Experte zu globaler Neuordnung: "China beansprucht mehr Gestaltungsmacht"
China fordert Westen wirtschaftlich, politisch und militärisch heraus. Belt and Road Initiative und Aufrüstung im Pazifik. Reagiert Deutschland adäquat?
Auch wenn die Schlagzeilen derzeit eher von den Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine oder den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA bestimmt werden – ein zentrales Thema der internationalen Politik ist und bleibt China. Die Beziehungen zum Westen, vor allem den USA, sind angespannt. Gerade gab es im Pazifik das US-geführte weltgrößte Seemanöver Rimpac – zum ersten Mal mit Beteiligung der Bundesmarine.
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Der chinesische Botschafter wurde ins Auswärtige Amt in Berlin einbestellt wegen des Vorwurfs, China habe eine deutsche Bundesbehörde ausspioniert. Und sowohl die USA als auch die EU haben Strafzölle auf chinesische Produkte wie Elektroautos verhängt. Angeblich verletzt China internationale Handelsregeln.
Thomas Bonschab ist seit 20 Jahren unternehmerisch in und mit China tätig, leitet ein Beratungsunternehmen für Firmen, die im China-Geschäft aktiv sind und betreibt gemeinsam mit dem früheren Chef des Hamburger Giga-Instituts Prof. Robert Kappel den Blog "Weltneuvermessung".
Dietmar Ringel sprach mit ihm im Telepolis-Podcast über Chinas Rolle im Spiel der Weltmächte, die deutsche China-Politik und die Chancen und Risiken der Wirtschaftsbeziehungen mit China.
Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse
▶ Wie der Name Ihres Blogs schon sagt, geht es dort um die Verschiebung des globalen Kräfteverhältnisses, vor allem in Richtung China. Woran kann man messen, wie sehr sich das Kräfteverhältnis mittlerweile zugunsten Chinas verschoben hat?
Thomas Bonschab: Ich glaube, das Beste ist, wenn man mal nicht auf die Tagespolitik schaut, sondern sich die großen Megatrends ansieht. Dann kann man erkennen, wie sehr China in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Blickt man auf die Situation in den 1950er-Jahren und auch noch in den 1970ern, dann war das wirtschaftliche Epizentrum, wo das meiste Bruttoinlandsprodukt generiert wurde, in der Mitte des Atlantiks zu verorten, mit den großen Zielfaktoren USA und Europa. Seither ist das kontinuierlich nach Osten gewandert.
Es liegt heute schon deutlich entfernt von Europa, und Projektionen sagen voraus, dass in den 2050ern das Epizentrum irgendwo im Grenzbereich zwischen China und Indien liegen wird. Und wenn man an diesem Punkt, wo auch immer er sich dann genau befinden wird, einen Kreis von etwa 4.000 Kilometern zieht, dann leben innerhalb dieses Kreises mehr Menschen als außerhalb. Und diese Menschen beanspruchen momentan eine sehr starke Rolle bei der Gestaltung der Weltordnung.
▶ Nun ist die Wirtschaftsleistung aber nur ein Faktor, an dem man das messen kann. Es gibt ja nach wie vor viele Abhängigkeiten, zum Beispiel vom dollarbasierten Weltwährungssystem. Da versuchen die Chinesen, auch im Bündnis mit anderen, sich abzukoppeln, eigene Zahlungssysteme aufzubauen. Wie weit ist man damit bislang gekommen?
Thomas Bonschab: Diese Prozesse stehen sicherlich noch am Anfang, aber es ist bemerkenswert, wie sehr sich Länder zusammenschließen. Erst über die Bric 2006, dann über die Brics mit Südafrika 2010, und jetzt sogar mit dem in diesem Jahr geschlossenen Brics-Plus-Bündnis. Das sind Länder, die eigentlich gar nicht so viel miteinander zu tun haben, die aber alle eines verbindet, nämlich Alternativen zum US-amerikanisch oder westlich geführten Finanzsystem zu entwickeln.
Das sind alles noch Anfangsbewegungen, aber man darf sich da nichts vormachen. Es nimmt sehr stark Fahrt auf und wird sicherlich die Finanzarchitektur in den nächsten Jahren stark verändern.
Investitionen rückläufig
▶ Es gibt darüber hinaus die "Belt and Road Initiative", auch als neue Seidenstraße bekannt. Noch vor wenigen Jahren wurde dieses Projekt von vielen belächelt. Viel Gedöns, hieß es, und wenig dahinter. Außerdem diktierten die Chinesen anderen Ländern die Bedingungen. Es sei nicht von gegenseitigem Vorteil. Trotzdem läuft diese Geschichte weiter. Wo steht man im Moment?
Thomas Bonschab: Die "Belt and Road Initiative" hatte seine höchsten Finanzierungsausgaben sicherlich vor ungefähr fünf oder sechs Jahren. Es ist ein wenig nüchterner geworden, was auch der insgesamt globalen Abkühlung der Wirtschaft geschuldet ist. Auch China kann nicht mehr ganz so viel investieren, wie es das vorher getan hat.
Dennoch sollte man im Westen solche Prozesse nicht kleinreden und sich darüber lustig machen. Denn es sind tatsächlich Versuche, Alternativen zu schaffen zu Investitionsmethoden, die wir gewohnt sind und die vom Westen gesteuert werden.
Da gibt es ein ganzes Paket an Maßnahmen wie Prozesse zur Entdollarisierung des Zahlungssystems, aber auch die Gründung neuer Institutionen, wie zum Beispiel der Asian Infrastructure Investment Bank oder der New Development Bank als Alternativen zu den entsprechenden UN-Einrichtungen. Ich meine, man sollte das sehr genau beobachten.
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▶ Wir müssen natürlich auch über das militärische Kräfteverhältnis reden. Da sind die Amerikaner nach wie vor dominant, aber China rüstet massiv auf. Wollen die Chinesen so stark werden wie die USA oder noch stärker? Und gibt es eine Militärdoktrin, die dahintersteckt?
Thomas Bonschab: China beansprucht mehr Gestaltungsmacht, und das zeigt sich auch im militärischen Aufrüsten. Allerdings muss man dazu sagen, China hat momentan noch einen enormen Abstand zu den Vereinigten Staaten. Genau genommen haben alle Länder einen großen Abstand zu den Vereinigten Staaten.
Man braucht sich nur die Zahl der Flugzeugträger anzuschauen, was ja ganze Städte sind als mobile militärische Einrichtungen. Aber China holt trotzdem auf. Hinzu kommt: Solche Einrichtungen wie ein Flugzeugträger oder Raketensysteme funktionieren nur, wenn auch die Cyber Security funktioniert. Und da haben nicht nur die Chinesen zugelegt, sondern auch Russland und andere Länder. Das macht dem Westen sicherlich große Sorgen.
Rüstungswettlauf zwischen USA und China
▶ Aber noch einmal zu der Frage der Militärdoktrin. Sagen die Chinesen, dass sie die Amerikaner auf diesem Gebiet einholen wollen? Oder geht es vielleicht auch darum, gemeinsam das Niveau zu senken, um nicht so viel Geld für militärische Zwecke auszugeben?
Thomas Bonschab: Eine solche Doktrin ist mir tatsächlich nicht bekannt. Es gibt sehr starke Ansprüche, vor allem im südchinesischen Meer und um das konfliktreiche Thema Taiwan. Ansonsten ist das aus chinesischer Sicht eher eine Zusammenstellung verschiedener Aspekte, in denen man versucht, Einfluss auf globaler Ebene zu gewinnen.
Dazu gehört der Aufbau von Hardpower, also von militärischer Macht. Vor allem aber sind es sehr innovative neue Methoden, den Einfluss auf wirtschaftlicher Ebene zu erweitern. Und dann gibt es noch das große Thema des Aufbaus von Softpower. Aber da steht es um China nicht besonders gut.
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▶ Der Westen wirft China zunehmend aggressives Verhalten vor – und da will ich die Stichworte Taiwan und Südchinesisches Meer aufgreifen. Dort beansprucht China etwa eine Reihe von Inseln für sich, es gibt Territorialkonflikte mit mehreren Nachbarstaaten. Ist China eine Gefahr für seine Nachbarstaaten, und handelt China in der Tat aggressiv?
Thomas Bonschab: Ja, ich würde schon sagen, dass sich die Nachbarstaaten da nicht ganz umsonst Sorgen machen. China beansprucht schon zur Sicherung der Seewege große Teile des Südchinesischen Meeres, und eine Macht, die so schnell gewachsen ist wie die von China, setzt das in der Regel auch durch. Das ist historisch nicht ungewöhnlich.
Kampfflugzeuge nahe Taiwan
▶ Kommen wir zu Taiwan. Aus Sicht Pekings ist Taiwan Bestandteil des chinesischen Territoriums. Es gibt auch immer wieder kleinere militärische Attacken wie Militärmanöver, in denen chinesische Kampfflugzeuge den Lauftraum Taiwans verletzen. Aus westlicher Sicht sind das Anzeichen dafür, dass China versuchen könnte, Taiwan militärisch zu besetzen. Ist diese Gefahr real?
Thomas Bonschab: Die Ansage von chinesischer Seite heißt: Zum 100. Gründungsjubiläum der Volksrepublik China im Jahr 2049 muss Taiwan wieder voll integriert sein in das chinesische Festland. Nu gibt es verschiedene Interpretationen, die insbesondere aus den USA kommen und die meines Erachtens sehr interessant sind. Da geht es um die Frage, wann und wie diese Eingliederung passieren könnte. Dass es passieren wird, ist sehr wahrscheinlich. Aber wann und wie, ist offen.
Eine Position dazu ist: Der globale Wechsel Taiwans von der einen imperialen Macht USA zur zweiten, also nach China, sei unabdingbar. Ob das mit friedlichen Mitteln verläuft und in welcher Geschwindigkeit, hänge von der Weisheit der politischen Führung in China ab. Das heißt, es könnte auch ganz ohne militärische oder sonstige Gewalt passieren. Diese Interpretation liebt die chinesische Regierung natürlich.
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Es gibt aber auch eine Zweite. Die besagt, dass wir uns gegenwärtig in einer sogenannten Danger Zone befinden, einer Gefahrenzone also, und dass eine Übernahme von Taiwan aller Voraussicht nach innerhalb der nächsten zehn Jahre stattfinden wird. Warum?
Weil China momentan schon wieder auf dem absteigenden Ast sei, große demografische Probleme habe, große interne Schwierigkeiten, Umweltprobleme und so weiter. Deshalb, so die These, werde China Taiwan einnehmen, solange es noch die Kraft dazu hat. Das sind die beiden konkurrierenden Interpretationen. Ich kann leider nicht in die Glaskugel schauen. Wir können nur hoffen dass, wenn überhaupt, der erste Weg eingeschlagen wird.
▶ Aber damit ist ja auch ein großes Risiko für China verbunden. Wenn es wirklich einen militärischen Konflikt mit Taiwan vom Zaun bricht, ist doch klar, wie der Weste reagiert, dass es große weltpolitische Verwerfungen geben wird. Und derzeit ist es doch auch so, dass China und Taiwan z. B. durch gute Wirtschaftsbeziehungen gegenseitig voneinander profitieren …
Thomas Bonschab: Auf jeden Fall. China ist momentan noch ganz stark abhängig von Taiwan. Sollte China wirklich rasant einen Konflikt mit Taiwan in dieser Größenordnung suchen, könnte man davon ausgehen, dass wirklich das schlimmste von allem eintritt. Nämlich, dass auch westliches Militär eingreift und wir dann in eine maximale Eskalation hineingehen. Insofern kann man nur hoffen, dass die chinesische Regierung vernünftig abwägt.
Momentan ist das ein Grenzspiel, weil in China selbst durchaus auch nationalistische Kräfte unterwegs sind, die ein sehr viel dezidierteres Eingreifen fordern. Und es ist sicherlich auch nicht einfach für die aktuelle politische Führung, dem etwas entgegenzusetzen.
▶ Andererseits stellt sich China selbst als friedliebendes Land dar, das – anders als etwa die Staaten des Westens – nie Eroberungskriege geführt habe. Wie passt das dazu, wenn man dann doch ein militärisches Vorgehen gegen Taiwan nicht ausschließt?
Thomas Bonschab: China hat keine konsistente Geschichte, um zu sagen, dass man nur friedlich unterwegs gewesen sei. In der 4.000-jährigen Geschichte Chinas gab es immer wieder Momente, in denen das Land sehr starke territoriale Eroberungen vorgenommen hat und danach wieder schrumpfte.
Und was in den Randterritorien passierte, ist genau dasselbe wie bei allen anderen Großmächten. Es war nicht besonders nett, um es vorsichtig zu formulieren. Es war verbunden mit sehr viel Brutalität, Ausbeutung und so weiter. Wie gesagt, ganz ähnlich wie bei anderen Ländern mit Großmachtbestrebungen.
▶ Lassen Sie uns über das Verhältnis China-USA sprechen. Das sind die beiden mit Abstand führenden Weltmächte, wobei die Amerikaner gerade an Einfluss verlieren – Sie haben das ja eingangs mit Blick auf die Wirtschaftszahlen beschrieben. Wie groß ist die Gefahr, dass dieser Wettbewerb ausartet in eine eklatante Feindschaft bis hin zu möglichen militärischen Konflikten? Und welche Instrumente braucht es aus Ihrer Sicht, um das zu verhindern?
Thomas Bonschab: Das Problem ist, dass die USA und China beide Anspruch auf Weltführung erheben. Besonders bedenklich ist – vor allem für jemanden, der wie ich vor allem wirtschaftlich unterwegs ist – dass es fatale Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ländern gibt. Dazu gehört vorwiegend die Neigung, dass man alles, was Handel und wirtschaftliche Kooperation betrifft, unter die Perspektive der nationalen Sicherheit stellt.
Früher war es ja so, dass globaler Handel als ein Moment des freien Austausches galt. Heute wird fast jede Kooperation als ein Angriff auf die nationale Sicherheit gesehen. Das verbindet beide Länder. Ferner verbindet sie, dass es in militärischen und Sicherheitsfragen momentan keine festen Kommunikationsmechanismen zu geben scheint. Dazu fehlt wahrscheinlich auf beiden Seiten der politische Wille.
Und jetzt vielleicht das Schlimmste: weder die USA noch China haben eine große Neigung zur Selbstbegrenzung. Der Weg, der da herausführen kann, ist meines Erachtens nur gegeben, wenn sogenannte Mittelmächte, also Mächte, die sich nicht einseitig auf die Seite der USA oder Chinas stellen und noch ein paar andere Kriterien erfüllen, versuchen, diesen Konflikt zu moderieren.
▶ Welche Mittelmächte könnten das sein?
Thomas Bonschab: Es ist erstaunlich, welche Länder da teilweise unterwegs sind. Ich gebe mal ein Beispiel. Singapur – ein ganz kleines, auf der Landkarte nur stecknadelkopfgroßes Land, schafft es tatsächlich, sich mal auf die Seite der Amerikaner und dann aber wieder auf die Seite der Chinesen zu stellen und dabei so attraktiv zu sein, dass weder China noch die Vereinigten Staaten ohne Singapur können.
Und damit nimmt man sehr viel Druck aus dem System raus. Andere Mittelmächte wären wahrscheinlich die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch die Türkei. Deutschland im Moment allerdings nicht.
▶ Warum nicht?
Thomas Bonschab: Deutschland wäre potenziell sogar mehr als eine Mittelmacht, nämlich eine Führungsmacht, also fast auf Augenhöhe mit den USA und China. Allerdings nur, wenn es eine gemeinsame europäische außenpolitische Haltung gäbe. Die gibt es aber nicht.
Und es wird sie wahrscheinlich auch zeitnah nicht geben. Also muss man immer schauen, wie stark ist denn eigentlich die Gestaltungsmacht von Deutschland. Militärisch gesehen ist man, auch wenn gerade viel passiert, noch meilenweit von China entfernt, ganz zu schweigen von den Vereinigten Staaten.
Was die wirtschaftliche Gestaltungsmacht Deutschlands angeht, so gab es in den letzten 20 Jahren einen starken Verlust. Als attraktiv gilt weiter die deutsche Softpower. Aber das alleine reicht nicht aus, um in einem Konflikt zwischen den beiden Großmächten zu intervenieren.
Hinzu kommt, dass Deutschland in eine Falle getappt ist. Es ist vielleicht verständlich, aber nicht besonders klug, sich allzu einseitig auf die Seite des alten alliierten Freundes USA zu stellen und gleichzeitig keine Klarheit über den Umgang mit China zu haben. Vor allem, was die Wirtschaft angeht, denn unser wirtschaftlicher Reichtum wird ja auch in China generiert.
▶ Da möchte ich gleich anschließen. China ist ja seit Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. Für viele deutsche Unternehmen ist der chinesische Markt unverzichtbar. Nun haben Sie gerade beschrieben, dass sich die deutsche China-Politik eher an der US-amerikanischen orientiert. Vertritt man da eigene Interessen zu wenig? Wie würden Sie überhaupt die Zielrichtung der gegenwärtigen deutschen China-Politik beschreiben?
Thomas Bonschab: Als orientierungslos. In Deutschland werden momentan sehr viele Strategiepapiere von der Bundesregierung oder einzelnen Ministerien veröffentlicht – mit Blick auf China oder auch Afrika. Aber wie man in Zukunft mit den betreffenden Ländern umgehen will, kann man daraus nicht wirklich erkennen.
Ich bin überzeugt, Deutschland sollte versuchen, sich in diesen ganzen Konflikten stärker zu neutralisieren und nicht einfach umzusetzen, was von den Vereinigten Staaten kommt. Man soll und man muss mit China auch klare Worte sprechen. Die chinesische Regierung kann das auch gut ab. Man darf die chinesische Seite nur nicht einfach als Feind adressieren.
▶ Eine zentrale Frage, die zu dieser Debatte auch dazu gehört, ist die der Menschenrechte. Das ist ja aus westlicher Sicht ein ganz entscheidender Punkt. Da gibt es viele Vorwürfe China gegenüber: Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, fehlender Parteienpluralismus bis hin zu Straflagern für Andersdenkende, massenhafte Vollstreckung der Todesstrafe und so weiter. Und da stellt sich natürlich die Frage, ob der Westen China unter diesen Umständen überhaupt als gleichberechtigten Partner akzeptieren kann.
Thomas Bonschab: Die eine Frage ist, ob man das will. Die andere, ob man das ein Stück weit muss. Es ist ja einfach Fakt, dass China groß und mächtig und auch als Wirtschaftsstandort für Deutschland unverzichtbar geworden ist. Das heißt aber nicht, dass man in irgendeiner Form seine Werte zur Seite stellen muss und sagt, ich interessiere mich nicht für Menschenrechte in China.
Meines Wissens hat die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel auf ihren Reisen jedes Mal dieses Thema angesprochen. Dann ist passiert, was eben passiert, wenn man es mit einer Großmacht zu tun hat: Es gibt etwas Rührung, man lächelt ein wenig, sagt, man bleibt im Dialog – und dann passiert nicht viel. Das ist ein Dilemma, an dem ich leider auch nicht viel ändern kann.
▶ Sie sind vor allem wirtschaftlich aktiv, mit eigenen Unternehmen, mit solchen Unternehmen, denen Sie beratend zur Seite stehen. Ist das China-Geschäft für deutsche Unternehmen noch wirklich ein Zukunftsmodell?
Thomas Bonschab: Ich würde unterscheiden zwischen Großkonzernen und mittelständischen Betrieben. Großkonzerne kommen meiner Meinung nach an China einfach nicht vorbei. Oder wie man so schön sagt: Das größte Risiko mit China besteht darin, nicht in China zu sein. Dazu sind die Märkte dort einfach zu bedeutsam. Und diese Unternehmen, diese Großkonzerne, haben alle dasselbe Problem. Sie geraten in den Strudel des Großkonflikts zwischen den USA und China und müssen irgendwelche Lösungen finden.
Für mittelständische Unternehmen ist es noch viel schwerer. Die fühlen sich mehr oder weniger alleingelassen, auch von der Politik. Da kommen irgendwelche politischen Vorgaben, sowohl von der deutschen, vor allem aber von der chinesischen Seite. Stärkere Kontrollen in den Betrieben zum Beispiel.
Oder weniger persönliche Freiheiten, was es immer schwerer macht, Mitarbeiter nach China zu schicken. Andererseits hat China manche westlichen Forderungen erfüllt. So kann man ohne Unternehmensbeteiligung, also ohne Joint Venture, in China tätig sein.
Das ist heute kein Problem mehr. Man bekommt auch sehr viel leichter ein Visum. Wer nicht länger als zwei Wochen bleibt, braucht überhaupt kein Visum mehr. Chinesische Unternehmer haben dagegen derzeit fast keine Möglichkeit, ein Visum für Deutschland zu bekommen. Es ist also wirklich schwierig für deutsche Unternehmen. Sie können nicht ganz ohne China, aber es ist auch unattraktiver geworden.
▶ Hinzu kommt ja noch, dass die Politik massive Einschnitte vornimmt. Ich denke da zum Beispiel an die Strafzölle bis zu 37 Prozent, die die EU auf chinesische Elektroautos verhängt hat. Wie gerechtfertigt sind die aus Ihrer Sicht?
Thomas Bonschab: Zunächst mal habe ich den Eindruck, dass Zölle immer eine schlechte Antwort auf die Verschiebung von Wettbewerbsfähigkeiten sind. Man darf ja nicht vergessen, wie das in China gelaufen ist. Wir bringen als Vorwurf immer die Subventionierung von chinesische Unternehmen. Tatsächlich wurden aber die Konsumenten subventioniert. Die wurden dabei unterstützt, auf Elektromobilität umzusteigen.
Mit diesen Subventionen hätte man auch Elektrofahrzeuge von VW, Mercedes oder BMW kaufen können. Bloß die gab es nicht in China, weil sie bisher nicht gebaut wurden. Das ist auch jetzt noch so. Mit anderen Worten: Wenn man die politische Entscheidung trifft, den Klimawandel aufzuhalten und auf saubere Technologien umzurüsten, dann kann man schlecht Zölle einführen, weil diese Technologien nicht von uns, sondern von anderen kommen. Das ist es aber, was momentan passiert.
Die EU sagt, wir haben den Wettbewerb ein wenig verschlafen, also lassen wir die anderen lieber gar nicht erst rein. Und es kommt noch ein Aspekt hinzu. Mir ist keine Großmacht bekannt, die ihre Strategie wirklich verändert hätte, weil ein anderer Wirtschaftsraum irgendwelche Zollbedingungen aufgesetzt hat. Weder bei den USA noch bei China fällt mir dafür ein Beispiel ein. Insofern glaube ich, dass die Zölle eigentlich nur allen Seiten wehtun, aber nicht viel Veränderung bringen werden.
▶ Sie haben beschrieben, dass die Subventionen in China die Konsumenten betreffen. Das Gleiche ist ja in Deutschland auch passiert. Es gab und gibt Kaufprämien für Elektroautos. Und die Amerikaner subventionieren ja auch ihre Wirtschaft, gerade was neue Technologien angeht. Machen die Chinesen also im Grunde nur das, was andere auch tun?
Thomas Bonschab: Ja und nein. Also ja, sie machen das in einer ähnlichen Art und Weise, vielleicht etwas effizienter als viele europäische Länder. Aber es ist auch eine besondere Form von Industriepolitik, die in China stattfindet, mit der man sich auch tatsächlich auseinandersetzen sollte.
Dabei geht es um eine enge Verzahnung von staatlichen Vorgaben bei der Finanzierung durch staatliche Banken, großen Staatsunternehmen und dem Privatsektor. Diese Verknüpfung ist für ausländische Unternehmen, abgesehen von Großunternehmen wie BASF oder Mercedes, sehr schwer zu durchschauen, geschweige denn zu knacken.
Und dadurch entstehen tatsächlich Wirtschaftskräfte in China, bei denen wir in der Vergangenheit nicht mithalten konnten. Wir haben auch noch keine sinnvolle und schlagkräftige Antwort auf die chinesische Industriepolitik gefunden. Das wird, glaube ich, in nächster Zeit eine große Herausforderung für die Europäische Union. Und auch da gilt wieder, dass einzelne Länder das wahrscheinlich nicht schaffen werden. Dafür muss es europäische Lösungen geben.
▶ Lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf das Weltgeschehen schauen. China nimmt ja mehr und mehr Einfluss auf die internationale Politik, versucht sich zum Beispiel als Vermittler in zentralen Konflikten. Kürzlich gab es in Peking ein Treffen der verfeindeten Palästinenserfraktionen von Hamas bis Fatah, vorher wurde zwischen Iran und Saudi-Arabien vermittelt. Und China gilt auch als möglicher Vermittler zwischen Russland und der Ukraine. Was ist Peking hier zuzutrauen?
Thomas Bonschab: Ich persönlich würde nicht zu viel erwarten, denn China allein ist nicht attraktiv genug, auch nicht für die Ukraine. Und auch Russland wird sich nicht nur auf China verlassen können. China wird wahrscheinlich immer eine Rolle spielen bei der Lösung der globalen Konflikte. Aber sie werden das nur tun können in Kombination und mit Unterstützung der Mittelmächte, über die wir vorhin gesprochen haben.
▶ Noch einmal zu Russland. Der Westen wirft China vor, mit Blick auf den Krieg in der Ukraine nicht neutral zu sein, sondern auf der Seite Russlands zu stehen. Wie würden Sie das gegenwärtige Verhältnis Chinas zu Russland beschreiben?
Thomas Bonschab: Es gibt viele Gründe, warum China und Russland sich zu wichtigen Allianzpartnern entwickelt haben. Russland ist ein wichtiger Partner in den Brics. Russland hat viele natürliche Ressourcen, die für China wichtig sind. Es gibt übrigens auch eine lange Grenze zwischen beiden Ländern und insofern das Bedürfnis, dass dort keine Konflikte entstehen. Aber das alles macht Russland und China bisher nicht zu Verbündeten.
Meiner Ansicht nach sind sie verbunden, aber nicht verbündet. Der zentrale Markt für China ist Europa, nicht Russland. Und das Bruttoinlandsprodukt von China ist meines Wissens elfmal größer als das von Russland. Die Chinesen werden auch in Zukunft sehr stark darauf achten, dass ihnen Europa nicht verloren geht – schon um die eigene Wirtschaft zu schützen. Also, Russland ist ein wichtiger Partner für China, aber zugleich auch ein Dorn im Auge.
Ich glaube nicht, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine die Zustimmung der chinesischen Regierung gefunden hat. Man dürfte sich in Peking eher darüber geärgert haben.
Im Telepolis-Podcast sprach Dietmar Ringel mit Thomas Bonschab, Unternehmer und Wirtschaftsberater mit 20 Jahren Erfahrung im China-Geschäft. Gemeinsam mit Prof. Robert Kappel ist er Herausgeber des Blogs "Weltneuvermessung"