vereinigten Kommunisten", deren Vorläuferpartei bei den Duma-Wahlen 2016 2,27 Prozent der Stimmen bekam, marschierte unter den Rufen "Wegnehmen und Aufteilen" und "Nation, Heimat, Sozialismus" ein kleiner Block der Partei "Anderes Russland", die vom Nationalbolschewisten und Schriftsteller Eduard Limonow geführt wird.
Zehn LGTB-Aktivisten festgenommen
Bei der Erste-Mai-Demonstration in St. Petersburg wurden zehn LGBT-Aktivisten festgenommen, meldete das Internetportal Gazeta.ru. Die Aktivisten hatten sich aus Protest gegen die Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien auf die Straße gelegt und damit den Tod symbolisiert. Die Macht in Tschetschenien wehrt sich gegen die Vorwürfe der Nowaja Gazeta, in der Kaukasusrepublik würden Homosexuelle gefoltert und sogar ermordet.
In Nowosibirsk fand dieses Jahr am 1. Mai wieder eine Monstrazija (Wort-Abwandlung des Wortes Demonstrazija) statt (Bild-Reportage ab Foto Nr. 24). In bewusster Abgrenzung zu offiziellen Erste-Mai-Parolen werden auf "Monstrazija"-Aktionen Aussprüche von Politikern und Redewendungen durch Änderungen ins Absurde geführt. So stand auf einem Plakat: "Hören Sie auf, die Gefühle der sich Bereichernden (Worujuschich) zu verletzen!" Das war eine Anspielung auf die in letzten Jahren von konservativen Kräften immer wieder vorgebrachte Warnung, dass man die Gefühle der Gläubigen (Werujuschich) nicht verletzen dürfe.