Expertenrat: Deutschland verfehlt Klimaziele

Wolfgang Pomrehn

Klimastreik im September 2019 in Bonn. Die 1,5-Grad-Schwelle ist kaum mehr zu halten. Bild: Mika Baumeister / Unsplash Licence

Energie und Klima – kompakt: Union heizt Empörung an, um nicht über den Klimaschutz sprechen zu müssen. Auch das Versagen der eigenen Politik wird verdrängt. Warum Deutschland seine Anstrengungen massiv anheben muss.

Jetzt drehen einige Unionspolitiker vollkommen frei. Statt sich damit auseinanderzusetzen, dass Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele nicht erreicht, wie Ende letzter Woche der erste Bericht des Expertenrats für Klimafragen zeigte – und schon viel weiter sein könnte, hätten Unionsregierungen im letzten Jahrzehnt nicht massiv den Ausbau der erneuerbaren Energieträger behindert –, wird Stimmungsmache gegen Klimaschützer betrieben.

Ausgerechnet der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, der einst von 2013 bis 2017 im dritten Kabinett Merkel als Verkehrsminister für den weiteren Autobahnbau, für die Vernachlässigung der Bahn und für das Desaster mit der Autobahn-Maut verantwortlich war, das den Steuerzahler rund 560 Millionen Euro kosten könnte, tut sich besonders hervor.

Wie unter anderem Tagesschau.de berichtet, fordert er harte Strafen gegen Aktivistinnen und Aktivisten, die Straßen blockieren, spricht davon, dass eine Radikalisierung der Klimabewegung verhindert werden müsse. Besonders perfide: Er rückt die gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams in die Nähe der Roten Armee-Fraktion (RAF), die von den 1970er bis in die frühen 1990er Jahre mit Anschlägen und in Rahmen von Entführungen mehrere Menschen getötet hatte.

Offensichtlich geht es darum, die Überbringer der schlechten Botschaft zu bestrafen. In Bayern macht man das offenbar auch gerne mit Freiheitsentzug ohne ordentlichen Prozess, wie der Süddeutschen Zeitung zu entnehmen ist. Für 30 Tage müssen dort Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation in Polizei-Gewahrsam bleiben, eine Haftart, wie man sie eher aus Diktaturen oder den europäischen Kolonialregimes in Asien und Afrika kennt.

Das ändert allerdings auch nichts an der Botschaft der Klimaschützerinnen und -schützer, die die Öffentlichkeit immer wieder auf die zunehmenden Extremunwetter und Dürren und die besonders starke Erhitzung Europas, die schon jetzt jährlich Zehntausende Menschen tötet, aufmerksam machen und auf die seit mehr als 40 Jahren bekannten Ursachen hinweisen wollen. Eine Botschaft, die denkbar unbequem für all jene ist, die gerne einfach so wie bisher weiter wirtschaften und weder von ihren verschwenderischen SUV noch von ihren Privatjets lassen möchten.

Maßnahmen greifen nicht

Zumal auch die mit großen Fanfaren verkündeten Klimaschutzmaßnahmen immer noch nicht ziehen. Das zeigt in aller Deutlichkeit das neue "Zweijahresgutachten" des Expertenrates für Klimafragen.

Der Rat wurde 2019 auf Grundlage des seinerzeit verabschiedeten Klimaschutzgesetzes eingerichtet. Seine Aufgabe besteht unter anderem darin, alle zwei Jahre die Entwicklung der Treibhausgasemissionen, die entsprechenden Trends und die Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen zu begutachten (Paragraph zwölf), eine Arbeit, die vor allem Ökonomen und andere Energieexpertinnen und -experten verrichten. Der Vorsitzende ist Hans-Martin Henning, der das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) leitet und an der dortigen Universität eine Professur für Solare Energiesysteme innehat.

Der Bericht lässt keinen Zweifel daran, dass die bisherigen Anstrengungen unzureichend sind:

Generell reichen die bisherigen Emissions-Reduktionsraten bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für das Jahr 2030 zu erreichen – weder in der Summe noch in den einzelnen Sektoren.

Gegenüber dem Zeitraum 2011 bis 2021 müsste sich die jährliche Minderungsmenge im laufenden Jahrzehnt mehr als verdoppeln, um bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken.

Besondere Sorgenkinder sind die Sektoren Verkehr und Industrie, deren Emissionen im vergangenen Jahrzehnt mehr oder weniger stagniert haben. Hier zeige sich, wenn man das letzte Jahrzehnt seit 2010 betrachte und die Pandemiejahre mit ihren Sondereffekten außer Acht lasse, sogar ein positiver, das heißt zunehmender Trend. Doch auch die anderen Sektoren seien auf dem Weg, die genannten, im Klimaschutzgesetz fixierten Ziele zu verfehlen.

Nötig sei in allen Sektoren, klimafreundliche Technologien rasch auszubauen und emissionsintensive Technologien abzubauen. Die Autorinnen und Autoren sprechen von einem CO2-armen und einem fossilen Kapitalstock. Der Koalitionsvertrag sehe zwar einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energieträger vor, aber das Tempo reiche noch immer nicht:

Allerdings zeigt sich in der Trendbetrachtung, dass das Ausbautempo bei Solar- und Windenergieanlagen, Wärmepumpen oder der Elektromobilität bei weitem noch nicht ausreichend ist, um diese Ausbauziele zu erreichen. Dabei müsste eine solche Ausbauanstrengung enorme Herausforderungen bewältigen. Zudem ist im gleichen Maße der Abbau des fossilen Kapitalstocks im Gebäude- oder Verkehrssektor, beispielsweise von Öl- und Gasheizungen oder des fossilen Pkw-Bestands, notwendig. Diese Trendwende hin zum Abbau des fossilen Kapitalstocks findet derzeit nicht ausreichend statt.

Sollte dies nicht gelingen, seien die Ziele nur noch durch eine Reduktion des Konsums zu erreichen. Aber darüber müsste allerdings ohnehin dringend gesprochen werden, und zwar über einen im öffentlichen Diskurs gerne übersehenen Anteil, den des Luxuskonsums. Das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung ist nicht zuletzt durch seine Vielfliegerei für ein Vielfaches jener Emissionen verantwortlich, die auf das Konto der ärmeren Hälfte der globalen Bevölkerung gehen.

Und man müsste natürlich über sogenannte importierte Emissionen reden, über Emissionen, die anderswo bei der Produktion der hierzulande konsumierten Waren entstehen, aber nicht auf das deutsche Budget angerechnet werden. Bald werden dazu auch die Methan- und CO2-Emissionen gehören, die im Rahmen der Förderung und des Transports des von der Bundesregierung im Allgemeinen und dem grün-geführten Wirtschafts- und Klimaschutzministerium im Besonderen massiv geförderten Frackinggas entstehen.