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Europa wird rechts

Linker Ramelow, rechter Höcke: Die Gewinner sind europaweit klar. Bild: Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0

Von Finnland bis Spanien übernimmt die Rechte das Ruder. Fehler der Linken tragen dazu bei. Details zu einer politischen Epochenwende.

Mehr als drei Viertel der Bundesbürger sind mit der Ampel-Regierung in Berlin unzufrieden, so die jüngste Forsa-Umfrage [1]. Mit dem Umfragehoch der AfD und dem Wählerschwund der Linken steht Deutschland nicht alleine da. EU-weit zeichnet sich ein Rechtsruck ab.

Er zeigt sich nicht nur in Italien, wo die Postfaschistin Giorgia Meloni im Oktober 2022 Ministerpräsidentin wurde. Allerdings konnte sie in Brüssel durchsetzen, dass die EU ihre Agenda in der Einwanderungspolitik unterstützt [2]. Gegenüber linken Regierungen wie der von Alexis Tsipras in Griechenland 2015 gab es weniger Entgegenkommen.

Diese unterschiedliche Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft Brüssels gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten hat offenbar Auswirkung auf den grundsätzlichen politischen Kurs der Union. Denn während die Rechten Erfolge erzielen und Vereinbarungen mit Brüssel treffen, werden die Linken wie eben die damalige griechische Regierung ausgebremst und auch in geradezu entwürdigender Weise bloßgestellt.

Lese-Tipp: AfD: Warum dieser Rechtsruck? [3]

Ein Ergebnis: Wenn im nächsten Jahr das EU-Parlament neu gewählt wird, können nach den aktuellen Umfrage- und Wahlergebnissen rechte und rechtsextreme Parteien mit einer stärkeren Präsenz im Plenum rechnen.

In Polen und Ungarn regieren bereits Rechtspopulisten.

Auch in Lettland werden nach den Wahlen im November 2022 nationalkonservative Kräfte die Regierung stellen [4].

Nach dem Wahlsieg Melonis mit den Fratelli d'Italia folgte auch in Finnland die Regierungsübernahme durch ein rechtspopulistisches Parteienbündnis.

Am Wochenende des 23. Juli finden in Spanien Wahlen statt, bei denen eine Koalition aus der konservativen Partido Popular (Volkspartei) und der rechtspopulistischen und europaskeptischen Partei Vox die bisherige sozialdemokratisch-linke Regierung ablösen könnte [5].

Bereits bei den Kommunalwahlen in Spanien im Mai zeichnete sich ein deutlicher Rechtsruck ab [6].

Deswegen entschied sich der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez für die Option vorgezogener Neuwahlen. Sein Koalitionspartner Unidos Podemos, mit dem er die Wahlen im November 2019 gewonnen hatte, ist Geschichte.

Aus der Parteigründung Podemos und dem Wahlbündnis mit anderen linken Parteien ist die linke Bürgerbewegung Sumar unter der Führung von Yolanda Díaz entstanden [7]. Der Parteigründer von Podemos, Pablo Iglesias, hat sich aus der Politik zurückgezogen.

Vor neun Jahren, bei den Europawahlen 2014, sah die europäische Parteienwelt noch anders aus. Iglesias unterstützte aktiv den ersten Spitzenkandidaten der europäischen Linken. Damals galt in Griechenland Alexis Tsipras als Hoffnungsträger. Er präsentierte sich als radikaler Linker, der mit der Austeritätspolitik brechen wollte, die dem europäischen Süden in der Euro-Finanzkrise aufgezwungen worden war.

Niedergang der Linken: Das Beispiel Griechenland

Aus mehreren kleineren linken Parteien formierte er zunächst das Parteienbündnis Syriza, aus dem später die gleichnamige Partei hervorging. Nach der verheerenden Wahlniederlage am 25. Juni [8] zog Tsipras die Konsequenzen und trat vom Parteivorsitz zurück.

Im griechischen Parlament sitzen neben der nationalkonservativen Nea Dimokratia, die unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis die absolute Mehrheit errang, drei weitere rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien.

Bei einer vierten populistischen Partei, der "Plefsi Elefherias" (Kurs auf die Freiheit) unter Tsipras' früherer Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, manifestiert sich die Abkehr von früheren linken Idealen. Konstantopoulou erklärt nun, ihre Partei sei "weder links noch rechts".

Die Diadochenkämpfe um die Führung von Syriza zeigen, wie zerrissen die ehemalige Regierungspartei ist. Um die Nachfolge bewirbt sich Tsipras' frühere rechte Hand Nikos Pappas.

Pappas war maßgeblich an der Wende zur Austeritätspolitik beteiligt, die Syriza im Sommer 2015 spaltete und viele linke Mitglieder vertrieb. Die Reihen füllten sich mit Sozialdemokraten, die die Pasok verlassen hatten.

Nun erklärt Pappas in seinem persönlichen Wahlkampf, es sei ein Fehler gewesen, durch überhöhte Steuern und drastische Kürzungen im Renten- und Sozialbereich zwischen 2015 und 2019 einen frei verfügbaren Haushaltsüberschuss von 37 Milliarden Euro zu erwirtschaften. Mit genau diesen 37 Milliarden Euro konnte Mitsotakis seine Sozialmaßnahmen finanzieren.

Pappas Konkurrentin Efi Achtsioglou meint, Syriza habe nicht mehr verstanden, dass die Gesellschaft eine stabile Politik brauche. Es sei nicht gut gewesen, linke Positionen aufzugeben und die Partei in Richtung Sozialdemokratie zu öffnen:

Im Gegenteil, die Öffnung wurde oft genutzt, um krumme interne Trennlinien zu ziehen und Spaltungsmechanismen in der Partei zu etablieren.

Efi Achtsioglou

Durch Syriza zieht sich eine tiefe Kluft. Selbst über den Termin für die Wahl der neuen Parteiführung wird öffentlich gestritten. Zu allem Überfluss melden sich auch die Pasok-Transfers zu Wort. Allen voran Christos Spirtzis, Minister unter Tsipras, der fordert, Syriza solle sich nicht mehr der europäischen Linken, sondern ganz der Sozialdemokratie zuwenden. Die Partei, die einen Linksruck in Europa herbeiführen wollte und versprach, die EU zu revolutionieren, droht zu zerbrechen.

Die Linke in Europa muss sich einigen und auf ihre Werte besinnen, wenn sie eine Zukunft haben will. Und das in einem deutlich stärker rechtsgerichteten Europa – zu dem sie selbst beigetragen hat.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.hna.de/politik/gruene-umfrage-rtl-ntv-trendbarometer-forsa-ampel-zufriedenheit-habeck-scholz-lindner-cdu-afd-spd-zr-92394268.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/tunesien-migration-eu-100.html
[3] https://telepolis.de/-9208552
[4] https://www.dw.com/de/drei-parteien-bilden-regierungskoalition-in-lettland/a-63645247
[5] https://europeelects.eu/spain/
[6] https://www.fr.de/politik/spanien-neuwahl-niederlage-bei-regionalwahl-ministerpraesident-sanchez-loest-parlament-auf-news-zr-92308850.html
[7] https://www.rosalux.de/news/id/47717
[8] https://ekloges.ypes.gr/current/v/home/en/