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Exil in der Wüste: Das Schicksal der Sahrauis und ihre jahrzehntelange Flucht

Flüchtlingslager der Sahraouis nahe der algerischen Oase Tindouf.

(Bild: Elisabeth Bäschlin / SUKS – Schweizerisches Unterstützungskomitee für die Sahraouis )

Im Konflikt um die Westsahara sprechen seit einigen Jahren wieder die Waffen. Die Situation der Sahrauis findet im Westen wenig Beachtung. Wie sie leben und warum sie flohen.

In der Westsahara, auf algerischem Territorium, leben seit Jahrzehnten 170.000 Sahrauis unter prekären Bedingungen. Im Winter 1975/76 flohen sie vor der marokkanischen Armee, die ihre Heimat annektierte und mit Napalm und Phosphor bombardierte.

Die algerische Regierung stellte ihnen damals das Wüstengebiet um die Oase Tindouf zur Verfügung. Dort errichteten die Sahrauis Flüchtlingslager und organisierten sich als Exilstaat.

In der UN-Resolution 2072 von 1965 und späteren Resolutionen wurde Spanien ausdrücklich aufgefordert, der Bevölkerung seiner Kolonie, der Provinz Spanisch-Sahara, das Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren.

Die Sahrauis sind in ihren Lagern zu 95 Prozent von ausländischer Hilfe abhängig. Algerien hat die Sahrauis von Anfang an unterstützt. Heute helfen auch internationale Hilfswerke, europäische Länder, Kuba, Chile und spanische Provinzregierungen. Die spanische Zentralregierung in Madrid hingegen steht auf der Seite Marokkos, das die Westsahara seit 1975 illegal besetzt hält.

Seit 47 Jahren leben die Sahrauis in Flüchtlingslagern

Im algerischen Exil haben die Sahrauis ihren eigenen Staat mit einem funktionierenden Schul- und Bildungswesen, demokratischen Strukturen und Institutionen, einem Rechtssystem und vielem mehr aufgebaut und entwickelt. Sie gestalten ihren Alltag so normal, wie es unter den schwierigen Bedingungen möglich ist.

Die unwirtliche Wüstenregion um Tindouf im Südwesten Algeriens lässt eine Selbstversorgung kaum zu. Die Flüchtlingslager sind in ihrer Versorgung fast vollständig von außen abhängig, von der Unterstützung durch internationale Organisationen, Hilfswerke und Unterstützungskomitees. Praktisch alles, was die Menschen zum Überleben benötigen, wird mit Lastwagen in die Lager transportiert.

Insgesamt ist die Situation für die Bevölkerung prekär. Immer mehr junge Sahrauis versuchen daher, in Europa Arbeit zu finden, um ihre Familien in den Lagern zu unterstützen. Diese Jobs sind oft schlecht bezahlt und von ungewisser Dauer. In den ersten Jahren betraf dies fast ausschließlich Spanien, seit der dortigen Krise zunehmend auch Frankreich und andere europäische Länder.

Anfangs lebten die Sahrauis in Zelten. Heute haben sie sich richtige Häuser aus gepressten Lehmziegeln gebaut, die einen besseren Schutz vor der Hitze bieten. Im Laufe der Jahre wurden in den Lagern Schulen eröffnet, sodass jedes Kind der Sahrauis zur Schule gehen kann.

Es gibt auch Kindergärten. Eine Kindergartenpädagogin wurde in Österreich ausgebildet. Eine Lehrerbildungsanstalt und sogar eine Universität wurden eröffnet. Die Kinder können ihre Ferien bei Gastfamilien in Spanien verbringen.

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist bei den Sahrauis ausgeglichen. Die Frau entscheidet zu Hause und auch in politischen Gremien mit. Sie kann sich auch scheiden lassen. Verhütung ist nicht verboten.

Marokko hält die Westsahara widerrechtlich besetzt

Marokko hält die Westsahara seit 1975 illegal besetzt, trotz wiederholter Beschlüsse der UN-Vollversammlung, die ein Referendum über den Status der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara forderte.

Flüchtlingslager der Sahraouis nahe der algerischen Oase Tindouf (0 Bilder) [1]

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Auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag entschied am 16. Oktober 1975: "Die Sahara ist kein Niemandsland: Es gibt eine ansässige Bevölkerung, und diese hat ein Recht auf Selbstbestimmung". Doch Marokko ignoriert diese wiederholten Entscheidungen der UNO und Den Haags bis heute.

1975: Mit dem «Grünen Marsch» wurde die Westsahara Marokko einverleibt

Unter großer medialer Aufmerksamkeit überschritten am 6. November 1975 rund 350.000 marokkanische Zivilisten die Grenze zur Westsahara, um das Gebiet "heimzuholen"; sie wurden mit Bussen und Lastwagen aus Marokko hergebracht. Im Schatten dieses Medienspektakels und unbemerkt von der Öffentlichkeit besetzten die Armeen Marokkos und Mauretaniens bereits am 31. Oktober 1975 heimlich das Gebiet der Westsahara.

Am 14. November 1975 unterzeichnete das damals schwache Spanien – General Franco lag auf dem Sterbebett – das Abkommen von Madrid: Die Westsahara wurde zwischen Mauretanien und Marokko aufgeteilt. Das Abkommen wurde jedoch bis heute nicht vom spanischen Parlament paraphiert.

Sahrauische Befreiungsarmee Polisario wehrt sich

Von 1975 bis 1981 bedrängte die sahrauische Befreiungsarmee Polisario zunehmend die Soldaten der marokkanischen Armee. Deswegen begann Marokko 1981 mit dem Bau einer mit amerikanischer Elektronik gesicherten und verminten Mauer.

Dieser Wall reicht von der marokkanischen Besatzungszone im Westen und der Polisario im Osten über die marokkanisch-mauretanische Küstengrenze im Südwesten bis zum marokkanisch-algerisch-mauretanischen Dreiländereck im Nordosten des umstrittenen Gebietes. Die Mauer hat heute eine Länge von 2.700 Kilometern.

1991 Waffenstillstand, aber Referendum findet nicht statt

Am 6. September 1991 trat ein Waffenstillstand zwischen Marokko und den Sahrauis in Kraft, der für Anfang 1992 ein Referendum über die Frage "Unabhängigkeit oder Anschluss an Marokko" vorsah.

Die sahrauische Bevölkerung in den Flüchtlingslagern vertraute auf den im Friedensplan vorgesehenen Fahrplan, packte ihr Hab und Gut und bereitete sich auf die Rückkehr vor: Die Schulen wurden geschlossen, alle Schüler und Studenten aus dem Ausland wurden in die Lager zurückgerufen, um auf die Rückkehr vorbereitet zu sein. Doch 1992 wurde zu einem "verlorenen Jahr" für die Ausbildung der Jugendlichen, da das Referendum nicht stattfand und das Leben in den Flüchtlingslagern wieder aufgenommen werden musste. Ein Referendum hat bis heute nicht stattgefunden.

Heute leben noch 60 Prozent der Sahrauis in dem von Marokko besetzten Gebiet. Marokko siedelt auch immer mehr marokkanische Staatsbürger in diesem Gebiet an. In diesem Gebiet wird im großen Stil Phosphat abgebaut und die Fischgründe im Atlantik sind sehr ergiebig. Die Besetzung der Westsahara durch Marokko hat jedoch mehr ideologische als wirtschaftliche Gründe: Großmachtträume des Königreichs Marokko, sagen Experten.

USA und Israel akzeptieren den Anspruch Marokkos auf die Westsahara

Auf internationaler Ebene wurde der von Marokko erhobene Anspruch auf die Westsahara bisher von keinem Staat anerkannt – mit Ausnahme der USA unter US-Präsident Donald Trump, der dies 2020 tat. Am 18. Juli 2023 erkannte auch Israel unter dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu den marokkanischen Anspruch auf die Westsahara an und erwartet im Gegenzug, dass Marokko die Palästinenser nicht weiter unterstützt.

Nach 29 Jahren sprechen in der Westsahara wieder die Waffen

Seit dem 13. November 2020 sprechen in der Westsahara wieder die Waffen, wie Omeima Abdeslam, UN-Botschafterin für Menschenrechte der Polisario in Genf, erklärte: "[Marokkos] Operation hat das Waffenstillstandsabkommen verletzt, nicht wir (die Polisario) haben eine Militäroperation durchgeführt".

Die marokkanische Armee überquerte die 2.700 Kilometer lange Sandmauer, die die von der Polisario und Marokko kontrollierten Gebiete in der Westsahara trennt. Die Operation richtete sich gegen eine friedliche Straßenblockade am 21. Oktober durch protestierende Zivilisten, mit der die Polisario nichts zu tun hatte.


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