Europa vor dem Frexit?
Seite 2: Die langweiligen Extremisten neutralisieren sich gegenseitig
- Europa vor dem Frexit?
- Die langweiligen Extremisten neutralisieren sich gegenseitig
- Gefahren für die Demokratie und eine Prognose für die Wahl
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Je n'aime pas les riches.
Francois Hollande
Die breite Unterstützung für Marine Le Pen hat andere Gründe: Es liegt keineswegs an den Pariser Bobos mit denen sich Alice Schwarzer, glaubt man ihrem Beitrag in der Zeit, in Pariser Cafés verabredet, um daraus eine Reportage zu stricken, und die sämtlich "Marine" wählen. Wegen der bösen Moslems, weil die gegen Frauen und Schwule sind, und Marine bekanntlich Frauen und Schwule besonders gern hat, vor allem vor der Wahl. Auch dieser Beitrag ist nur ein Symptom deutschen Irrsinns.
Le Pens Wähler sind wie die der AfD die kleinbürgerlichen Modernisierungsverlierer und großbürgerliche Schichten, die eine Abneigung gegen Werteliberalismus haben. Es sind alte Männer und immer mehr Frauen. Es sind die Dummen und Ungebildeten, die Nichtakademiker und die Ex-Kommunsten. Die Hälfte der französischen Arbeiterschaft ist direkt von der Kommunistischen Partei in die Arme von Le Pen gewechselt. Linke Ideen von rechts, das ist immer ein besonders erfolgreiches Rezept gewesen, wie auch bei Trump und Erdogan.
Mélenchon, der Ex-Trotzkist, der Frankreich in eine Art-Groß-Venezuela verwandeln will und ähnlich wie Le Pen den Ausstieg aus dem Euro verspricht, den er nicht halten kann, nimmt Le Pen jetzt einige Stimmen weg. Und wenn es nur zwei, drei Prozent sind, kann es sie doch den zweiten Wahlgang kosten.
Die Extremisten sind eigentlich langweilig, nur als Gegensatz zum Bestehenden wirksam, politische Zombies - diesmal neutralisieren sie sich gegenseitig. Mélenchon mag sympathisch rüberkommen, aber er ist kein Bernie Sanders, so wenig wie Le Pen eine französische Ausgabe von Trump ist. Beide sind schlimmer.
Die eierlegende Wollmilchsau
Auch das Ungewisse hat seine Reize.
Friedrich Nietzsche
Insofern führt es auch in die Irre, wenn im Zusammenhang mit Emmanuel Macron immer wieder gefragt wird, ob es sich bei ihm nun um einen rechten Kandidaten handle oder doch einen Linken. Oder nur ein Geschöpf der Elite?
Alles und nichts davon! Macron ist ein Progressivist. In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, die sich immer noch da treffen, wo man bei einer Weinschorle die kulturpessimistische Suppe schlürfen und zum Dessert an der blauen Blume riechen darf, versteht man dieses Wort nicht. Darum auf Deutsch: Macron ist ein Anti-Konservativer.
Er verspricht den Wandel an sich und ist ganz offenkundig das kleinste Übel unter den Kandidaten. Aber natürlich auch die eierlegende Wollmilchsau, der Alleskönner und Superman, auf den die Deutschen jetzt ähnlich Hoffnungen aufs Paradies auf Erden setzen, wie vor neun Jahren auf Barack Obama, der auch "Change" versprach, ohne dass man bis zum Ende seiner Amtszeit verstanden hätte, was er damit meinte - außer dass er gewählt werden wollte.
Macron, "ein möglicher Held" (Martin Walser, der ähnliches früher irgendwann auch über Boris Becker formuliert hat), ist erst einmal sympathisch als Repräsentant des republikanischen und laizistischen Bürgertums. Er passt in unsere Zeit der Indifferenz und des Abschieds vom Politischen, ist aber in seiner Schaufensterpuppenhaftigkeit auch leicht ein Opfer des prinzipiellen Misstrauens der Massen gegenüber Charisma und profilierten Gestalten.
Gerade bei Macron muss allerdings zwangsläufig von Ästhetik die Rede sein. Denn dieser Kandidat ist nicht zu denken, ohne seine Jugend, sein Aussehen, das gut ist, aber auch sehr sehr glatt. Ein bisschen wirkt er wie ein erwachsen gewordenes Retortenbaby, bei dem man per Genverfahren den Bartwuchs ausgeschlossen hat. Ein Klon aus dem Labor der ENA, von einem französischen Kennedy weit entfernt - erstmals greift hier ein Metrosexual als Kandidat nach der Macht.
Macron wirkt seltsam geschlechtslos - wenn da nicht irgendwo noch ein dunkles Geheimnis liegt. Ob er Tatoos hat? In jedem Fall hat er eine Frau, die seine Mutter sein könnte - und es ist schon bemerkenswert, dass dies selten, und wenn dann positiv zum Thema gemacht wird. Stellen wir uns vor, ein Kandidat hätte eine 24 Jahre jüngere Freundin? Was würden Alice Schwarzer alles für Formulierungen einfallen!
Aber wie gesagt, das ist allein Ästhetik - und gegen eine Hasspredigerin, die 15 Jahre älter aussieht, als sie ist, und zum blondierten Haar auch noch zwei Ex-Ehemänner und einen schwulen Stellvertreter hat, um ihre persönliche Variante des Faschismus endlich salonfähig zu machen, sind das hübschere Symbole.