Europol will Laufschuhe abhören
Europol warnt vor "Krypto-Anarchisten", Hunger-Revolten und Fluchthelfern, die Migranten mithilfe von Drohnen in die EU einschleusen
Die EU-Polizeiagentur Europol hat einen Bericht mit Szenarien zur Zukunft der organisierten Kriminalität herausgegeben. Das Papier trägt den Titel "Die organisierte Kriminalität von morgen" (Exploring tomorrow's organised crime) und ist laut dem Vorwort unter Mitarbeit von Experten des "privaten und öffentlichen Sektors" entstanden. Um welche es sich dabei handelt bleibt unklar, allerdings kommt auch der frühere Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, ausführlich zu Wort.
Weil Polizeiarbeit häufig als zu reaktiv kritisiert würde, müssten sich Behörden frühzeitig auf neue Bedrohungen vorbereiten. So sei es laut Europol beispielsweise möglich, dass Kriminelle in die zunehmend automatisierten Versorgungsketten und Transportwege eindringen und diese fernsteuerten. Wertvolle Waren könnten auf diese Weise ferngesteuert umgeleitet werden. Auch könnte es möglich sein, unerwünschte Migranten gefahrlos mit unbemannten Schiffen, Fahr- oder Flugzeugen über die Grenzen zu schleusen. Auf die gleiche Weise würden vielleicht verbotene Güter gehandelt und transportiert.
Das "Verbrechen von morgen" nutze laut Europol vermehrt Navigations-Techniken und Big-Data-Analysen, um der Strafverfolgung zu entgehen. Weiter heißt es in dem Bericht, "gewalttätige Radikalisierung" und organisierte Kriminalität überkreuzten sich stetig. Gefahr drohe aber auch aus politischer Unzufriedenheit: Einige der "radikalsten Unterstützer" von sozialen Bewegungen hätten laut dem Papier das Potential, in der Zukunft großen Schaden anzurichten.
Vergleich mit "IWF-Riots"
Werkzeuge, die "unter dem Vorwand" des sozialen Widerstands entwickelt würden, dienten auch für kriminelle Aktivitäten. Teilweise sei dies sogar ihr Sinn. Von "Krypto-Anarchisten" programmierte Technologien seien dabei von großem Nutzen für weltweite Netzwerke organisierter Kriminalität. Inwiefern hier Verschlüsselungstechniken gemeint sind bleibt nebulös. Im darauf folgenden Satz ist von 3D-Druckern die Rede. Diese könnten nicht nur zum Herstellen von Waffen genutzt werden, sondern brächten auch neue Gelegenheiten zum Handel mit urheberrechtlich geschützten Gütern.
Europol argwöhnt immer Bereitschaft zu Unruhen und Aufständen. Diese seien sozio- ökonomischen Ungleichheiten geschuldet, wie sie sich in den 1980er und 1990er Jahren in den "IWF-Riots" entluden. Damals hatte sich die Bevölkerung vor allem in asiatischen und lateinamerikanischen Ländern gegen Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds gewehrt. Der diktierte als Bedingung zur Vergabe von Krediten weitreichende Sparmaßnahmen, die Hunger und Armut mitunter erst hervorbrachten.
Ähnliche Entwicklungen beobachtet Europol nun in Europa. Auch hier seien soziale Bewegungen entstanden, die staatliche Autoritäten infrage stellten und Möglichkeiten "direkter Demokratie" forderten. Genannt werden etwa die spanischen Indignados oder die zuerst in den USA auftretende Occupy-Bewegung.
"Unschätzbare Möglichkeiten" für die Polizei
Die Entwicklungen von "Big Data" würden laut Europol aber auch Möglichkeiten für die Polizeibehörden verheißen. Das "Internet der Dinge" beinhalte "unschätzbare Möglichkeiten" für Ermittlung, Identifizierung und Überwachung. Die Phrase erinnert arg an 2007, als die EU-Mitgliedstaaten unter deutscher EU-Präsidentschaft am neuen Fünfjahresplan für die innere Sicherheit schrieben und sich über neue Fahndungsmöglichkeiten freuten (EU will neue "strategische Richtlinien" für Überwachung und Kontrolle). Eines der damals unter EU-Innenministern zirkulierenden Dokumente behandelte den "Daten-Tsunami". Gemeint war keine Katastrophe, sondern die schier unendlichen Möglichkeiten zur Überwachung von mobilen Geräten, WLAN- und sogar Bluetooth-Verbindungen.
Wie bei der damaligen "Zukunftsgruppe" ist nun auch bei Europol davon die Rede, dass Telefone und Computer leicht zur Ortung von Personen umfunktioniert werden könnten. Die zunehmende Vernetzung etwa von Kleidung, Schmuck und Schuhen mit dem Internet erleichtere die Lokalisierung Verdächtiger ebenfalls. Als Beispiel führt Europol mit einer Fitness-App vernetzte Laufschuhe an, deren Standortdaten abgefangen werden könnten. Kriminelle würden mitunter ihr Telefon daheim lassen, um bei Straftaten unerkannt zu bleiben. Dies könnte ihnen durch die polizeilichen neuen Fähigkeiten erschwert werden.
Die Polizei profitiere laut Europol auch immer mehr von biometrischen Verfahren. Diese würden nicht nur zur Identifizierung genutzt. "Genetische Übereinstimmungen" könnten bei der Bildung sozialer Netzwerke helfen. Auch hier verzichtet die EU-Agentur allerdings auf konkretere Ausführungen.
Europol will Geld
Die Stoßrichtung des Europol-Papiers liegt auf der Beschaffung neuer Werkzeuge für die Polizeibehörden der Mitgliedstaaten. Politiker seien gefordert, ausreichend Finanzmittel für entsprechende Anschaffungen und Forschungen zu bewilligen. Das Vokabular erinnert indes an das "Project 2020", das Europol vorvergangenes Jahr gestartet hatte. Zu den Teilnehmenden gehören Firmen der Sicherheitsindustrie ebenso wie Hersteller von Anti-Virus-Software oder Speichermedien.
Das "Project 2020" orakelt von zukünftigen Szenarien, mit denen sich die Polizeibehörden der EU-Mitgliedstaaten und Europol konfrontiert sehen könnten. In mehreren Videos werden die Bedrohungen in einem fiktiven Staat "Süd-Sylvanien" angesiedelt, der von "massiven Cyberangriffen" und dem Abschalten des Internet durch "Hacker" und "Revolutionäre" bedroht ist.
Zum Glück bleibt "Süd-Sylvanien" aber nicht den Anarchisten überlassen: Als Gegenspieler wird der erfahrene Polizeiagent "Vic Harrison" ins Rennen geschickt. Er kommt noch aus "analogen Zeiten", aber um Verbrecher zu fangen scheut er nicht vor digitaler Technologie. Unterstützt wird er von der jungen und netzaffinen Polizistin "Sandra Kowalski", die nun im "European Cybercrime Centre" (EC3) bei Europol arbeitet. Einzig dieses EC3 gibt es auch in echt: Die Cyber-Abteilung ging vor zwei Jahren in Betrieb.