Expertenteams: "Gut geplante militärähnliche Operation" in Katalonien

Bild: assemblea.cat

Während Katalonien weiter auf Dialog und Vermittlung setzt, werden die Drohungen aus Spanien immer schärfer

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Erwartet wurde, dass der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont am späten Mittwoch bei seiner Regierungserklärung die Endergebnisse des Referendums vom Sonntag bekanntgeben würde. Weit gefehlt. Statt das Zeitfenster von 48 Stunden zur Erklärung der Unabhängigkeit aufzumachen, wie im Referendumsgesetz vorgesehen, setzte Puigdemont weiter auf Dialog und einen "Vermittlungsprozess" im Konflikt mit Spanien: "Frieden, Dialog und Abkommen sind Teil unserer Kultur, doch wir haben niemals eine Antwort vom Staat erhalten und das ist eine große Verantwortungslosigkeit", klagte er.

Er spitzt damit Widersprüche in Spanien und Europa zu. Die gesamte spanische Opposition und viele Intellektuelle fordern von der rechtsradikalen Regierung unter Mariano Rajoy, endlich die Verweigerung aufzugeben und zu verhandeln. Dialog und Vermittlung hatten am Mittwoch auch Vertreter aus praktisch allen Fraktionen im Europaparlament bei der Debatte über Katalonien gefordert. Das "brutale Vorgehen" der spanischen Sicherheitskräfte, um im Auftrag der spanischen Regierung eine "illegale" Abstimmung über die Unabhängigkeit "mit allen Mitteln" zu verhindern, wurde lagerübergreifend kritisiert. Dass mitten in Europa Gummigeschossen und Knüppel gegen friedliche Wähler eingesetzt wurden, sei "skandalös", waren sich von schwedischen Konservativen bis grünen Österreichern, von Linken bis zu Liberalen viele einig.

Auch das zurückhaltende Verhalten der EU-Kommission wurde kritisiert, die aber nun auch einen Dialog fordert. Einmischen will sich Brüssel aber nicht und spricht weiter von einem "internen" spanischen Konflikt, wie der Vizepräsident der Kommission Frans Timmermans sagte. Muss sich also Katalonien erst unabhängig erklären, damit es kein interner Konflikt mehr ist? Zwar sei die Tür stets offen für einen Dialog, sagte Puigdemont, doch die "katalanischen Institutionen müssten "das Referendumsergebnis" umsetzen, da sich mehr als 90 Prozent für die Unabhängigkeit ausgesprochen haben.

Er kritisierte, dass in Brüssel mit zweierlei Maß gemessen werde. "Fundamentale Freiheitsrechte" europäischer Bürger würden verletzt, "aber von der EU kommt nichts." Madrid gehe längst wie "ein autoritärer Staat" vor, sagte Puigdemont. "Die spanische Regierung lässt politische Gegner festnehmen, beeinflusst Medien, lässt Internetseiten blockieren." Wenn das in "der Türkei, Polen oder Ungarn passiert, ist die Empörung dagegen riesig".

Er griff auch die Brandrede des spanischen Königs an. Der hatte am Vorabend nicht die ihm von der Verfassung zugewiesene Vermittlerrolle eingenommen. Stattdessen fordert Felipe ein hartes Vorgehen, um die "Ordnung" wiederherzustellen. Von den Worten des Militärchefs fühlen sich spanische Rechtsradikale in ihrem Kurs bestärkt. Während schon von der Verlegung von Militäreinheiten nach Katalonien berichtet wird, drohte Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal erneut mit ihrem Einsatz. Die Streitkräfte hätten die Aufgabe, die "Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren und die Integrität sowie die verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen", sagte sie am Donnerstag.

"Wir brauchen eure Hilfe"

Einen Hilferuf an die internationale Gemeinschaft hat auch die Bürgermeisterin von Barcelona gerichtet, die keine Unabhängigkeitsbefürworterin ist. Sie forderte alle Menschen außerhalb Kataloniens auf, "den Konflikt ohne Vorurteile zu analysieren". Der spanischen Regierung warf sie vor, "perverse Fiktionen" zu pflegen, wenn ein friedlicher Generalstreik als "Nazi-Streik" bezeichnet, von "Totalitarismus", einem "zerstörten Zusammenleben" und einer "eingeschüchterten Bevölkerung" durch "gewalttätige Separatisten" fabuliert werde. Es handele sich um eine "falsche und verzerrte Darstellung", die von der spanischen Rechten geschaffen werde. Man dürfe nicht erlauben, dass die "Menschen unten" gespalten werden. "Das dürfen wir nicht zulassen. Die haben uns geschlagen. Die haben uns verletzt." Es werde nicht leicht sein, das zu vergessen. "Wir brauchen eure Hilfe", richtet sie sie einen Aufruf an alle Demokraten.

Zwei Expertenteams, die das Referendum am vergangenen Sonntag überwacht haben, kommen auch längst zu einem klaren Ergebnis. In einem Team war auch der Linken-Politiker Andrej Hunko, der eine weitgehend normale Abstimmung bestätigt hat. Im Text von 17 Wahlrechtsexperten unter der Leitung der Neuseeländerin Helena Catt wird von einer "Operation militärischen Stils" gegen die Teilnehmer am Referendum gesprochen, die "zentral und sorgfältig vorbereitet" war:

"It was a centrally orchestrated, military-style operation carefully planned. We are stunned that armed masked officers entered polling stations with the purposes of preventing a peaceful democratic process."

Catt ist Direktorin der Wahlbehörde in ihrem Land und die Delegation unter ihrer Führung konnte viele Grundrechtsverstöße beobachten. Die Experten waren auch darüber "geschockt", dass "vermummte Einheiten, in Wahllokale eindrangen, um einen friedlichen demokratische Prozess zu verhindern." Und Catt führt weiter aus.

Die Wahlexperten unterstreichen auch den "friedlichen Charakter der Katalanen". Aus all diesen Beobachtung kommt Catt für die Delegation zu dem Schluss, dass dieser "Abstimmungsprozess anerkannt" werden müsse. Eine deutsche Übersetzung der gesamten Erklärung findet sich hier.

Telepolis konnte inzwischen auch in Erfahrung bringen, dass die Ergebnisse unter internationaler Aufsicht aus den gut 2000 Wahllokalen ausgezählt wurden, in denen es etwa 2,3 Millionen Menschen geschafft haben, ihre Stimmen abzugeben. Geprüft werden auch Listen und Dokumente, die in den knapp 100 Wahllokalen gerettet werden konnten, die von spanischen Sicherheitskräften mit brutaler Gewalt gestürmt wurden und die Urnen beschlagnahmt wurden.

Verfassungsgericht verbietet präventiv eine Parlamentssitzung, deren Thema noch gar nicht beschlossen wurde

Klar ist inzwischen auch, dass die Zeit für einen Dialog nicht unbegrenzt ist und am kommenden Montag im Parlament vermutlich die Unabhängigkeit erklärt wird. Allerdings, auch das ist nicht neu, wird wieder einmal vom spanischen Verfassungsgericht versucht, die Debatte über eine "vorläufige" Aussetzung zu verhindern. Eine Sprecherin des Gerichts teile das am Donnerstag in Madrid mit. Man kann hier schon von präventiver Justiz sprechen, da nicht einmal bekannt ist, was am Montag behandelt werden soll, wenn das Gericht so in die Gewaltenteilung eingreift und damit gegen die eigene Verfassung verstößt.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Verfassungsgericht Parlamentssitzungen in Katalonien über "vorläufige" Aussetzungen zu unterbinden versucht. Auch die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell ist über die Präventivjustiz erstaunt. Dass nun schon Sitzungen verboten werden sollen, die bisher nicht einmal angesetzt wurden, "ist das neue Angebot zum Dialog", schreibt sie. Sie als Präsidentin wisse nicht, ob die Unabhängigkeitserklärung behandelt wird oder nicht, hatte sie im Vorfeld erklärt. Jedenfalls wird das Parlamentspräsidium "wie immer, die demokratische Debatte aller Ideen und Vorstellungen ermöglichen", kündigte die starke Frau an. Ihr drohen schon mehrere Haftstrafen für die Tatsache, ihre Arbeit nach dem Reglement des Parlaments durchgeführt zu haben. Deshalb ist sie zum Staatsfeind Nummer 1 in Spanien geworden.