Europa schafft die Wende rückwärts

Seite 2: Europäische Lösung: "Kommen Sie nicht nach Europa!"

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Denn den meisten Staaten kommt die neue Lage sehr gelegen. Schon im Sommer letzten Jahres hatten die Visegrad-Staaten nach einer Abriegelung Griechenlands gerufen. Im Herbst wurde die so genannte "Sicherung der EU-Außengrenze" dann allgemeiner Konsens. Beim EU-Gipfel im Dezember hieß es, sie sei Voraussetzung für eine "europäische Lösung" - auch Merkel sah es plötzlich so.

Doch wie soll diese Lösung denn nun aussehen? Sollen die Flüchtlinge dauerhaft in Griechenland sitzenbleiben, oder kommt es doch noch zu einer solidarischen Verteilung, wenigstens zu einer (finanziellen) Lastenteilung? Wenige Tage vor dem EU-Gipfel sieht es nicht mehr danach aus. Von Um- oder Neuansiedlung spricht fast niemand mehr.

Umso mehr ist nun von Abschottung die Rede. Den Vogel schoss EU-Ratspräsident Donald Tusk ab, der eine Art Reisewarnung ausgab. "Ich appelliere an alle potenziellen illegalen Wirtschaftsmigranten - egal woher sie stammen: Kommen Sie nicht nach Europa. Glauben Sie nicht den Schmugglern. Riskieren Sie Ihr Leben und Ihr Geld nicht."

Zwar dürfte sich kaum ein Syrer oder Iraker angesprochen fühlen - der Appell soll wohl eher das europäische Publikum beruhigen und den Ton für den EU-Gipfel vorgeben. Doch das Ziel ist klar: Die EU macht die Schotten dicht. Die Zahl der Migranten müsse "gegen Null" tendieren, teilte der niederländische Ratsvorsitz mit.

Und was wird aus den "europäischen Kontingenten", die Merkel ihrem "Schlüsselpartner" Türkei versprochen hat? Auch dafür gibt es in Brüssel plötzlich keine Antwort mehr. Denn die "Koalition der Willigen", die Merkel eigens zu diesem Zweck gegründet hatte, ist seit dem Ausscheren Österreichs in sich zusammengebrochen.

Die letzte Hoffnung ruht nun offenbar auf Paris, wo Merkel am Freitag zu einem Besuch erwartet wird. Präsident Francois Hollande könnte sich bereit erklären, die zugesagten 30.000 Flüchtlinge teilweise oder ganz aus der Türkei zu übernehmen - und nicht wie bisher geplant aus der vereinbarten EU-Quote. Das wäre zwar nur ein Rechentrick, doch Merkel könnte es als Erfolg verkaufen.

Wenn dann noch ein paar kleinere Staaten mitmachen - Irland und Portugal haben sich schon bereit erklärt - könnte ein kleines Kontingent zusammenkommen. Allerdings dürfte das die Türkei wohl kaum zufriedenstellen. Die Regierung in Ankara möchte einige Hunderttausend Flüchtlinge umsiedeln - viel zu viel für Merkel & Co.

Überhaupt könnte der ganze Sondergipfel, den die EU wohl nicht zufällig kurz vor den Landtagswahlen in Deutschland anberaumt hat, an der Türkei scheitern. Die türkische Führung möchte nämlich auch noch mehr als die zugesagten 3 Mrd. Euro. Und sie fordert ein Entgegenkommen bei den EU-Beitrittsverhandlungen. Ankara treibt den Preis hoch, Merkel hat womöglich auf das falsche Pferd gesetzt.

Probleme könnte auch noch Griechenland bereiten. Premier Alexis Tsipras hatte zunächst sogar gedroht, alle Beschlüsse beim Sondergipfel zu blockieren, wenn die EU nicht für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge sorge. Davon ist mittlerweile zwar keine Rede mehr. Tsipras fordert nur noch Sanktionen gegen die Unwilligen.

"Griechenland wird auf keinen Fall ein Lager für verlorene Seelen werden", sagte er am Donnerstag. Doch was ist, wenn die Türkei weiter Menschen über die Ägäis schickt - und die Grenze zu Mazedonien zubleibt? Dann könnte die Lage schnell explosiv werden, zumal Tsipras auch noch die Gläubiger der Eurogruppe im Nacken sitzen.

Auch sie tagen am Montag in Brüssel - fast gleichzeitig mit den Staats- und Regierungschefs. Entscheidungen, gar Erleichterungen für Griechenland, werden beim Treffen der Eurogruppe jedoch nicht erwartet. Auch der EU-Türkei-Gipfel dürfte keine großen neuen Beschlüsse bringen. Man habe ja noch Zeit bis zum nächsten, regulären Spitzentreffen Ende März, dämpfen Diplomaten die Erwartungen.

Bis dahin sind alle vollauf damit zufrieden, dass die Balkanroute dicht ist und kaum noch Flüchtlinge bis nach Deutschland durchkommen. Auch Merkel passt das in den Kram. Die "europäische Lösung" kann warten - zumindest bis zum Wahltag in drei Bundesländern. Danach sieht die Welt vermutlich ohnehin wieder ganz anders aus…