Europa, die Flüchtlinge und der Zynismus des Untergangs

Seite 2: Mit Finanzinvestoren gegen Fluchtursachen

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Nun sind sich im Grunde alle darin einig, dass die Bekämpfung der Fluchtursachen von entscheidender Bedeutung für die Überwindung der "Flüchtlingskrise" ist. Seltsam nur, dass über die Frage, wie das geht, am wenigsten gestritten wird. Angela Merkel glaubt offensichtlich, ihre "Hausaufgaben gemacht" zu haben, seit der "Compact with Africa" beschlossene Sache ist.

Dieses Konzept zur Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika wurde unter der Federführung deutscher Ministerien entwickelt. Zu Beginn dieses Jahres hatte das Entwicklungshilfeministerium BMZ einen "Marshallplan mit Afrika" vorgelegt, dessen offizielles Ziel es ist, Armut als Ursache von Migration zu bekämpfen. Er hieß eigentlich "Marshallplan für Afrika", wurde dann aber rasch umbenannt, damit der paternalistische Ansatz nicht gleich im Namen erkennbar ist.

Tatsächlich hatten weder afrikanische Regierungen, noch Vertreter der Zivilgesellschaften hier irgendetwas mitzubestimmen. Das Ministerium verfolgt mit dem Marshallplan seine eigene Programmatik. Er beinhaltet einen Paradigmenwechsel, auf den im BMZ schon seit Jahren hingearbeitet wird. Zum einen soll die Entwicklungshilfe in den Dienst der Fluchtursachenbekämpfung gestellt werden. Zum anderen sollen sich staatliche Entwicklungsgelder stärker als bisher auf die Förderung privater Investitionen orientieren. Und um private Investoren anzulocken, sollen afrikanische Regierungen dazu gebracht werden, geeignete Rahmenbedingungen schaffen.

Das Bundesfinanzministerium unter Wolfgang Schäuble war von diesem Paradigmenwechsel so begeistert, dass es auf der Grundlage des Marshallplans aus dem BMZ ein Konzept erarbeitete, das dann als gemeinsames Papier von IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank vorgelegt und im Juni dieses Jahres auf dem Hamburger G20-Gipfel als "Compact with Africa" (CWA) beschlossen wurde.

"Reform gegen Investitionen" ist seitdem das offizielle Motto für die Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika. Mit "Reform" ist gemeint, dass afrikanische Staaten bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen schaffen sollen, indem sie "Strukturanpassungsprogramme" durchführen, ihre Staatsausgaben kürzen und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen vorantreiben. Den Investoren soll so eine Rendite von 4 bis 4,5 Prozent garantiert werden.

Bei den Investoren ist vor allem an Finanzmarktakteure wie institutionelle Vermögensverwalter, Versicherungen und Pensionskassen gedacht. Sie haben in Zeiten der Niedrigzinspolitik große Probleme, eine ordentliche Rendite zu erzielen. Da trifft es sich gut, dass man Afrika dabei "helfen" kann, diese Rendite für die globalen Finanzakteure zu erwirtschaften.

Armutsbekämpfung als Geschäft

Generell scheint es sich immer mehr einzubürgern, dass Finanzunternehmen eine garantierte Rendite erwarten. Wenn sie nicht gerade mit Milliardensummen von den Steuerzahlern gerettet werden oder den Bürgern über Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte auf verschlungenen Wegen in die Taschen greifen, dann soll die Allgemeinheit wenigstens ihre Renditen garantieren.

Jüngstes Beispiel sind die Klagen der Banken Unicredit, Commerzbank, Caja Madrid und DZ-Bank gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Zahlung von 787 Millionen Euro. Der Grund: Diese Banken sind im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft als Finanzinvestoren an der Autobahn A1 Bremen-Hamburg beteiligt und haben dabei seit Jahren weniger Gewinne gemacht als erwartet. Auch die modernen Freihandelsabkommen wie TTIP oder Ceta sehen Regelungen zum Investorenschutz vor, die es Unternehmen erlauben sollen, gegen einen Staat zu klagen, wenn ihre "legitimen Gewinnerwartungen" aufgrund politischer Maßnahmen nicht erfüllt werden.

Durch die Orientierung auf private Investoren ist dieses Prinzip nun auch in der Entwicklungshilfe angekommen. Für das Konzept des CWA steht ein Projekt Pate, das 2011 vom BMZ gestartet wurde: Der "Africa Agricultural Trade Investment Fonds" (AATIF). Offiziell dient auch dieses Projekt dem Ziel, Armut durch Investitionen zu verringern.

Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf seine Konstruktion und die Resultate zu werfen. Auch im AATIF spielen Finanzinvestoren die zentrale Rolle. Der Fonds ist so konstruiert, dass eventuelle Verluste als erstes bei den vom BMZ eingebrachten öffentlichen Mitteln anfallen. Die Finanzinvestoren partizipieren an den Gewinnen. Seinen Sitz hat der Fonds im Finanzparadies Luxemburg, weil er als strukturierter Fonds mit unterschiedlichen Risikoklassen in Deutschland gar nicht erlaubt wäre.

Wie die Menschenrechtsorganisation FIAN recherchierte, wurden bis jetzt 79 Prozent der Fonds-Gelder an Firmen vergeben, die von Finanzparadiesen aus agieren. "Entwicklungshilfe von Finanzparadies zu Finanzparadies" kommentieren die Autoren der FIAN-Studie lakonisch.

Was treibt dieser Fonds nun in Afrika? Die erste Mittelvergabe ging an den Finanzinvestor Agrivision Africa mit Sitz im Finanzparadies Mauritius. Agrivision kaufte mit dem Geld in Sambia 18.000 Hektar Land, um Soja, Weizen und Mais im industriellen Stil für den Export anzubauen. Für dieses Projekt wurden - nach Recherchen von FIAN - Kleinbauern der lokalen Gemeinden von ihrem Land vertrieben. Häuser und Produktionsanlagen wurden entschädigungslos zerstört. Betroffene verloren ihre Existenzgrundlage. Als Arbeitskräfte werden sie bei Agrivision nicht gebraucht.

Den Machern des "Compact with Africa" schweben nun vor allem große Infrastrukturprojekte in wirtschaftlich schon relativ entwickelten afrikanischen Ländern vor, weil die für die avisierten Investoren die beste Rendite versprechen. Großstaudämme beispielsweise, und eine Autobahn zwischen den Metropolen Nairobi und Mombasa. Für die Autobahn gibt es nun bereits konkrete Pläne. Sie offenbaren, welche Interessen der Westen bei der Fluchtursachenbekämpfung in Afrika tatsächlich verfolgt. Erstmals seit langem kommt hier mit dem US-Bauunternehmen Bechtel wieder ein westlicher Konzern bei einem Großprojekt in Afrika zum Zuge, nachdem lange Zeit chinesische Firmen diesen Markt abgeräumt haben.