Es werde Licht

Die 55. Berlinale hatte Aufklärung in Sachen Afrika zur Chefsache erklärt

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Sex und Politik waren die Leitmotive der 55. Berlinale. In erster Linie standen die diesjährigen Internationalen Filmfestspiele jedoch im Zeichen Afrikas. Während der Eröffnungsfilm "Man to Man" über die Pioniere der europäischen Aufklärung symbolisch die Weichen für das gesamte Programm stellte, begeisterte "U-Carmen eKhayelitsha" mit einer südafrikanischen Adaption der "Carmen"-Oper nicht nur Zuschauer, sondern auch die Juroren - und gewann den Goldenen Bären. Dazwischen gab es zahlreiche Filme über und aus Afrika, von denen "Hotel Rwanda" (2004) die Gemüter am meisten bewegte.

Aus "U-Carmen eKhayelitsha". Regie: Mark Dornford-May

Als eine Gruppe von Anthropologen eine Forschungsreise nach Südafrika unternimmt, um die Verbindung zwischen Mensch und Affe zu beweisen, steht die moderne Evolutionsforschung an ihrem Anfang. Die Bewegung ist beseelt vom Geist der Aufklärung. Kein Zufall ist, dass Afrika die Wissenschaftler ganz besonders interessiert. Bereits Hegel hatte es als einen Kontinent beschrieben, der "in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt war". Damit galten die schwarzen Menschen ebenso wie ihr Land als von Finsternis umgeben.

Es war eine Finsternis, die durch einen Mangel an Licht verursacht worden war. Fraglos war es das Licht der Aufklärung, dass dort fehlte. Das nötige Enlightenment war in Afrika noch nicht freigesetzt worden. Der Kontinent lag jenseits der Vernunft. Also mussten die Verfechter der Zivilisation höchstpersönlich dafür sorgen, dass sich die düstere Lage aufhellt. Neben Wissenschaftlern waren auch Missionare aufgebrochen. Im Umkehrschluss würden dort auch Erkenntnisse für den europäischen Fortschritt zu Tage gefördert werden. Afrika war auch in diesem Sinne ein Testfeld der Aufklärung.

In die schwarze Farbe der Nacht gehüllt

Der schwarze Kontinent hat schon immer die kollektive Fantasie beflügelt. Düster, voller Abgründe, mit Dschungeln, die Menschen verschlingen und Kriegern, die Tieren gleich, im Einklang mit der Natur Leben. Exotismus hat die Aufklärung mit Treibstoff versorgt. Er war gewissermaßen zuständig für die imaginäre Verdunkelung des Kontinents. Was den Zivilisationsbringern lange Zeit Motive für ihre Mission lieferte, sollte bald auch ein Eigenleben führen. Das Exotische war in der hochgradig urbanisierten und technifizierten Umwelt ein Gegenpol geworden, der Lebenslust, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit repräsentierte.

Aus "Man to Man". Regie: Régis Wargnier

In Michelangelo Antonionis "L'Eclisse" (1962) sind es Fotos, Masken, Schmuck, Statuen und andere Souvenirs aus Kenia, die den vereinsamten Protagonisten zu Glücksmomenten verhelfen. Ihre Gesellschaft ist dem Fortschrittsglauben verfallen. Das Heil wird an der Börse gesucht. Rom ist im Zuge dessen einer Verdunkelung (eine mögliche Übersetzung von "Eklipse") ausgesetzt. Der Himmel wird häufig im Dämmerzustand gezeigt, die Protagonisten machen die Nacht zum Tag. Das modernste Gebäude der Stadt hat die Form eines Atompilzes.

Wenn unsere Gesellschaft zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, büßt sie die Möglichkeit ein, aus der Vogelperspektive sich selbst und ihre Umgebung, die Welt, zu betrachten. Diese komplexe Operation, die Antonionis auf der Berlinale-Retrospektive gezeigter Filmklassiker, beschreibt, wird mehr als dreißig Jahre später Realität. In Ruanda findet ein Völkermord statt und die Erste Welt bleibt unbeteiligt, sieht weg. Interventionen werden nach ihrem unmittelbaren Nutzen kalkuliert und ein Eingreifen in Ruanda scheint keinen Mehrwert zu haben - bringt noch nicht einmal Wählerstimmen.

Aktivismus im Lichtspielhaus

Das Kalkül der Intervention steht in einem engen Zusammenhang mit Bilder- und Nachrichtenströmen. Doch selbst Bilder vom brutalen Abschlachten können dieses Mal nichts bewegen. Vielleicht waren es nicht genug Bilder, nicht zur rechten Zeit gesendet. Vielleicht waren es einfach auch die falschen Bilder. Diese Fragen haben Terry George beschäftigt und zur Produktion von "Hotel Rwanda" veranlasst. Ein Film über einen Hotelmanager in Ruanda, der in der Stunde der Not zum Helfer avanciert. Aus seinem Luxushotel wird ein Flüchtlingslager.

Aus "Hotel Rwanda". Regie: Terry George

Dem britischen Filmemacher ging es dabei nicht um historische Arbeit. Die Geschichte ist allenthalben bekannt und nachlesbar, zumal das "Weggucken" angesichts der ungeheuerlichen Opferzahlen zum Skandal wurde und bis heute immer wieder verhandelt wird. Die Geschichte des Hotelmanagers musste daher "nur" repräsentativ sein, in erster Linie jedoch eine Identifikationsfigur funktionsfähig machen. Denn was George wollte, war ein Film mit Bildern, die den Betrachter aufwühlen. Die ihn berühren und bewegen.

Mission accomplished dürfte er sich nach der Vorführung im Kino International gesagt haben. Das Publikum goutierte seine Arbeit mit Standing Ovations. Auf der Bühne ergriff er die Möglichkeit, seine Mission nochmals in Worte zu kleiden. Schwarzer Anzug, weißes Hemd und eine merklich unausgeschlafene Miene. Was er zu sagen hatte, war ernst, klang dringlich und erinnerte ein wenig an Bono. Der Filmemacher gab sich als Weltverbesserer, sein Werk stellte er gänzlich in den Dienst der Aufklärung.

Aus "Hotel Rwanda". Regie: Terry George

Passiert heute im Kongo und im Sudan nicht genau dasselbe wie damals in Ruanda? Wenn sein Film auch nur annähernd bewerkstelligen könnte, dass man die Lage in diesen Gebieten ernster nehmen würde, sei schon einiges erreicht. Auf seiner Homepage habe er sogar eine Rubrik eingerichtet, in der Vorschläge gemacht werden für konkrete Hilfsaktionen. Zu diesem Zeitpunkt war der Saal bereits hell erleuchtet. Die Bilder des Films und die Emotionen, die sie ausgelöst hatten, hallten noch nach. Das Echo wird sich bald in den Cyberspace ausdehnen.