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Eskalation mit Israel: Wer profitiert im Iran davon, wer verliert?

Iranischer Mann und Frau in schwarzem Kleid auf einer Straße in der heiligen Stadt Qom

Iranischer Mann und Frau in schwarzem Kleid auf einer Straße in der heiligen Stadt Qom. Bild: hakanyalicn / Shutterstock.com

Die Islamische Republik Iran zeigt nach außen Stärke. Damit wird aber die innenpolitische Fragilität kaschiert. Gleichzeitig geht man härter gegen die Opposition vor.

Nachdem bekannt wurde, dass beim Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus am 1. April 2024 mehrere hochrangige Generäle der Revolutionsgarden (IRGC) ums Leben gekommen waren, kündigte die IRI rasch Vergeltung an. Israel werde zur Rechenschaft gezogen, hieß es vom Revolutionsführer höchstpersönlich, und die Weltöffentlichkeit war alarmiert.

Analogien zu 2020: große Worte, kleine Taten

Rasch drängte sich eine Analogie auf; auch am 3. Januar 2020, beim US-Drohnenschlag gegen den Architekten der iranischen "Achse des Widerstandes" Qasem Soleimani, wurde Rache geschworen, ja erwartet.

Denn damals wie heute waren die Angriffe zwar politisch riskant und an der Grauzone zur Legalität, weil sie rote Linien der internationalen Abkommen und Konventionen überschritten. Beide Angriffe aber eliminierten zwei der mit Abstand bedeutendsten Befehlshabern der Islamischen Republik Irans (IRI): mit Soleimani 2020 und Mohammad-Reza Zahedi 2024 traf es die zwei Kommandeure der Quds-Brigarden der Revolutionsgarden, der Spezialeinsatzkräfte für Auslandsangelegenheiten und damit die politische sowie militärische Säule der geopolitischen Bestrebungen der iranischen Führung in der Region.

Und in beiden Fällen fiel die Antwort ähnlich aus: Raketen bzw. Drohnen direkt auf US-Basen bzw. auf israelisches Staatsgebiet. Die Tatsache, dass der Iran seine beiden Gegner direkt angreift, ist nicht zu unterschätzen und historisches Zeichen der erhöhten Eskalation.

Aber schnell war klar, dass Teheran so vorsichtig agiert hat, dass es fast schon den Eindruck machte, dass man auf gar keinen Fall einen größeren realen Schaden anrichten wollte – beide groß angekündigten Vergeltungsschläge hatten in sich etwas Deeskalierendes, so berechenbar und schwach fielen sie aus, vor allem gegenüber den militärischen Möglichkeiten.

Vermeidung eines Krieges

Dementsprechend auch die Kommunikation, die schnell um Abschluss bemüht war: Kurz nach den Raketenabschüssen durch den Iran 2020 twitterte Trump "Alles ist gut!" und noch bevor die Drohnen und Raketen kürzlich in Israel einschlugen bzw. eben nicht einschlugen, hieß es von offizieller iranischer Seite aus, die Sache sei "erledigt".

Wie ist das zu erklären? Einerseits weiß die iranische Führung außenpolitisch sehr genau um die Spielregeln und den Modus des Konfliktes, den sie gegen USA und Israel in der Region führt: es sind die zahlreichen und mächtigen Stellvertreter [1] Irans, die sie lange militärisch, finanziell und strategisch aufgebaut hat, die für sie an den jeweiligen Fronten kämpft: Hisbollah im Libanon, Hamas in Palästina, die Volksmobilisierungskräfte im Irak, die Huthi im Jemen.

Aber gewisse Dinge kann, darf das Regime, welches sich als Hegemon im Kampf gegen westlichen Imperialismus inszeniert, genau wegen diesem Selbstanspruch, aber auch wegen der Glaubwürdigkeit gegenüber eben jenen Stellvertretern nicht auf sich sitzen lassen. So sind die Vergeltungsschläge zu sehen: Wir machen etwas, aber ja nicht zu viel.

Denn einen offenen Krieg mit Israel, den USA und weiteren Verbündeten kann Teheran schlichtweg nicht gewinnen.

Repression im Windschatten von Krieg und Eskalation

Andererseits gibt es aber noch die Wirkung nach innen, und die ist beim Iran nicht zu unterschätzen. Denn schon immer nutzt sie das eigene außenpolitische Engagement, um Stärke zu beweisen, und um so die innenpolitische Fragilität und Schwäche zu kaschieren sowie mit extrem repressivem Vorgehen, Kontrolle über die eigene Bevölkerung zurückzugewinnen.

Das war bereits im ersten Golfkrieg (1980 –1988), kurz nach der Geburt der Islamischen Republik Iran, der Fall. Dieser Krieg gegen Saddam Husseins Irak fiel in eine Zeit der großen existenziellen Instabilität des Regimes: Die Islamist:innen unter Khomeini bekämpften ihre einstigen, mächtigen Verbündeten (vor allem Volksmujaheddin und Kommunist:innen) in einer blutigen Konterrevolution zur Durchsetzung und Sicherung der alleinigen Macht.

Dazu gab es noch weitere Fragezeichen, wie das iranische Militär, welches traditionell als Schah-nah galt, in Teilen desertierte bzw. hingerichtet wurde. Deswegen gründete Khomeini überhaupt erst die Revolutionsgarden als faktische Ersatzstruktur.

In dieses fragile Gebilde fiel nun – sicherlich aufgrund dieser Fragilität – der Angriff von Saddam Hussein und der Beginn dieses Krieges. Doch die iranische Führung machte den Fluch sprichwörtlich zum Segen – so wird der Krieg im Nachhinein von Mullahs bezeichnet –, denn durch die nationale Mobilmachung zur Verteidigung des Landes und der Ablenkung durch den Krieg konnte man die vielfältige und robuste Opposition durch Festnahmen, Folter und Massenhinrichtungen eliminieren [2].

Innenpolitische Stärkung

Am Ende dieser Zeit, trotz acht zehrender Jahre Krieg, geht das Regime innenpolitisch gestärkt hervor. Heute erhofft sich eine ebenfalls angeschlagene Islamische Republik ähnliche Effekte durch Aufmerksamkeit für ihr außenpolitisches Engagement, wie jüngst bei den Vergeltungsschlägen gegen Israel.

Um das zu verstehen, muss man die letzten Jahre betrachten: Wie kann es denn sein, dass die mittlerweile hochgerüstete und überaus repressive iranische Führung dermaßen fragil ist und eine Legitimitätskrise erleidet?

Repression löst nicht alle Probleme. Im Iran gab es seit dem Ende des ersten Golfkriegs immer wieder soziale Bewegungen, die sich auch implizit oder explizit gegen die Grundpfeiler der islamischen Republik richteten. Hervorzuheben sind hier die Frauenbewegung, die Student:innenbewegung und auch immer wieder Streiks und Aktionen der Arbeiter:innenbewegung.

Ihre Akteur:innen wurden dem fortschrittlicheren Lager zugerechnet. Wenn sie nicht als direkte "Feinde der Revolution" massive Repression erlitten, wurden sie durch das frühere "Reformer-Lager" der Islamischen Republik eingehegt und politisch langsam entkräftet. Das Regime arbeitet mit Härte und der Illusion auf Veränderungen.

Der größte Gegner ist die eigene Bevölkerung

Doch dieses Spiel ist seit 2017 vorbei, in dieser Zeit entstand auch die dementsprechende, revolutionäre Parole "Konservative, Reformer – das Spiel ist aus".

Zugleich entlud sich ein revolutionärer, explizit gegen die iranische Führung gerichteter Protest seitens der armen, religiös-frommen Bevölkerung, also jenes gesellschaftlichen Milieus, das die IRI jahrzehntelang trug. Der Grund bzw. der Auslöser lag in der schlichtweg nicht mehr zu ertragenden ökonomischen Dauerkrise, die die iranische Regierung durch Vetternwirtschaft, Korruption, fehlenden Kompetenzen und schließlich auch Sanktionen gegen ihre Atomwaffen-Vorhaben immer wieder eskalierte.

Die "Frau-Leben-Freiheit"-Bewegung von 2022/2023, die bisher die größte revolutionäre Episode und damit die größte existenzielle Bedrohung war, die die IRI jemals innenpolitisch ertragen musste, ist in diesem Kontext zu sehen: Noch nie gingen so viele Menschen über die Grenzen von Ethnie, Klasse, Geschlecht und Lebensalter hinweg und dermaßen radikal auf die Straße, sodass die iranische Führung offensichtlich an ihre Grenzen gebracht wurde.

Diese Bewegung hat die IRI nicht gestürzt, aber ihr die bisher größten Schäden zugefügt und sie aus ihrem "Unantastbarkeits"-Status katapultiert. Niemand kann mehr leugnen, dass das Regime angeschlagen ist und stark wackelt.

Die nächste Welle wird kommen, das ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich haben sich die Probleme nicht geändert. Die ökonomische Krise ist mit einer geschätzten Inflation von 67 Prozent (bei Lebensmitteln bis zu 120 Prozent) stärker denn je. Staatliche Stellen vermuten, dass ca. 60 Prozent der 80 Millionen Einwohner:innen unter der Armutsgrenze leben – die Dunkelziffer dürfte höher sein.

Gaza-Krieg spielt iranischer Führung in die Karten

Die Repression im Alltag – etwa die noch immer tödlichen Einsätze der "Sittenwächter" gegen Frauen wegen falsch sitzender Kopftücher, die 2022 zum Tod von Jina Amini führten und die Bewegung starteten – nehmen sogar ganz aktuell wieder zu.

Die letzten Parlamentswahlen am 1. März 2024 waren eine Ohrfeige für die Machthabenden: mit einem historischen Tiefpunkt von nur 42 Prozent (auch das ist ein offizieller, frisierter Wert) machte die Bevölkerung mehr als deutlich, dass sie nicht an das Konstrukt der IRI glaubt.

In jene Zeit – es war kurz nach dem Bekanntwerden des Falls von Armita Garawand, der "nächsten Jina Amini" Anfang Oktober 2023 – fiel der Angriff der Hamas auf israelischem Gebiet am 7. Oktober.

Dieser historische Schlag setzte "die palästinensische Frage" von einem Tag auf den anderen die Tagesordnung und spielte der iranischen Führung in doppelter Hinsicht in die Karten: Erstens außenpolitisch, denn nicht nur wurde Israel durch diesen Angriff vorgeführt, schließlich wurde die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien torpediert. Diese Normalisierung, ein lang ersehntes Vorhaben der USA, für das lange politisch und diplomatisch gearbeitet worden war, wäre für die IRI eine große Gefahr.

Niemand redet mehr über Repression

Zweitens aber redete niemand mehr von Garawand oder von irgendwelchen anderen Protesten im Iran. In dieser Zeit verschärfte die Islamische Republik innenpolitisch die Gangart erneut, unter anderem nahmen Hinrichtungen rasant zu. Und diejenige Kraft, die die Regierung als einzige wirklich stürzen könnte, wird stärker bekämpft – die eigene Bevölkerung.

Über die redet kaum noch einer, denn nun finden nur noch geopolitische Ereignisse und staatliche Akteur:innen Aufmerksamkeit. Eine Forderung der iranischen Revolutionäre gegen die IRI bewahrheitet sich erneut: "Schenkt uns Aufmerksamkeit, seid unsere Stimme – denn wenn ihr wegschaut, wird das Regime uns umbringen".

Die Massenhinrichtungen von 1988 sind ein Beispiel, andere sind gar nicht so weit weg: Ende 2019 soll die IRI einem Reuters-Bericht [3] zufolge 1.500 Oppositionelle in nur zwei Wochen getötet haben. Für 2023 bilanziert Amnesty International [4] mindestens 853 Hinrichtungen und damit den höchsten Wert seit 2015.

Feinde von Revolutionen

Das unterstreicht eigentlich nur eine Binsenweisheit in der Geschichte: Kriegerische Konflikte sind die größten Feinde von Revolutionen.

Das iranische Volk will diesen Krieg nicht, es will das Ende der Islamischen Republik und endlich demokratische Selbstbestimmung. All diejenigen, die das leugnen und vorgeben, als ob das iranische Volk sich massive Militärschläge Israels wünscht, führen eine Agenda, die sie als die Stimmung im Iran verkaufen wollen.

Ganz besonders kommen sie aus den rechten und faschistischen Teilen des monarchistischen Exiliraner:innen-Lagers in den USA, welche niemals die zentralen Werte wie Solidarität der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung vertreten haben, sich aber bereits als legitime Nachfolgeregierung in Stellung bringen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9700311

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.rosalux.de/news/id/51504/irans-rolle-im-gaza-krieg
[2] https://iran1988.org/
[3] https://www.reuters.com/article/idUSKBN1YR0QO/
[4] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/04/iran-executes-853-people-in-eight-year-high-amid-relentless-repression-and-renewed-war-on-drugs/