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Euro-Zone vor dem Ende?

Rettung durch kurzfristig entschiedenes Handeln mit einer Vision für Europa

Die tiefgreifende Systemkrise der am Neujahrsmorgen 1999 gestarteten Euro-Währung ist unübersehbar. Tagtäglich erneute Wetten auf den Absturz prägen die Debatte. Die ökonomischen Entscheidungen über Sachinvestitionen der Unternehmen sowie der privaten Haushalte über Konsumausgaben werden durch einen tiefen Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Euro geprägt. Die Krise der Euro-Währung offenbart den mittlerweile hohen Grad der Vernetzung zwischen den Mitgliedsländern der Euro-Zone. Auch Deutschland, wo immer noch die Mehrheit der wirtschaftlichen und politischen Eliten der Illusion von der "Insel der Glückseligen" anhängt, kann sich dieser Systemkrise nicht mehr entziehen1 [1].

Prof. Dr. Rudolf Hickel, Gründungsdirektor des und Forschungsleiter am "Institut Arbeit und Wirtschaft", Bremen, und Dr. Axel Troost, Volkswirt, Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE, haben das hier veröffentlichte Konzept heute an alle Mitglieder des Deutschen Bundestags verschickt.

In dem begleitenden Brief heißt es, dass es durchaus noch eine Chance gebe, den Euro zu retten. Dazu haben die Autoren in ihrem Konzept "viele produktive Anregungen und Überlegungen zu wichtigen Elementen der Eurorettung auch aus der problemoffenen, nicht doktrinären Wirtschaftswissenschaft" aufgegriffen. "Wir wünschen uns", so schreiben sie weiter, "dass dieser Beitrag trotz der Kritik in den Details die Debatte um die Instrumente zur Rettung der Euro-Union stärkt. Dazu gehört allerdings der Mut, neoliberale Ge- und Verbotsschilder zu ignorieren und Wege in die Zukunft aufzuzeigen."

Nachdem die deutsche Exportwirtschaft lange Jahre über die innere Abwertung2 [2] durch zurückhaltende Lohnpolitik und die Deregulierung der Arbeitsmärkte profitable Außenhandelsüberschüsse durchgesetzt hat, schlägt die dadurch erzeugte Krise wie ein Bumerang auf eben diese Exportwirtschaft zurück. Die langjährigen Profiteure spüren - wenn auch erst ansatzweise - die belastenden Rückwirkungen, die sie durch die Export-überschüsse im Euro-System produziert haben. Diese negative Rückkopplung wird durch die den Krisenländern im Gegenzug zu Finanzhilfen aufgezwungene Austeritätspolitik verstärkt. Deutsche Unternehmen beklagen die Exportverluste durch den gesamtwirtschaftlichen Niedergang in den Krisenländern. Kürzungen in den öffentlichen Haushalten, Lohnabbau und erhöhte Massensteuern beschleunigen dort die Abwärtsspirale der Gesamtwirtschaft.

Die aktuelle Systemkrise dieser Währungsunion stellt die langjährigen Exportprofiteure vor die Gretchenfrage:

Beide Optionen sind mit hohen Kosten und (außen)politischen Schäden verbunden. Die Bundesregierung drückt sich daher vor der Entscheidung zwischen den Optionen, solange es irgendwie geht. Dieses Drückebergertum wird als "Mittelweg" beschönigt: Durchwurschteln mit Ad-hoc-Maßnahmen und Trippelschritten. Dies lässt das Vertrauen in diese Währung zusammenbrechen. Wer ein weitgehend ungeordnetes - da krisenbedingt kurzfristiges - Auseinanderbrechen der Währungsunion mit all seinen Unwägbarkeiten für Wohlstand, Beschäftigung und Frieden in Europa verhindern will, dem bleiben nur weitreichende, mutige und zugleich schnelle Maßnahmen auf der Basis eines Zukunftskonzepts der ökonomischen Integration Europas.

Euroland bald abgebrannt? Gründungsfehler und Rettungstechnokratie ohne Visionen

Die politische Durchsetzung dieser Maßnahmen verlangt eine schonungslose Analyse der Triebkräfte, die zur Systemkrise geführt haben.3 [3] Dadurch lässt sich auch die schwer durchdringbare Gemengelage sortieren:

Monetärer Gründungsirrtum4 [4]

Die Weichenstellung in Richtung Systemkrise erfolgte mit dem 1992 ratifizierten Vertrag von Maastricht, der in den heute geltenden Lissabonner Vertrag eingegangen ist. Dieser völkerrechtliche Maastrichter Vertrag regelte nahezu ausschließlich die Schaffung der Währungsunion zusammen mit der Europäischen Zentralbank. Maßnahmen zur gegenseitigen Abstimmung der Wirtschafts-, Lohn- und Sozialpolitik waren in diesem Modell von Währungsunion nicht vorgesehen. Der Grad an gemeinschaftlicher Mindestkonvergenz, der von den aufzunehmenden Mitgliedsländern verlangt wurde, konzentrierte sich nur auf monetäre Kriterien. Diese Aufnahmekriterien standen ausschließlich unter dem Ziel, die Geldwertstabilität der neuen Währung zu sichern. Dazu gehörten auch die Verschuldungskriterien. Unterstellt wurde, dass ein Land mit nur bis zu 3 Prozent an jährlicher Neuverschuldung und 60 Prozent an Gesamtschulden, bezogen auf die Wirtschaftsleistung, kein Inflationspotenzial in die neue Währung einbringen wird. Übrigens setzen die beiden Kriterien ein nominales Wirtschaftswachstum von fünf Prozent voraus.

Gegen diese monetaristische Inflationsangst steht die Beobachtung der letzten Jahre: Der enorme Anstieg der Staatsverschuldung geht mit niedrigen Raten der Geldentwertung einher. Die Situation der Realwirtschaft und die wirtschaftliche Struktur der zukünftigen Euro-Länder spielten für den Zugang zur Währungsunion keine Rolle.

Diese Ignoranz ist kein Zufall, sondern die logische Folge der Illusion von einer Währungsunion, die genügend Kraft entwickelt, wirtschaftliche und politische Konvergenz voranzutreiben. Faktisch hat die Währungsunion die Spaltung der bereits beim Start zerklüfteten ökonomischen Landschaft vorangetrieben. Die stark unterschiedliche ökonomische Wettbewerbsfähigkeit unter der Dominanz der deutschen Wirtschaft sowie die divergierenden Wirtschaftsstrukturen haben am Ende die Schuldenkrise in den Mitgliedsländern mit geringer internationaler Konkurrenzfähigkeit verursacht.

Untragbare Handelsungleichgewichte

Wie sehr sich die Euro-Zone in der Konkurrenz auseinanderentwickelt hat, zeigen die dramatischen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen, wo vor allem Deutschland mit seiner aggressiven Exportorientierung mittels Niedriglohnsektor, Lohnzurückhaltung und Sozialabbau (Agenda 2010, Rente mit 67 etc.) seine europäischen Konkurrenten niederkonkurriert hat. Deutschland hat von 2000 bis 2010 über 1.000 Mrd. Euro an Exportüberschüssen gegenüber dem Ausland aufgehäuft, der größte Teil davon gegenüber den EU-"Partnern".

Im Gegenzug mussten andere Länder Importüberschüsse hinnehmen, denn die Überschüsse der einen sind immer die Defizite der anderen. Allein die Euro-Krisen-Länder Griechenland und Portugal haben von 2000 bis 2010 377 Mrd. Euro an Leistungsbilanzdefiziten aufgehäuft und mussten sich dieses Geld überwiegend im Ausland leihen. Die Krise der Euro-Zone ist daher vor allem und zuerst eine Auslandsschuldenkrise ganzer Länder (inkl. der Auslandsschulden der privaten Haushalte, Banken und Unternehmen) und nicht primär eine Staatschuldenkrise. Natürlich bestehen in den genannten Ländern auch erhebliche hausgemachte Missstände (z.B. die Steuerverwaltung in Griechenland oder das Unternehmensteuerdumping in Irland).

Für die Angleichung der Wirtschaften bzw. die Verhinderung von immer weiter zunehmenden Ungleichgewichten sah der Maastrichter Vertrag keine Instrumente vor. So ist die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion zum 1.1.2001 weniger wegen der hohen, zum Teil auch nicht offen ausgewiesene Staatsschulden zu kritisieren. Falsch war vielmehr, dass bei der Aufnahme dieses Landes keinerlei Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftsstrukturellen Schwäche sowie seiner mangelnden Wettbewerbsfähigkeit in das Integrationspaket gepackt wurden. Wirtschaftliche Entwicklungs- und Beschäftigungspolitik waren in den Dokumenten der Währungsunion Fremdworte. Auch der Fall eines Krisenlandes, das in die Insolvenz treibt, war nicht vorgesehen. Im Gegenteil, im Falle der drohenden Insolvenz eines Landes ist den anderen Mitgliedsländern sowie den EU-Institutionen mit der "No-Bailout"-Klausel jegliche Hilfe untersagt worden. Das gleicht einer Strategie zur Vermeidung von Verkehrsunfällen und Opfern im Straßenverkehr, indem man den anderen Verkehrsteilnehmern und Ärzten untersagt, Verletzten nach einem Unfall zu helfen.

Politischer Opportunismus, durchsichtige Interessen der deutschen Exportwirtschaft sowie integrationspolitische Naivität haben in die heutige, von Insolvenz bedrohte Situation der Krisenländer geführt. Vertragliche Regelungen waren für diesen Fall nicht vorgesehen, weil der Fall selbst nicht vorgesehen war. Die Fehlkonstruktion Binnenmarkt plus Währungsunion ohne eine Haftung für eine gemeinschaftliche, Konvergenz schaffende Politik, musste in die mit voller Wucht ausgebrochene Euro-Krise führen. Die internationale Finanz- und Bankenkrise seit 2007 ist insofern nur ein auslösender Faktor für die Systemkrise der Euro-Zone gewesen. Sie wäre früher oder später in jedem Fall eingetreten.

Finanzmarkt- und Bankenkrise

Nach der Methode der monokausalen Ursachenreduktion wird der drohende Zusammenbruch des Euro auf die Schuldenpolitik, vor allem in den Südländern, zurückgeführt. Sie hätten durch eine exzessive Ausgabenpolitik und unzureichende Einnahmenpolitik die Staatsschulden nach oben getrieben. Hier feststellbare Fehlentwicklungen erklären jedoch nicht die Wucht der Eurokrise. Vielmehr hat der Beinahezusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 die Euro-Währung schwer belastet. Vor allem ist das bedrohliche Schuldenproblem in den Krisenländern eine Folge und nicht Ursache der Bankenkrise. Krisenverschärfende Ad-hoc-Politik

Das heutige vor allem durch die deutsche Bundesregierung zu verantwortende Krisenmanagement lässt bisher eine offensive Integrationspolitik auch zur Korrektur der Gründungsfehler der Währungsunion nicht erkennen. Mit dem Durchmanövrieren von einem zum nächsten Krisengipfel wird die Vertrauenskrise vertieft. Die Gefahr des Absturzes wird durch eine kurzatmige Rettungstechnokratie erhöht. Dabei beschleunigt ein fundamentaler Widerspruch, getrieben durch die deutsche Euro-Politik, den Legitimationsverlust des europäischen Institutionengefüges. Im Prozess kurzfristigen Reagierens auf Krisensymptome mit Rettungsschirmen und einer instrumentalisierten Geldpolitik vollzieht sich nämlich scheibchenweise eine Teilübernahme gemeinschaftlicher Haftung für die Krisenländer. Weil das Vertragswerk aber grundsätzlich das Verbot der Beihilfe festlegt und dieses auch immer wieder beschworen wird, kann kein stabiles Vertrauen aufkommen.

Es fehlt der notwendige Mut, nach dem durch die aktuelle Euro-Systemkrise belegten Scheitern des Maastrichter Vertrags die No-Bailout-Klausel zugunsten einer kontrollierten Haftungsgemeinschaft über Bord zu werfen. Solange die Integration nicht durch diese gemeinschaftliche Haftungs- und Verantwortungsunion ergänzt wird, sind alle Schwüre und kurzfristigen Rettungsmaßnahmen gegen den Verfall des Vertrauens vergebens. Durch diese machtpolitische Orientierung tritt immer deutlicher hervor, dass die europäische Einigung ein Elitenprojekt ist, dem die breite demokratische Partizipation und Kontrolle fehlt.

Der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" (SVR) hat mit seinem Sondergutachten vom 5. Juli 2012 diese krisenverschärfende Politik, die die deutsche Bundesregierung vorantreibt, überraschend scharf kritisiert: "Die europäische Politik entspricht einer Strategie der Trippelschritte, bei der versucht wird, auf neue aufbrechende Krisenherde mit weiter ausgedehnten Rettungsschirmen oder einer Veränderung des Zugangs zur EFSF oder zum ESM zu reagieren."5 [5]

Der Sachverständigenrat schreibt von einer systemischen Krise und beschreibt zu Recht ausführlich den Zusammenhang von anhaltender Krise des Banken- und Finanzsystems, dem Schuldenüberhang der öffentlichen Bereiche (nicht nur in der Euro-Zone) und einer sich verfestigenden Wachstumsschwäche mit der Gefahr der Ausbildung einer rezessiven Abwärtsspirale. "Nach einer zeitweisen Entspannung in den ersten Monaten des Jahres 2012 ist die Euro-Krise bis zur Jahresmitte erneut eskaliert."

Die Bewertung der politischen Entscheidungen der europäischen Elite fällt durchaus ambivalent aus: "Trotz der jüngsten Zuspitzung der Lage sollte nicht übersehen werden, dass es der Politik auf der nationalen wie der europäischen Ebene in den vergangenen zwölf Monaten durchaus gelungen ist, mutige Schritte zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen einzuleiten.

So haben die Mitgliedsländer der Währungsunion den Stabilitäts- und Wachstumspakt gehärtet und sich mit dem Fiskalpakt gemeinsam dazu verpflichtet, auf nationaler Ebene verbindliche Beschränkungen für das strukturelle Defizit zu implementieren." Diese Hervorhebung von mutigen Schritten bleibt eingebunden in ein vernichtendes Gesamturteil zum bisherigen Krisenmanagement: "Die Staats- und Regierungschefs des Euro-Raums haben auf der Tagung des Europäischen Rates am 28./29. Juni 2012 Entscheidungen zur kurzfristigen Stabilisierung der Lage im Euro-Raum getroffen. Diese dürften den Problemländern zwar zu einer Atempause verhelfen; sie sind aus Sicht des Sachverständigenrates aber nicht dazu geeignet, die Krise zu beenden.

Die mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen gewonnene Zeit sollte daher dazu genutzt werden, möglichst bald umfassende Lösungen zu implementieren, die den Teufelskreis aus Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und makroökonomischer Krise durchbrechen und das verlorengegangene Vertrauen in die Stabilität und Integrität der Währungsunion wiederherstellen."

Die Mehrheit des SVR war in den letzten Jahrzehnten an der Verbreitung einer neoliberal-neoklassischen Politik, die auf die Entfesselung und Deregulierung des Finanzkapitals zielte, beteiligt. Das Scheitern der wirtschaftspolitischen Zukunftskonzeption eines vermögensgetriebenen Kapitalismus könnte daher auch Anlass einer selbstkritischen Überprüfung der zurückliegenden Beratungsleistungen sein. Immerhin betont der SVR, dass es um die Implementierung eines realökonomischen Strukturwandels gehen muss, soll die seit Jahren anhaltenden krisenhafte Konfiguration des Finanzsektors überwunden werden:

Eine makroökonomische Neuausrichtung der Volkswirtschaften ist unabdingbar, um die weitgehend im Ausland aufgelaufenen Schulden zu bedienen. Da jedoch, anders als im Falle einer eigenständigen Geldpolitik, den Problemländern der Weg versperrt ist, den sektoralen Restrukturierungsprozess über eine externe Abwertung zu unterstützen, muss dieser Prozess ausschließlich auf dem schmerzhaften Wege einer inneren Abwertung (Hervorh. im Original) geschehen, indem Ressourcen aus den eher binnenwirtschaftlich orientierten Sektoren, wie dem öffentlichen Sektor (etwa in Griechenland) oder dem Bausektor (etwa in Irland und Spanien), in die Sektoren mit sogenannten handelbaren Gütern umgelenkt werden.

Keine Frage: es müsste mit einem Politikwechsel eine Aussetzung der Austeritätspolitik geben und über ein staatlich finanziertes Investitions- und Wachstumsprogramm in Europa eine zukunftsorientierte Wirtschaftsstruktur implementiert werden, die sich eben nicht durch weitere Abwendung einer binnenwirtschaftlichen Ausrichtung und einen noch stärkeren Übergang zu einer höheren Wettbewerbsorientierung auszeichnet. Ein solcher Politikwechsel ist nur durchzusetzen, wenn bei massiver Verbesserung von Transparenz der Entscheidungen auch die Ansätze demokratischer Willensbildung und Kontrolle ausgebaut werden.

Nebelkerze Stabilitätsunion

Der populistisch eingesetzte Begriff Stabilitätsunion verdeckt die Tatsache, dass die damit bezweckte Politik die Instabilität und schließlich das Ende der Euro-Währung vorantreibt. Mit der Stabilitätsunion wird auch auf eine nachhaltige Regulierung der Finanzmärkte verzichtet. Spekulanten behalten die Instrumente, mit denen sie hochprofitabel auf den Zusammenbruch einzelner Länder, sogar auf das gesamte Euro-System, wetten. Machtvolle Hedgefonds und Investmentbanker treiben mit ihren Interessen die Politik vor sich her. Rettungsfonds sowie die Europäische Zentralbank sehen sich gezwungen, den mangels Vertrauen der Banken untereinander nicht mehr funktionierenden Interbankenmarkt zu ersetzen sowie das instabile Finanzsystem zu beruhigen.

Ohne eine Zerschlagung der Institutionen des Spekulationskapitalismus, also der Hedge-Fonds, der Investment- und Schattenbanken und des Monopols dreier Ratingagenturen, ist die Eurokrise, mit der sich derzeit viel Geld verdienen lässt, nicht zu überwinden. Ein Schritt in diese Richtung kann die vorgeschlagene Bankenunion mit einer gemeinschaftlichen Einlagensicherung und Aufsicht sein, die zur Vermeidung von Zusammenbrüchen in die Bankengeschäfte eingreifen darf.

Zur Stabilitätsunion der Bundeskanzlerin gehört die Vorbedingung Finanzhilfen für Krisenländer um den Preis einer gesamtwirtschaftlich unsinnigen Austeritätspolitik. Die Instrumente sind: Kürzungen in den öffentlichen Haushalten, Erhöhung der Massensteuern, Privatisierung der öffentlichen Vermögen sowie schrumpfende Arbeitseinkommen. Die Stabilitätsunion schafft in diesen Krisenländern Instabilität und treibt die ohnehin schwachen Wirtschaften in den Abgrund.

Die über fünf Jahre sich vertiefende Rezession in Griechenland ist maßgeblich eine Folge der aufgezwungenen Haushaltspolitik à la Brüning. Die schrumpfende Wirtschaft, sinkende Steuereinnahmen und wachsende Krisenkosten treiben die Neuverschuldung im Widerspruch zu den vorgegebenen Zielen nach oben. Gegen diese Katastrophenpolitik richtet sich das Konzept eines "Herkules-Plans": Im Mittelpunkt steht die Überwindung wirtschaftsstruktureller Defizite und damit die zeitaufwendige Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen. An den Fortschritten dieser Aufbaupolitik sollte die zeitliche Abfolge der Sanierung der öffentlichen Haushalte ausgerichtet werden.

Die angebliche Stabilitätsunion à la Merkel wird am Ende die Euro-Zone spalten und trägt maßgeblich zur politischen Instabilität in Europa bei. Letztlich wird durch den Übergang zur autoritären Austeritätspolitik die tief verwurzelte Idee der europäischen Zusammenarbeit beschädigt. Nationale Interessen gewinnen in dem unbeherrschten Krisenprozess die Oberhand. Von jeglicher diplomatischer Zurückhaltung entkleidet, stellt Jean Claude Juncker dieser Politik ein miserables Zeugnis aus. Der deutsche Standpunkt würde zur Messlatte. Deutschland behandele die Euro-Zone wie eine "Filiale".

Diese visionslose und post-demokratische Politik reduzierter Haftung sowie der Tabuisierung von Vergemeinschaftung im Klima nationalstaatlicher Ressentiments verschärft die Krise. Während eine Krisenlage die nächste provoziert und schließlich immer neue Gipfeltreffen ausgelöst werden, nimmt ungewollt der Druck zu, den Euro aufzulösen. Der Widerspruch, einerseits sich zur Euro-Währung zu bekennen, andererseits deren Zusammenbruch durch die Orientierung an nationalstaatlichen Ressentiments voranzutreiben, treibt die Vertrauenskrise politisch und ökonomisch voran.

Das Elend der rechthaberischen "Wutökonomen"

Während es längere Zeit in den Universitäten und Forschungseinrichtungen für Wirtschaftswissenschaft wegen der Tendenz zur ideologischen Verengung nur verdeckte Auseinandersetzungen gab, ist nach dem EU-Gipfel Ende Juni 2012 eine erbitterte Kontroverse um die Zukunft der Euro-Zone und des europäischen Projektes ausgebrochen. Die Verabredung über eine einzurichtende Bankenunion bedeute die "kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems" und gehe "zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit alldem wenig zu tun haben", lautete die populistische Kritik eines Aufrufs, der maßgeblich von Hans-Werner Sinn initiiert wurde.

Viele dieser Ökonomen fordern, streng nach der neoklassischen Doktrin, Lohnabbau auch durch den Ausbau von Niedriglohnjobs. An ärgerliche Unwissenschaftlichkeit grenzt die vermiedene Auseinandersetzung mit den Zielen und Funktionen einer Bankenunion, weil die eigentlichen Aufgaben einer Bankenunion unterschlagen werden. Durch sie sollen die Banken über eine gemeinschaftliche Einlagensicherung und über eine stärker grenzüberschreitende Aufsicht mit Interventionsrechten diszipliniert werden. Dazu gehört auch eine Restrukturierung der Banken, bei der im Zweifelsfall ein Institut auch geschlossen werden kann. Schließlich sollen die Banken einen Fonds zur Finanzierung der durch sie erzeugten Krisenkosten einführen. Natürlich reicht eine solche Bankenunion zur Verhinderung zukünftiger Krisen nicht aus. Sie muss daher dringend in ein System sehr viel strenger regulierter Finanzmärkte und einer europäischen Wachstumsstrategie eingebettet werden. Im Zuge einer Abstimmung der Wirtschafts-, Lohn- und Sozialpolitik müssen die dramatischen Ungleichgewichte im Außenhandel innerhalb der EU beseitigt werden, denn ansonsten werden einzelne Länder und deren Banken, Unternehmen und Haushalte regelmäßig in eine Auslandsüberschuldung hineingezwungen. Auslandsüberschuldung lässt sich in einer Währungsunion längerfristig nur durch zwischenstaatliche Politikkoordination, nicht aber durch die Bankenregulierung verhindern.

An die Stelle seriöser Analyse und eines kritischen Disputs tritt bei den oben genannten Ökonomen schlichte Wut gegen Vorschläge zur Rettung des Euro. Dazu gehören die fehlenden Hinweise auf die Frage ob und wie das Währungssystem weiter entwickelt werden soll. Während explizit keine Aussagen zur Rückkehr zu nationalen Währungen gemacht werden, finden Unterzeichner, die ein Zurück zur D-Mark wollen, einen Unterschlupf. Zu Recht ist - wie es Olaf Storbeck vom Handelsblatt titelte - von "Wutökonomen" die Rede.

Einen unschätzbaren Vorteil hat dieses Anti-Euro-Pamphlet allerdings. Massive Proteste sind innerhalb der Wirtschaftswissenschaft ausgelöst worden. Noch nie wurde in der jüngeren Geschichte der deutschsprachigen Ökonomik derart heftig gestritten. Die Frage nach der Zukunft des Euro scheint endlich die "mainstream economics" zu spalten. An die Stelle des beratenden Herrschaftswissens tritt endlich die diskursive Debatte.

Der "Wutausbruch" gegen die Bankenunion ist für die beratende Wirtschaftswissenschaft ein schwerer Rückschlag. Wen wundert es da, dass die Politik und Öffentlichkeit den Respekt vor der Beratungsökonomie verliert. Allerdings entwickeln sich aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs heraus auch wichtige Orientierungen zur nachhaltigen Sicherung des Euro-Währungssystems.

Ohne oder mit Euro: Kosten des Absturzes - Nutzen der Erneuerung

Das Klima für eine Renationalisierung der Währungen wird in doppelter Weise gestärkt. Zum Einen treibt eine sich von EU-Gipfel zu EU-Gipfel schleppende Ad-hoc-Politik ohne ein ernsthaftes Konzept in den Ausstieg aus dem Euro. Zum Anderen wird der Ruf "Gebt uns unsere D-Mark zurück" lauter.6 [6] Die Forderung nach dem Ausstieg aus dem Euro ist, verstärkt durch nationale Ressentiments, nicht nur an den Stammtischen populär. In der wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Diskussion werden Varianten mit unterschiedlicher Intensität zum Euro-Exit gehandelt.

Die Demontage einer Gemeinschaftswährung beginnt mit dem Vorschlag, ein Krisenland wie Griechenland solle zur Drachme zurückkehren. Dabei werden abstruse Modelle über eine Parallelwährung mit dem Euro und der Drachme gehandelt. Das Kunstprodukt heißt GEURO. All diese Ansätze sind ökonomisch nicht zu Ende gedacht. Eine Parallelwährung für Griechenland muss scheitern. Die laufenden Zahlungen wie Löhne werden nach diesem Modell in der neuen Währung notiert. Bargeldbestände und Sichteinlagen (Girokonten) verbleiben dagegen, um einen Banken-Run zu verhindern, auf Euro-Basis. Auch inländische Schulden sollen in der Weichwährung notiert werden. Die Folge sind massive Abschreibungen bei griechischen Banken.

Wie aber würde der Wechselkurs in dem Parallelwährungssystem geregelt? Der Wechselkurs zwischen der neuen griechischen Drachme und dem Euro soll je nach Angebot und Nachfrage auf den Devisenmärkten frei schwanken. Der Umtausch bzw. die Flucht des "schlechten" (GEURO) in das "gute" (Euro) Geld ist in diesem System vorprogrammiert. Diese Parallelwährung setzt wie die anderen Varianten zur Auflösung des Euro auf eine massive Abwertung der Drachme. Deshalb muss die Frage nach den Folgen der abgewerteten Drachme für die griechische Wirtschaft beantwortet werden.

In dieselbe Richtung zielt der radikale Vorschlag, Griechenland aus der Euro-Zone auszuschließen. Gewiss ist, die neue Drachme würde massiv abwerten. Von namhaften Ökonomen werden dieser Abwertung segensreiche Wirkungen für die griechische Exportwirtschaft zugeschrieben. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit würde gestärkt. Diese modellhaft konstruierte Erwartung findet in der Realwirtschaft keine Grundlage. Denn in Griechenland ist - vom Tourismus abgesehen - die Exportwirtschaft völlig unterentwickelt. Preisvorteile durch einen niedrigen Wechselkurs stoßen mangels technologisch und innovativer Unternehmen mehr oder weniger ins Leere. In Griechenland muss überhaupt erst die Exportwirtschaft durch eine aktive Wirtschaftsstrukturpolitik aufgebaut werden. Die Funktionsweise der in Griechenland unterstellten Wechselkursdynamik ist dem deutschen Modell abgeschaut. Hier handelt es sich um ein stark außenwirtschaftlich verflochtenes Land. Käme es zu einer Abwertung im Ausmaß Griechenlands, würde die Exportwirtschaft zumindest, bis es zu Gegenreaktionen aus den importierenden Ländern kommt, boomen. Aber Griechenland ist nicht Deutschland. Oftmals resultieren derartige Denkfehler aus der Faulheit, die Unterschiede zwischen Ländern im Euro-Raum zu untersuchen. Ohne Rücksicht auf den spezifischen Entwicklungspfad und die unterschiedlichen ökonomiestrukturellen Bedingungen wird das Modell Deutschland den Krisenländern übergestülpt.

Durch den einseitigen Blick auf die Exportwirtschaft werden die Folgen der Abwertung für die Importe kaum erfasst. Die erhoffte Abwertung der Drachme würde die importierten Güter und Dienstleistungen verteuern. Ein Inflationsimport wäre gewiss. Banken würden infolge der abgewerteten Kredite gegenüber dem Ausland zusammenbrechen. Am Ende würde sich Griechenland mit einer eigenen Währung zu einer Elendsökonomie entwickeln. Und dann stellt sich die Frage, ob das Land noch in der EU bleiben kann und wie dann die Transfers aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert würden. Schließlich wäre mit einem Dominoeffekt zu rechnen: Wenn Griechenland fällt, setzen die Wetten auf den Absturz weiterer Krisenländer ein. Die Renationalisierung der Währungen im zusammenbrechenden Euro-Land stünde am Ende dieses Erosionsprozesses.

Ob es zu einem schleichenden Zusammenbruch durch den Ausstieg zuerst nur eines Landes kommt oder die radikale Forderung nach der Auflösung des Euro-Währungssystem gestellt wird, ärgerlich ist, dass die gesamtwirtschaftlichen Folgen für die Mitgliedsländer sowie die Europäische Union kaum diskutiert werden. Die normalerweise auf empirisch fundierte Modelle ausgerichteten Ökonomen schweigen auffällig. Unübersehbar sind die Schwierigkeiten, einigermaßen gesicherte Aussagen beispielsweise über wirtschaftliche Wachstums- und Arbeitsplatzverluste zu treffen. Es gibt allerdings auch Interessen, diese Debatte zu verhindern. Auffällig ist: Je radikaler die Forderungen zum Euro-Exit sind, umso weniger werden die gesamtwirtschaftlichen Folgen thematisiert. An die Stelle einer rationalen Bewertung von Kosten und Nutzen treten sehnsüchtige Illusionen nach der Rückkehr zum DM-Imperialismus.

Der Sachverständigenrat hat in seinem Sondergutachten vom Juli 2012 erste Hinweise zu den Kosten der Rückkehr zur D-Mark gegeben7 [7]: Direkt betroffen wären Auslandsforderungen Deutschlands gegenüber den anderen Euroländern im Umfang von 2,8 Billionen Euro. Davon entfielen 1,5 Billionen Euro auf Unternehmen und Privatleute. Mehr als 700 Mrd. Euro Forderungen der Deutschen Bundesbank aus dem TARGET-Verrechnungssystem der EZB kämen möglicherweise dazu. Auch die bisher über die Rettungsschirme geleisteten Finanzhilfen, die auch nach einem Zusammenbruch des Euro-Systems bedient werden müssten, dürften in erheblichem Maße wertlos werden.

Nach einer Berechnung der WirtschaftsWoche wird der mögliche Verlust bei einer Insolvenz und nachfolgendem Austritt Griechenlands für Deutschland auf 77 Mrd. Euro geschätzt.8 [8] Über dieses monetäre Verlustpotenzial hinaus ist mit Belastungen der Realwirtschaft zu rechnen. Durch den schockartigen Absturz breitet sich eine Vertrauenskrise über die Wirtschaft aus. Bei den Unternehmen dominiert hinsichtlich von Investitionsentscheidungen die Devise: "abwarten und zusehen". Die Ausgabenbereitschaft der privaten Haushalte wird gedämpft. Auch die öffentlichen Haushalte schränken wegen der zu übernehmenden Krisenkosten die Ausgaben zu Lasten der Gesamtwirtschaft ein. Verluste der Banken durch erforderlich gewordene Abschreibungen transportieren über eine restriktive Kreditpolitik die Belastungen in die Realwirtschaft.

In Deutschland ist mit einer massiven Aufwertung der DM gegenüber den anderen Mitgliedsländern im alten ehemaligen Euro-Raum zu rechnen. Die Exportwirtschaft bricht ein, während sich die Importe verbilligen. Arbeitsplatzabbau folgt dem Einbruch der Exportwirtschaft. Infolge der aufwertungsbedingten Verluste bei der internationalen Konkurrenzfähigkeit droht eine Welle an Produktionsverlagerungen. Vorsichtige Schätzungen gehen in der Gesamtwirkung der kumulierten Effekte davon aus, dass die Gesamtwirtschaft nach zwei Jahren bis zu 15 Prozent geschrumpft sein könnte. Mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zu rechnen.

Über die ökonomische Dimension dieses Krisenszenarios hinaus wären die politischen Schäden riesig. Mit dem Zurück zur D-Mark-Hartwährungszone, der möglicherweise Österreich und wenige weitere Länder, jedoch nicht Frankreich, angehören könnten, würde die EU-Integration einen schweren Rückschlag erleiden. Die Grundlagen der bisherigen EU-Finanzpolitik mit dem Gemeinschaftshaushalt, der auch über die Strukturfonds zur Angleichung der Wirtschaftsstrukturen eingesetzt wird, wären bedroht. Eine gemeinsame EU-Politik im Bereich der Regulierung der Finanzmärkte mit dem Schwerpunkt Bankenkontrolle würde durch die Spaltung zwischen dem DM-Hartwährungsblock gegenüber den Krisenländern mit anfälligen Währungen kaum noch durchsetzbar sein.

Hat sich der Euro bisher gelohnt?

Mit diesen noch recht vagen Szenarien lassen sich nur erste Grundlinien zeichnen, welche Kosten ein Ende des Euro mit sich bringen würde. Die Antworten auf die Frage "Lohnt sich der Euro?" bringt weitere Erkenntnisse. Da stehen viele positive Posten in der Euro-Bilanz: Entgegen den weitverbreiteten Unkenrufen hat sich der Euro seit seiner Gründung nicht zum dauerhaften Teuro entwickelt. Seit seiner Gründung liegt die Inflationsrate knapp unter zwei Prozent. Auch der Außenwert gegenüber wichtigen anderen Währungen war über viele Jahre recht hoch. Dabei hat die Exportwirtschaft Deutschlands vor allem durch die Lieferungen innerhalb der Eurozone profitiert. Erst im Zuge der aktuellen Eurokrise musste die neue Währung Wertverluste hinnehmen. In der Exportwirtschaft wird der Euro auch außerhalb der Währungsunion eingesetzt. 2011 sind bei den Außenhandelsgeschäften mit Ländern außerhalb der Euro-Zone über 67 Prozent der gesamten deutschen Exporte in Euro abgerechnet worden.

Der Euro hat sich auch zur attraktiven Währungsreserve gemausert. China hält mehr als 30 Prozent seiner Devisenreserven in Euro. Dass der Euro zwischen den Mitgliedsländern die früheren Informations- und Umtauschkosten erübrigt hat, steht ebenfalls auf der positiven Seite seiner Bilanz. Hätte es den Euro während der jüngsten Finanzmarktkrise nicht gegeben, wäre mit massiven Spekulationsgeschäften gegen die Währungen - beispielsweise D-Mark gegen französische Franc - zu rechnen gewesen. Das Europäische Währungssystem (EWS), mit dem versucht wurde, Wechselkurse durch Interventionen der Notenbank einigermaßen stabil zu halten, wäre unter dem Spekulationsdruck mit Sicherheit längst zusammengebrochen. Die Gemeinschaftswährung hat Spekulanten wie George Soros, die in den 1990er Jahren erfolgreich gegen einzelne europäische Länder gewettet haben, das Geschäft entrissen.

Politischen Zeitdruck entschleunigen

Diese Vorteilsliste für den Euro ist stark ökonomisch ausgerichtet. Das Euro-Währungssystem hat nur dann eine Zukunft, wenn die demokratische Fundierung dieser Vergemeinschaftung ernst genommen wird. Hektische Finanzmärkte lösen, angetrieben durch den roboterhaften Hochfrequenzhandel, einen irrationalen Zeitdruck aus und verlangen von der Politik Über-Nacht-Entscheidungen. Die Spekulationsgeschäfte auf kleinste Arbitragen erzeugen politische Krisenlagen, deren schnelle Bekämpfung im Widerspruch zum Zeitbedarf der demokratisch-parlamentarischen Entscheidungsfindung steht. Deshalb müssen Grundregeln der parlamentarischen Beteiligung vereinbart und deren Primat durchgesetzt werden. Der enorme, zeitliche Entscheidungsdruck kann durch die auf realwirtschaftliche Geschäfte eingeschränkten Finanzgeschäfte reduziert werden. Dadurch wird Zeit für politisch fundierte Entscheidungen zurückgewonnen.

In einem Aufruf an die SPD fordern Jürgen Habermas, Peter Bofinger und Julian Nidda-Rümelin gegen die Übermacht des Finanzsektors die "Selbstermächtigung der Politik". Statt einer "marktkonformen Fassadendemokratie" geht es um einen grundlegenden Kurswechsel in der Europapolitik zu "mehr Integration, mehr Demokratie und politische Einheit".9 [9] Die erforderliche Vergemeinschaftung bisher nationaler Souveränitätsrechte macht eine umfassende Demokratisierung der EU-Entscheidungsorgane bis hin zur EU-Bürokratie erforderlich. Hierbei müssen dem Europäischen Parlament spiegelbildlich zu den der EU übertragenen, bisher nationalstaatlichen Souveränitätsrechten sämtliche parlaments-typischen Entscheidungskompetenzen einschließlich der Gesetzgebungsinitiative und Regierungsbildung übertragen werden.

Mit wirksamen Instrumenten die monetäre Integration vertiefen

Nochmals, der Euro steht vor dem Abgrund. Der Absturz kann jedoch durch eine mutige und entschiedene Politik der monetären Integration verhindert werden. Dagegen ist die heutige Politik im Namen der Euro-Krise kleinkariert, von nationalen Ängsten getrieben. Es fehlen der Mut und die Vision. Mit den nötigsten immer wieder nachgelegten Maßnahmen kommt die Politik am Ende dort an, wo die Rückkehrer zur D-Mark hinwollen: Das Euro-Währungssystem bricht zusammen und wird durch renationalisierte, in der EU spalterisch wirkende Währungen abgelöst. Wie die durch die schweren Gründungsfehler provozierte Systemkrise lehrt, ist der Euro nur dann zu retten, wenn die gemeinschaftliche Haftung und Verantwortung gesichert sind.

Der Umgang mit der gemeinschaftlichen Haftung wird zum Scheidepunkt. Wird trotz vieler Rettungsmaßnahmen weiterhin auf der Doktrin der Nichtbeistands-Klausel (No-Bailout-Klausel) bestanden, dann wachsen die Risiken. Die tauglichen Maßnahmen zur Euro-Rettung erweitern die gemeinwirtschaftliche Haftung. Spiegelbildlich werden nationalstaatliche Kompetenzen an die Euro-Gemeinschaft übertragen. Mit der viel beschworenen Dehnung der heute geltenden Verfassung lässt sich dieses Ziel nicht realisieren.

Der Lissabonner Vertrag mit den Regelungen zur monetären Integration aus dem ursprünglichen Maastrichter Vertrag muss geändert werden, denn viele der für ein Überleben des Euro notwendigen Maßnahmen sind damit schlicht unvereinbar. Der heutige Vorwurf des Vertragsbruchs ist die Folge schwerer Gründungsfehler. Der Vertragsbruch sollte durch eine Vertragsreform, die die jüngsten Erfahrungen anerkennt und ein Instrumentarium für die Rettung des Euro zur Verfügung stellt, abgelöst werden.

Die EU ist spätestens seit dem ersten Hilfspaket für Griechenland im Frühjahr 2010 in einem zähen Lernprozess. Erste Erfahrungen mit den Rettungsschirmen, mit der Europäischen Zentralbank, mit einem Teilschuldenschnitt bei griechischen Staatsanleihen liegen vor. Die im Lernprozess realisierten Maßnahmen zur Euro-Rettung reichen jedoch nicht aus. Mit dem Mut zur Vision einer künftigen Wirtschafts- und Währungsunion innerhalb einer politischen Union sollte Schritt für Schritt die Währungsunion ausgebaut und zu einem Gesamtkonzept eines sozialen, demokratischen Europas integriert werden.

Vorgeschlagen wird ein ausbaufähiger Masterplan mit den folgenden Schwerpunkten:

Rettungsschirme: Mit der Einführung der Rettungsschirme ist die im Maastrichter Vertrag festgeschriebene Nicht-Haftung für Krisenländer erstmals durchbrochen worden. Um fällig gewordene Anleihen an die Gläubiger auszahlen zu können, werden den Krisenländern Kredite zur Verfügung gestellt. Der Schuldner wechselt zum gemeinschaftlich gesicherten Rettungsfonds. Durch die ausschließliche Sicherung der Refinanzierungsfähigkeit fließt jedoch kein Euro in den öffentlichen Haushalt des Krisenlandes. Damit lösen die Rettungsschirme die Ursachen der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht. Einerseits wird wichtige Zeit gekauft, die auch zur Sanierung genutzt werden muss. Andererseits werden die Krisenländer bei der Refinanzierung von den Kapitalmärkten entkoppelt. Spekulanten werden rausgehalten und den Gläubigern ihre Staatsanleihen gesichert.

Die EFSF (European Financial Stability Facility) mit einem Gesamtgarantievolumen von 780 Mrd. Euro bei einem Haftungsanteil von 211 Mrd. Euro für Deutschland soll nach den Plänen der meisten Europäischen Regierungen noch in diesem Jahr durch den ESM (European Stability Mechanism) abgelöst werden. Bei einem Volumen von über 700 Mrd. Euro (Deutschland trägt davon 27,1 Prozent) stehen wegen der notwendigen Übersicherung der vergebenen Kredite nur 500 Mrd. Euro für Bürgschaften und Garantien zur Verfügung10 [10]. Rettungsschirme sind eine kurzfristig notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung zur ökonomischen Rettung der Krisenländer. Vor allem aber darf die Vergabe von Beistandskrediten nicht an ökonomisch falsche, sozial ungerechte und demokratisch nicht legitimierte Bedingungen geknüpft werden. Die bisherigen Erfahrungen verweisen auf notwendige Reformen:

  1. Die Volumenbegrenzung eines "Rettungsfonds" (z.B. mit 700 Mrd. Euro beim ESM) wirkt immer kontraproduktiv. Spekulanten werden immer wieder darauf wetten, dass das Volumen für weitere Krisenländer wie Spanien und Italien nicht ausreichen wird. Bei einem unbeschränkten Volumen, das durch alle Krisenländer genutzt werden kann, verlieren diese Spekulationen ihr Terrain.
  2. Dazu sollte ein künftiger Rettungsfonds mit einer Bankenlizenz ausgestattet sein, damit er - wie jede normale Geschäftsbank auch - kurzfristig Kredite bei der EZB aufnehmen kann. Im Kampf gegen Spekulanten ist dem Rettungsfonds auch der Kauf von Staatsanleihen direkt von den ausgebenden Staaten (Primärmarkt) zuzulassen. Dadurch werden die spekulativ überhöhten Zinssätze gedrückt und die Finanzmärkte stabilisiert. Schließlich sind die Banken trotz billigen Geldes durch die EZB nicht bereit, Staatsanleihen aufzukaufen und die Kreditvergabe auszuweiten. Die Bankenlizenz würde es dem Rettungsfonds gestatten, im Austausch gegen die erworbenen Staatsanleihen als Pfand Kredite von der EZB zu erhalten.
  3. Künftig sollte die Bindung von Finanzhilfen an eine strenge Austeritätspolitik aufgehoben werden. Denn durch die gesamtwirtschaftlichen Einsparungen wird die Wirtschaft stärker destabilisiert als die Hilfskredite zur Stabilisierung beitragen können. Die Folge ist eine Verschärfung der Abwärtsspirale in den Krisenländern. Die Steuereinnahmen schrumpfen und am Ende steigt die Staatsverschuldung. Dieser Teufelskreis lässt sich nur durch eine Sanierung der Krisenländer über die Stärkung der ökonomischen Entwicklung durchbrechen. Kurzfristige Finanzhilfen sollten mit einem mittelfristigen Aufbauprogramm verknüpft werden. Gegen die Brüningsche Notverordnungspolitik am Ende der Weimarer Republik ist ein Herkulesplan zur Stärkung der schwachen Ökonomien zu setzen.

Europäische Zentralbank: Unter dem Ziel, die Finanzmärkte zu stabilisieren sowie die spekulativ hochgetriebenen Zinssätze für Bonds aus den Krisenländern zu senken, spielt die EZB zusammen mit den Europäischen Rettungsfonds eine wichtige Rolle.11 [11] Der Notenbank bleibt nichts anderes übrig, als auf den Märkten gehandelte Staatsanleihen aus den Krisenländern aufzukaufen. Allein zwischen Mai 2010 und Juli 2012 sind Staatsanleihen im Wert von knapp 212 Mrd. Euro in die Bilanz der EZB gewandert. Zur Entspannung der Lage wurde den Banken auch noch Kredit über 1.000 Mrd. Euro bei einer Laufzeit von drei Jahren zum Leitzins zur Verfügung gestellt.

Vom Einsatz der "dicken Bertha" zur Versorgung der Banken mit Liquidität und von "Bazooka-Politik" im Rahmen des Aufkaufs auch von Junkbonds aus den Krisenländern ist die Rede. Diese Geldschwemme provoziert und stößt auf Unverständnis. Gläubigern werden die Staatsanleihen garantiert und die Banken erhalten Liquidität, die diese allerdings nicht ausreichend an die Wirtschaft weitergeben. Auch erfolgt der erwünschte Kauf der Staatsanleihen von Krisenländern durch die Banken nicht in gewünschtem Maße. Die Notenbank fühlt sich zu dieser Verzweiflungstat gezwungen, weil ihr andere Instrumente zur Lösung der Krise des Interbankenmarkts und der spekulativ hochgetriebenen Zinssätze in den Krisenländern nicht zur Verfügung stehen. Da aber die Kosten eines kompletten Zusammenbruchs des Finanzsystems noch viel höher eingeschätzt werden, beschreitet die EZB diesen umständlichen Weg. Diese Geldpolitik, die in keinem Lehrbuch abgehandelt wird, steht aber formal im Widerspruch zu ihrer Aufgabenstellung in den EU-Verträgen. Die massive Krise, die bei der Schaffung des Amsterdamer Vertrags nicht vorstellbar war, zwingt zu diesem Vertragsbruch.

Wie gesagt, anstatt rechthaberisch auf dem untauglichen Vertrag zu bestehen, sollte das Vertragswerk reformiert werden. Die EZB hat weitere Käufe an Staatsanleihen aus den Krisenländern, die unter dem Rettungsschirm sind, angekündigt. Unter der Hand wird diese formale Vertragsverletzung auch von der deutschen Bundesregierung und der Bundesbank geduldet, weil sich die kriselnden Länder im Gegenzug zur Sanierung durch die Schrumpfung öffentlicher Haushalte verpflichten müssen. Die Folge ist die schon mehrfach beschriebene ökonomische Abwärtsspirale. Die Notenbank sollte ihre Aufkäufe von Staatsanleihen daher bestenfalls indirekt an ein mittelfristiges wirtschaftliches Wachstums- und Beschäftigungsprogramm koppeln, nicht aber an die bisherige Sparpolitik.

Gefangen in der monetaristischen Logik dominiert die Sorge, diese Geldschwemme könnte eine gigantische Inflation auslösen. Erwartet wird mit der Geldausweitung eine Inflation infolge steigender Nachfrage. Dieser Zusammenhang greift jedoch nicht. Denn die Liquiditätsschwemme führt nicht zu einer entsprechenden Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gegenüber einem knappen Angebot. Wie soll das auch geschehen? Die Nachfrage der Unternehmen nach Investitionen, die Konsumausgaben der privaten Haushalte sowie der Staatsnachfrage unter dem Diktat der Schuldenbremse schwächeln. Das Geld aus EZB-Krediten ersetzt eben nur den früheren Geldmarkt zwischen den Banken, es kommt nicht bis zur Ladentheke und führt daher auch nicht zu Inflation. Nicht eine exzessive Inflation, sondern eine Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums ist daher zu erwarten.

Es gibt einen Weg aus dieser aktuell unvermeidbaren Bazooka-Politik der EZB. Die Bankenunion sowie die Regulierung der Finanzmärkte, die die Investmentbanken und Hedgefonds diszipliniert, schaffen dafür die Voraussetzungen.

Abbau der Altschulden: Während mit den Rettungsfonds die Refinanzierung fälliger Staatsanleihen in hochverschuldeten Ländern vergemeinschaftet wird, muss endlich aus dem Teufelskreis von Altschulden und hohen Zinsbelastungen ausgestiegen werden. Dazu hat der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" einen interessanten Schuldentilgungspakt vorgeschlagen, der jedoch in zwei Punkten verändert werden muss12 [12]. Staatsanleihen, die über 60 Prozent der Wirtschaftskraft hinausgehen, werden in einen gemeinschaftlich verantworteten Tilgungsfonds übertragen. Der Fonds darf für die Abwicklung der Refinanzierung Anleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren aufnehmen. Die Länder übernehmen die Ausgaben für die Tilgung und Zinszahlungen. Dazu soll eine Sonderabgabe - etwa auf die Einkommensteuer - einbezahlt werden. Der Fonds mit einer Laufzeit bis zu 25 Jahren hätte derzeit ein Volumen von 2,6 Billionen Euro. Deutschland würde 537,8 Mrd. Euro an Altschulden dem Tilgungsfonds übereignen. Mit diesem Tilgungsfonds würde erstmals ein Teil der Altschulden vergemeinschaftet.

In zwei Punkten sollte der Vorschlag zur Teilvergemeinschaftung der Altschulden deutlich korrigiert werden:

Eurobonds: Während mit dem Schuldentilgungspakt für die Altschulden die gemeinsame Haftung übernommen wird, geht es bei den Eurobonds darum, die künftigen Ausgaben neuer Schuldtitel durch alle Mitgliedsländer zu verantworten. Die Gesamtheit des Euro-Clubs übernimmt die Haftung und Verantwortung.

Modelle zur Gestaltung der Eurobonds liegen vor. Jacques Delpla und Jakob von Weizsäcker haben vorschlagen, die durch die Euroländer garantierten Eurobonds entsprechend der geltenden Schuldenstand-Regel auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Gegenüber diesen "Blue Bonds" hafte bei den darüber hinausgehenden "Red Bonds" nur das jeweilige Land13 [13]. Würde der zuvor beschriebene Schuldentilgungspakt realisiert, dann hätten alle Euro-Länder ausreichend Zugriff auf die vergemeinschafteten "Blue Bonds". Sollte der Schuldentilgungsfonds aber nicht kommen und die Krisenländer ihre hohen Altschuldenbestände mittelfristig umschulden müssen, werden sie einen ökonomisch untragbar hohen Preis für die "Red Bonds" zahlen müssen. Das Konzept müsste daher entsprechend überarbeitet werden.

Gegen die kollektivierte Haftung von Eurobonds im Rahmen der Schuldenpolitik gibt es scharfe Kritik. Der Euro ist jedoch ohne eine Ausweitung der Haftung dauerhaft nicht zu haben. Dabei können Eurobonds als hoch attraktives Anlageprodukt in anderen Währungsregionen der Welt genutzt werden. Am Ende wird der Zinssatz nicht durch die Schwächsten, sondern die Stärksten im Haftungsverbund bestimmt. Die Vorteile sind:

Zum Einstieg sind auch Projektbonds vorgeschlagen worden. Diese dienen zur Finanzierung der durch die EU verantworteten Großprojekte (Ausbau der Stromnetze, Verkehrssysteme, Technologieparks). Solange hinter diesen Projekten eine langfristig angelegte Strukturpolitik in Richtung auf eine sozial-ökologisch tragfähige Wirtschaftsweise steht, wären solche Projektbonds sicher zu begrüßen. Die Erfahrung mit europäischen Großprojekten raten aber zu großer Vorsicht.

Bankenunion: Die sehr dürftigen Hinweise im Schlussdokument des EU-Gipfels Ende Juni 2012 haben ausgereicht, massive Proteste auszulösen. Die eher neoklassisch ausgerichteten "Wutökonomen" befürchten den direkten Marsch in die Sozialisierung der Verluste bei Bestandsgarantie für die Banken.

Auch Wieslaw Jurczenko beschwört in seinem Beitrag in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" einen "europäischen Bankensozialismus".14 [14] Zwischen rechtspopulistischer Argumentation und linker Kritik scheint es Gemeinsamkeiten zu geben. Diese unterstellte Ideennähe hält jedoch einer Überprüfung nicht stand. Jurczenko fordert zu Recht "Regulierung statt Bankensozialismus" bzw. anders ausgedrückt: die Existenz großer und daher systemisch gefährlicher Banken, die im Krisenfall vom Staat gerettet werden müssten, muss in Zukunft durch Größenbegrenzungen und automatische Zerschlagungen verhindert werden.

Eine starke Bankenregulierung mit harten Eingriffsrechten einer europäischen Aufsichtsbehörde ist eine unabdingbare Basis für eine funktionsfähige Währungsunion, denn sie ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche geldpolitische Steuerung durch die Europäische Zentralbank und einen stabilen Finanzsektor. Wenn beispielsweise Sparer in Spanien wegen der Krise ihr Geld abziehen und auf andere Banken im Euro-Raum verlagern, dann fehlt dort den Geldinstituten dringend erforderliches Geld. Diesen Verlust an Geldmenge bei den spanischen Banken kann die allgemeine Geldpolitik der EZB nicht kompensieren. Deshalb müssen sich alle Sparer in der Währungsunion einigermaßen gleich sicher fühlen. Dann besteht auch kein Anreiz, die Gelder über die Grenze zu schaffen.

Diese gemeinsame europäische Einlagensicherung würde auch insofern Sinn machen, als dass deutsche Banken mit der Kreditvergabe an spanische Banken im Zuge einer komplett absurden und offensichtlichen Immobilienblase wesentliche Mitschuld an der Situation in Spanien tragen. Wenn sie entsprechend in Zukunft für die von ihnen mit zu verantwortenden Pleiten spanischer Banken gerade stehen müssen, so trifft das teilweise keine Unschuldigen. Dabei muss aber sichergestellt sein, dass die Beiträge zur gemeinsamen Einlagensicherung nach dem Geschäftsgebaren bemessen sind und nicht alle Banken pauschal gleichermaßen zur Finanzierung herangezogen werden. Auch muss es einzelnen Bankengruppen unbenommen bleiben, über eine europäische Einlagensicherung hinaus z.B. als Sparkassen bzw. Genossenschaftsbanken an ihrem System der Institutssicherung festhalten zu dürfen.

Eingerichtet werden sollte daher ein eigenständiger Europäischer Banken-Rettungsfonds, der aus jährlichen Beiträgen der Banken, die nach den jeweils erzeugten Risiken gestaffelt werden, finanziert wird und damit den Staat von Lasten im Falle der Insolvenz freihält.

Hinsichtlich einer Europäisierung der Bankenaufsicht ist darauf zu drängen, dass eine schlagkräftige Aufsicht nicht erst bei ausbrechenden Krisen in die Geschäftspraxis einer Bank interveniert, sondern frühzeitig fragwürdige Geschäftsmodelle untersagt.

Ohne eine grundlegende Regulierung der Finanzmärkte ist die Bankenunion zum Scheitern verurteilt. Spekulatives Investmentbanking ohne Kundenauftrag, das im Absturz alle Kunden mitreißt, muss zerschlagen und ein gesamtwirtschaftlich dienendes Bankensystem, in dem Geldinstitute auch Pleite gehen können, transformiert werden. Dabei greift die bloße Forderung nach einer Trennung des "normalen Kundengeschäfts" der Banken vom riskanten Investmentbanking zu kurz. Nach der bildlichen Aufspaltung der Deutschen Bank in einen Bank- und einen Spielbank-Turm, wie sie Heiner Flassbeck so anschaulich vorschlägt, muss die Spielbank geschlossen werden. Denn selbst wenn die Geschäftsbanken von ihrem Casino-Geschäft eigentumsrechtlich getrennt würden, könnten die Spielbanken durch ihre Zockerei weiterhin die staatliche Refinanzierung durcheinanderbringen oder die Preise von Lebensmitteln und Rohstoffen spekulativ hochtreiben.

Die klare Botschaft muss sein: das Finanzsystem braucht keine Spielbanken! Hierauf hat auch Sigmar Gabriel mit seinem Thesenpapier zur Neuordnung der Banken und des gesamten Finanzsektors aufmerksam gemacht.15 [15] Ohne einen entmachteten Finanzsektor und hier insbesondere ohne eine entschiedene Politik gegen die als Schattenbanken operierenden Hedgefonds16 [16] wird am Ende auch der Euro scheitern.

Schattenbanken sind Unternehmen, die bankähnliche Geschäfte erledigen, ohne eine Banklizenz zu besitzen. Sie unterliegen daher nicht der Regulierung für Kreditinstitute und haben keinen Zugang zur Liquidität der Zentralbank. Die begrenzten nationalen und europaweiten Maßnahmen haben die Schattenbanken bislang nicht trockenlegen können.

Die Politik muss endlich begreifen, dass die Existenz der Schattenbanken eine Einladung zur Regulierungsvermeidung darstellt. Die Devise muss daher lauten: Gleiche Regeln für gleiches Geschäft. Für alle Aktivitäten auf den Finanzmärkten müssen die gleichen Anforderungen in Bezug auf Transparenz, Risikomanagement, Liquidität und Eigenkapital sowie auf eine geordnete Abwicklung im Insolvenzfall gelten - gleichgültig, ob die jeweiligen Akteure über eine Banklizenz verfügen oder nicht. Nur so lassen sich eine weitere Blase und damit die Neuauflage der gegenwärtigen Finanzmarktkrise verhindern.

Finanztransaktionsteuer: Die Europäische Kommission hat einen Richtlinienentwurf über die Einführung einer Finanztransaktionsteuer (FTT) vorgelegt. Dies ist ein bedeutender Durchbruch für einen Vorschlag, für den sich bereits seit vielen Jahren Nichtregierungsorganisationen, insbesondere Attac einsetzen, und der kürzlich auch die Unterstützung der deutschen und französischen Regierung gefunden hat. Eine europaweite Finanztransaktionsteuer auf sämtliche Finanzmarktgeschäfte und -produkte ist wegen des Widerstands von Ländern wie Großbritannien bislang nicht in Sicht. Mindestens neun Befürworterstaaten wollen eine solche Abgabe allerdings im Rahmen einer "verstärkten Zusammenarbeit" als Vorreiter einführen. Unter ihnen ist neben Frankreich auch Deutschland.

Der Richtlinienentwurf der Kommission hat viele der Elemente aufgegriffen, um die sich die AktivistInnen bemüht haben, einschließlich der Besteuerung von OTC-Derivaten, das Wohnsitzprinzip zur Vermeidung von Steuerumgehung und vor allem die Absicht, nicht nur öffentliche Einnahmen zu erzielen, sondern einen Regulierungsrahmen gegen Spekulation zu schaffen, insbesondere im Hochfrequenzhandel.

Schrumpfung des Finanzsektors

All die skizzierten Maßnahmen zielen nicht nur auf eine solidarische Refinanzierung von Schulden, sondern die Re-Regulierung des Finanzbereiches zielt letztlich auf eine Schrumpfung dieses Bereiches und eine Stärkung des realen Wirtschaftens. Die Expansion des Finanzsektors seit Beginn der 1990er Jahre und seiner Dominanz über die Realwirtschaft muss grundlegend rückgängig gemacht werden. Die Finanzunternehmen haben sich einen immer größeren Anteil des Volkseinkommens angeeignet und, nach einem kurzen Zwischenspiel, schütten sie erneut hohe Bonuszahlungen aus. Sie haben deutlich versagt, ihren finanziellen Beitrag zur Schaffung guter Arbeitsplätze zu leisten und durch die Schaffung eines massiven Überbaus aus Derivaten und anderen komplexen Wertpapieren haben sie eine Instabilität herbeigeführt, die nur drei Jahre nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 die Zukunft der europäischen Wirtschaften erneut gefährdet.

Die Hintergründe offenlegen

Der starke Anstieg der Staatsschulden ist nicht die Ursache der Krise, sondern vielmehr ihre Folge. Die Staaten mussten sich in den vergangenen vier Jahren massiv verschulden, erstens wegen der Maßnahmen zur Rettung der Banken, zweitens wegen der Stabilisierungsprogramme, die den Konjunktureinbruch infolge der Finanzkrise bremsen sollten, und drittens wegen des drastischen Rückgangs der Steuereinnahmen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Sobald die Staatsschulden in die Höhe stiegen, nutzten dieselben Finanzunternehmen, die gerade noch von den Rettungsmaßnahmen profitiert hatten, die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone, um gegen das jeweils schwächste Glied in der Kette zu spekulieren. Es ist untragbar, wie sehr inzwischen die südlichen Euro-Staaten und ihre als vermeintlich faul oder unfähig beschimpften Bevölkerungen für die Krise verantwortlich gemacht werden, anstatt der Nieten in Nadelstreifen in den europäischen Großbanken und in der staatlichen Finanzregulierung und -aufsicht.

Sinnvoll investieren, statt sinnlos sparen

Von den Regierungen der EU wird Sparpolitik als Allheilmittel angesehen. Die Wirtschaftskrise fordert einen hohen Tribut von der Gesellschaft, in Form von Beschäftigungsrückgang, Zunahme der Arbeitslosigkeit, Teilzeit- und befristeten Arbeitsverträgen sowie zunehmender Ungleichheit und Armut. Die Rettung Europas kann nur gelingen, wenn sich die EU und die Staaten endlich vom Diktat der Finanzmärkte befreien und die Belastung der Wirtschaft durch immer neue Kürzungsprogramme beenden.

Um den Gefahren einer erneuten Rezession entgegenzuwirken, ist ein umfangreiches Programm öffentlicher Investitionen erforderlich. Solche Investitionen sollten Teil einer langfristigen Strategie zur Förderung von Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit sein und auf nationaler Ebene sowie auf EU-Ebene angeregt werden, einschließlich eines ambitionierten Plans zur Förderung von Investitionen in den Ländern, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Für die Finanzierung dieser Programme könnte die Europäische Investitionsbank in großem Umfang herangezogen werden, die bereits ermächtigt ist, Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten herauszugeben

Übergangsweise müssten in den Krisenstaaten private Investitionen durch ein System von staatlichen Anreizen in eine Richtung gelenkt werden, das sich mittelfristig an den Zielen einer modernisierten Wirtschaftsstruktur orientiert. Zu den Instrumenten dieser Politik zählen etwa Landesentwicklungspläne und Raumordnungsprogramme, die zu einem langfristigen staatlichen Infrastrukturkonzept ausgebaut werden sollen.

Die in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU vorgegebenen und von den Programmen der EU und des IWF geforderten Sparpolitiken sind wirtschaftlich kontraproduktiv, weil dadurch das Wirtschaftswachstum belastet wird. In sozialer Hinsicht sind sie gefährlich, da sie viele Mitgliedsländer in die Armut treiben und zu einer stärkeren gesellschaftlichen Polarisierung führen. Aufgrund der durch die Krise verschärften sozialen Konflikte bereiten die Sparmaßnahmen den Nährboden für politische Spannungen, wenn nicht sogar für politische Instabilität, zumal der Rechtspopulismus zunimmt.

Ein neues Europa denken

Die Währungspolitik muss durch eine gemeinsame Fiskal- sowie eine kohärente Wirtschaft- und Sozialpolitik ergänzt werden. Das Ziel dieser Erweiterungen ist die Förderung von Vollbeschäftigung mit guter Arbeit. Die aktuelle Politik, die finanzielle Unterstützung für Griechenland und andere Mitgliedsstaaten von der Durchführung von drakonischen Sparmaßnahmen abhängig macht, ist sozial ungerecht. Außerdem treibt sie die Länder in noch schwerere Rezessionen, was es ihren Regierungen zusätzlich erschwert, ihre Schulden zu reduzieren.

Die Europäische Währungsunion war von Anfang an eine Fehlkonstruktion, weil die Vereinheitlichung der Geldpolitik nicht durch eine Koordination der Wirtschafts-, Sozial- und Fiskalpolitik ergänzt wurde. Eine einheitliche Geldpolitik für eine Gruppe von Ländern mit recht unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen, Arbeitsmärkten und Unternehmenslandschaften führt unter Konkurrenzbedingungen notwendigerweise dazu, dass sich die Unterschiede dieser Länder eher verstärken.

Die EU - und in noch stärkerer Form die Euro-Zone - ernten mit der derzeitigen Krise daher die Früchte ihres Leitbildes: Im Wettlauf gibt es nur einen oder wenige Gewinner, und Gewinner gibt es nur, wo es auch Verlierer gibt. Und die Verlierer werden nun mal - auch das eine unausweichliche Konsequenz der Marktlogik - von den Märkten abgestraft, gehen Bankrott und verschwinden vom Markt. Aber wohin sollen eigentlich die EU-Mitgliedsländer verschwinden, die im Staatenwettlauf verlieren? Soll Griechenland vom "Staaten-Markt" verschwinden und die Belegschaft der Griechenland AG - sprich die griechische Bevölkerung - sich eine neue Wirkungsstätte suchen?

Ein neues Europa in einer Ausgleichsunion

Die Währungspolitik muss durch eine gemeinsame Fiskal- sowie eine kohärente Wirtschafts- und Sozialpolitik ergänzt werden. Das Ziel dieser Erweiterungen ist die Förderung von Vollbeschäftigung mit guter Arbeit bei Förderung eines Strukturwandels in Richtung einer sozial-ökologischen Wirtschaftsweise.

Um diesen Prozess zu befördern und insbesondere die großen Handelsungleichgewichte in der Euro-Zone endlich zu überwinden, schlagen wir die Ablösung des Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU durch eine "Europäische Ausgleichsunion"17 [17]vor.

Ausgangspunkt der Europäischen Ausgleichsunion ist die verbindliche Einrichtung von Obergrenzen für Leistungsbilanzungleichgewichte. Pro Jahr soll ein Land in der Ausgleichsunion nur noch Leistungsbilanzüberschüsse bzw. -defizite von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) machen dürfen. Dieser kurzfristige Puffer für konjunkturelle Schwankungen wird ergänzt um eine längerfristige Begrenzung der Ungleichgewichte auf den Umfang der jährlichen Exporterlöse. Wenn in einem Land X mit einem BIP von 100 Euro ähnlich wie in Deutschland 50 Prozent des BIP im Exportsektor erwirtschaftet wird, dann darf dieses Land kurzfristig Leistungsbilanzüberschüsse oder -defizite von nicht mehr als drei Euro pro Jahr machen. Über die Jahre aufaddiert dürfen die Überschüsse bzw. Defizite auf nicht mehr als 50 Prozent des BIP, also auf 50 Euro, ansteigen.

Um dies zu erreichen, wird ein mehrstufiges Verfahren von Sanktionen und Anreizen geschaffen. Sobald das Land X die Hälfte der zulässigen Obergrenze von 50 Euro erreicht hat, bekommt es - ähnlich wie beim heutigen Stabilitätspakt - von der Europäischen Kommission einen Blauen Brief. Darin wird das Land aufgefordert, dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament einen Plan vorzulegen, wie es seine Überschüsse bzw. Defizite abbauen will. Sollte der Plan nicht akzeptiert werden oder das Land seine Verpflichtungen zum Abbau der Ungleichgewichte nicht einhalten, muss das Land nachbessern und erneut vor Rat und Parlament Rechenschaft ablegen.

Parallel zu diesem Vertragsverletzungsverfahren gibt es finanzielle Sanktionen, bei dem Länder für ihre angesammelten Überschüsse bzw. Defizite ab bestimmtem Schwellenwerten schrittweise eskalierende Strafgebühren bezahlen müssen. Diese Strafgebühren sind selbstverständlich von den nationalen Regierungen zu zahlen und nicht von einzelnen Exporteuren oder Importeuren.

Die Strafgebühren fließen in einen Fonds, der Projekte zum Strukturwandel und zum Ausgleich der Leistungsbilanzen in Überschuss- und Defizitländern finanziert. Im besten Fall kommt es nicht zu Strafgebühren und Vertragsverletzungsverfahren, weil die beteiligten Länder dadurch den Anreiz haben, ihre Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Steuer- und Strukturpolitik frühzeitig zu koordinieren, um größere Ungleichgewichte gar nicht erst entstehen zu lassen.

Über die hier zusammengestellten Maßnahmen hinaus gibt es sicherlich noch weitere Schritte, wie die Europäische Währungsunion vor dem Zusammenbruch geschützt werde kann. Eins steht für uns aber fest: Ohne einen grundlegenden Politikwechsel in der von uns skizzierten Richtung, hat die Währungsunion keine Zukunft. Ein soziales und demokratisches Europa, für das es sich zu streiten lohnt, ist ohne einen solchen Richtungswechsel für uns nicht vorstellbar.

Prof. Dr. Rudolf Hickel, Gründungsdirektor des und Forschungsleiter am "Institut Arbeit und Wirtschaft" (IAW, Bremen), Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und Mitherausgeber der "Blätter für deutsche und internationale Politik".

Dr. Axel Troost, Volkswirt, Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE, seit 1979 Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.


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