Fachkräftemangel – mangelt es an Zwang zur Arbeit?

Seite 2: Deutschland braucht Zuwanderer, aber die richtigen

Damit das Kapital immer ausreichend Arbeitskräfte mit der entsprechenden Qualifikation zur Verfügung hat und sie sich auch auswählen kann – sonst werden diese Leute noch zu anspruchsvoll –, braucht es Zuwanderung, von 400.000 pro Jahr, so das Urteil von Fachleuten.

Nun mangelt es nicht an Leuten, die nach Deutschland wollen und dabei einige Gefahren auf sich nehmen, um in die bestens abgeschirmten europäischen Länder zu gelangen. Da unternimmt ja Deutschland in Gemeinschaft mit seinem Europa schon Einiges, um diese Menschen von den Grenzen fernzuhalten.

Denn schließlich will ein Staat es nicht denjenigen überlassen, die Arbeit suchen, ob sie ins Land kommen oder nicht. Das bestimmt er schon selber; wer mit welcher Qualifikation die Grenzen überschreiten und für länger oder kürzer bleiben darf, ist eine Sache hoheitlicher Gewalt.

Diese Klarstellung kostet regelmäßig Menschen das Leben – nicht nur im Mittelmeer, sondern z.B. auch an der Grenze von Polen zu Belarus oder der zwischen Griechenland und der Türkei. Da die Staaten sehr genau die Bedingungen der Einreise festlegen, gibt es auch immer wieder die Klage über zu viel Bürokratie, Unternehmen könnten sich da unternehmerfreundlichere Lösungen vorstellen.

Andererseits machen Arbeitgeber gerade von dem fehlenden Qualifikationsnachweis oder dessen fehlender Anerkennung Gebrauch, indem sie hochqualifizierte Kräfte als Billiglöhner einsetzen. Doch es bleibt das Problem, dass sowohl die anspruchsvollen Kriterien für eine Einreise in die EU bzw. nach Deutschland als auch die Praktiken im Umgang mit den hier beschäftigten Migranten Deutschland nicht gerade zum Zielland für qualifizierte Arbeitskräfte aus fremden Ländern machen, der "Brain Drain" also weiterer Betreuung bedarf.

Der Zwang zur Arbeit – muss besser greifen

Politiker entdecken daher immer wieder ein noch nicht genutztes oder zu wenig genutztes Arbeitskräftepotential. So fordert der Wirtschaftsfunktionär Steffen Kampeter:

Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit.
Süddeutsche Zeitung, 1.3.23

Er meint damit, dass die Menschen nicht so sehr auf ihre Freizeit achten, sondern mehr den Betrieben zur Verfügung stehen sollten. Und das nicht einfach, weil sie bei Mehrarbeit auch ein Plus bei Lohn oder Gehalt verbuchen könnten. Es soll vielmehr aus purer Lust erfolgen. Und das passt genau in die Landschaft, Mehrarbeit bedeutet heutzutage ja nicht unbedingt, dass die Überstunden vergütet werden:

Jedes Jahr machen Beschäftigte in Deutschland zahlreiche Überstunden – und mehr als ein Fünftel von ihnen wird dafür noch nicht einmal bezahlt. Zugenommen hat zuletzt die Bedeutung von Überstunden, die durch Freizeit ausgeglichen werden können. Das geht aus den aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) und des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hervor… Knapp jeder Dritte macht mehr als 15 Überstunden pro Woche.

Haufe Online Redaktion

So nutzen Arbeitgeber die Abhängigkeit ihrer Beschäftigten aus, um sie kostenlos für sich arbeiten zu lassen. Und wenn es heißt, dass Überstunden verstärkt durch Freizeit ausgeglichen werden können, dann bedeutet dies in der Praxis unter Umständen nur, dass die betreffenden Mitarbeiter ewig ein hohes Freizeitkonto vor sich herschieben. Denn betriebliche Belange haben immer Vorrang und stehen möglicher Weise einem Ausgleich entgegen. Es sei denn, die Geschäfte gehen schlecht, dann darf der Mitarbeiter gegebenenfalls die Freizeit in Anspruch nehmen, so lange, bis ein neues Kommando erfolgt.

Dass junge Arbeitnehmer bei ihrem Bewerbungsgespräch nach Überstundenregelungen fragen, hält übrigens die Chefin der Agentur für Arbeit und ehemalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für eine Zumutung. "Arbeit ist kein Ponyhof" gab sie zu Protokoll und machte damit deutlich, dass Arbeitszeitbegrenzungen zwar im Arbeitsvertrag geregelt sein mögen, aber darauf zu pochen komme für Arbeitnehmer eigentlich nicht in Frage. Sie haben eben dann und so lange zur Verfügung zu stehen, wenn und wie das Kapital sie braucht.

Bild am Sonntag (5.3.23) ergreift auch gleich Partei für die ehemalige Ministerin, indem das Blatt Menschen vorführt, die aus lauter Lust an der Arbeit arbeiten und für die Geld nicht das Wichtigste ist. Sie können z.B., wie im Bild belegt, auch von Südafrika aus arbeiten oder haben das schon immer so gemacht. Wovon die zitierte Dame, der das Geld nicht so wichtig ist, die Reise nach Südafrika bezahlt hat, bleibt dabei allerdings offen.

Eine Verschleuderung von ungenutztem Arbeitskräftepotenzial entdeckt so mancher Politiker oder Journalist im Rentenalter und vor allem in der Möglichkeit der Frühverrentung mit 63 Jahren, wenn die Betreffenden die vollen Beitragsjahre geschafft haben. Natürlich haben vor allem die rot-grünen Politiker mit ihren Rentenkürzungen schon einiges erreicht, was den Zwang zu längerem Arbeiten auch nach dem Renteneintrittsalter anbetrifft.

Und auch die folgenden Regierungen waren nicht müßig und haben das Rentenalter erhöht. Wer früher in Rente geht oder gehen muss, der hat erhebliche Abschläge von der sowieso schon reduzierten Rente in Kauf zu nehmen.

In der Diskussion ist jetzt, die Flexibilisierung des Rentenalters mit erhöhten Zuverdienstmöglichkeiten zu verbinden. Ein festes Datum für den Renteneintritt ist damit passé. Stattdessen ist noch einmal unterstrichen, dass von der Rente kaum noch einer leben kann, weswegen Arbeit im Alter ganz selbstverständlich die neue Perspektive ist. Und so haben denn auch investigative Journalisten der Süddeutschen einen 85-jährigen aufgespürt, der es zu Hause zu langweilig findet und begeistert zur Arbeit geht. (SZ 4.3.23) Eine echte Perspektive für alte Alleinstehende!

Zuwenig genutzt ist auch noch die Arbeitskraft der Frauen. Wie der Missstand zu beheben wäre, weiß ein Kommentator der Süddeutschen:

Mehr Kinderbetreuung und weniger Fehlanreize wie das Ehegattensplitting ermutigen Mütter, mehr zu arbeiten als Mini-Teilzeit.

Alexander Hagelücken, SZ 1.3.23

Eltern sollen hier und heute eben Kinder in die Welt setzen, um sie möglichst schnell wegzugeben, denn Familienleben ist schließlich vergeudete Zeit, die nicht zum Wirtschaftswachstum beiträgt. An dieser Front haben Politik und Wirtschaft viel geleistet, um Frauen weg vom Herd hinein ins Büro, in die Fabrik oder hinter die Kasse zu bringen.

Die Löhne der Männer wurden durch schleichende Inflation und zu geringen Ausgleich schrittweise entwertet und so die Frauen zu notwendigen Mitverdienerinnen gemacht. Der Versorgungsausgleich im Falle einer Scheidung wurde gesenkt, die Rente gekürzt und damit sind Frauen der Wahl weitgehend enthoben – frei zu entscheiden, ob sie sich lieber um Haus und Kinder kümmern wollen oder arbeiten gehen.

Das Doppelverdienerdasein ist zur Normalität geworden und damit das Familienleben auf den Feierabend und das Wochenende verkürzt. Und so gibt es jetzt die Diskussion um Work-Life-Balance, wobei die Alternative immer heißt, dass weniger Arbeit weniger Lebensstandard bedeutet, und in der Regel geben die Arbeitgeber vor, wie die Balance ausfällt.

Dass viele Frauen nur Teilzeit arbeiten, lässt Politiker und Politikerinnen vor allem der Grünen keine Ruhe; sie bringen daher das Ehegattensplitting als Beschäftigungshindernis in die Diskussion. Die Beseitigung der bisher gültigen gemeinsamen Steuerveranlagung, die für das Paar zu niedrigeren Steuern führt, soll den Effekt haben, dass die Frauen stärker gezwungen werden, eine Arbeit anzunehmen.

Angepriesen wird dieser Druck als Befreiung der Frau. Bisher ist sie oft als Geringverdienerin in der ungünstigeren Steuerklasse eingestuft, um so die Steuerzahlung während des Jahres bereits niedrig zu halten. Mit dem Lohnsteuerjahresausgleich werden die unterschiedlichen Steuerleistungen verrechnet und beide Partner dann steuerlich gleich gestellt.

Die Abschaffung des Ehegattensplitting, die als Vorteil verkauft wird, würde eine Schädigung darstellen, wenn Frauen wie Männer in der gleichen Steuerklasse gleichermaßen steuerlich gerupft werden. Ein gelungener Fall feministischer Steuerpolitik!

Der jungen Generation muss auch auf die Sprünge geholfen werden, damit sie sich so schnell wie möglich und so passend wie nötig für den Bedarf der Wirtschaft herrichtet, wobei eine neue Dienstpflicht – so die aktuelle Debatte über den deutschen Wehrwillen – vielleicht helfen könnte.

Ein staatlicher Zwangsdienst käme natürlich zunächst dem Bedarf der Wirtschaft in die Quere, aber clevere Ideen sind, wie Telepolis berichtete, schon unterwegs.

CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter ist klar, dass eine wieder eingeführte Wehrpflicht "im Spannungsfeld der Wirtschaft mit eklatantem Fachkräftemangel" stehen würde. Daher favorisiert er das "norwegische Modell", eine Kombination von allgemeiner Dienstverpflichtung mit einem nachfolgenden Auswahlverfahren, das die Spreu vom Weizen trennt und die zukünftigen Helden der Arbeit und des Schlachtfelds sauber sortiert.

So oder so, eins stellt die deutsche Politik hier klar: Sich wegen Alter oder Familienpflichten, wegen Aus- oder Fortbildungsbedarf, geschweige denn wegen des Wunsches nach einer Auszeit, dem Arbeitsmarkt (und möglicherweise demnächst einem neuen Dienst an der Waffe) zeitweise zu entziehen, geht gar nicht. Dafür sind die Insassen des hiesigen Standorts nicht vorgesehen.

Ihr Dasein ist vielmehr für Wirtschaftswachstum und Mehrung der Staatsmacht verplant – auch wenn von Planung in dieser tollen Wirtschaftsordnung weit und breit nichts zu sehen ist.