Extraterrestrisches Leben im Sonnensystem immer wahrscheinlicher
Jupitermond EUROPA nach wie vor heißester Kandidat - US-Forscher vermutet, dass dortige Umweltbedingungen Entstehung von Organismen begünstigen
Auf dem Mars, auf dem Saturnmond Titan, neuerdings sogar in der Atmosphäre der Venus und selbstredend auf dem Jupitermond Europa könnten nach Ansicht der Astrobiologen primitive Lebensformen eine extraterrestrische Nische gefunden haben. Einer unter vielen ist Richard Greenberg von der University of Arizona in Tucson (USA), der kürzlich gegenüber dem britischen Nachrichtendienst BBC erklärte, dass er im Europa-Eismeer, dass dem irdischen Arktischen Ozean ähnelt, Organismen vermutet. Greenberg glaubt zudem, dass auf Europa Schwefel von einem der vulkanischen Jupitermonde (Io) niedergegangen sein könnte, was die Chance für Leben weiter erhöhen würde.
Kaum eine wissenschaftliche Teildisziplin erfährt derzeit einen solchen Boom wie die Astrobiologie, Exobiologie, Bioastronomie, Kosmobiologie oder wie man auch immer die Disziplin, die sich der Suche nach Leben im All verschrieben hat, namentlich näher spezifizieren mag. Heutzutage lässt sich praktisch für jedes beantragte raumfahrtbezogene oder astronomische Forschungsvorhaben die nötige Finanzspritze besorgen, sofern dasselbige wenigstens offiziell darauf abzielt, Indizien und gar Beweise für die Existenz von Leben im All zu sammeln.
Jenseits aller Spinnerei
Dass die US-Raumfahrtbehörde NASA und ihr europäisches Pendant, die European Space Agency, die Suche nach Leben im All zum künftigen Hauptziel aller weiteren Anstrengungen deklariert haben, mögen nicht zuletzt handfeste pekuniäre Motive bedingt haben. Doch ungeachtet aller finanziellen Engpässe ist das Abenteuer Exobiologie (etc.) bei den meisten Astronomen und fachverwandten Wissenschaftlern salonfähig wie nie zuvor. Wer sich heute mit außerirdischen Mikroben oder gar intelligenten Aliens beschäftigt, läuft nicht mehr Gefahr, als Spinner oder Phantast abgestempelt zu werden, wie dies noch vor einigen Jahren durchaus der Fall gewesen war.
Nein, selbst nach Expertenansicht hat die Beschäftigung mit Außerirdischen nichts mehr mit Spinnerei zu tun. "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es noch irgendwo anders als auf der Erde Leben gibt", meint die bekannte Astrobiologin Gerda Horneck vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit einer derartig optimistischen Einschätzung steht Dr. Horneck nicht allein. Auch Michel Mayor (vgl. Auf der Jagd nach extrasolaren Planeten), der im Jahr 1995 zusammen mit Didier Queloz vom Genfer Observatorium bei dem Stern 51 Pegasi den ersten Planeten einer noch nicht erloschenen Sonne entdeckte, prophezeite vor einiger Zeit: "Die Suche nach Planeten wird für viele Jahre einer der wichtigsten Forschungszweige der Astrophysik sein". Voller Zuversicht ist auch Dr. Herbert Scheingraber vom MPI für extraterrestrische Physik in Garching: "Ich glaube schon, dass wir gegen Ende dieses Jahrzehnts einen erdähnlichen Planeten finden werden." Und für David Latham vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts ist die Exoplanetenforschung gerade erst am Anfang: "Bislang haben wir erst bei ein paar Prozent der beobachteten Sterne Planeten aufgespürt. Die Auswahl ist riesig."
Sieht man einmal von dem kontroversen Mars-Meteoriten ALH 84001 ab, so gibt es zwar bislang in der Tat noch keine einzige Spur oder einen deutlichen Hinweis auf die Existenz von irgendwelchem außerirdischen Leben auf einem anderen Planeten. Gleichwohl steht derzeit eine ganze Armada von Forschungssonden und Weltraumteleskopen in den Startlöchern und wartet auf das Signal zum Aufbruch. "Bisher forschen wir nur vor unserer Haustür", sagt Prof. Walter Flury vom European Space Operation Center (ESOC/Darmstadt), der einige der anstehenden astrobiologischen ESA-Missionen betreut. Es gebe Milliarden von Galaxien. "Ich glaube schon, dass man dort Bedingungen ungefähr wie auf der Erde findet. Das muss fast so sein."
Grenzenloser Optimismus und bizarre Theorien
Ermutigt von derlei Aussagen und beflügelt von der Erfolgsquote von bislang 101 aufgelesenen Exoplaneten, die sich allesamt in der Größenklasse von Jupiter und Saturn bewegen und ihre Heimatwelt als extrem heiße und lebensfeindliche Gaskugeln mal in geringer Distanz, mal in großer Distanz umkreisen, wagen sich jetzt immer mehr Astronomen und Astrobiologen nicht nur immer tiefer ins All, sondern auch immer tiefer ins Feld der Spekulation, wie etwa die beiden britischen Astronomen Barrie Jones und Nick Sleep von der Open University in London, die jüngst im Computerexperiment hochrechneten, dass allein in unserer Milchstraße mindestens eine Milliarde "Erden" hausen könnten, die sogar innerhalb der für die Entwicklung von Leben so wichtigen habitablen Zone liegen. Und kurz darauf legten die zwei australischen Forscher Charles Lineweaver und Daniel Grether von der University of New South Wales ein noch viel phantastischeres Modell vor, wonach allein in unserer Milchstraße mit ihren 300 Milliarden Sternen ungefähr 30 Milliarden Planetensysteme (vgl. 30 Milliarden Erden in unserer Milchstraße?) existieren könnten. Und viele davon dürften wiederum erdähnliche Welten zur Welt gebracht haben. Auch Dr. Günther Wuchterl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München, der seine Begeisterung für Exoplaneten keinesfalls verhehlt, hält die bislang 101 bestätigten Sterntrabanten erst für den Anfang. "Das ist nur die Spitze des Eisberges".
Logisch, dass da die Spekulationen immer weiter gehen. Und verständlich, dass jetzt der Optimismus der Exobiologen scheinbar alle Grenzen sprengt. Erst kürzlich überraschten die beiden US-Forscher Dirk Schulze-Makuch und Louis Irwin von der University of Texas die Fachwelt mit der Vermutung, dass in den giftigen Wolken der Venus Leben versteckt sein könnte. Demnach sprächen bestimmte chemische Besonderheiten in der äußeren Venusatmosphäre, die im Rahmen der russischen Venera-Weltraummissionen und der US-Raumsonde Pioneer entdeckt wurden, für das dortige Vorhandensein einer extrem widerstandsfähigen Bakterienart. Aufgrund der Daten der beiden Sonden konnten Hydrogen-Sulfid und Schwefel-Dioxid nachgewiesen werden. Beides sind laut Aussage der Wissenschaftler Gase, die normalerweise miteinander reagieren und deshalb nicht nebeneinander vorkommen. Irgendetwas müsse die beiden Gase immer wieder nachproduzieren, so Schulze-Makuch und Irwin. Auf der Erde seien dies im Falle von Schwefel-Wasserstoff beispielsweise Mikroben. Ein noch stärkeres Indiz für Leben auf der Venus sei aber das Vorkommen von Kohlenstoff-Sulfid in der Atmosphäre, betonten die beiden Forscher. Eine künstliche Generierung dieses Gases sei derart schwierig, dass dies als eindeutiger Beweis für biologische Aktivität gelten könne.
Bereits einige Wochen zuvor präsentierte die NASA eine weitere astrobiologische Überraschung. Einem neunköpfiges US-Wissenschaftlerteam war es offensichtlich gelungen, in dem legendären, aber zugleich höchst kontroversen Marsmeteoriten ALH 84001 doch Spuren von Leben nachzuweisen. Wie die Teamleiterin und NASA-Astrobiologin Kathie Thomas-Keprta in einer amerikanischen Fachzeitschrift ausführte, ergaben Laboruntersuchungen, dass 25 Prozent des "magnetotaktischen" Materials in ALH84001 durch Bakterien auf dem Mars erzeugt worden seien (vgl. Lebten auf dem Mars Myriaden von Mikroben?). Um den Nachweis von in dem Marsgestein eingeschlossenen Lebensspuren führen zu können, konzentrierten sich die Forscher auf das Mineral Magnetit, das auf der Erde häufig vorkommt und nicht nur bei anorganischen Prozessen, sondern auch von Bakterien erzeugt wird. Von anorganisch entstandenen Kristallen unterscheiden sich die biologisch erzeugten Magnetit-Kristalle durch ihre Größe und Form. Sie besitzen ein Kristallgitter, das eine Kette von etwa zwölf wohlgeordneten Magnetit-Kristallen in den Zellen der Mikroben bildet. Gehen die Bakterien auf Nahrungssuche, dann nutzen sie diese Ketten von Magnetit-Kristallen im Innern ihrer Zellen wie einen Kompass. Ähnlich könnten in grauer Vorzeit Mars-Mikroben agiert haben.
Europa - der heißeste Kandidat
So heiß die Venus im klimatischen Sinne auch sein mag - ein heißer Kandidat für die Anwesenheit von Leben ist der zweite Planet unseres Sonnensystems trotz der Schulze-Makuch-Irwin-Theorie (siehe oben) wahrlich nicht. Ganz anders verhält dies sich beim Roten Planeten, der immer schon die Phantasie diverser Science-Fiction-Autoren beflügelt hat.
Auch wenn so mancher insgeheim immer noch über die wahre Identität und Herkunft des vermeintlichen Mars-Gesichts (Cydonia-Face) rätselt, das NASA-Angaben zufolge nichts anderes als eine astrogeologische Gebirgsformation ist, auch wenn sich einige marsiane Objekte und Strukturen nicht ganz zweifelsfrei "auflösen" lassen und in der Tat den Eindruck erwecken, künstlichen Ursprungs zu sein (vgl. Rätselraten über bizarre Strukturen auf dem Mars), auch wenn der SF-Autor Arthur C. Clarke, aus dessen Feder bekanntlich das legendäre Opus "2001: A Space Odyssey" stammt, felsenfest der Meinung ist, dass der geheimnisvolle Rote Planet in ferner Vergangenheit einmal die Heimat einer intelligenten Kultur gewesen war, deutet momentan nicht viel darauf hin, dass auf dem vierten Planeten im Solarsystem einmal Mikroben oder gar höherstehende Lebensformen gelebt haben, geschweige denn noch leben. Immerhin entdeckte der Mars-Odyssey-Orbiter in einer Höhe von 400 Kilometern in der Nähe des nördlichen Marspols ein riesiges Wasserstoffvorkommen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass in bestimmten Regionen unter der Marsoberfläche Wasser in gefrorener oder flüssiger Form vorhanden ist.
Mögen die Forscher noch darüber streiten, ob auf dem Mars Wasser in flüssiger Form anzutreffen ist - beim viertgrößten der bislang bekannten 39 Jupiter-Trabanten (vgl. Neue Jupitermonde entdeckt) ist die Indizienkette indes so stark, dass Europa bei den Astrobiologen schon seit geraumer Zeit als heißester Kandidat für außerirdisches Leben in unserem Sonnensystem gehandelt wird. Auf ihm könnten sich in einem riesigen Ozean Kleinstlebewesen en masse tummeln. Seitdem die Raumsonde Voyager (vgl. Voyager 1 - Unterwegs in die Ewigkeit) 1979 imposante Fotos von bizarr verkrusteten und rissartigen Strukturen seiner Oberfläche zur Erde funkte, glauben viele Wissenschaftler, dass unter dem vermeintlichen Eispanzer Wasser in gefrorener Form, ja sogar flüssiger Form liegen könnte, worin Mikroben existieren.
Neue Theorie wirkt fad
Jetzt rankt sich um den Jupitermond Europa mal wieder eine neue Theorie, die auf den ersten Blick allerdings ein wenig fad wirkt. Nach ihr herrschen auf dem Trabanten Umweltbedingungen, die die Entstehung und Entwicklung von Organismen begünstigen würden. Grundlage dieser Spekulation sind Daten der Galileo-Raumsonde, die in den letzten Jahren wiederholt an einigen Monden des Riesenplaneten Jupiter vorbeigeflogen war und - wie zuvor skizziert - starke Indizien für das Vorkommen eines unter einer kilometerdicken Eisdecke liegenden riesigen flüssigen Ozeans zur Erde funkte.
Wie Richard Greenberg von der University of Arizona in Tucson (USA) und Kollegen von ihm kürzlich gegenüber dem britischen Nachrichtendienst BBC erläuterten, scheint das seinerzeit entdeckte Eismeer auf Europa dem irdischen Arktischen Ozean zu ähneln. Der Arktische Ozean, mit 4732 Quadratmeilen das kleinste Weltmeer auf Mutter Erde, bedeckt bekanntlich die Region um den Nordpol. Er ist durch das Brechen und Schmelzen von Eis permanent Luft und Hitze ausgesetzt. Ähnliches könnte sich nach Ansicht von Greenberg und seinen Teamkollegen tagtäglich auf "Europa" zutragen. "These new interpretations suggest that a Europan ocean and its ice cap could be dynamically interacting with the moon's surface atmosphere over short time scales that increase opportunities for life to exist and evolve", sagt Dr. Cynan Ellis-Evans vom British Antarctic Survey.
Darüber hinaus sei denkbar, dass Schwefel von einem der vulkanischen Jupitermonde wie Io auf Europa niedergegangen ist, was theoretisch die Chance für Leben weiter erhöhen würde. Bislang vermuteten die Wissenschaftler, dass das Eis auf Europa zu dick sei, als dass etwas hätte eindringen können. Dennoch könnte auf Europa nach Ansicht von Mark Burchell von der britischen University of Kent irgendwann einmal ein Meteorit eingeschlagen sein, der die benötigten Bausteine des Lebens gleich mitbrachte.
Bereits in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift American Scientist dieses Jahres stellte Richard Greenberg eine andere Theorie vor, wonach Magnetfeldmessungen der Sonde Galileo darauf hindeuteten, dass auf Europa unter der festen Eiskruste eine flüssige Schicht liegt, die durch vulkanische Aktivitäten im Gesteinskern und durch die Gezeitenreibung beim Umlauf um den Riesenplaneten Jupiter am Gefrieren gehindert wird. Offenbar trete an bestimmten Stellen auf Europa, an denen der Eispanzer entzwei bricht, flüssiges Wasser an die Oberfläche, das sofort gefriert. Schließt sich ein Riss, entstehen aufgewölbte Eisrücken. Ein so genanntes chaotisches Terrain entsteht nach Darstellung Greenbergs, wenn die Eiskruste großflächig aufbricht. Dies kann zum einen durch die Reibung der Gezeiten geschehen, aber auch durch Vulkanausbrüche am Grunde des Eispanzers. Die insgesamt stabile, aber wechselhafte Umwelt, so Greenberg, zwinge mögliches Leben sich anzupassen.
Ob die Voraussetzung für Leben auf dem Jupitermond Europa wirklich gegeben ist, könnte im Jahr 2008 die bereits mehrfach verschobene NASA-Mission Europa Orbiter klären, die bei Ankunft direkt in eine Umlaufbahn um den Jupitermond einschwenken und die kilometerdicke Eisschicht des Himmelskörpers, vor allem den vermuteten Ozean mit flüssigem Wasser näher untersuchen soll. Dann soll die EO-Landesonde und schließlich eine Tiefbohrvorrichtung an einer vom Orbiter ausgesuchten Stelle die Eisschicht durchbohren, besser gesagt einen Weg durch die Eiskruste hindurch "schmelzen" und dort den genannten Hydrobot (oder mehrere), einen weltraumtauglichen irdischen Tauchroboter zur Erkundung der Unterwasserwelt des Jupitertrabanten, in das eiskalte Nass entlassen. Gelänge es dem einsamen exo-submarinen Kundschafter, auch nur eine einzige Mikrobe aufzuspüren und das sensationelle Datenmaterial über den Orbiter an die Erde weiterzuleiten, würde diese Entdeckung unser jetziges Weltbild nachhaltig prägen.