"Es gab da Massenmorde": Was noch fehlt in der Documenta-Debatte

Seite 2: Adenauer, Carstens und die indonesischen Militärs

Globkes Amtszeit in der BRD währte bis 1963. Dann übernahm Ludwig Erhard die Kanzlerschaft. Doch als Konrad Adenauer 1966 Ben Gurion in Tel Aviv traf, empfingen den CDU-Bundeskanzler israelische Demonstranten, die gegen seine Kumpanei mit Globke protestieren. Erhard gilt als Transatlantiker und ist im Westbündnis ein noch USA-treuerer Partner als der "Gaullist" Adenauer. 1965 planten Washington und London eine streng geheime Intervention in Jakarta.

Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass Erhards Staatssekretär Karl Carstens unter Anleitung von US-Geheimdiensten Kontakte zu rechtsextremen Militärs in Indonesien knüpfen sollte. Dass dabei die westdeutsche Staatskasse in Regime-Change-Pläne der USA eingebunden wurde, enthüllte T-Online vor zwei Jahren.

Dafür spricht auch die Nähe des BND zu federführenden US-Geheimdiensten, die den gewaltsamen "Regime Change" in Indonesien nach dem Muster der US-Operationen in Guatemala und Iran organisierten. In westdeutschen Geschichtsbüchern suchte man den Indonesian Genocide vergeblich, man fand dort nur die Propaganda-Version der Putschisten, sie hätten einen kommunistischen Umsturzversuch niedergeschlagen. Damit wurde den Opfern des Massenmordes an bis zu drei Millionen Menschen auch noch die Schuld dafür in die Schuhe geschoben.

Wobei das wahre Ausmaß des Massakers ohnehin jahrelang und bis heute herunter gespielt wurde. Lange waren es in westlichen Schul- und Geschichtsbüchern nur einige Tausend Tote (in der DDR war das anders, aber das tat man im Westen als "Propaganda" ab). Inzwischen, wo nicht mehr zu leugnen ist, dass mindesten eine halbe bis eine Million Opfer zu beklagen sind, spricht man von "Hunderttausenden" Toten.

"Es gab da Massenmorde"

Bei unseren Kulturpolitikern, -Managern und -Journalisten dürfte historisches Wissen über die oft peinlich verschwiegenen Aspekte westlicher Politik eher rar sein. Immerhin erwähnt Elke Buhr, Chefredakteurin des Kunstmagazins Monopol, im NDR-Interview die Suharto-Diktatur. Doch vom Ausmaß der Verbrechen oder gar von möglichen westdeutschen Verstrickungen scheint sie aber nicht gehört zu haben:

Taring Padi ist eine Gruppe, die sich Ende der 1990er-Jahre gegründet hat, aus der Erfahrung der Diktatur Suhartos, die da gerade zu Ende ging. Das war eine sehr harte Erfahrung für Indonesien: Das war ein Diktator, der als der korrupteste Diktator der Welt galt. Es gab da Massenmorde. Suharto wurde von den westlichen Mächten im Rahmen des Kalten Krieges unterstützt, wie das so oft war bei diesen Regimes. Diese Gruppe nutzt Agitprop-Ästhetik, Karikaturen, sehr politische Zeichnungen und Banner dazu, um Kunst in die Gesellschaft zu tragen.

Elke Buhr im NDR

Elke Buhr hatte zeitweise die documenta-Kuratoren gegen die Vorwürfe des Antisemitismus in Schutz genommen. Sie hatte für Verständnis mit Künstlern aus den Ländern des Südens und für die Freiheit der Kunst plädiert. Das großflächige Wimmelbild People‘s Justice wurde seit 20 Jahren ausgestellt, meist in Indonesien, aber auch in Australien - wo es, nebenbei bemerkt, die dortige jüdische Gemeinde offenbar nicht zu Protesten anregte.

Bundespräsident, Kunst und Politik

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte in seiner kritischen Documenta-Rede, die Kunst müsse sich, wenn sie das Terrain der Politik betrete, an politischen Maßstäben messen lassen, könne sich nicht auf die Freiheit der Kunst berufen. Steinmeier setzte sich aber nicht wirklich mit dem als antisemitisch inkriminierten Kunstwerk auseinander, geschweige denn mit dessen Hintergrund: Der Indonesian Genocide von 1965/66 gilt als der nach dem Holocaust zweitschlimmste Völkermord des 20.Jahrhunderts mit mindestens einer halben bis drei Millionen Todesopfern.

Massakriert wurde von den an die Macht geputschten Militärs und ihren Todesschwadronen die Kommunistische Partei Indonesiens, die mehr als drei Millionen Mitglieder zählte. Ganze Familien wurden grausam getötet, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde danach jahrzehntelang vertuscht und die Ermordeten damit ein zweites Mal getötet. Es hätte unserem Bundespräsidenten gut angestanden, sich mit möglichen deutschen Verstrickungen in diese Massenmorde auseinanderzusetzen.

Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Das gilt aber auch für die Finanzierung von Putsch und Völkermord und vielleicht hilft der aktuelle Documenta-Eklat, einen ganz anderen Skandal endlich bekannt zu machen: Die fortgesetzte Anwendung von Massenmord als Mittel geheimer Außenpolitik -die "Jakarta-Methode".