Es gibt einen Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit
Oberstes Gericht lehnt Gesetz zum Verbot virtueller Kinderpornographie als verfassungswidrig ab
Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten hat gestern den umstrittenen Child Pornography Protection Act (CPPA) von 1996 wegen seiner Vagheit als verfassungswidrig verworfen, da er die Meinungsfreiheit beschränken könnte. Das Gesetz hat im Wesentlichen den Begriff der Kinderpornographie auch auf digital hergestellte Bilder erweitert, die Minderjährige darzustellen scheinen, ohne dass dabei ein reales Kind oder ein Bild von einem Kind verwendet wird.
Eingeführt wurde das Gesetz, um ein Problem zu lösen, das erst durch die digitalen Medien entstanden war. Der Handel mit Kinderpornographie war schon 1988 verboten worden, jetzt wollten die Gesetzgeber auch Bilder, die wirkliches repräsentieren, mit Bildern, die nur etwas simulieren, gleichstellen, da letztere bei Pädophilen ähnliche Wirkungen auslösen können. Mit der digitalen Technologie kann, so der neue Tatbestand, Erfundenes so realistisch dargestellt werden, dass es mit Abbildungen von Wirklichem verwechselt werden kann. Hinzufügen muss man, dass 1982 der Oberste Gerichtshof entschieden hat, dass Kinderpornographie im Unterschied zu Pornographie für Erwachsene nicht vom Ersten Verfassungszusatz als Meinungsfreiheit geschützt ist.
Der Begriff "Kinderpornographie" umfasste im Sinne des CPPA "alle fotografischen, Film-, Video-, Gemälde-, Computer- und computererzeugten Bilder", deren Herstellung, Verteilung und Besitz dann unter Strafe stehen, wenn ein Minderjähriger in einem sexuell expliziten Verhalten angebildet ist, es so erscheint, als sei ein solcher in einem sexuell expliziten Verhalten abgebildet, oder ein Bild so hergestellt oder verändert wurde, dass es so erscheint, als würde ein identifizierbarer Minderjähriger explizit sexuelle Handlungen begehen. Unter Strafe steht aber auch, wenn eine solche Darstellung so beworben, geschildert, präsentiert oder verteilt wird, dass der "Eindruck entsteht", sie sei eine visuelle Darstellung eines Minderjährigen mit dem verbotenen Verhalten (Gleichstellung von virtuellen und realen Bildern).
Verfassungsklage eingereicht hatte die Free Speech Coalition, ein Verband von Erotikfirmen. Aber auch Bürgerrechtsorganisationen wie die ACLU oder das Freedom Forum lehnten das Gesetz ab, weil es zu weit ginge und auch ernsthafte wissenschaftliche, politische, künstlerische oder literarische Meinungsäußerungen mit schweren Strafen bedrohe (Amerikanische Definition von Kinderpornografie).
Die Verfassung zieht eine scharfe Grenze zwischen "Worten und Taten"
Sechs der Verfassungsrichter lehnten das Gesetz als verfassungswidrig ab, eine Richterin plädierte dafür, nur einige Passagen herauszunehmen, zwei Richter wollten das Gesetz beibehalten. In seiner Begründung des Gerichtsurteils schrieb Anthony Kennedy, dass nur "wenige rechtmäßige Filmproduzenten oder Verleger" es angesichts der schweren Strafen riskieren würden, Bilder zu veröffentlichen, "die der ungewissen Reichweite dieses Gesetzes nahe kommen". Selbst künstlerische wertvolle Filme wie "Traffic" oder "American Beauty" könnten womöglich unter den CPPA fallen. Auch "ein Bild in einem psychologischen Ratgeber oder in einem Film, der den Schrecken des sexuellen Missbrauchs darstellt", könnte damit geahndet werden.
Das Gesetz verbiete allgemein "die visuelle Darstellung einer Idee, nämlich von Jugendlichen, die sich sexuell betätigen. Das ist eine Tatsache der modernen Gesellschaft und war schon immer ein Thema in der Kunst und Literatur." Besonders paradox sei es, dass nach dem Gesetz auch Bilder von Personen verboten wären, die jünger als 18 Jahre zu sein scheinen. In den USA dürfen in 48 Staaten mit elterlicher Zustimmung Jugendliche ab 16 Jahren heiraten, wodurch sie sich ganz legal sexuell betätigen. Die Verfassung aber gewährt nach dem Mehrheitsurteil Schutz vor zu allgemeinen Gesetzen.
Es dürften auch nicht einzelne Bilder also solche beurteilt werden, sondern wichtig sei bei der Feststellung von Kinderpornographie der Kontext und die Absicht. Verboten sei Kinderpornographie vor allem deswegen worden, weil zu deren Herstellung Minderjährige missbraucht werden. Das Oberste Gericht wies auch die Begründung für das Gesetz zurück, dass virtuelle Bilder von erfundenen Minderjährigen Pädophile sexuell stimulieren oder von diesen verwendet werden, um Minderjährige zu verführen. Vieles wie Computerspiele, Bonbons oder Comics könne auch einem Missbrauch dienen, ohne dass damit gleich alles verboten werden dürfte. Inhalte, die an Erwachsene gerichtet sind, dürften nicht schon deswegen verboten werden, weil sie auch in die Hände von Minderjährigen gelangen können.
In der Verfassung sei zum Schutz der Meinungsfreiheit eine klare Grenze zwischen "Worten und Taten, Ideen und Verhalten" gezogen worden. Und schließlich würde die Verfassung auf den Kopf gestellt, wenn freie Meinungsäußerung zur Verhinderung von strafbarer Äußerung aufgrund des Arguments verboten würde, dass Strafverfolger simulierte Bilder nicht von wirklichen fotografischen Abbildungen unterscheiden könnten.