Europäisches "Integrations-Blabla"
Der erste Roma-Gipfel der Europäischen Union hat die Diskriminierung und teilweise katastrophalen Lebensbedingungen der Minderheit beklagt. Zu wirksamen Maßnahmen zur Änderung dieser Situation konnte sich das Treffen in Brüssel jedoch nicht durchringen
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat sich vermutlich keine Freunde gemacht: Zwar haben beim ersten Roma-Gipfel der Gemeinschaft am Dienstag in Brüssel alle Beteiligten brav mitgespielt - von Barrosos Kollegen aus der Brüsseler Kommissarsrunde über Vertreter der Regierungen und nationalen Parlamente bis zu Abgesandten der Zivilgesellschaft und von Roma-Organisationen reichte die Bandbreite. Über 400 Teilnehmer hätten sich in die Listen eingeschrieben, vermeldete stolz die EU-Kommission, die gemeinsam mit der französischen Ratspräsidentschaft das Treffen organisierte, bereits vor dem Gipfel.
Richtig glücklich war am Dienstag keiner der Regierungs- und EU-Vertreter, die der Einladung zum ersten Roma-Gipfel im Brüsseler "Europahauptquartier" Berlaymont gefolgt waren. Schließlich ist die Diskriminierung von Sinti und Roma in allen Mitgliedsstaaten eine unbestreitbare Realität - ebenso wie der Unwille oder die Unfähigkeit, diese Zustände abzustellen.
"In zahlreichen Staaten Ost- wie auch Westeuropas sind Gewalt und rassistische Hetze gegen unsere Menschen längst keine Einzelphänomene mehr, sondern sind vielmehr zu einem dauerhaften Merkmal dieser Gesellschaften geworden", erklärte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, in einem Beitrag zur Brüsseler Konferenz. Hinzu kämen, vor allem in Osteuropa, oft völlig unzumutbare Lebensbedingungen für Roma-Familien. So seien ganze Stadtviertel ohne fließendes Wasser, Kanalisation, Strom und ohne jede Infrastruktur. "Europa und die Welt sind stolz darauf, dass die Apartheid in Südafrika der Vergangenheit angehört. Wir haben sie jetzt aber wieder mitten unter uns", meinte Rose und löste damit Protest in Brüssel aus.
Zurück geht die Initiative des Roma-Gipfels auf eine Aufforderung des Europäischen Rats vom Dezember 2007. Vor dem Hintergrund des Europäischen Jahres der Chancengleichheit, zu dem das vergangene Jahr erklärt worden war, erklärte die Staats- und Regierungschefs, ihnen sei die "sehr spezifischen Lage der Roma in der gesamten Union" bewusst. Der Rat forderte die Mitgliedstaaten und die EU auf, "alle Mittel zu nutzen, die zu einer besseren Eingliederung der Roma führen. Zu diesem Zweck ersucht er die Kommission, die bestehenden Maßnahmen und Instrumente zu prüfen und dem Rat vor Ende Juni 2008 über die erzielten Fortschritte Bericht zu erstatten."
Zumindest die Berichterstattung hat funktioniert. Denn tatsächlich haben verschiedene EU-Stellen die Situation der Roma nicht erst seit dem Beitritt von zehn mittel- und osteuropäischen Staaten im Jahr 2004 zur Gemeinschaft untersucht. Richtig ist, dass die Roma seither mit acht bis zehn Millionen Menschen eine der größten ethnischen Minderheiten in der EU darstellen. Der explizite Hinweis auf Osteuropa in der Ankündigung des Roma-Gipfels suggeriert jedoch, dass die im selben Text von der EU-Kommission konstatierte "beständige Diskriminierung" der Bevölkerungsgruppe und deren Konfrontation mit "stereotypen Ansichten und Vorurteilen, die sich in Form von wirtschaftlicher, sozialer und politischer Diskriminierung offenbaren", allein in Osteuropa vorkommen würden.
Dem ist jedoch keineswegs so. Gerade hat Italiens alter und neuer Premier Silvio Berlusconi mit verschiedenen Gesetzen gegen "Illegale", und dabei vor allem gegen Sinti und Roma, mobil gemacht (Notstand der Demokratie?). Im Europaparlament stieß das Vorgehen der italienischen Regierung, das unter anderen die "Erhebung von Fingerabdrücken von Roma", einschließlich deren Kindern, vorsah, auf heftigen Protest. Eine klare Mehrheit sah darin einen "eindeutigen Akt der Diskriminierung aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft".
Auch die EU-Statistikbehörde Eurostat sieht die Vorbehalte gegenüber Roma vor allem in Westeuropa. Insgesamt 77 Prozent der Europäer halten die Zugehörigkeit zur Roma-Gemeinschaft für einen gesellschaftlichen Nachteil. Und auf die Frage, ob sie sich mit Sinti und Roma als Nachbarn wohlfühlen würden, antworteten im EU-Durchschnitt 24 Prozent der Befragten mit Nein. Die Spitzenwerte der Ablehnung erreichten Italien und Tschechien mit jeweils 47 Prozent, gefolgt von Irland mit 40 Prozent.
Die Regierung in Paris kann sich als Mitveranstalter des Roma-Gipfels ebenso wenig für seine Politik gegenüber der Minderheit rühmen. Zwar liegt die Sympathie der Franzosen für Roma als Nachbarn mit 48 Prozent an dritter Stelle in der EU. Bis in die neunziger Jahre galt auch der staatliche Kurs gegenüber den Roma - auch wenn er weniger als halbherzig umgesetzt wurde - als vorbildlich. So sollten Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern der Minderheit ein Gelände zur Verfügung stellen, Roma-Kinder in die Schulen aufnehmen und Erwachsenen gleiche Chancen am Arbeitsmarkt einräumen. Mit dem Vorschlag eines europäischen Einwanderungspaktes und den restriktiven Vorschriften für Einwanderung und Familiennachzug zielt Präsident Nicolas Sarkozy nun aber offen auf die Roma. Trainiert hatte er dafür schon als Innenminister: Das Gesetz zur inneren Sicherheit von 2003, das u.a. "fahrendem Volk, das sich unerlaubt auf einem öffentlichen oder privaten Grundstück niederlässt", sechs Monate Haft und knapp 4.000 Euro Strafe ankündigte, trug Sarkozys Unterschrift (Von alten Sündenböcken und neuen Überwachungsmethoden).
Dass der Roma-Gipfel durch diese bekannt gewordenen Fakten und die dadurch ausgelöste öffentliche Debatte eher erzwungen als gewünscht war, spiegelte sich auch in den Ergebnissen der Brüsseler Beratungen wider. EU-Kommissionspräsident Barroso reichte das Problem umgehend weiter und meinte in seiner Rede, die Beseitigung der Diskriminierung falle vor allem in nationale Kompetenz. Die Mitgliedstaaten sollten "konkret handeln", forderte der Kommissionspräsident recht unkonkret. Und schließlich seien die Roma selbst gefordert, "mehr Bügerverantwortung zu übernehmen". Es bringe nichts, die größte Minderheit in der EU nur als Opfer darzustellen.
Das Treffen endete mit der eher unverbindlichen Erklärung, eine europaweite Kampagne zur besseren Integration der Roma zu erreichen. Dazu gehörten insbesondere die Verbesserung des Bildungszugangs für Roma-Kinder und spezielle Job-Programme. Zudem sollten die verschiedenen europäischen Vorschriften zur Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung in den Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt werden. Auf dem Dezember-Gipfel der EU steht das Thema wieder auf der Tagesordnung.
In der EU gebe es nur "Integrations-Blabla", aber keine Maßnahmen, um gegen Ghetto-Bildung und rassistische Übergriffe auf Roma vorzugehen", fasste Rudko Kawczynski, Präsident des European Roma and Travellers Forum, die Tagungsresultate zusammen. Zumindest eines aber hat das Treffen gebracht: Der Umgang mit Sinti und Roma ist nun auf höchster politischer Ebene ein Thema.