Es reckt die Nudelwerbung ihr hässliches Haupt
Tom Tykwers "Heaven" kollabiert in seiner behaupteten Emotionalität
Es ist dieses "Hurra, wir sind wieder da"-Geschrei, das mit jedem "deutschen" Film anschwillt, sei es nun das strohdumme "Experiment" (Vgl. Gefangene, die mit Tesa vor dem Mund in ihren Zellen stehen und "HMP! HMP!" machen) oder ein wirklich hervorragender französischer Film wie "Harry meint es gut mit dir", den in Deutschland niemand produziert hätte, der ex post aber für "uns" annektiert wird, weil der Regisseur ein Deutscher ist.
Es ist dieser wirtschaftliche Chauvinismus, den "wir" sonst nicht einmal unseren Autos entgegenbringen, dieses kollektive Aufjauchzen aus dem Filmland der Dichter und Denker, wenn wieder ein paar deutsche Produktionen auf dem "internationalen" Parkett auftauchen, und es ist dieser Patriotismus, den die Feuilletonwelt Heaven von Tom Tykwer entgegenbringt, jenem Eröffnungsfilm der Berlinale, dessen Vorschußlorbeeren scheinbar auf der Nationalität zu beruhen scheinen, die man "Heaven" zurechnet, weil er - wenngleich hauptsächlich von amerikanischem Geld bezahlt, nach einem polnischen Drehbuch, mit internationalen Schauspielern besetzt und auf englisch und italienisch gedreht - von einem deutschen Regisseur inszeniert worden ist und damit eben: deutsch ist.
Dieses "deutschhier-deutschda" ist es, was einen mürbe zu machen droht und ungerecht. Und wenn dann noch Regisseur Tykwer in allen Zeitungen auftaucht und Sätze sagt wie,
Instinktiv habe ich das Drehbuch (von Krysztof Kieslowski, einem der berühmtesten Autoren der Welt, Anm.M.S.) gelesen als wäre es meins
(so kumpelhaft hätte ein Steven Spielberg sich mit Kubricks Drehbuch von A.I. nicht auf eine Stufe gestellt), wenn Tykwer Sätze sagt wie
Hierzulande ist meine Fassungslosigkeit fast noch größer, mit welcher Infamie beträchtliche Summen - auch an öffentlichem Geld - für Filme aufgewendet werden, deren Substanz gleich Null ist und die nicht einmal eine kommerzielle Perspektive versprechen,
fragt man sich, was denn nun dran sei, an diesem "Heaven" und welche Substanz er biete.
Und die ersten fünf Minuten ist man geneigt zu glauben, dass alles, was dieser Film an Lob bekam, nicht nur berechtigt, sondern sogar untertrieben ist. Denn die ersten fünf Minuten - wenig mehr als die Titelsequenz - sind voller Suspense. Sie zeigen, wie eine Frau (Cate Blanchett) mit einer Bombe in ein Turiner Hochhaus (gedreht wurde in Neapel) marschiert, um einen bestimmten Menschen zu töten und ihr der Zufall auf eine grauenhafte Weise einen Strich durch die Rechung macht. Diese Minuten, in denen eine Zeitbombe die Hauptrolle spielt, erinnern in ihrer scheinbaren Nüchternheit, während sich die Kamera immer mehr auf Details verdichtet, scheinbar nur Gegenstände interessant findet (einen Putzwagen, einen Papierkorb, den Blick vom Fahrstuhl, Carte Blanchetts Sonnenbrille) und dabei in Wirklichkeit herzzerreißend von Menschen erzählt, die in grauenhafter Gefahr sind, an die großen Thriller von Alan Pakula und gehören zum Elegantesten und Aufregendsten, was man derzeit im Kino sehen kann.
Was dann kommt ist eine merkwürdig Mischung aus einem Kammerspiel und einer Art Roadmovie, beides will nicht zusammenpassen, es sieht aus, als hätte Tykwer das relativ mechanistische Prinzip nicht verstanden, das vielen Büchern Kieslowskis, der ja vor allem ein Fabelerzähler ist, innewohnt. Und so erzählt er zuerst eine Art Krimi, dem er aber selber nicht traut: Die Frau meldet ihren Mordanschlag, denn sie hat nur aus Altruismus getötet, aber leider den falschen erwischt, und während sie, die jetzt eine vierfache Mörderin ist, weint, verliebt sich der kleine italienische Polizeiübersetzer in sie. Was jetzt passiert, das ständige ein wenig eitle Aufwarten des Drehbuchs mit neuen Wendungen und Zufällen, wird ab und zu durch die Musik getrübt, die jetzt nachhaltiger durch den Film perlt, als müsste sie dieser eigentlich ganz unterhaltsamen Fabel über so etwas wie den Fluch der guten Tat mehr Tiefe geben.
Aus dieser Verliebtheit eines Polizeiangestellten, dessen stets leicht geöffneter Mund mehr über seine Figur erzählt als seine Dialoge, (wie schön Ribisi ihn spielt, ein rührend eseliger Vetter von Toto, der Hauptfigur aus dem "Wunder von Mailand"!) macht Tykwer die große Liebe und da er die Emotion nicht in seiner Geschichte erzählen kann und keine Szenen findet, um sie zu zeigen, überzieht er diese eher kleine Geschichte mit jener Metaebene von schwülstigen Bildern und schlechter Musik, die schon den "Krieger und die Kaiserin" streckenweise so unfreiwillig komisch gemacht hat.
Wir wollten eine Dynamik anzetteln, die sich irgendwann von den Fesseln der faktischen Plausibilität löst und stattdessen einer spirituellen Plausibilität folgt.
Tom Tykwer
Es ist, als würde der Film sich selbständig machen, seine Geschichte im Stich lassen und mit ihr seine Figuren, es ist, als wollte er sagen: "Seht nur, wie schön ich bin. Ich bin Kunst. Seht nur, was ich zu sagen habe" und jetzt wird es tatsächlich irgendwie deutsch, denn da springen auf einmal unmotivierte Hochzeitsgesellschaften durchs Bild, reckt die Nudelwerbung ihr hässliches Haupt, gurkt die Kamera über weite Wiesen, umarmen sich Blanchett und Ribisi und sehen in der Totale aus wie ein Kugelmensch und über allem liegt die wirklich in diesem Kontext nur als grässlich zu bezeichnende Musik Arvo Pärts, in dessen Stil Tykwer auch noch einige besonders grausige Filmmusiken komponiert hat. Es klingt wie "1000 Meisterwerke im ZDF" oder "Zuschauen, Entspannen, Nachdenken". Da gibt es Nebenfiguren, die nach den blödesten Klischees gecastet sind, scheinbar aus dem Italowestern herbeimaterialisierte schwitzende, dicke Männer, fette Mamas, schwatzende Putzfrauen. Das ganze Arsenal selbstreferentieller Nichtmenschen läuft hier fröhlich herum und soll wohl so etwas wie Authentizität versprühen. Spätestens wenn ein fickender dicker Bäcker zum unfreiwilligen Fluchthelfer wird, denkt man an Alberto aus der Pizzawerbung. Und unermüdlich zeigt "Heaven" Luftaufnahmen, als wären alle Häuser, die man von oben sieht, keine Häuser mehr, sondern Geheimnisträger erster Güte.
In der letzten halben Stunde kollabiert der Film in seiner behaupteten Emotionalität. Die schönen Bilder von Frank Griebe entblößen eine Geschichte mit zwei Hauptfiguren, die einen längst nicht mehr interessieren. Und dieser Reigen von ästhetischen Szenen, der einen völlig kalt lässt und das vorher Gesehene überlagert, der vergessen macht, dass es in Kieslowskis Drehbuch möglicherweise darum ging, dass Liebe Grauen und Hass, Grauen und Hass aber wiederum Liebe gebären können, wirkt letztlich wie ein naives Plädoyer für Selbstjustiz und gipfelt in einer der prallsten Hubschrauberentführungsszenen der Filmgeschichte.
Vielleicht ist dieses Möchtegern, diese altväterliche Ernsthaftigkeit, mit der Tykwer am Ende seine eigene Geschichte ruiniert, der wirklich deutsche Aspekt an dem Film. Wobei die Frage erlaubt sei, warum nun ausgerechnet "Heaven" "sein" Publikum finden werde.
Ab 21. Februar im Kino