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Exklusiv: Ukraine-Krieg erhöht laut EU-Papier Terrorgefahr in Europa

Prorussische Miliz in der "Volksrepublik Donezk". Bild: Gennadiy Dubovoy, CC BY 3.0

Erneut warnen Sicherheitsexperten in Brüssel vor zunehmender Bedrohung. Bundesregierung geht kaum auf Problem ein. Welche Szenarien das interne Protokoll nun skizziert.

Sicherheitspolitische Experten haben in EU-internen Fachgremien auf eine wachsende Gefahr für die Sicherheitslage in Europa durch den Krieg in der Ukraine hingewiesen.

Ein internes Protokoll, das Telepolis vorliegt, verweist in diesem Zusammenhang auf die Rückkehr radikalisierter Kämpfer aus dem Kriegsgebiet in EU-Staaten. Gleichzeitig wächst demnach in Brüssel die Sorge vor einem schwer kontrollierbaren Rückfluss von Waffen, Sprengstoff sowie biologischen, chemischen und nuklearen Kampfmitteln.

Derzeit sei die Sicherheitsbedrohung durch radikalisierte Kämpfer, Waffen und Sprengstoff aus dem Ukraine-Krieg zwar noch nicht akut, heißt es in der Einschätzung der Arbeitsgruppe Terrorismus des Europäischen Rates.

Es sei aber "wahrscheinlich", dass sich die Bedrohungslage "mittel- bis langfristig" verschärfen werde, warnten die Terrorismusexperten bereits im April in einer Einschätzung für den Ständigen Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (Cosi).

Die EU-Experten wiesen dabei vor allem auf den "Zustrom von Waffen und Sprengstoff" hin, aber auch auf die "Rückkehr von ausgebildeten, gewaltbereiten und extremistischen Freiwilligen aus dem Ausland sowie auf Versuche, die Gesellschaften in einigen Mitgliedstaaten weiter zu radikalisieren".

Die Arbeitsgruppe Terrorismus ist federführend für Maßnahmen des EU-Rates zur Terrorismusbekämpfung [1] und arbeitet nach eigenen Angaben "eng mit dem EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung und Europol zusammen". Der Cosi-Ausschuss wiederum soll "operative Maßnahmen im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit der EU" unterstützen [2].

Berichte über eine wachsende Gefahr durch Kriegsrückkehrer und die Verbreitung von Waffen und Kampfmitteln aus dem ukrainischen Kriegsgebiet hatte es seit Beginn der russischen Invasion immer wieder gegeben.

So äußerte sich die Direktorin der europäischen Polizeibehörde Europol bereits im Mai 2022 besorgt über den Verbleib von Waffen [3], die aus der EU in die Ukraine gelieferten worden waren. "Irgendwann ist der Krieg vorbei. Wir wollen eine Situation verhindern wie vor 30 Jahren im Balkankrieg", sagte Catherine De Bolle damals unter anderem der Welt am Sonntag: Die Waffen aus den Balkankriegen würden "noch heute von kriminellen Gruppen genutzt".

Die Bundesbehörden und die Bundesregierung haben das Thema jedoch kaum aufgegriffen - vermutlich, um nicht unsolidarisch gegenüber Kiew zu erscheinen. So ist es schwer einzuschätzen, wie groß die Gefahr aus der Ukraine tatsächlich ist.

Nach Angaben aus Kiew sollen sich 20.000 ausländische Freiwillige am Krieg gegen die russischen Truppen beteiligen [4]; aus Deutschland seien es rund 1.000 Kämpfer.

Vor diesen Gefahren warnt man noch in Brüssel

Aus der Terrorismus-Arbeitsgruppe in Brüssel heißt es, "eine kleine Minderheit der Europäer", die im Ukraine-Krieg kämpften, sei "als gewalttätig-extremistisch motiviert" einzustufen. Diese Akteure kämen sowohl aus dem rechtsextremen Milieu als auch aus linksextremen Strukturen. Eine dritte Gruppe sei dem islamistischen Extremismus zuzuordnen. Die EU-Terrorismusexperten schätzten die Lage im April wie folgt ein:

Die überwiegende Mehrheit der Freiwilligen hat sich der ukrainischen Seite angeschlossen, aber es gibt auch einige, die auf russischer Seite kämpfen. Wachsamkeit ist geboten im Hinblick auf die möglichen Folgen für Terrorismus und gewalttätigen Extremismus, da extremistische Freiwillige, die über Kampf- und Waffenausbildung (...) sowie ein größeres persönliches Kontaktnetzwerk verfügen, nach ihrer Rückkehr eine Bedrohung darstellen könnten - nicht nur als potenzielle Angreifer, sondern auch als Anwerber und Verbreiter von Radikalisierung, Propaganda und Desinformation.

Schon jetzt kommt es laut dem Telepolis vorliegenden internen EU-Protokoll zu Waffenschmuggel aus der Ukraine, wenn auch nur sporadisch. Dies könne sich aber nach dem Ende des Konflikts schnell ändern. Dann sei "eine größere Verbreitung und Verfügbarkeit von Waffen, Sprengstoffen, Munition und CBRN-Materialien" zu befürchten. CBRN steht für chemische, biologische, radioaktive und nukleare Kampfstoffe [5].

"Die Gefahr, dass terroristische Gruppierungen und gewaltbereite Extremisten, aber auch Gruppierungen der organisierten Kriminalität die Gelegenheit nutzen, solche Materialien zu beschaffen, zu horten und nach und nach auf die illegalen europäischen Märkte zu bringen, stellt ein generelles Problem für die innere Sicherheit der EU dar", heißt es in dem EU-Dokument weiter.

Verstärkt werde diese Gefahr durch das mögliche Einsickern von Mitgliedern terroristischer Organisationen im Zuge der Flüchtlingsströme aus der Ukraine in die EU. Diese und andere potenzielle Gewalttäter könnten auch durch den Einsatz von Drohnen auf ukrainischer und russischer Seite inspiriert werden: "Leicht zugängliche Drohnen, die ursprünglich für zivile Zwecke vorgesehen waren, können zu Trägersystemen für den Einsatz von improvisierter Munition und CBRN-Stoffen umfunktioniert werden."

Die Bundesregierung hatte auf erste entsprechende Warnungen vor gut einem Jahr beschwichtigend reagiert [6], während deutsche Polizeigewerkschafter auf das Problem hinwiesen [7].

Generell sei davon auszugehen, sagte damals ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage unserer Redaktion, "dass die potenzielle (…) Kriegsbeteiligung von ausgereisten deutschen Extremisten (…) die von ihnen ausgehende Gefahr erhöhen könnte". Die Sicherheitsbehörden arbeiteten daher "eng und intensiv zusammen, um Ausreisen von Extremisten zu verhindern".

Es ist nicht bekannt, inwieweit dies erfolgreich war.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9185472

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/preparatory-bodies/working-party-terrorism/
[2] https://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/preparatory-bodies/standing-committee-operational-cooperation-internal-security/
[3] https://www.berliner-zeitung.de/news/europol-besorgt-ueber-verbleib-von-waffen-nach-dem-ukraine-krieg-li.230486
[4] https://archive.is/8LXac
[5] https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_49156.htm
[6] https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Die-verschwiegene-Terror-Gefahr-aus-dem-Osten-7064177.html?seite=all
[7] https://www.telepolis.de/features/Auch-Polizeigewerkschaft-warnt-nun-vor-Gefahr-durch-Rueckkehr-von-Ukraine-Kaempfern-7069837.html