"Es könnte also sein, dass ich weiterhin in Brüssel Leute ärgern muss"

Bild: Martin Krolikowski / CC-BY-2.0

Kennzeichnungspflicht für Satire nötig? Interview mit Partei-Chef Martin Sonneborn zu Berlin, Bremen, Brüssel und Brüsten.

In Berlin hatten Sie eine Neuwahl erzwungen und damit einen Regime Change herbeigeführt. Gab es hierzu im Vorhinein schmutzige Angebote oder wenigstens Dank der Nutznießer?
Martin Sonneborn: Nein. Aber wissen Sie was? Wir sind aus dem Alter raus, in dem wir dachten, eine neue Regierung würde irgendetwas grundlegend anders oder besser machen. Wir werden auch diese hassen - zumal CDU und SPD Jahrzehnte der Korruption in dieser Stadt zu verantworten haben, den Bankenskandal, die Zerstörung von Infrastruktur, Wohnmarkt und Bildungswesen. KotzSmiley.
Haben Sie mit Ihrer Wahlanfechtung also gar nichts Positives bewirkt?
Martin Sonneborn: Das einzig Positive an der Situation ist, dass die Grünen raus sind aus der Regierung. Die können mit Macht nicht umgehen, es artet bei ihnen sofort in die größtmögliche Hybris und Selbstüberschätzung aus. Moralisierende Opposition ist doch eher ihre Kernkompetenz.
Umfragen zufolge wollen sieben Prozent der Bremer Bürger am Sonntag die AfD wählen, obwohl die wegen ungültiger Einreichung ihrer Wahlliste(n) gar nicht zugelassen ist. Wird die Partei versuchen, verwirrtes Bremer Wahlvolk einzufangen?
Martin Sonneborn: Sieben Prozent? Immerhin nicht 28 Prozent wie in Ostdeutschland. Wir plädieren seit Jahren dafür, in Bildung zu investieren (Plakat mit Heinz Strunk: "Bildung fängt mit B an"). Einfach aus Eigennutz: Intelligente Protestwähler wählen die Partei, nicht AfD.
In Bremen scheinen lokale Wahlkampfthemen zu fehlen, sodass lediglich Korruption umverteilt werden muss. Was ist aus Ihrem Vorschlag vom letzten Jahr zur militärischen Okkupation durch Niedersachsen geworden?
Martin Sonneborn: Ließ sich nicht umsetzen, alle notwendigen Waffen sind in die Ukraine gewandert. Allerdings kommen zumindest die deutschen Panzerhaubitzen 2000 vermutlich bald zurück, die funktionieren nicht so im Matsch. Aber Bremen ist eigentlich auch komplett verzichtbar, wir sollten es einfach an die Chinesen verkaufen. In der multipolaren Weltordnung ist die Stadt dann erstmals ganz vorn dabei. Avantgarde.
Würde man nicht viel Zeit und Elend sparen, wenn man Wahlen an ChatGPT delegiert? Bei Bremen könnte man das doch mal ausprobieren, ohne dass das jemandem auffällt, oder?
Martin Sonneborn: Lustige Frage, Kompa. Von ChatGPT geschrieben? Dann lassen Sie sich bitte auch eine Antwort komponieren.
ChatGPT: Als künstliche Intelligenz bin ich in der Tat in der Lage, große Mengen an Informationen schnell zu verarbeiten und komplexe Entscheidungen zu treffen. Aber ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre, Wahlen vollständig an eine Maschine zu delegieren.
Die Entscheidungen, die bei Wahlen getroffen werden, haben weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die individuellen Freiheiten und Rechte. Es ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger selbst die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern und ihre Stimme abzugeben.
Eine Maschine kann zwar schnell und effizient Ergebnisse berechnen, aber es fehlt ihr an Empathie und menschlichem Verständnis. Politische Entscheidungen erfordern auch moralische Überlegungen und die Fähigkeit, die Auswirkungen von Entscheidungen auf das Leben der Menschen zu verstehen.
Außerdem gibt es immer die Möglichkeit von Fehlern oder Fehlfunktionen in der Technologie, die zu fehlerhaften Ergebnissen führen könnten. Wahlen sollten transparent und fair abgehalten werden, und es ist wichtig, dass Menschen in der Lage sind, Entscheidungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzufechten.
Insgesamt denke ich also, dass es wichtig ist, dass Wahlen weiterhin von Menschen durchgeführt werden, aber dass Technologie eingesetzt werden kann, um den Prozess zu unterstützen und zu verbessern.
In Mannheim wurde Seniorinnen das Tragen von Sombreros verboten (wie sie Mexikaner an Touristen verkaufen). Was möchten Sie Bremer Seniorinnen verbieten?
Martin Sonneborn: Gar nix, wir sind doch nicht die Grünen. Die alten Schachteln dürfen machen, was sie wollen.
Apropos kulturelle Aneignung: In Habecks Wirtschaftsministerium vetternwirtschaftet man inzwischen mediterran. Machen sich die Grünen damit koalitionsfähig für die Union?
Martin Sonneborn: Ja, das passt doch gut, Clankriminalität auf beiden Seiten. Die Grünen halten wir mittlerweile für derart prinzipienlos - mit allen den 360-Grad-Wenden, die sie in ihrer recht kurzen Parteigeschichte schon hingelegt haben - dass wir nicht eine Sekunde daran zweifeln: Die würden auch mit der AfD koalieren, wenn's sein müsste.
Der Philosoph Richard David Precht hat in einer Suada auf Außenministerin Baerbock diese auch als "Frau" bezeichnet. Muss sich ein Außenminister mit Uterus und Visagistin auf dieser Weise beschimpfen lassen?
Martin Sonneborn: Ja. Und Precht irrt sich, Baerbock ist die beste Spitzenpolitkerin seit Heinrich Lübke. Und die lustigste. Ich war gerade in der Schweiz, da lacht das ganze Land über ihren Besuch beim Außenministertreffen. Ihren Schweizer Kollegen Ignazio Cassis sprach sie bei einer Presskonferenz hartnäckig mit "lieber Ignasco" an.

"Ja, genau"

Nunmehr bricht Ihr letztes Jahr in dieser EU-Legislaturperiode an. Was wollen Sie noch in Brüssel bewegen?
Martin Sonneborn: Wir arbeiten auch in Brüssel verbissen an einem Regime Change. Vier Jahre haben einer Kommission unter von der Leyen ausgereicht, um sämtliche Grundprinzipien, die den europäischen Gedanken einmal ausgemacht haben, zu rasieren: Frieden, Multilateralismus, offener Welthandel, eine freie Gesellschaft.
Zurzeit erinnert uns das alles an eine Orwell'sche Dystopie: eine Milliarde aus der Friedensfazilität für Bomben und Granaten. Krieg ist Frieden. Verschiebung von Geldern in einen militärisch-industriellen und einen pharmazeutischen Komplex. Gelder, die den Ländern fehlen für Bildung, Infrastruktur, soziale Leistungen.
Vor Ihrem sozialen Abstieg zum Politiker hatten Sie in der Satire-Industrie gearbeitet, als dieser Beruf noch als unterhaltsam und regierungskritisch galt. Heute fungieren Satiriker eher als pointenfreie Moralapostel mit staatstragender Attitüde. Haben Sie eine Rückkehr-Perspektive in Ihren alten Job?
Martin Sonneborn: Nein, brauche ich auch nicht. SPD und CDU basteln zwar nach wie vor an einer Prozenthürde für EU-Wahlen - die nach Rechtsauffassung des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag aber erst zur übernächsten Wahl eingeführt werden darf. Es könnte also sein, dass ich weiterhin in Brüssel Leute ärgern muss.
Immer mehr Journalisten wechseln umgekehrt ins Satire-Fach. Ein ehemaliger Chefredakteur interviewt etwa regelmäßig als Anarcho-Comedian eine verwirrte Seniorin, die sich für eine Fürstin hält und den Glauben an Engel propagiert. Brauchen wir eine Kennzeichnungspflicht für Satire?
Martin Sonneborn: Yep. Genau wie früher, wenn "Titanic" draufstand, war Satire drin.
Apropos Spaßpolitik: Die FDP will kommendes Jahr Büttenrednerin Frau Strack-Zimmermann nach Europa abschieben. Erhalten Sie Ihre These noch aufrecht, dass dort einzelne Abgeordnete keinen nennenswerten Schaden anrichten können?
Martin Sonneborn: Nein. Aber Frau Strack-Rheinmetall ist nicht die erste Waffen-Lobbyistin im Parlament. Wussten Sie übrigens, dass Rheinmetall amerikanischen Vermögensverwaltungsgesellschaften gehört? Vanguard, Blackrock etc.. die Gewinne gehen fast komplett in die USA.
Sie waren angetreten, um Europa zu melken, hatten letztes Jahr jedoch erkannt, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutlich mehr Geld abzugreifen ist. Stehen Sie als erfahrener TV-Mann und Print-Potentat im September für die RBB-Intendanz zur Verfügung oder ist Ihnen diese Branche zu unseriös?
Martin Sonneborn: Bin interessiert, weiß aber nicht, ob ich nächstes Jahr in Berlin noch eine Wohnung bezahlen könnte.
Sie haben sich für die Lumpenpazifistin Frau Wagenknecht verwandt, die den ukrainischen Friedenstruppen wie schon Novemberverbrecher Erzberger einen Dolchstoß versetzen wollte. Weshalb sehen ausgerechnet Sie als ehemaliger Oberstgefreiter das Subventionieren militärischen Tötens kritisch?
Martin Sonneborn: Ja, genau.
Frau Wagenknecht denkt angeblich über die Gründung einer eigenen Partei nach, was der um die 5 Prozent-Hürde schwankenden Linkspartei den Rest geben wird. Erwägt die Partei eine Übernahme der Ruine?
Martin Sonneborn: Nein. Das würde unseren Altersschnitt verachtfachen. Wir müssten unser Partei-Shop-Sortiment komplett umstellen.
Wäre die FDP eine dankbare Übernahmekandidatin? Die sind im Bund von 11,5 Prozent auf derzeit ca. 6 Prozent runtergerauscht, sprechen aber überdurchschnittlich viele Erstwähler an und brüsten sich in Schleswig-Holstein sogar wieder mit einer Erotik-Darstellerin.
Martin Sonneborn: Nein. Wir übernehmen keine Spaß-Parteien. Smiley. Die FDP muss ich warnen, als wir in Hamburg - nach der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre - auf Großplakaten "Puff ab 16!" forderten, erhielten wir keine Mehrheiten.