Experte zum Ende der Weltmacht USA: Kommt jetzt Germany First?
USA verlieren Führungsrolle. Deutschland könnte das Vakuum füllen, sagt Politologe Lochocki. Warum er das für nötig hält und welche Probleme er sieht .
Der Politologe Timo Lochocki plädiert für eine deutsche Führungsrolle in der Welt. Sein Argument: Die USA fallen als starker Partner der liberalen Demokratien aus und der Platz sei vakant. Im Interview mit dem Nachrichtensender N-TV sagte Lochocki, dass Deutschland zum ersten Mal seine nationalen Interessen eigenständig definieren müsse – "ohne die USA, leider wohl auch ohne Frankreich, denn auch dort könnten bald antidemokratische Kräfte die Regierung übernehmen".
Lochocki, der als Wissenschaftler und Politikberater gearbeitet hat und während der Covid-19-Pandemie das Referat Strategische Planung im Bundesgesundheitsministerium leitete, sieht die USA nicht mehr als stabile, liberale Demokratie.
"Seit Trumps Wahlsieg hört man von amerikanischen Freunden Sätze wie: Das ist unser 1933. Mit der Wahl und mit Trumps Amtseinführung haben wir vielleicht den Moment erlebt, an dem sich die USA davon verabschieden, eine liberale Demokratie zu bleiben", so der Politologe. Er hält es für "sehr unwahrscheinlich, dass die USA wieder zu einem stabilen, demokratischen Weg zurückfinden."
Deutsche Interessen
Auf die Frage, wer die deutschen Interessen definieren solle, antwortet Lochocki:
Deutschland hat seine gesamtstaatlichen Interessen bislang nicht definieren müssen, weil wir immer davon ausgegangen sind, dass unsere grundlegenden Interessen weitgehend deckungsgleich mit denen der Amerikaner, Franzosen und Briten sind. Dann haben noch bestimmte Wirtschaftszweige ihren Senf dazugegeben. [...] Daher gibt es bei uns keine Kultur, keinen nationalen Denkraum, keine Entscheidungsgremien, die ein nationales Interesse gegen gut lobbyierende Partikularinteressen definieren.
Um Deutschland zur "stärksten Demokratie" zu machen, sieht Lochocki mehrere Vorteile gegenüber anderen Staaten: "Das ist einmal die Reformfähigkeit Deutschlands, weil bei uns der Kulturkampf erst in den Kinderschuhen steckt. (...) Noch ist Deutschland zu Kompromissen fähig, noch gibt es die Möglichkeit zu Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat, die massive Reformprojekte anstoßen können."
Reformen, die andere nicht können?
Auch wirtschaftlich sieht er Spielraum: "Unser Schuldenstand ist so niedrig, wir sind so kreditwürdig, dass wir über zehn Jahre jährlich 100 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen und in Verteidigung, Bildung und Innovationen investieren können. Wir könnten so enorme Reformen anstoßen, zu denen andere Staaten nicht in der Lage sind."
Lochocki kritisiert den Kulturkampf zwischen rechts und links, der vor allem von AfD und Grünen geführt werde, aber auch von der Union und den Grünen befeuert werde. "Je stärker der Kulturkampf geführt wird, also zum Beispiel über Migration gestritten wird, umso mehr verliert ein Land an Kompromissfähigkeit – und ökonomische Themen geraten aus dem Blick", erklärt er.
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Eine Lockerung der Schuldenbremse hält Lochocki für realistisch, wenn auch nicht mit der FDP: "Ich glaube, man kann eine Lockerung der Schuldenbremse am ehesten mit der Union machen, wenn man mit der Verteidigungsfähigkeit und mit der Notwendigkeit von Innovationsförderung argumentiert – denn natürlich dürfen wir uns nicht für konsumtive Ausgaben verschulden. Mit der Union wäre vielleicht eine jährliche Schuldenaufnahme von 30 Milliarden Euro für Verteidigung und 70 Milliarden für Innovationen machbar."
Insgesamt gibt sich der Politologe optimistisch, was Deutschlands Zukunft angeht: "Wir wissen, welche Gegenmaßnahmen nötig sind: ein Bündel aus Reformen, zu denen wir politisch in der Lage sind und für die wir ökonomisch stark genug sind. Die aktuelle Larmoyanz, das ganze Gejammer in Deutschland steht im kompletten Widerspruch zu unserer realen Handlungsfähigkeit."