Experte zu globaler Neuordnung: "China beansprucht mehr Gestaltungsmacht"
China fordert Westen wirtschaftlich, politisch und militĂ€risch heraus. Belt and Road Initiative und AufrĂŒstung im Pazifik. Reagiert Deutschland adĂ€quat?
Auch wenn die Schlagzeilen derzeit eher von den Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine oder den bevorstehenden PrĂ€sidentschaftswahlen in den USA bestimmt werden â ein zentrales Thema der internationalen Politik ist und bleibt China. Die Beziehungen zum Westen, vor allem den USA, sind angespannt. Gerade gab es im Pazifik das US-gefĂŒhrte weltgröĂte Seemanöver Rimpac â zum ersten Mal mit Beteiligung der Bundesmarine.
Der chinesische Botschafter wurde ins AuswÀrtige Amt in Berlin einbestellt wegen des Vorwurfs, China habe eine deutsche Bundesbehörde ausspioniert. Und sowohl die USA als auch die EU haben Strafzölle auf chinesische Produkte wie Elektroautos verhÀngt. Angeblich verletzt China internationale Handelsregeln.
Thomas Bonschab ist seit 20 Jahren unternehmerisch in und mit China tĂ€tig, leitet ein Beratungsunternehmen fĂŒr Firmen, die im China-GeschĂ€ft aktiv sind und betreibt gemeinsam mit dem frĂŒheren Chef des Hamburger Giga-Instituts Prof. Robert Kappel den Blog "Weltneuvermessung [1]".
Dietmar Ringel sprach mit ihm im Telepolis-Podcast ĂŒber Chinas Rolle im Spiel der WeltmĂ€chte, die deutsche China-Politik und die Chancen und Risiken der Wirtschaftsbeziehungen mit China.
Verschiebung globaler KrÀfteverhÀltnisse
ⶠWie der Name Ihres Blogs schon sagt, geht es dort um die Verschiebung des globalen KrÀfteverhÀltnisses, vor allem in Richtung China. Woran kann man messen, wie sehr sich das KrÀfteverhÀltnis mittlerweile zugunsten Chinas verschoben hat?
Thomas Bonschab: Ich glaube, das Beste ist, wenn man mal nicht auf die Tagespolitik schaut, sondern sich die groĂen Megatrends ansieht. Dann kann man erkennen, wie sehr China in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Blickt man auf die Situation in den 1950er-Jahren und auch noch in den 1970ern, dann war das wirtschaftliche Epizentrum, wo das meiste Bruttoinlandsprodukt generiert wurde, in der Mitte des Atlantiks zu verorten, mit den groĂen Zielfaktoren USA und Europa. Seither ist das kontinuierlich nach Osten gewandert.
Es liegt heute schon deutlich entfernt von Europa, und Projektionen sagen voraus, dass in den 2050ern das Epizentrum irgendwo im Grenzbereich zwischen China und Indien liegen wird. Und wenn man an diesem Punkt, wo auch immer er sich dann genau befinden wird, einen Kreis von etwa 4.000 Kilometern zieht, dann leben innerhalb dieses Kreises mehr Menschen als auĂerhalb. Und diese Menschen beanspruchen momentan eine sehr starke Rolle bei der Gestaltung der Weltordnung.
â¶ Nun ist die Wirtschaftsleistung aber nur ein Faktor, an dem man das messen kann. Es gibt ja nach wie vor viele AbhĂ€ngigkeiten, zum Beispiel vom dollarbasierten WeltwĂ€hrungssystem. Da versuchen die Chinesen, auch im BĂŒndnis mit anderen, sich abzukoppeln, eigene Zahlungssysteme aufzubauen. Wie weit ist man damit bislang gekommen?
Thomas Bonschab: Diese Prozesse stehen sicherlich noch am Anfang, aber es ist bemerkenswert, wie sehr sich LĂ€nder zusammenschlieĂen. Erst ĂŒber die Bric 2006, dann ĂŒber die Brics mit SĂŒdafrika 2010, und jetzt sogar mit dem in diesem Jahr geschlossenen Brics-Plus-BĂŒndnis. Das sind LĂ€nder, die eigentlich gar nicht so viel miteinander zu tun haben, die aber alle eines verbindet, nĂ€mlich Alternativen zum US-amerikanisch oder westlich gefĂŒhrten Finanzsystem zu entwickeln.
Das sind alles noch Anfangsbewegungen, aber man darf sich da nichts vormachen. Es nimmt sehr stark Fahrt auf und wird sicherlich die Finanzarchitektur in den nÀchsten Jahren stark verÀndern.
Investitionen rĂŒcklĂ€ufig
â¶ Es gibt darĂŒber hinaus die "Belt and Road Initiative", auch als neue SeidenstraĂe bekannt. Noch vor wenigen Jahren wurde dieses Projekt von vielen belĂ€chelt. Viel Gedöns, hieĂ es, und wenig dahinter. AuĂerdem diktierten die Chinesen anderen LĂ€ndern die Bedingungen. Es sei nicht von gegenseitigem Vorteil. Trotzdem lĂ€uft diese Geschichte weiter. Wo steht man im Moment?
Thomas Bonschab: Die "Belt and Road Initiative" hatte seine höchsten Finanzierungsausgaben sicherlich vor ungefĂ€hr fĂŒnf oder sechs Jahren. Es ist ein wenig nĂŒchterner geworden, was auch der insgesamt globalen AbkĂŒhlung der Wirtschaft geschuldet ist. Auch China kann nicht mehr ganz so viel investieren, wie es das vorher getan hat.
Dennoch sollte man im Westen solche Prozesse nicht kleinreden und sich darĂŒber lustig machen. Denn es sind tatsĂ€chlich Versuche, Alternativen zu schaffen zu Investitionsmethoden, die wir gewohnt sind und die vom Westen gesteuert werden.
Da gibt es ein ganzes Paket an MaĂnahmen wie Prozesse zur Entdollarisierung des Zahlungssystems, aber auch die GrĂŒndung neuer Institutionen, wie zum Beispiel der Asian Infrastructure Investment Bank oder der New Development Bank als Alternativen zu den entsprechenden UN-Einrichtungen. Ich meine, man sollte das sehr genau beobachten.
â¶ Wir mĂŒssen natĂŒrlich auch ĂŒber das militĂ€rische KrĂ€fteverhĂ€ltnis reden. Da sind die Amerikaner nach wie vor dominant, aber China rĂŒstet massiv auf. Wollen die Chinesen so stark werden wie die USA oder noch stĂ€rker? Und gibt es eine MilitĂ€rdoktrin, die dahintersteckt?
Thomas Bonschab: China beansprucht mehr Gestaltungsmacht, und das zeigt sich auch im militĂ€rischen AufrĂŒsten. Allerdings muss man dazu sagen, China hat momentan noch einen enormen Abstand zu den Vereinigten Staaten. Genau genommen haben alle LĂ€nder einen groĂen Abstand zu den Vereinigten Staaten.
Man braucht sich nur die Zahl der FlugzeugtrĂ€ger anzuschauen, was ja ganze StĂ€dte sind als mobile militĂ€rische Einrichtungen. Aber China holt trotzdem auf. Hinzu kommt: Solche Einrichtungen wie ein FlugzeugtrĂ€ger oder Raketensysteme funktionieren nur, wenn auch die Cyber Security funktioniert. Und da haben nicht nur die Chinesen zugelegt, sondern auch Russland und andere LĂ€nder. Das macht dem Westen sicherlich groĂe Sorgen.
RĂŒstungswettlauf zwischen USA und China
â¶ Aber noch einmal zu der Frage der MilitĂ€rdoktrin. Sagen die Chinesen, dass sie die Amerikaner auf diesem Gebiet einholen wollen? Oder geht es vielleicht auch darum, gemeinsam das Niveau zu senken, um nicht so viel Geld fĂŒr militĂ€rische Zwecke auszugeben?
Thomas Bonschab: Eine solche Doktrin ist mir tatsĂ€chlich nicht bekannt. Es gibt sehr starke AnsprĂŒche, vor allem im sĂŒdchinesischen Meer und um das konfliktreiche Thema Taiwan. Ansonsten ist das aus chinesischer Sicht eher eine Zusammenstellung verschiedener Aspekte, in denen man versucht, Einfluss auf globaler Ebene zu gewinnen.
Dazu gehört der Aufbau von Hardpower, also von militĂ€rischer Macht. Vor allem aber sind es sehr innovative neue Methoden, den Einfluss auf wirtschaftlicher Ebene zu erweitern. Und dann gibt es noch das groĂe Thema des Aufbaus von Softpower. Aber da steht es um China nicht besonders gut.
â¶ Der Westen wirft China zunehmend aggressives Verhalten vor â und da will ich die Stichworte Taiwan und SĂŒdchinesisches Meer aufgreifen. Dort beansprucht China etwa eine Reihe von Inseln fĂŒr sich, es gibt Territorialkonflikte mit mehreren Nachbarstaaten. Ist China eine Gefahr fĂŒr seine Nachbarstaaten, und handelt China in der Tat aggressiv?
Thomas Bonschab: Ja, ich wĂŒrde schon sagen, dass sich die Nachbarstaaten da nicht ganz umsonst Sorgen machen. China beansprucht schon zur Sicherung der Seewege groĂe Teile des SĂŒdchinesischen Meeres, und eine Macht, die so schnell gewachsen ist wie die von China, setzt das in der Regel auch durch. Das ist historisch nicht ungewöhnlich.
Kampfflugzeuge nahe Taiwan
â¶ Kommen wir zu Taiwan. Aus Sicht Pekings ist Taiwan Bestandteil des chinesischen Territoriums. Es gibt auch immer wieder kleinere militĂ€rische Attacken wie MilitĂ€rmanöver, in denen chinesische Kampfflugzeuge den Lauftraum Taiwans verletzen. Aus westlicher Sicht sind das Anzeichen dafĂŒr, dass China versuchen könnte, Taiwan militĂ€risch zu besetzen. Ist diese Gefahr real?
Thomas Bonschab: Die Ansage von chinesischer Seite heiĂt: Zum 100. GrĂŒndungsjubilĂ€um der Volksrepublik China im Jahr 2049 muss Taiwan wieder voll integriert sein in das chinesische Festland. Nu gibt es verschiedene Interpretationen, die insbesondere aus den USA kommen und die meines Erachtens sehr interessant sind. Da geht es um die Frage, wann und wie diese Eingliederung passieren könnte. Dass es passieren wird, ist sehr wahrscheinlich. Aber wann und wie, ist offen.
Eine Position dazu ist: Der globale Wechsel Taiwans von der einen imperialen Macht USA zur zweiten, also nach China, sei unabdingbar. Ob das mit friedlichen Mitteln verlĂ€uft und in welcher Geschwindigkeit, hĂ€nge von der Weisheit der politischen FĂŒhrung in China ab. Das heiĂt, es könnte auch ganz ohne militĂ€rische oder sonstige Gewalt passieren. Diese Interpretation liebt die chinesische Regierung natĂŒrlich.
Es gibt aber auch eine Zweite. Die besagt, dass wir uns gegenwĂ€rtig in einer sogenannten Danger Zone befinden, einer Gefahrenzone also, und dass eine Ăbernahme von Taiwan aller Voraussicht nach innerhalb der nĂ€chsten zehn Jahre stattfinden wird. Warum?
Weil China momentan schon wieder auf dem absteigenden Ast sei, groĂe demografische Probleme habe, groĂe interne Schwierigkeiten, Umweltprobleme und so weiter. Deshalb, so die These, werde China Taiwan einnehmen, solange es noch die Kraft dazu hat. Das sind die beiden konkurrierenden Interpretationen. Ich kann leider nicht in die Glaskugel schauen. Wir können nur hoffen dass, wenn ĂŒberhaupt, der erste Weg eingeschlagen wird.
â¶ Aber damit ist ja auch ein groĂes Risiko fĂŒr China verbunden. Wenn es wirklich einen militĂ€rischen Konflikt mit Taiwan vom Zaun bricht, ist doch klar, wie der Weste reagiert, dass es groĂe weltpolitische Verwerfungen geben wird. Und derzeit ist es doch auch so, dass China und Taiwan z. B. durch gute Wirtschaftsbeziehungen gegenseitig voneinander profitieren âŠ
Thomas Bonschab: Auf jeden Fall. China ist momentan noch ganz stark abhĂ€ngig von Taiwan. Sollte China wirklich rasant einen Konflikt mit Taiwan in dieser GröĂenordnung suchen, könnte man davon ausgehen, dass wirklich das schlimmste von allem eintritt. NĂ€mlich, dass auch westliches MilitĂ€r eingreift und wir dann in eine maximale Eskalation hineingehen. Insofern kann man nur hoffen, dass die chinesische Regierung vernĂŒnftig abwĂ€gt.
Momentan ist das ein Grenzspiel, weil in China selbst durchaus auch nationalistische KrĂ€fte unterwegs sind, die ein sehr viel dezidierteres Eingreifen fordern. Und es ist sicherlich auch nicht einfach fĂŒr die aktuelle politische FĂŒhrung, dem etwas entgegenzusetzen.
â¶ Andererseits stellt sich China selbst als friedliebendes Land dar, das â anders als etwa die Staaten des Westens â nie Eroberungskriege gefĂŒhrt habe. Wie passt das dazu, wenn man dann doch ein militĂ€risches Vorgehen gegen Taiwan nicht ausschlieĂt?
Thomas Bonschab: China hat keine konsistente Geschichte, um zu sagen, dass man nur friedlich unterwegs gewesen sei. In der 4.000-jÀhrigen Geschichte Chinas gab es immer wieder Momente, in denen das Land sehr starke territoriale Eroberungen vorgenommen hat und danach wieder schrumpfte.
Und was in den Randterritorien passierte, ist genau dasselbe wie bei allen anderen GroĂmĂ€chten. Es war nicht besonders nett, um es vorsichtig zu formulieren. Es war verbunden mit sehr viel BrutalitĂ€t, Ausbeutung und so weiter. Wie gesagt, ganz Ă€hnlich wie bei anderen LĂ€ndern mit GroĂmachtbestrebungen.
â¶ Lassen Sie uns ĂŒber das VerhĂ€ltnis China-USA sprechen. Das sind die beiden mit Abstand fĂŒhrenden WeltmĂ€chte, wobei die Amerikaner gerade an Einfluss verlieren â Sie haben das ja eingangs mit Blick auf die Wirtschaftszahlen beschrieben. Wie groĂ ist die Gefahr, dass dieser Wettbewerb ausartet in eine eklatante Feindschaft bis hin zu möglichen militĂ€rischen Konflikten? Und welche Instrumente braucht es aus Ihrer Sicht, um das zu verhindern?
Thomas Bonschab: Das Problem ist, dass die USA und China beide Anspruch auf WeltfĂŒhrung erheben. Besonders bedenklich ist â vor allem fĂŒr jemanden, der wie ich vor allem wirtschaftlich unterwegs ist â dass es fatale Gemeinsamkeiten zwischen den beiden LĂ€ndern gibt. Dazu gehört vorwiegend die Neigung, dass man alles, was Handel und wirtschaftliche Kooperation betrifft, unter die Perspektive der nationalen Sicherheit stellt.
FrĂŒher war es ja so, dass globaler Handel als ein Moment des freien Austausches galt. Heute wird fast jede Kooperation als ein Angriff auf die nationale Sicherheit gesehen. Das verbindet beide LĂ€nder. Ferner verbindet sie, dass es in militĂ€rischen und Sicherheitsfragen momentan keine festen Kommunikationsmechanismen zu geben scheint. Dazu fehlt wahrscheinlich auf beiden Seiten der politische Wille.
Und jetzt vielleicht das Schlimmste: weder die USA noch China haben eine groĂe Neigung zur Selbstbegrenzung. Der Weg, der da herausfĂŒhren kann, ist meines Erachtens nur gegeben, wenn sogenannte MittelmĂ€chte, also MĂ€chte, die sich nicht einseitig auf die Seite der USA oder Chinas stellen und noch ein paar andere Kriterien erfĂŒllen, versuchen, diesen Konflikt zu moderieren.
ⶠWelche MittelmÀchte könnten das sein?
Thomas Bonschab: Es ist erstaunlich, welche LĂ€nder da teilweise unterwegs sind. Ich gebe mal ein Beispiel. Singapur â ein ganz kleines, auf der Landkarte nur stecknadelkopfgroĂes Land, schafft es tatsĂ€chlich, sich mal auf die Seite der Amerikaner und dann aber wieder auf die Seite der Chinesen zu stellen und dabei so attraktiv zu sein, dass weder China noch die Vereinigten Staaten ohne Singapur können.
Und damit nimmt man sehr viel Druck aus dem System raus. Andere MittelmĂ€chte wĂ€ren wahrscheinlich die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch die TĂŒrkei. Deutschland im Moment allerdings nicht.
â¶ Warum nicht?
Thomas Bonschab: Deutschland wĂ€re potenziell sogar mehr als eine Mittelmacht, nĂ€mlich eine FĂŒhrungsmacht, also fast auf Augenhöhe mit den USA und China. Allerdings nur, wenn es eine gemeinsame europĂ€ische auĂenpolitische Haltung gĂ€be. Die gibt es aber nicht.
Und es wird sie wahrscheinlich auch zeitnah nicht geben. Also muss man immer schauen, wie stark ist denn eigentlich die Gestaltungsmacht von Deutschland. MilitÀrisch gesehen ist man, auch wenn gerade viel passiert, noch meilenweit von China entfernt, ganz zu schweigen von den Vereinigten Staaten.
Was die wirtschaftliche Gestaltungsmacht Deutschlands angeht, so gab es in den letzten 20 Jahren einen starken Verlust. Als attraktiv gilt weiter die deutsche Softpower. Aber das alleine reicht nicht aus, um in einem Konflikt zwischen den beiden GroĂmĂ€chten zu intervenieren.
Hinzu kommt, dass Deutschland in eine Falle getappt ist. Es ist vielleicht verstĂ€ndlich, aber nicht besonders klug, sich allzu einseitig auf die Seite des alten alliierten Freundes USA zu stellen und gleichzeitig keine Klarheit ĂŒber den Umgang mit China zu haben. Vor allem, was die Wirtschaft angeht, denn unser wirtschaftlicher Reichtum wird ja auch in China generiert.
â¶ Da möchte ich gleich anschlieĂen. China ist ja seit Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. FĂŒr viele deutsche Unternehmen ist der chinesische Markt unverzichtbar. Nun haben Sie gerade beschrieben, dass sich die deutsche China-Politik eher an der US-amerikanischen orientiert. Vertritt man da eigene Interessen zu wenig? Wie wĂŒrden Sie ĂŒberhaupt die Zielrichtung der gegenwĂ€rtigen deutschen China-Politik beschreiben?
Thomas Bonschab: Als orientierungslos. In Deutschland werden momentan sehr viele Strategiepapiere von der Bundesregierung oder einzelnen Ministerien veröffentlicht â mit Blick auf China oder auch Afrika. Aber wie man in Zukunft mit den betreffenden LĂ€ndern umgehen will, kann man daraus nicht wirklich erkennen.
Ich bin ĂŒberzeugt, Deutschland sollte versuchen, sich in diesen ganzen Konflikten stĂ€rker zu neutralisieren und nicht einfach umzusetzen, was von den Vereinigten Staaten kommt. Man soll und man muss mit China auch klare Worte sprechen. Die chinesische Regierung kann das auch gut ab. Man darf die chinesische Seite nur nicht einfach als Feind adressieren.
â¶ Eine zentrale Frage, die zu dieser Debatte auch dazu gehört, ist die der Menschenrechte. Das ist ja aus westlicher Sicht ein ganz entscheidender Punkt. Da gibt es viele VorwĂŒrfe China gegenĂŒber: EinschrĂ€nkung der Meinungs- und Pressefreiheit, fehlender Parteienpluralismus bis hin zu Straflagern fĂŒr Andersdenkende, massenhafte Vollstreckung der Todesstrafe und so weiter. Und da stellt sich natĂŒrlich die Frage, ob der Westen China unter diesen UmstĂ€nden ĂŒberhaupt als gleichberechtigten Partner akzeptieren kann.
Thomas Bonschab: Die eine Frage ist, ob man das will. Die andere, ob man das ein StĂŒck weit muss. Es ist ja einfach Fakt, dass China groĂ und mĂ€chtig und auch als Wirtschaftsstandort fĂŒr Deutschland unverzichtbar geworden ist. Das heiĂt aber nicht, dass man in irgendeiner Form seine Werte zur Seite stellen muss und sagt, ich interessiere mich nicht fĂŒr Menschenrechte in China.
Meines Wissens hat die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel auf ihren Reisen jedes Mal dieses Thema angesprochen. Dann ist passiert, was eben passiert, wenn man es mit einer GroĂmacht zu tun hat: Es gibt etwas RĂŒhrung, man lĂ€chelt ein wenig, sagt, man bleibt im Dialog â und dann passiert nicht viel. Das ist ein Dilemma, an dem ich leider auch nicht viel Ă€ndern kann.
â¶ Sie sind vor allem wirtschaftlich aktiv, mit eigenen Unternehmen, mit solchen Unternehmen, denen Sie beratend zur Seite stehen. Ist das China-GeschĂ€ft fĂŒr deutsche Unternehmen noch wirklich ein Zukunftsmodell?
Thomas Bonschab: Ich wĂŒrde unterscheiden zwischen GroĂkonzernen und mittelstĂ€ndischen Betrieben. GroĂkonzerne kommen meiner Meinung nach an China einfach nicht vorbei. Oder wie man so schön sagt: Das gröĂte Risiko mit China besteht darin, nicht in China zu sein. Dazu sind die MĂ€rkte dort einfach zu bedeutsam. Und diese Unternehmen, diese GroĂkonzerne, haben alle dasselbe Problem. Sie geraten in den Strudel des GroĂkonflikts zwischen den USA und China und mĂŒssen irgendwelche Lösungen finden.
FĂŒr mittelstĂ€ndische Unternehmen ist es noch viel schwerer. Die fĂŒhlen sich mehr oder weniger alleingelassen, auch von der Politik. Da kommen irgendwelche politischen Vorgaben, sowohl von der deutschen, vor allem aber von der chinesischen Seite. StĂ€rkere Kontrollen in den Betrieben zum Beispiel.
Oder weniger persönliche Freiheiten, was es immer schwerer macht, Mitarbeiter nach China zu schicken. Andererseits hat China manche westlichen Forderungen erfĂŒllt. So kann man ohne Unternehmensbeteiligung, also ohne Joint Venture, in China tĂ€tig sein.
Das ist heute kein Problem mehr. Man bekommt auch sehr viel leichter ein Visum. Wer nicht lĂ€nger als zwei Wochen bleibt, braucht ĂŒberhaupt kein Visum mehr. Chinesische Unternehmer haben dagegen derzeit fast keine Möglichkeit, ein Visum fĂŒr Deutschland zu bekommen. Es ist also wirklich schwierig fĂŒr deutsche Unternehmen. Sie können nicht ganz ohne China, aber es ist auch unattraktiver geworden.
ⶠHinzu kommt ja noch, dass die Politik massive Einschnitte vornimmt. Ich denke da zum Beispiel an die Strafzölle bis zu 37 Prozent, die die EU auf chinesische Elektroautos verhÀngt hat. Wie gerechtfertigt sind die aus Ihrer Sicht?
Thomas Bonschab: ZunĂ€chst mal habe ich den Eindruck, dass Zölle immer eine schlechte Antwort auf die Verschiebung von WettbewerbsfĂ€higkeiten sind. Man darf ja nicht vergessen, wie das in China gelaufen ist. Wir bringen als Vorwurf immer die Subventionierung von chinesische Unternehmen. TatsĂ€chlich wurden aber die Konsumenten subventioniert. Die wurden dabei unterstĂŒtzt, auf ElektromobilitĂ€t umzusteigen.
Mit diesen Subventionen hĂ€tte man auch Elektrofahrzeuge von VW, Mercedes oder BMW kaufen können. BloĂ die gab es nicht in China, weil sie bisher nicht gebaut wurden. Das ist auch jetzt noch so. Mit anderen Worten: Wenn man die politische Entscheidung trifft, den Klimawandel aufzuhalten und auf saubere Technologien umzurĂŒsten, dann kann man schlecht Zölle einfĂŒhren, weil diese Technologien nicht von uns, sondern von anderen kommen. Das ist es aber, was momentan passiert.
Die EU sagt, wir haben den Wettbewerb ein wenig verschlafen, also lassen wir die anderen lieber gar nicht erst rein. Und es kommt noch ein Aspekt hinzu. Mir ist keine GroĂmacht bekannt, die ihre Strategie wirklich verĂ€ndert hĂ€tte, weil ein anderer Wirtschaftsraum irgendwelche Zollbedingungen aufgesetzt hat. Weder bei den USA noch bei China fĂ€llt mir dafĂŒr ein Beispiel ein. Insofern glaube ich, dass die Zölle eigentlich nur allen Seiten wehtun, aber nicht viel VerĂ€nderung bringen werden.
â¶ Sie haben beschrieben, dass die Subventionen in China die Konsumenten betreffen. Das Gleiche ist ja in Deutschland auch passiert. Es gab und gibt KaufprĂ€mien fĂŒr Elektroautos. Und die Amerikaner subventionieren ja auch ihre Wirtschaft, gerade was neue Technologien angeht. Machen die Chinesen also im Grunde nur das, was andere auch tun?
Thomas Bonschab: Ja und nein. Also ja, sie machen das in einer Àhnlichen Art und Weise, vielleicht etwas effizienter als viele europÀische LÀnder. Aber es ist auch eine besondere Form von Industriepolitik, die in China stattfindet, mit der man sich auch tatsÀchlich auseinandersetzen sollte.
Dabei geht es um eine enge Verzahnung von staatlichen Vorgaben bei der Finanzierung durch staatliche Banken, groĂen Staatsunternehmen und dem Privatsektor. Diese VerknĂŒpfung ist fĂŒr auslĂ€ndische Unternehmen, abgesehen von GroĂunternehmen wie BASF oder Mercedes, sehr schwer zu durchschauen, geschweige denn zu knacken.
Und dadurch entstehen tatsĂ€chlich WirtschaftskrĂ€fte in China, bei denen wir in der Vergangenheit nicht mithalten konnten. Wir haben auch noch keine sinnvolle und schlagkrĂ€ftige Antwort auf die chinesische Industriepolitik gefunden. Das wird, glaube ich, in nĂ€chster Zeit eine groĂe Herausforderung fĂŒr die EuropĂ€ische Union. Und auch da gilt wieder, dass einzelne LĂ€nder das wahrscheinlich nicht schaffen werden. DafĂŒr muss es europĂ€ische Lösungen geben.
â¶ Lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf das Weltgeschehen schauen. China nimmt ja mehr und mehr Einfluss auf die internationale Politik, versucht sich zum Beispiel als Vermittler in zentralen Konflikten. KĂŒrzlich gab es in Peking ein Treffen der verfeindeten PalĂ€stinenserfraktionen von Hamas bis Fatah, vorher wurde zwischen Iran und Saudi-Arabien vermittelt. Und China gilt auch als möglicher Vermittler zwischen Russland und der Ukraine. Was ist Peking hier zuzutrauen?
Thomas Bonschab: Ich persönlich wĂŒrde nicht zu viel erwarten, denn China allein ist nicht attraktiv genug, auch nicht fĂŒr die Ukraine. Und auch Russland wird sich nicht nur auf China verlassen können. China wird wahrscheinlich immer eine Rolle spielen bei der Lösung der globalen Konflikte. Aber sie werden das nur tun können in Kombination und mit UnterstĂŒtzung der MittelmĂ€chte, ĂŒber die wir vorhin gesprochen haben.
â¶ Noch einmal zu Russland. Der Westen wirft China vor, mit Blick auf den Krieg in der Ukraine nicht neutral zu sein, sondern auf der Seite Russlands zu stehen. Wie wĂŒrden Sie das gegenwĂ€rtige VerhĂ€ltnis Chinas zu Russland beschreiben?
Thomas Bonschab: Es gibt viele GrĂŒnde, warum China und Russland sich zu wichtigen Allianzpartnern entwickelt haben. Russland ist ein wichtiger Partner in den Brics. Russland hat viele natĂŒrliche Ressourcen, die fĂŒr China wichtig sind. Es gibt ĂŒbrigens auch eine lange Grenze zwischen beiden LĂ€ndern und insofern das BedĂŒrfnis, dass dort keine Konflikte entstehen. Aber das alles macht Russland und China bisher nicht zu VerbĂŒndeten.
Meiner Ansicht nach sind sie verbunden, aber nicht verbĂŒndet. Der zentrale Markt fĂŒr China ist Europa, nicht Russland. Und das Bruttoinlandsprodukt von China ist meines Wissens elfmal gröĂer als das von Russland. Die Chinesen werden auch in Zukunft sehr stark darauf achten, dass ihnen Europa nicht verloren geht â schon um die eigene Wirtschaft zu schĂŒtzen. Also, Russland ist ein wichtiger Partner fĂŒr China, aber zugleich auch ein Dorn im Auge.
Ich glaube nicht, dass der Ăberfall Russlands auf die Ukraine die Zustimmung der chinesischen Regierung gefunden hat. Man dĂŒrfte sich in Peking eher darĂŒber geĂ€rgert haben.
Im Telepolis-Podcast sprach Dietmar Ringel mit Thomas Bonschab, Unternehmer und Wirtschaftsberater mit 20 Jahren Erfahrung im China-GeschÀft. Gemeinsam mit Prof. Robert Kappel ist er Herausgeber des Blogs "Weltneuvermessung [2]"
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