Ex-EZB-Chef Draghi: EU braucht Mega-Investitionen, um gegen USA und China zu bestehen
Ex-EZB-Chef Draghi legt Bericht zur EU-Wettbewerbs-fähigkeit vor. Er fordert Reformen und Investitionen von 800 Mrd. Euro jährlich. Doch wie soll das finanziert werden?
Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat seinen mit Spannung erwarteten Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit vorgelegt. Darin fordert er weitreichende Reformen und massive Investitionen.
Wie Draghi am Montag in Brüssel erklärte, benötige die Europäische Union zusätzliche Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr, was etwa vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU entspreche. Das wäre – gemessen an der Größe der Wirtschaft – mehr als doppelt so viel, wie durch den Marshallplan in der Nachkriegszeit in Europa investiert wurde.
Die Herausforderungen der EU-Wirtschaft
"Europa ist der weltweit offenste Wirtschaftsraum. Wenn unsere Partner sich nicht an die Regeln halten, sind wir verwundbarer als andere", sagte Draghi bei einer Pressekonferenz.
Der 69-seitige Hauptbericht zeichnet ein beunruhigendes Bild: Die EU wächst 30 Prozent langsamer als die USA, während China eine zunehmende Bedrohung darstellt. Denn in fast 40 Prozent der Branchen stehen chinesische Unternehmen in direktem Wettbewerb mit europäischen. Im Jahr 2002 waren es erst 25 Prozent.
Der Bericht unterstreicht die Bedeutung des Handels, der nicht nur durch die wachsende Konkurrenz, sondern auch durch geopolitische Spannungen unter Druck gerät. Er macht fast 45 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus.
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Draghis Vorschläge für Reformen
Draghi schlägt eine besser koordinierte EU-weite Industriestrategie vor, die von privatem und öffentlichem Kapital getragen wird. Er fordert eine reaktionsfreudigere und unternehmensfreundlichere Brüsseler Bürokratie sowie Reformen in verschiedenen Bereichen:
- Wettbewerbspolitik: Draghi empfiehlt eine Überarbeitung der Regeln, um mehr Investitionen in Schlüsselindustrien zu ermöglichen. Er kritisiert auch die unterschiedlichen Subventionsniveaus, die den EU-Binnenmarkt beeinträchtigen. Letztlich verhindern sie, dass europäische Unternehmen die notwendige Größe für den globalen Wettbewerb erreichen.
- Telekommunikationssektor: Der Bericht unterstützt eine stärkere Konsolidierung in ganz Europa. Fusionen zwischen den 34 Mobilfunkbetreibern in der EU sollten gefördert werden. Etwa dadurch, dass man sich nicht mehr an den Marktanteilen in den einzelnen EU-Ländern, sondern in der gesamten EU orientiert.
- Energiepolitik: Draghi betont die Notwendigkeit, die Energiepreise zu senken und gleichzeitig die Dekarbonisierung voranzutreiben. Für die Dekarbonisierung der vier größten emissionsintensiven Sektoren der EU, wie der Chemie- und Metallindustrie, werden in den nächsten 15 Jahren rund 500 Milliarden Euro benötigt. Weitere 100 Milliarden Euro wären zwischen 2031 und 2050 im Verkehrssektor erforderlich.
- Verteidigung: Der Bericht schlägt eine gemeinsame Finanzierung von Forschung und Entwicklung sowie eine verstärkte gemeinsame Beschaffung vor. So sollen etwa Drohnen, Hyperschallraketen, gerichtete Energiewaffen sowie die Kriegsführung auf dem Meeresboden und im Weltraum gemeinsam finanziert und erforscht werden.
- Innovation: Draghi empfiehlt die Reform einer Agentur nach dem Vorbild der US-amerikanischen DARPA zur Förderung bahnbrechender Technologien.
Finanzierung der Reformen
Zur Finanzierung dieser Vorhaben bringt Draghi die Möglichkeit ins Spiel, dem Vorbild des 800 Milliarden Euro schweren "Next Generation EU"-Fonds zu folgen, der durch gemeinsame Schulden finanziert wird. Dieser Vorschlag dürfte jedoch auf Widerstand stoßen, insbesondere in Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, die einer stärkeren fiskalischen Integration kritisch gegenüberstehen.
"Wenn Europa nicht produktiver werden kann, werden wir gezwungen sein, uns zu entscheiden. Wir werden nicht in der Lage sein, gleichzeitig führend in neuen Technologien, ein Leuchtturm der Klimaverantwortung und ein unabhängiger Akteur auf der Weltbühne zu sein", warnt Draghi in seinem Bericht.
Die Umsetzung der Vorschläge dürfte sich angesichts der schwierigen innenpolitischen Situation in vielen EU-Ländern als Herausforderung erweisen. Es liegt nun an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Draghi mit der Erstellung des Berichts beauftragt hatte, inwieweit sie die Empfehlungen umsetzen wird.