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Experten sicher: Russland kann Ölpreisdeckel der G7-Staaten leicht umgehen

Preisobergrenze für Erdöl erreicht ihr Ziel nicht. Russland ist nicht auf westliche Schiffe und Versicherungen angewiesen. Haben die G7-Staaten ihren Einfluss auf die Märkte überschätzt?

Die G7-Staaten einigten sich im letzten Monat darauf, bis zum 5. Dezember den Preis von russischem Erdöl zu begrenzen. Die Idee dahinter ist, Russlands Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu begrenzen, gleichzeitig aber das weltweite Angebot aufrechtzuerhalten.

Auf einen Höchstpreis wurde sich bislang nicht geeinigt. Die US-Finanzministerin Janet Yellen schlug einen Preisdeckel um die 60 US-Dollar vor. Russland habe in den letzten fünf bis sieben Jahren Erdöl zu diesem Preis auf den Markt gebracht, sagte Yellen kürzlich. "Ein Preis in diesem Bereich würde also bedeuten, dass Russland Öl gewinnbringend produzieren und verkaufen kann", erklärte sie weiter [1].

Der Plan dürfte aber nicht aufgehen. Die russische Regierung hatte zuletzt deutlich gemacht, dass sie an kein Land Erdöl verkaufen werde, das die Preisobergrenze einführen werde – egal, um welches Land es sich dabei handeln werde.

Der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Novak [2] hatte nach dem jüngsten OPEC+-Treffen in ebenfalls erklärt, dass der Preisdeckel Russland zwingen könnte, einen Teil der Produktion vorübergehend einzustellen.

Ein weiterer Grund ist: Russland hat Zugang zu genügend Tankern, um den größten Teil seines Öls auch über der von den G7-Staaten festgelegten Preisobergrenze auf den Markt zu bringen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters [3] am Freitag.

Nachdem die sieben Staaten ihren Beschluss gefasst hätten, seien die Hauptakteure der globalen Ölindustrie bestürzt gewesen, heißt es bei Reuters. Sie befürchteten, dass der weltweite Handel durch den Schritt lahmgelegt werden könnte.

Erdölgeschäft: Kann Russland G-7-Pläne umgehen?

Die Diskussionen zwischen US-Regierung und Versicherungen, Händlern und Reedern konnten die Bedenken teilweise zerstreuen. Nun müssten aber alle Parteien einsehen, dass Russland den Plan mit eigenen Schiffen und Diensten weitgehend umgehen könne.

Ein Beamter des US-Finanzministeriums erklärte gegenüber Reuters: Zwischen 80 und 90 Prozent des russischen Öls werde voraussichtlich fließen, ohne von dem Preisdeckel beeinflusst zu werden. Geht man von den sieben Millionen Barrel pro Tag (bpd) aus, die Russland im September exportierte, dann trifft die Preisobergrenze nur eine Menge zwischen einem und zwei Millionen bpd.

Einen Hebel, die Preisobergrenze durchzusetzen, sahen die G7-Staaten in Versicherungen, ohne die Tanker nicht fahren dürfen. Sich bei westlichen Gesellschaften zu versichern, ist aber nicht nötig. Viele Schiffe könnten sich selbst versichern oder könnten über russische Gesellschaften Schutz- und Haftpflichtversicherungen abschließen, sagte Andrea Olivi vom Handelskonzern Trafigura gegenüber Reuters.

Auch bei der Bank J.P. Morgan blickt man skeptisch auf den Ölpreisdeckel. Seine Auswirkungen seien begrenzt, weil Russland das Verbot fast vollständig umgehen könne. Es könnten chinesische, indische und eigene Schiffe gechartert werden, deren Durchschnittsalter bei fast zwei Jahrzehnten liege, was relativ alt sei für die Branche.

Die Preisobergrenze scheint noch den Trend zu bestärken, dass sich der Schwerpunkt des Ölhandels zunehmend von Europa nach Asien verlagert. Norbert Rucker vom Schweizer Vermögensverwalter Julius Bär, sagte gegenüber Reuters: Händler, die mit russischem Öl handelten, befänden sich nicht mehr in der Schweiz, Genf oder London. "Sie kommen eher aus dem Nahen Osten." Außerdem würden Käufer von Öl, Schiffen und Versicherungen ihre Geschäfte auch zunehmend in Asien tätigen.

Die G7-Staaten haben ihre Kontrolle über den globalen Ölhandel überschätzt, dessen ist sich auch Daniel Ahn, ein ehemaliger Chefökonom des US-Außenministeriums, sicher. Der Preisdeckel bewirke nur, dass Öl umgeleitet werde, sagte er gegenüber Reuters, und dass allen anderen das Leben schwer gemacht werde.


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https://www.heise.de/-7316471

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article241571619/USA-schlagen-Oelpreisdeckel-als-Sanktion-gegen-Russland-vor.html
[2] https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2022-10-16/russian-oil-price-cap-may-not-help-balance-markets-as-hoped
[3] https://www.reuters.com/business/energy/russia-poised-largely-skirt-new-g7-oil-price-cap-2022-10-21/