"Es gab da Massenmorde": Was noch fehlt in der Documenta-Debatte

Seite 3: Die "Jakarta-Methode": Massenmord als Außenpolitik

Die deutsch-indonesischen Beziehungen gelten als gut, besonders nach dem Suharto-Putsch und dem Indonesian Genocide. 1970 war Diktator Suharto auf Staatsbesuch in Westdeutschland, noch 1996 bekam er Staatsbesuch von Bundeskanzler Helmut Kohl, man sprach von persönlicher Freundschaft Kohls mit dem Massenmörder Suharto.

Der Waffenhandel profitierte: 1992 lieferte die BRD Indonesien etwa 39 Landungsboote und Korvetten aus Altbeständen der DDR, die wurden 1999 und 2000 kurz nach dem Ende der Diktatur von Milizen bei Massakern im Osttimor eingesetzt.

1965 war es für die USA heikel, in Jakarta zu intervenieren, was eine Einbindung der westdeutschen Verbündeten nahelegte:

Ich sollte betonen, dass die materielle Unterstützung der USA für Indonesien damals recht gering war, weil es für die USA sehr riskant war, die indonesische Armee offen gegen Sukarno zu unterstützen, denn Sukarno war noch Präsident, die USA waren damals in Indonesien nicht sehr populär, und so mussten die CIA und die US-Regierung bei der Unterstützung im Allgemeinen äußerst vorsichtig sein, um sicherzustellen, dass diese Unterstützung nicht öffentlich bekannt wurde.

Bradley Simpson, 1965tribunal

Eine westdeutsche Verwicklung in den Putsch von Jakarta 1965 kann heute kaum noch geleugnet werden, auch wenn die Bundesregierungen entsprechende Akten weiterhin geheim halten. Auch eine deutsche Mitverantwortung an Genozid wurde vor zwei Jahren diskutiert, der BND förderte wohl indonesische Putschisten - die von T-Online geleakten Akten legen nahe, dass die Putschisten mit deutschen Steuergeldern versorgt wurden (siehe: hier und hier).

Im Bundestag protestierte die Linksfraktion, medial wenig beachtet, gegen die Geheimhaltung wesentlicher Akten zur deutschen Verwicklung in die Massaker in Indonesien. André Hahn, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, wollte in einer Parlamentarische Anfrage wissen, ob der T-Online-Bericht zutreffend sei – was die Bundesregierung schriftlich dementierte.

Hahn kritisierte nach Akteneinsicht die mangelnde Transparenz der Bundesregierung: "Die darin enthaltenen konkreten Zahlen zu tatsächlich geleisteten Unterstützungen des Regimes sollen offenkundig nicht bekannt werden."

Demnach verdichten sich auch für den Abgeordneten die Hinweise, "dass der BND formell eine Mitverantwortung an den Massenmorden trägt".

Verschleierung von Völkermord

Der "Spiegel" hatte 1967 noch die Propagandaversion des Diktators Suharto ventiliert ("kommunistischer Putschversuch") und sich über den gestürzten Präsidenten Sukarno lustig gemacht, er sei "in Socken" geflohen. Eine zynische Haltung angesichts von Millionen Opfern und besonders bestialischer Massenmorde -"killing were extremely savage", schreibt John Gittings in "The Indonesian Massacres, 1965-66".

Erst im Jahr 2015 kamen bezüglich des Massakers mit "Indonesien 1965ff." erstmals Indonesier in Deutschland zu Wort. Das Lesebuch erzählt ein grausames Kapitel aus der jüngsten Vergangenheit, das hierzulande nahezu unbekannt ist.

Heute erhebt Jonas Mueller-Töwe auf T-Online die Frage: Deckte Deutschland den blutigen Putsch von 1965? Mueller-Töwe schreibt auch für die beliebte Checker-Site Correctiv, trotzdem blieb das Medienecho verhalten.

Seine Kollegen von Neuen Deutschland legten nach zur deutschen Jakarta-Connection: Dass der BND 1965 weitere Leute vor Ort hatte, sei nachweisbar, der 1992 in München verstorbene Rudolf Oebsger-Röde gehöre dazu. Oebsger-Röde war SS-Obersturmbannführer, SD-Mann und Chef von Einsatzgruppen, dann hatte er bei der Organisation Gehlen, dem späteren BND, angeheuert. Wie viele Geheimdienstler war Ex-SS-Mann Oebsger-Röde ab 1959 in Indonesien in der Maske des Journalisten unterwegs, als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung.

Im Juni 1968 bestätigte der damalige BND-Präsident Gerhard Wessel - laut Protokoll - dem Bundestags-Vertrauensgremium, der BND habe nicht nur die indonesischen Militärs bei der "Zerschlagung der KPI" mit Beratern, Ausrüstung und Geld unterstützt. Der spätere Staatschef Suharto habe, so Wessel, dem Dienst sogar einen »große(n) Anteil (…) am Erfolg« der Operation zugeschrieben.

Neues Deutschland, 19.7.2020

Mit der immer noch weitgehenden Geheimhaltung der deutsch-indonesischen Verstrickungen wie auch des Indonesian Genocide könnte es bald vorbei sein. Das laut dem US-Historiker Professor Geoffrey Robinson "most ignored event of mass killing of the 20th century", der am meisten ignorierte Massenmord des 20.Jahrhunderts, könnte demnächst ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Die Jakarta-Methode: Washingtons antikommunistischer Kreuzzug

"Die Jakarta-Methode: Washingtons antikommunistischer Kreuzzug und das Massenmordprogramm, das unsere Welt prägte" lautet der Titel eines Sachbuchs, das der US-amerikanische Journalist und Autor Vincent Bevins 2019 vorlegte. In drei Monaten soll endlich eine deutsche Übersetzung vorliegen.

Das Aufsehen erregende Buch "...handelt von der Unterstützung und Mitschuld der US-Regierung an den Massenmorden 1965-66, bei denen schätzungsweise eine Million Menschen getötet wurden (die Opferzahlen variieren zwischen 500.000 bis zu drei Millionen Toten), um die politische Linke und die Reformbewegungen im Lande zu vernichten." (Rainer Werning, 05.12.2021)

Doch damit nicht genug, das Buch beschreibe auch spätere Wiederholungen der Strategie des Massenmords in Lateinamerika und anderswo. Die Massentötungen in Indonesien durch die von den USA und ihren Verbündeten (auch Westdeutschland) unterstützten indonesischen Militärs waren "bei der Ausmerzung des Kommunismus so erfolgreich", dass der Begriff "Jakarta" später eigens verwendet wurde, um auf die völkermörderischen Aspekte ähnlicher, späterer Pläne der USA bzw. "des Westens" hinzuweisen, so Werning.

1965 tobte der Vietnamkrieg und Washington glaubte an Eisenhowers Dominotheorie, dass asiatische Staaten, Thailand, Malaysia, Indonesien, Südkorea, wie Dominosteine umkippen und kommunistisch werden könnten. Werning nach gab es der PKI zufolge Mitte der 1960er Jahre 18 Millionen Mitglieder und Sympathisanten von der PKI-nahen Organisationen: Die Gewerkschaft Sobsi, die Volksjugend, die Frauenbewegung Gerwani sowie die Bauernfront.

Vincent Bevins "Die Jakarta-Methode: Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt", erscheint im Oktober 2022 bei Papyrossa, die ihren Autor als mehrjährigen Brasilien- und Südostasien-Korrespondent der Los Angeles Times bzw. der Washington Post beschreibt.

Der preisgekrönte Publizist Vincent Bevins erinnert an ein Massenmordprogramm, das in anderen Teilen der Welt gezielt nachgeahmt wurde, so in Brasilien, Chile oder Argentinien... Große Teile des globalen Südens gingen nicht friedlich in das US-geführte Lager über.

Papyrossa-Verlagsinformation