Europas historische Verantwortung im Ukrainekrieg
Seite 3: Die Zukunft Europas muss mit Russland gedacht werden
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Aufmerksamen Beobachtern wird schon auffallen, dass ich den russisch-ukrainischen Konflikt stets im Rahmen von "Europa" und nicht im Rahmen von "Europa und Russland" oder "der Westen und Russland" behandele. Mit anderen Worten: Der künftige europäische Sicherheitsrahmen muss einer sein, der Russland und die europäischen Staaten im engeren Sinne zusammendenkt, und nicht einer, der Russland gegenüber ausschließend oder konfrontativ eingestellt ist.
Ein europäisches Sicherheitssystem, das Russland nicht einbezieht, ist schlicht Realitätsverweigerung bzw. -flucht und kann dem europäischen Frieden nie dienlich sein.
Schon auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges haben es die beiden Blöcke nach zähen Verhandlungen in Helsinki geschafft, sich im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auf Entspannung, Verständnis und Friedensförderung zu einigen.6
Leider wurden diese gemeinsamen Anstrengungen nach dem "Ende der Geschichte" und damit dem vermeintlichen Triumph des Westens mehr oder weniger bewusst vernachlässigt. Der russische Präsident Putin hat sich in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25. September 2001 über das mangelnde Vertrauen Europas gegenüber Russland beschwert und wollte dennoch zu Europa gehören: "Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land.
Für unser Land, das ein Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel."7
Die weitere Entwicklung in Europa nahm bekanntlich einen anderen Lauf, Russland und Europa bzw. der Westen haben sich in vielerlei Hinsicht voneinander entfremdet: gesellschaftlich, kulturell und ideologisch. Die einstige Bereitschaft zur Annäherung ist der Konfrontation gewichen, die sich 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine als regional begrenzte kriegerische Auseinandersetzung entlud.
Es waren schon Vorboten einer Rückkehr der geschichtlichen Logik des modernen Europas. Spätestens ab diesem Zeitpunkt haben sich der Fortschrittsgedanke sowie die Vorfreude auf die Postmoderne als kurzsichtiger Selbstbetrug entpuppt.
Europas Entscheidung bedeutet historische Verantwortung
Wenn sich Europa – in diesem Fall sind damit die europäischen Nato-Mitgliedstaaten und die Europäischen Union gemeint – für Konfrontation als Lehre aus diesem Konflikt entscheidet, dann steht Europa eine düstere Zukunft bevor, und der ganzen Welt droht durch die Wahl Europas ein Rückfall ins 19. bzw. 20. Jahrhundert.
Auch ein kostspieliger Frieden ist immer besser als ein Krieg, der den Weg für hegemoniale oder heroische Siegesfantasien ebnet.
Europa muss just in diesem Moment seine eigene Entscheidung treffen, und das ist seine historische Verantwortung für den Weltfrieden.
Dr. Chunchun Hu studierte Germanistik an der Peking-Universität, Associate Professor für Deutschland-Studien und Direktor des Masterstudiengangs "Europa-Studien" an der Shanghai Academy of Global Governance and Area Studies, Shanghai International Studies University
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Monatszeitschrift Welttrends.